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HERZ/801: Meldungen zum Europäischen Kardiologiekongress 2015 in London (3) (idw)


Deutsche Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung
Pressemitteilungen vom 2. September 2015

Der Europäische Kardiologiekongress (ESC) 2015 in London
29. August bis 2. September 2015

→Gendermedizin: Bluthochdruck wichtigster Faktor für höhere Herz-Kreislauf-Mortalität jüngerer Männer
→Herzschwäche: Nur jeder Zehnte mit Eisenmangel bekommt Therapie - Bedeutung der Anämie unterschätzt
→Herz-Atherosklerose: Rückbildung kann Sterblichkeit um 80 Prozent verringern
→Basler Sportcheck Studie: Blutgefäße der Netzhaut zeigen, ob Kinder fit sind


Gendermedizin: Bluthochdruck wichtigster Faktor für höhere Herz-Kreislauf-Mortalität jüngerer Männer

London/Ulm, 2. September 2015 - Bluthochdruck ist der wichtigste Faktor, der das erhöhte Herz-Kreislauf-Erkrankungsrisiko von Männern jüngeren Alters im Vergleich zu gleichaltrigen Frauen erklärt. Männer unter 50 Jahren haben eine im Vergleich zu Frauen um den Faktor 4,7 erhöhte Herz-Kreislauf-Sterblichkeit. In dieser Altersgruppe konnten 40,9 Prozent des Geschlechterunterschiedes über vier kardiovaskulären Risikofaktoren eklärt werden, nämlich systolischer Blutdruck, Gesamtcholesterin, Nüchtern-Blutzucker und Rauchen.

Der dominierende Faktor war der systolische Blutdruck, der 21,7 Prozent des Gender-Effekts erklären kann, gefolgt von Cholesterin mit zehn Prozent, so Prof. Dr. Gabriele Nagel (Universität Ulm), Koautorin einer auf dem Kongress der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft (ESC) in London vorgestellten Studie. Bluthochdruck, so die Studienautoren, sollte bei allen Menschen rechtzeitig diagnostiziert und durch entsprechende Lebensstilveränderung oder medikamentöse Therapie behandelt werden. Bei jüngeren Männern ist dies von ganz besonderer Bedeutung.

Die Kohortenstudie basiert auf der Vorarlberger Gesundenuntersuchungs-Datenbank, die zwischen 1985 und 2004 aufgebaut wurde. Über einen durchschnittlichen Follow-up Zeitraum von 14,6 Jahren wurden bei 117.264 Personen, die zum Zeitpunkt der Gesundenuntersuchung jünger als 50 Jahre waren, und bei 54.998 älteren Personen insgesamt 3.892 Todesfälle aufgrund von KHK registriert.

Durch die Studienergebnisse ändert sich nichts an der generellen Einschätzung, dass neben dem Bluthochdruck auch die Risikofaktoren erhöhtes Cholesterin und Blutzucker sowie Rauchen im Sinne der Herzgesundheit zu beachten sind, betonen die Studienautoren.

Pro Jahr sterben in Europa etwa 77.000 Frauen und 253.000 Männer unter 65 Jahren an der koronaren Herzerkrankung (KHK). Dieser geschlechtsspezifische Unterschied verengt sich zwar mit zunehmendem Alter, und über die gesamte Alterspanne gesehen sterben sogar absolut mehr Frauen als Männer an der KHK. Dennoch ist der Überlebensvorteil von Frauen eindeutig. Die Erklärungsansätze für diesen ausgeprägten Geschlechterunterschied reichen vom Einfluss der Hormone (Östrogene, Testosteron) bis hin zu Lebensstilfaktoren. In ihrer Studie untersuchten die Wissenschaftler, in welchem Ausmaß die etablierten kardiovaskulären Risikofaktoren zu diesem Unterschied beitragen.

Quelle:
ESC 2015 Abstract Do risk factors explain the sex/gender gap in mortality from coronary heart disease? J. Fritz, M. Edlinger, CC. Kelleher, S. Strohmaier, G. Nagel, H. Concin, M. Hochleitner, E. Ruttmann, H. Ulmer

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Herzschwäche: Nur jeder Zehnte mit Eisenmangel bekommt Therapie - Bedeutung der Anämie unterschätzt

London/Bremen/Berlin, 2. September 2015 - Trotz des nachgewiesenen Nutzens einer intravenösen Eisentherapie bei Herzschwäche (Herzinsuffizienz, HI) zur Verringerung von Symptomen und Krankenhauseinweisungen erhält in Deutschland nur jeder zehnte HI-Patient mit Eisenmangel eine Eisen-Substitutionstherapie. Dabei bekamen die meisten Patienten die weniger wirksamen Eisenpräparate zum Einnehmen, nur 2,2 Prozent eine intravenöse Eisentherapie. Das zeigen Auswertungen des RAID-HF-Register, die beim Kongress der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft (ESC) in London präsentiert wurden. Untersucht und ein Jahr nachbeobachtet wurden 671 Patienten mit allen Formen der HI in 16 deutschen Zentren.

