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INFEKTION/1179: Was wüßte Robert Koch, Entdecker der Tuberkulose-Bakterien, heute? (RKI - EpiBull)


Epidemiologisches Bulletin 12/2012 - 19. März 2012

Robert Koch, was wüsste der Entdecker der Tuberkulose-Bakterien heute?


Vor 130 Jahren, am 24. März 1882, präsentierte Robert Koch in seinem Vortrag über die "Aetiologie der Tuberculose" vor der Berliner Physiologischen Gesellschaft die Entdeckung des Tuberkulose-Erregers und begründete damit die "moderne Bakteriologie". Vorausgegangen waren Experimente mit Meerschweinchen, die die Übertragung des Erregers bewiesen, und die Entwicklung einer Gegenfärbungsmethode, um die wachsartigen Erreger mikroskopisch sichtbar zu machen. Bis heute gilt der Grundsatz, dass der direkte Nachweis des Tuberkulose (TB)-Bakteriums eine Bestätigung für die Erkrankung ist. Die Verfahren jedoch, um den Erregernachweis zu führen, haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verfeinert.

Robert Koch war sowohl für seine Innovationskraft bekannt als auch für die Bemühung, immer die neuesten Techniken für seine Forschung anzuwenden, so verwendete er noch vor Markteinführung Ölimmersions-Linsen. Heute würde er sicherlich zu den Ersten gehören, die sich der neuen LED-Technologie (LED = Licht-emittierende Dioden) bedient hätten. Kürzlich wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen, die LED-Mikroskopie in allen Laboratorien einzuführen, die auch Fluoreszenzmikroskopie anwenden, und darüber hinaus auch als Alternative zur klassischen Ziehl-Neelsen Färbung einzuführen.(1) Diese Empfehlungen beruhen unter anderem auf systematische Untersuchungen zur Sensitivität mikroskopischer Verfahren, nach denen die Fluoreszenzmikroskopie im Durchschnitt als 10 % sensitiver eingestuft wurde.(2) Die neuen LED-Mikroskope, die sowohl Hellfeld- als auch Fluoreszenzlicht generieren können, sind geringer im Preis als die konventionellen Mikroskope und können im Gegensatz zur klassischen Fluoreszenzmikroskopie auch im Tageslicht verwendet werden. Die Nachweisgrenze der Mikroskopie liegt bei ca. 10³ Bakterien / ml.

Robert Koch war maßgeblich an der Entwicklung von Festmedien beteiligt, die zuerst Gelatine enthielten und später dann Agar-Agar. Damals wie heute wachsen die Tuberkulose-Bakterien sehr langsam auf den künstlichen Nährböden. Während viele Wissenschaftler die Kulturplatten sicherlich nach einiger Zeit als "negativ" entsorgt hätten, hatte Robert Koch Geduld und ließ sie so lange stehen, bis er schließlich Bakterienwachstum feststellen konnte. Während also die Festmedien mehr als 100 Jahre alt sind, ist die Entwicklung von Flüssigmedien in der Tuberkulose-Diagnostik hingegen sehr jung. Erst vor 30 Jahren wurden diese Verfahren weltweit eingeführt, zunächst jedoch noch mit Medien, die radioaktive Substanzen enthielten, um das Bakterienwachstum zu detektieren. Nicht-radioaktive Kulturmedien, mit denen ebenfalls gute Erfahrungen gemacht wurden, basieren auf der Messung der Änderung eines Redoxindikators, von Farbstoffen, des pH-Wertes, des Druckes im geschlossenen System oder Fluoreszenzfarbstoffen, die den Sauerstoffverbrauch anzeigen und damit indirekt das Bakterienwachstum detektieren. Für die flüssigen Kulturverfahren muss ein Dekontaminationsverfahren (NALC-NaOH-Methode) durchgeführt werden, um die schnellwachsende Begleitflora in den unsterilen Materialien abzutöten. Trotz dieses Verfahrens ist die Kontaminationsrate in Flüssigmedien höher als in Festmedien. Dieser Nachteil jedoch steht einigen Vorteilen gegenüber, wie beispielsweise einer höheren Sensitivität und einem schnelleren Wachstum der Mykobakterien. Die mittlere Detektionszeit bei Verwendung von Flüssigmedien beträgt 1-2 Wochen; bei festen Medien ist mit 3-4 Wochen zu rechnen. Die Nachweisgrenze der Kultur liegt bei ca. 100 Bakterien / ml.

