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INFEKTION/1567: Das Genom von Krankheitserregern - Auf die Architektur kommt es an (idw)


Julius-Maximilians-Universität Würzburg - 28.09.2016

Genom: Auf die Architektur kommt es an


Wie schaffen es Krankheitserreger, wie Bakterien oder Parasiten, sich vor dem Immunsystem ihres Wirts zu verbergen? Diese Frage untersucht der Biochemiker Nicolai Siegel in einem neuen Forschungsprojekt. Die Europäische Union unterstützt ihn dabei mit 1,5 Millionen Euro.

Viele Erkrankungen wie beispielsweise Malaria oder Aids sind besonders schwerwiegend und stellen für die Medizin eine große Herausforderung dar, weil ihre Erreger - obgleich ganz unterschiedlich - die gleiche Strategie anwenden: Sie tarnen sich und verhindern so, dass das Immunsystem sie erfolgreich bekämpfen kann.

Diesen Trick haben sich auch Trypanosomen, die Erreger der tödlichen Schlafkrankheit, zu Nutze gemacht. Diese afrikanischen Parasiten werden durch den Biss der Tsetse-Fliege übertragen und leben im Blut ihres Wirts. Ihre Oberfläche ist ummantelt von Proteinen - sogenannte Antigene - die das Immunsystem eigentlich gut erkennen und als Angriffsstelle nutzen könnte. Tatsächlich verfügt der Erreger aber über mehrere Tausend unterschiedliche Gene in seiner DNA, die solche Antigene produzieren. Davon nutzt der Parasit allerdings immer nur eines - und kann beliebig zwischen ihnen hin und her wechseln. Und das macht es für das Immunsystem fast unmöglich, den Erreger zu kontrollieren.

Forschung an der Antigenvariation

Antigenvariation heißt diese Fähigkeit krankheitserregender Mikroorganismen und Parasiten, diese Moleküle an ihrer Oberfläche zu verändern. Welche Prozesse dafür auf genetischer Basis verantwortlich sind, untersucht Dr. Nicolai Siegel in seinem neuen Forschungsprojekt. Der Europäische Forschungsrat (European Research Council, ERC) hat ihm jetzt dafür einen der begehrten europäischen Wissenschaftspreise verliehen: den mit rund 1,5 Millionen Euro dotierten Starting Grant, der an "aussichtsreiche Nachwuchsforscher" geht.

Siegel (Jahrgang 1978) ist Biochemiker und leitet seit vier Jahren eine der Nachwuchsgruppen des Zentrums für Infektionsforschung (ZINF) der Universität Würzburg. Am von Professor Jörg Vogel geleiteten Institut für Molekulare Infektionsbiologie untersucht sein Team epigenetische Mechanismen der Genregulation in Trypanosomen.

"Viren, Bakterien und bestimmte Parasiten stehen alle vor der gleichen Herausforderung, wenn sie in den Organismus eines Lebewesens eindringen: Sie müssen sich irgendwie vor dem Angriff des Immunsystems schützen", erklärt Nicolai Siegel. Dabei haben sie trotz ihrer Verschiedenheit erstaunlich ähnliche Verteidigungsstrategien entwickelt. Eine davon ist die Antigenvariation. Die Fähigkeit, sich dem Angriff des Immunsystems weitgehend zu entziehen, stellt nach Siegels Worten die größte Herausforderung im Kampf gegen Infektionskrankheiten dar. "Wenn es gelingt, auf diesen Prozess Einfluss zu nehmen, wäre dies ein bedeutender Durchbruch", so der Wissenschaftler. Dann könnte sich ein betroffener Patient besser gegen die Infektion wehren; gleichzeitig würde die Entwicklung neuer Impfstoffe erleichtert.

Systematische Analyse der Genomarchitektur

Doch bislang sind die grundlegenden Prozesse der Antigenvariation noch nicht hinreichend erforscht. Um zu verstehen, welche Antigene zu welcher Zeit genutzt werden, will Nicolai Siegel die Genomarchitektur des Parasiten entschlüsseln. "Architektur" beschreibt dabei im wahrsten Sinne des Wortes die dreidimensionale Faltung der DNA-Stränge im Zellkern, welche die Aktivität unterschiedlicher Gene beeinflussen kann. Ausgangspunkt für diesen Ansatz waren die Ergebnisse einer Masterarbeit. Inzwischen führt Laura Müller ihre Arbeit als Doktorandin zusammen mit Dr. Raúl Cosentino in der Gruppe von Nicolai Siegel fort. Ziel ist es, in den kommenden fünf Jahren die erste systematische Analyse durchzuführen, um die Bedeutung der Genomarchitektur für die wechselnde Expression der Antigene zu bestimmen - und zwar am Beispiel des Erregers der Schlafkrankheit Trypanosoma brucei.

Dabei setzt Siegel auf zwei moderne Techniken: die Hochdurchsatz-Sequenzierung, auch bekannt unter dem Namen Next-Generation-Sequencing, die es ermöglicht, das komplette Genom von Organismen innerhalb weniger Stunden zu sequenzieren. Und CRISPR-Cas9 - ein Verfahren, das Wissenschaftlern erlaubt, einzelne DNA-Bausteine im Erbgut gezielt und mit hoher Präzision zu verändern. "Die Kombination dieser beiden Techniken versetzt mich in die Lage, zwei Forschungsfelder miteinander zu verknüpfen: die Forschung an der Antigenvariation und die an der Genomarchitektur", sagt Siegel.

Der Einfluss der räumlichen Anordnung

Für die dreidimensionale Struktur des Erbguts interessiert sich der Wissenschaftler vor allem aus einem Grund: "Bei der Regulation von Genen, die sich gegenseitig ausschließen, spielt die räumliche Anordnung des Genoms eine wichtige Rolle", so Siegel. Dies treffe auch auf die Antigenvariation zu. Während also die Abfolge der einzelnen Bausteine der DNA darüber bestimmt, welche Proteine hergestellt werden, übt die Struktur des DNA-Strangs Einfluss darauf aus, welche Abschnitte wann abgelesen werden. Vereinfacht gesagt, ordnen sich Gene, die gleichzeitig aktiv sind, häufig zusammen in einer bestimmten Region im Inneren des Zellkerns an. Andere Bereiche, die nicht abgelesen werden sollen, sind hingegen eher in den Randbereichen des Kerns zu finden.

Auch wenn dank neuester technischer Verfahren Wissenschaftler auf diesem Gebiet zahlreiche neue Erkenntnisse gewinnen konnten, sind noch immer viele Fragen ungeklärt. Nicolai Siegel will mit seinem ERC-Grant dazu beitragen, weitere Antworten zu finden.

Hoch dotiert und renommiert

Die ERC-Grants sind die renommiertesten europäischen Wissenschaftspreise und werden jährlich vom Europäischen Forschungsrat (European Research Council, ERC) vergeben. Die Preise sind hoch dotiert und ermöglichen es den Preisträgern, aufwändige Projekte anzugehen.

In diesem Jahr vergibt der ERC Starting Grants an insgesamt 325 Nachwuchswissenschaftler in Europa. 61 von ihnen forschen in Deutschland, was einem Anteil von knapp 19 Prozent entspricht. An bayerischen Universitäten forschen 14 der neuen Preisträger.


Kontakt

Dr. Nicolai Siegel, Zentrum für Infektionsforschung
nicolai.siegel@uni-wuerzburg.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution99

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Gunnar Bartsch, 28.09.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2016

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