Die Studienergebnisse unterstrichen auch den Stellenwert der Anämie ("Blutarmut"). Bei 56 Prozent der HI-Patienten wurde ein Eisenmangel nachgewiesen, 38,5 Prozent der Patienten mit Eisenmangel hatten auch eine Anämie, hingegen nur 25 Prozent der Patienten ohne Eisenmangel. Studien-Erstautor Dr. Harm Wienbergen (Bremen): "Das Bestehen einer Anämie war ein signifikanter Prognosefaktor für die Ein-Jahres-Sterblichkeit." Diese war bei den Untersuchungsteilnehmern mit Eisenmangel ohne Anämie nicht signifikant erhöht.

Bei einer weiteren Studie, in die 331 Patienten mit stabiler chronischer HI eingeschlossen waren und die Auswirkungen von Anämie und Eisenmangel auf körperliche Leistungsfähigkeit und Sterblichkeit untersuchte, zeigte sich, dass die körperliche Leistungsfähigkeit mit dem Eisenmangel deutlich abnimmt und sich bei zusätzlicher Anämie noch weiter verschlechtert.

Insgesamt verstarben in dieser Studie 91 Untersuchungspersonen während einer durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von 18 Monaten. 40 der Verstorbenen waren anämisch und 47 hatten einen Eisenmangel. Auch hier zeigte sich, so Erstautorin Dr. Nicole Ebner (Berlin), "dass die Anämie ein unabhängiger Prognosefaktor für das Versterben ist." Die Gegenwart kleinzelliger ("mikro-zytärer") Anämie zeigte sogar ein vierfach höheres Sterblichkeits-Risiko. "Zukünftige Studien müssen zeigen, welche Maßnahmen bei einer Anämie zu wählen sind", so Dr. Ebner.

Quellen:
Predictors, treatment and long-term course of iron deficiency in unselected patients with heart failure: The RAID-HF registry; H. Wienbergen, M. Hochadel, S. Michel, A. Fach, W. von Scheidt, M. Pauschinger, J. Senges, R. Hambrecht
The impact of iron deficiency and anaemia on exercise capacity and outcomes in patients with chronic heart failure. N. Ebner, E.A. Jankowska, V. Sliziuk, S. Elsner, L. Steinbeck, J, Kube, A, Sandek, W. Doehner, S.D. Anker, S. Von Haehling

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Herz-Atherosklerose: Rückbildung kann Sterblichkeit um 80 Prozent verringern

London/München, 2. September 2015 - Patienten mit fortschreitender Atherosklerose ("Progression") in unbehandelten Abschnitten ihrer Herzkranzgefäße haben ein 2,5-fach höheres Risiko, innerhalb von acht Jahren an einer Herzkrankheit zu sterben, als Patienten, deren Artherosklerose nicht zugenommen hat oder sich sogar zurückbildete ("Regression"). Ein Rückbildung der Atherosklerose oder keine Veränderung ist gegenüber einer Progression mit einer signifikanten Verringerung der 8-Jahres-Sterblichkeit um 80 Prozent verbunden. Das sind die Ergebnisse einer auf dem Kongress der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft (ESC) in London vorgestellten deutschen Studie. "Die Progression von Atherosklerose zu verhindern oder sogar eine Regression zu erreichen, ist eine der größten Herausforderungen der heutigen Herz-Medizin", so Studien-Erstautor Dr. Sebastian Kufner vom Deutschen Herzzentrum München. Welchen Einfluss Progression oder Regression von Atherosklerose auf die Langzeitprognose von Patienten mit koronarer Herzerkrankung haben, sei jedoch bis dato nicht ausreichend untersucht worden.

In der Studie untersucht wurden 605 Patienten mit koronarer Herzerkrankung nach einer Katheter-Behandlung von Gefäß-Engstellen (Koronarintervention), Statin-Therapie und weiteren Maßnahmen. Zu Studienbeginn sowie nach zwei Jahren wurden die Probanden mittels Koronar-Darstellung untersucht. Insgesamt erfolgte eine Analyse von 6.259 Herzkranzgefäß-Segmenten (10,3 Gefäß-Schädigungen pro Patient). 1.790 nicht mit einem Stent behandelte und 806 mit Stents behandelte Gefäß-Schädigungen (Läsionen) wurden weiter analysiert. Atherosklerose-Progression oder -Regression wurde als Veränderung des minimalen Innendurchmessers unbehandelter Segmente von +0,2 mm bzw. -0,2 mm definiert. Basierend auf der Veränderung dieses Durchmessers zwischen der ersten und der zweiten Untersuchung wurden die Patienten in drei Gruppen unterteilt: Eine mit Atherosklerose-Progression, eine mit Atherosklerose-Regression und eine mit weder Progression noch Regression. Der primäre Endpunkt dieser Analyse war Sterblichkeit acht Jahre nach der ersten Katheter-Untersuchung. Sekundäre Endpunkte beinhalten Tod kardialer Ursache, Herzinfarkt und Wiedereröffnung unbehandelter Segmente nach acht Jahren. Dr. Kufner: "Insgesamt zeigt diese Studie eine signifikante Assoziation zwischen der angiographisch nachgewiesenen Atherosklerose-Progression und -Regression unbehandelter Koronarsegmente mit milder Atherosklerose und der Langzeitmortalität von Patienten mit koronarer Herzerkrankung."