Sicherlich wäre Robert Koch auch einer der Ersten gewesen, der die Bedeutung der molekularbiologischen Techniken, z. B. auf Basis der Polymerasekettenreaktion (PCR), für die TB-Diagnostik erkannt hätte. Lange nach Bekanntwerden und auch Anwendung in anderen Feldern der Diagnostik, wurde die Entwicklung von kommerziellen molekularbiologischen Tests für die TB-Diagnostik nur langsam vorangetrieben. Die Ersten waren Gensonden zur Identifizierung von M.-tuberculosis-Komplex (MTBK) und einigen wenigen relevanten nichttuberkulösen Mykobakterien (NTM), gefolgt von den sogenannten Line probe assays (Lipas). Letztere verbinden die PCR-Methodik mit einer Hybridisierung und können zur Differenzierung der TB-Bakterien, NTM und zur Resistenzbestimmung von Isoniazid, Rifampicin, Fluorquinolonen und Amikazin/Capreomycin eingesetzt werden. Diese Methoden werden in gut ausgestatteten Routinelaboren mittlerweile weltweit durchgeführt.

Der Bedarf, ein verlässliches, aber technisch einfaches Verfahren für die TB-Diagnostik zur Verfügung zu haben, ist vor allem in Ländern mit einer hohen Inzidenz vorhanden. Ein robustes automatisiertes Verfahren, in dem die für die PCR notwendige DNA-Isolierung, die Real-time-PCR und die nachfolgende Auswertung automatisiert erfolgen, ist der "Xpert MTB/RIF".(3) Das Xpert-System detektiert den TB-Erreger mit gleichzeitiger Bestimmung der Rifampicin-Resistenz aus Direktmaterial. Insgesamt konnte die Sensitivität des neuen Systems mit 97,3 % (721 von 741 Patienten) berechnet werden (bei Anwendung von 3 Tests pro Patient), wobei der Referenzstandard der kulturelle Nachweis war. Erwartungsgemäß war bei mikroskopisch und kulturell positiven Proben die Sensitivität höher (564/567; 99,5 %) als bei mikroskopisch negativen kulturell positiven Proben (157/174; 90,2 %). Die Spezifität des Tests war 98,1 % (604 von 616). Wenn man eine Testanwendung allein betrachtet, so konnte mit einem direkten Xpert-Test eine TB bei 673 von 732 (91,9 %) Fällen (in der Kultur positiv) nachgewiesen und in 604 von 609 (99,2 %) bei nicht TB-Fällen eine TB ausgeschlossen werden. Mit dem neuen System liegt ein zuverlässiges diagnostisches Verfahren vor, mit dem die Detektion von TB und die Rifampicin-Resistenz direkt aus dem Sputum in etwa 2 Stunden bei minimalem Arbeitsaufwand möglich ist. Die Schnelligkeit und einfache Anwendbarkeit könnte die TB-Diagnostik weltweit verbessern und damit einen Beitrag zur Bekämpfung der TB liefern.

Robert Koch hat sich schon zu seiner Zeit mit der Suche nach Substanzen für die TB-Therapie befasst. Mit den ersten Versuchen zur Isolierung von TB-spezifischen Antigenen hat er zwar kein wirksames Mittel für die Therapie finden können, aber den Weg für die Entwicklung des Tuberkulin-Hauttestes (THT) geebnet. Das Tuberkulin ließ sich für die diagnostische Anwendung zum Nachweis der latenten tuberkulösen Infektion nutzbar machen, da sensibilisierte T-Lymphozyten auf die intrakutan injizierten löslichen Erregerprodukte reagieren und dies als hypersensitive allergische Hautreaktion sichtbar wird. Nachteilig an dem Test war die Kreuzreaktion mit dem BCG-Impfstamm und NTM. Heute stehen neuere immunologische Bluttests zur Detektion einer latenten tuberkulösen Infektion zur Verfügung, die sogenannten Interferon-Gamma Release Assays (IGRAs), die auf dem Nachweis der Freisetzung von Interferon-Gamma durch sensibilisierte Lymphozyten beruhen.(4, 5) Diese Lymphozyten werden in vitro durch Mycobacterium-tuberculosis-spezifische Peptide (ESAT6, CFP 10, TB7.7) stimuliert, die nicht im BCG-Impfstamm und den meisten NTM vorhanden sind.

