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RHEUMA/299: Lücken in der rheumatologischen Versorgung im ländlichen Raum (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 11/2019

Rheuma
Besser gut sortiert

von Stephan Göhrmann


Rheumatische Erkrankungen sind in Deutschland weit verbreitet. Eine frühzeitige Indikation und Medikation kann die Symptome je nach Form der Erkrankung zurückdrängen. Dazu ist eine gute Vorsortierung notwendig. Die Rheuma-Liga Schleswig-Holstein e. V. macht auf Lücken in der rheumatologischen Versorgung im ländlichen Raum aufmerksam.


Steife und geschwollene Gelenke, schmerzende Knochen, Muskeln und Sehnen - viele Erwachsene kennen diese Beschwerden und bei vielen von ihnen verschwinden diese im Laufe des Tages wieder. Bei manchen Menschen in Deutschland verschwinden sie jedoch nicht. Unter ihnen befinden sich auch Kinder und Jugendliche. Sie sind Teil von insgesamt 17 Millionen Menschen, die an rheumatischen Erkrankungen leiden. Denn anders als oft vermutet, sind rheumatische Erkrankungen perse keine Krankheiten, die ausschließlich ältere Menschen betreffen.

Unter dem Motto "Rheuma ist jünger als du denkst" wurde am diesjährigen Weltrheumatag am 12. Oktober über die Erkrankungen, die umgangssprachlich unter dem Sammelbegriff "Rheuma" zusammengefasst werden, aufgeklärt. Bedarf an besserer Aufklärung ist laut Rheuma-Liga Schleswig-Holstein e. V. (RLSH) im Norden vorhanden. "Der Wissensstand in der Bevölkerung ist nach wie vor niedrig ausgeprägt", sagte Gerda Fröhlich, Vorstandsmitglied der RLSH. Das liegt nicht zuletzt an der Vielseitigkeit rheumatischer Erkrankungen. In der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10-GM) wird zwischen 200 und 400 einzelnen Erkrankungen unterschieden. Sie unterscheiden sich im Beschwerdebild, dem Verlauf und der Prognose stark voneinander. Deshalb sind Erkrankungen im rheumatischen Formenkreis schwer zu überblicken und schwer zu diagnostizieren und die Zahl der Betroffenen ist schwer zu schätzen.

"Rheuma wird von verschiedenen Stellen unterschiedlich aufgefasst", begründet Dr. Ulrich Schwab, Vizepräsident der RLSH und selbst Rheumatologe in Kiel, die unterschiedlichen Fallzahlen. Die Arthrose ist mit zehn Prozent die am häufigsten vertretene nicht-entzündliche rheumatische Erkrankung. Die entzündliche Erkrankungsform tritt bei ein bis zwei Prozent der Bevölkerung auf.

Die Dunkelziffer wird jedoch wesentlich höher eingeschätzt. Rheumatische Erkrankungen werden durch eine veränderte Abwehrsituation hervorgebracht, weswegen eine Untersuchung des Abwehrsystems wichtig ist. Symptome wie etwa schmerzende Gelenke treten erst in einem späten Stadium der Erkrankung auf. Bis der Patient zum Arzt geht, kann daher viel Zeit vergehen. "Die Wahrnehmung des Körpers und der Wissensstand sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Manche bemerken bereits kleinste Veränderungen am Körper und gehen zum Arzt. Andere messen den Beschwerden am eigenen Körper nicht die Bedeutung zu, wie sie nötig wäre", erklärte Schwab. Es kann vorkommen, dass Betroffene zwei bis drei Jahre mit Rheuma leben, bevor es diagnostiziert wird. Dabei ist eine frühe Diagnose wichtig. Je nach Krankheitsbild kann eine frühzeitige medikamentöse Behandlung die Symptome gänzlich beseitigen.

"Rheuma ist ein schwieriges Krankheitsbild, Patienten benötigen mehr Zeit und die Behandlung ist deutlich länger und deutlich kostspieliger", sagte Schwab. In der Kieler Gemeinschaftspraxis, in der er tätig ist, nimmt ein Patient durchschnittlich eine Stunde in Anspruch. Die richtige medikamentöse Einstellung der Patienten sei wichtig, mit ihr steht oder fällt der Behandlungserfolg. Je nach rheumatischer Erkrankung könne damit zumindest eine Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden. Diagnose, medikamentöse Einstellung, Folgeuntersuchungen - dies kostet Zeit.

Umso wichtiger ist ein funktionierendes Verfahren des Vorsortierens der verschiedenen involvierten Stellen. In der Regel kommt der Patient über den behandelnden Hausarzt zum Facharzt. Mit der Überweisung kann der Patient schneller bei einem Facharzt aufgenommen werden als auf direktem Weg.

Eine gängige Methode ist das Überleitungsfax. Der Hausarzt kann damit erste Einschätzungen und Symptome an den Fachkollegen weitergeben. Der Rheumatologe kann sich so bereits vorab ein Bild von dem Patienten machen.