Quelle:
ESC 2015 Abstract Association of progression or regression of coronary artery atherosclerosis with long-term prognosis; S. Kufner, G. Ndrepepa, R. Iijima, S. Braun, R.A. Byrne, J. Sorges, S. Schulz-Schuepke, K.L. Laugwitz, H. Schunkert, A. Kastrati

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Basler Sportcheck Studie: Blutgefäße der Netzhaut zeigen, ob Kinder fit sind

London/Basel/Berlin, 2. September 2015 - Körperliche Fitness und Aktivität, das Verhältnis von Fett und Muskel (Körperkomposition) sowie Blutdruckwerte können bereits bei 6- bis 8-jährigen Schülern zu Veränderungen der Gefäßgesundheit führen, die man am leichtesten in der Netzhaut untersuchen kann. Das zeigt die Sportcheck-Studie der Universität Basel, die auf dem Kongress der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft (ESC) in London vorgestellt wurde. Die Analyse der Blutgefäße der Netzhaut (Retina) mittels Spiegelung des Augenhintergrundes (Funduskopie) ist ein sensitives und einfach anwendbares Verfahren für die Früherkennung von Gefäßveränderung in der frühen Lebensphase. Sie gibt Aufschluss über Struktur und Funktion der Gefäße in der Mikrozirkulation, berichtet Dr. Henner Hanssen (Universität Basel).

In der Sportcheck Studie wurden 1.255 Kinder untersucht. Durchgeführt wurde ein 20 Meter Shuttle Run Test als Maß der Ausdauerleistungsfähigkeit, zusätzlich ein 20 Meter Sprinttest, ein Sprungkraft- und ein Balancetest. Die Hauptergebnisse der Studie zeigen, dass eine hohe Ausdauerleistungsfähigkeit mit engeren Venendurchmessern zusammenhängt. Dies bedeutet ein niedriges kardiovaskuläres Risiko. Ähnliche Zusammenhänge ergeben sich auch für ein höheres Maß an sportlichen Indoor-Aktivitäten.

Enge Netzhaut-Arterien haben einen hohen Vorhersage-Wert insbesondere für die Entstehung eines Bluthochdrucks. Weite Netzhaut-Venen stehen mit einem erhöhten Risiko für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall in Zusammenhang. "In einer früheren Studie konnte gezeigt werden, dass eine regelmäßige Trainingstherapie zu einer vorteilhaften Erweiterung der retinalen Arterien und Verengung der retinalen Venen führt", so Dr. Hanssen.

Studien zur Analyse der retinalen Gefäßdurchmesser als vaskulärer Biomarker für ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko haben sich bisher auf Erwachsene und Senioren konzentriert. Neben der arteriellen Gefäßsteifigkeit der großen herznahen Gefäße entwickelt sich die retinale Gefäßanalyse zusehends zu einer brauchbaren Methode der Erkennung einer frühen Gefäßalterung bei Risikopatienten. Wissenschaftliche Analysen zur Messung dieses vaskulären Biomarkers im Kindesalter sind kaum existent, berichtet Dr. Hanssen.

Bei Kindern in dieser Altersstufe sind Körpergröße und Gewicht zwar mit dem retinalen Gefäßdurchmesser negativ assoziiert, jedoch ist der Blutdruck der einzig unabhängige Parameter für das Vorhandensein von engeren retinalen Arterien und damit für ein erhöhtes Herz-Kreislaufrisiko im Erwachsenenalter. Derzeitig laufende Untersuchungen beschäftigen sich mit der Analyse des Zusammenhangs zwischen klinischen Blutdruckkategorien und dem retinalen Gefäßdurchmesser in diesem Kollektiv. "Ein nächster interessanter Schritt auf diesem Gebiet wird die Entwicklung von Normwerten für einzelne Altersgruppen sein, um eine entsprechende Zuordnung als Risikofaktor zu ermöglichen", kommentiert der Pressesprecher der DGK, Prof. Eckart Fleck (Berlin), die aktuellen Ergebnisse.

Quelle:
ESC 2015 Abstract Influence of cardiorespiratory fitness, body composition and blood pressure on retinal vessel diameters in swiss primary school children - the sportcheck study; H. Hanssen, K. Imhof, L. Zahner, O. Faude, A. Schmidt-Trucksass

Raute

Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie - Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK) mit Sitz in Düsseldorf ist eine wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft mit über 9.000 Mitgliedern. Ihr Ziel ist die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der kardiovaskulären Erkrankungen, die Ausrichtung von Tagungen und die Aus-, Weiter- und Fortbildung ihrer Mitglieder. 1927 in Bad Nau-heim gegründet, ist die DGK die älteste und größte kardiologische Gesellschaft in Europa. Weitere Informationen unter www.dgk.org

Weitere Informationen finden Sie unter
http://dgk.org/presse
http://dgk.org

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution737

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung e.V.
Prof. Dr. Eckart Fleck, 02.09.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2015

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