Wahrscheinlicher aber ist es, dass Robert Koch sich mit den Fragestellungen befasst hätte, welche beantwortet werden müssen, um die TB endgültig, schnell und effizient zu eradizieren. Der naheliegendste Lösungsversuch ist die Entwicklung eines Impfstoffs, dem seit 1928 nach Einführung des BCG-Impfstoffs viele Forschergruppen nachgehen. Neben der Entwicklung von vielen Erfolg versprechenden Kandidaten (12 Impfstoffe befinden sich in klinischen Studien) konnte bisher allerdings noch kein Durchbruch erzielt werden.(6)

Leider waren alle Anstrengungen, die TB weltweit zu besiegen bis heute damit immer noch nicht erfolgreich. Weltweit gehört sie auch heute noch zu den häufigsten Todesursachen und zählt zu den immer noch aktuellen Public-Health-Problemen. In Deutschland und in fast allen Industrieländern nehmen Inzidenz und Mortalität stetig ab, global aber hat sich die Situation infolge von HIV-Koinfektionen und der Zunahme mehrfach resistenter Erreger in den letzten Jahren eher verschlechtert. Vor allem dem Entstehen und der Übertragung von multiresistenter TB muss entgegengewirkt werden, denn diese Bakterien sind gegen die beiden hochwirksamen Erstrangmedikamente Rifampicin und Isoniazid resistent und damit schwer behandelbar. Es gibt mittlerweile Bakterienstämme, die so viele Resistenzen aufweisen, dass sie antituberkulös nicht mehr therapierbar sind.(7, 8) Wenn diesem Problem nicht mit allen Kräften entgegengewirkt wird, dann fallen wir weltweit wieder in das Zeitalter Robert Kochs zurück.


Literatur

(1) WHO-Report of the 9th meeting of STAG-TB, Geneva, Switzerland,
http://www.who.int/tb/advisory_bodies/stag_tb_report_2009.pdf

(2) Steingart KR, Henry M, Ng V Hopewell PC, Ramsay A, Cunningham J, Urbanczik R, Perkins M, Aziz MA, Pai M: Fluorescence versus conventional sputum smear microscopy for tuberculosis: a systematic review. Lancet Infect Dis 2006; 6 (9): 570-581

(3) Boehme CC, Nabeta P, Hillemann D, Nicol MP, Shenai S, Krapp F, Allen J, Tahirli R, Blakemore R, Rustomjee R, Milovic A, Jones M, O'Brien SM, Persing DH, Ruesch-Gerdes S, Gotuzzo E, Rodrigues C, Alland D, Perkins MD: Rapid molecular detection of tuberculosis and rifampin resistance. N Engl J Med 2010; 363 (11): 1005-1015

(4) Moore DA, Evans CA, Gilman RH et al.: Microscopic-observation drug-susceptibility assay for the diagnosis of TB. New Engl J Med 2006; 355: 1539-1550

(5) Pai M, Riley LW, Colford JM Jr.: Interferon-gamma assays in the immunodiagnosis of tuberculosis: a systematic review. Lancet Infect Dis 2004; 4: 761-776

(6) New TB Vaccines: A Reality In The Next Decade;
http://www.citizennews.org/2011/07/new-tb-vaccines-reality-in-next-decade.html

(7) Loewenberg S: India reports cases of totally drug-resistant tuberculosis. Lancet 2012; 379: 205

(8) Udwadia ZF, Amale RA, Ajbani KK, Rodrigues C: Totally drug-resistant tuberculosis in India. Clin Infect Dis 2012; 54: 579-581


Für diesen Beitrag danken wir Dr. Sabine Rüsch-Gerdes, Dr. Elvira Richter und Dr. Doris Hillemann vom Nationalen Referenzzentrum (NRZ) für Mykobakterien. Dr. Hillemann steht als Ansprechpartnerin zur Verfügung (E-Mail: dhillem@fz-borstel.de).


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Quelle:
Epidemiologisches Bulletin 12/2012 - 19. März 2012
Herausgeber: Robert Koch-Institut
Nordufer 20, D-13353 Berlin
Telefon: 030/18 754-0, Fax: 030/18 754-23 28
E-Mail: EpiBull@rki.de
Internet: www.rki.de > Infektionsschutz > Epidemiologisches Bulletin


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2012