Terminservicestellen hält Schwab für die schlechteste Variante der Überweisung. Hier werden die Patienten mit jeder rheuma-ähnlichen Symptomatik an Fachärzte verteilt. Dopplungen bei den Terminvergaben sind Schwab zufolge keine Seltenheit, was die Rheumatologen weiter belaste. Ein Viertel der Patienten seien gut beim Facharzt aufgehoben, drei Viertel nicht. "Das ist keine Auswahl, das ist eine Katastrophe", so Schwab. Für die beste aller möglichen Überweisungsmöglichkeiten hält er engagierte Hausärzte, die einen Blick für rheumatische Erkrankungen haben und gut vernetzt sind.

Der direkte Draht zwischen Hausarzt und Rheumatologe hat durchaus Vorteile. Während eines kurzen Telefonats kann der Hausarzt dem Rheumatologen vorab die Beschwerden schildern. "Bei Akutfällen kann noch am selben Tag ein Termin beim Rheumatologen vergeben werden", so Schwab.

Selbst nach einer guten Vorsortierung durch den Hausarzt gestalten sich die weitere Untersuchung und Folgeuntersuchungen durch den Facharzt in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein oft schwierig. Vereinzelt muss ein Patient bis zu 60 Kilometer zum nächsten Rheumatologen auf sich nehmen. Die RLSH beobachtet zwar eine steigende Zahl an Rheumatologen. Diese sei jedoch weiterhin zu gering, um eine rheumatologische Versorgung flächendeckend sicherzustellen. Schwab begründete die geringe Zahl von Rheumatologen mit der vergleichsweise niedrigen Bezahlung in Schleswig-Holstein: "Wer Rheumatologe werden möchte, wandert nach Hamburg ab." Die in Schleswig-Holstein niedergelassenen Kollegen binden sich nach seiner Beobachtung an Kliniken.

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35 Ortsgruppen der Rheuma-Liga gibt es in Schleswig-Holstein. Sie sind Ansprechpartner für Hausärzte wie Betroffene und arbeiten eng mit Fachärzten zusammen. Schmerztherapeuten und Orthopäden sind ebenfalls involviert. Die RLSH organisiert Veranstaltungen, verbreitet Informationsbroschüren, vermittelt Sprechstunden und organisiert Funktionstrainings, die von den Kostenträgern übernommen werden und auch an junge Rheumatiker gerichtet sind.
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Lücken in der rheumatologischen Versorgung zeigen sich vor allem an Schleswig-Holsteins Westküste. Mit 35 Ortsvereinen ist die RLSH in der Fläche vertreten und dort ein fester Bestandteil in der Betreuung. Im ländlichen Raum organisiert der Landesverband einmal im Jahr mobile Anlaufstellen. 1500 Menschen konnten in Reihenuntersuchungen auf erhöhte Entzündungswerte untersucht werden. Bei einem tiefergehenden Untersuchungsbedarf konnten die Fachärzte direkt Folgetermine in ihren Niederlassungen ausmachen. Die Erstuntersuchungen in den mobilen Anlaufstellen erweisen sich jedoch als zeitintensiv. "Viele Menschen, die dort hinkommen, haben entweder bereits eine diagnostizierte rheumatische Erkrankung oder sie wurde vorher ausgeschlossen und die Menschen wollen sich abermals davon überzeugen, nicht erkrankt zu sein", so Schwab.

Besonders problematisch stuft Fröhlich die Versorgung im ländlichen Raum und den nordfriesischen Inseln ein. "Pellworm hat nicht einmal einen Hausarzt", gibt sie zu bedenken. Eine Erstuntersuchung könne so nicht gewährleistet werden. Im September fuhr die RLSH samt Fachärzten mit dem "Rheuma-Schiff " die Nordseeinseln an. Die Versorgung sei dort besonders prekär. Von 500 Untersuchungen wiesen zehn Prozent teils schwere Symptome rheumatischer Erkrankungen auf. Doch solche Aktionen helfen nur kurzfristig. Wegen fehlender Strukturen sind Folgetermine oft nicht möglich. "Von den Inseln aus sind die Wege zum nächsten Rheumatologen zu lang. Das führt dazu, dass die Betroffenen die Medikamente untereinander teilen oder die Medikamente selbstständig absetzen, nachdem die Packung leer ist", warnt die RLSH.


Info

In Deutschland weist die Deutsche Rheuma-Liga e. V. seit 2004 zum Weltrheumatag unter wechselnden Themen auf die Lebenssituation Betroffener hin. Mit dem Motto "Rheuma ist jünger als du denkst" lag der diesjährige Schwerpunkt auf jungen Rheumatiker.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 11/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201911/h19114a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen
Ärzteblatts:

www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, November 2019, Seite 24 - 25
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2019

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