Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → KRANKHEIT

AIDS/737: ABIA - Kampf für die Rechte von HIV-positiven Menschen in Brasilien (mi)


medico international - Pressemitteilung vom 09.03.2009

Brasilien
Positive Kämpfe

Associacao Brasileira Interdisciplinar de AIDS (ABIA)


Veriano Terto Jr. ist Psychologe und unprätentiöser Unruhestifter. Seit 20 Jahren kämpft er schon gegen Aids und für die Achtung der Menschenrechte von HIV-Betroffenen in Brasilien.

"Einige meiner besten Freunde sind Ende der 80er an AIDS gestorben. Ich wollte versuchen die Situation zu verbessern. Einige Kollegen aus der linken und aus der Schwulenbewegung, die sich schon damals für die Rechte von HIV-positiven Menschen einsetzten, baten mich schließlich mit ihnen zu arbeiten. Ich fand das kombinierte Arbeitsfeld aus Aids, Homosexualität und linker Politik sehr interessant und begann mich 1989 bei ABIA zu engagieren", erzählt Veriano, heutiger Geschäftsführer der Associacao Brasileira Interdisciplinar de AIDS (ABIA).

Die brasilianische medico-Partnerorganisation ABIA wurde 1986 mit dem Ziel gegründet, ein solidarisches zivilgesellschaftliches Netz aufzubauen, um die Regierung zu zwingen, sich mit der AIDS-Problematik zu befassen. ABIA ist inzwischen die einflussreichste brasilianische NGO im AIDS-Bereich, die sich für Aufklärung, Zugang zu Medikamenten und Schutz der Menschenrechte einsetzt. ABIA hat sich nie direkt um die Pflege und Betreuung von AIDS-Kranken gekümmert. Sie wollten nicht den Staat ersetzen und ihm seine Aufgaben abzunehmen, sondern ihn durch permanenten Druck an seine Verantwortung zu erinnern und zum Handeln zu zwingen.

Damit haben sie einige wichtige auch über Brasilien hinaus bedeutsame Erfolge errungen. So die Durchsetzung des universellen Zugangs zur AIDS-Behandlung in Brasilien. "Wir haben deutlich gemacht, dass ein HIV-infizierter Mensch kein ständig auf Hilfe angewiesener Patient, sondern ein lebendiger Bürger ist, dessen Rechte zu achten und zu fördern sind", erklärt Veriano. Ende der 80er Jahre war der vorherrschende Diskurs von Angst und Missachtung gegenüber AIDS-Kranken geprägt. ABIA hielt mit Diskussionen über die Menschenrechte von HIV-Positiven und solidarischen Konzepten dagegen und schaffte es so, einen anderen Diskurs in Gang zu setzen. "Ich denke, dass dieser auf Solidarität beruhende soziale Gegendiskurs und die ihm innewohnende interdisziplinäre und intersektorale Mobilisierung ein großer politischer Erfolg war. Einige Jahre später wurden die damals gebrauchten Formulierungen und Konzeptionen sogar von der brasilianischen Regierung übernommen", erzählt Veriano sichtlich stolz.

Erfolgsgeschichte der Zivilgesellschaft

Mittlerweile gilt Brasilien als das erfolgreichste Entwicklungsland im Kampf gegen AIDS. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens die starke Zivilgesellschaft und zweitens die lokale Produktion von AIDS-Medikamenten (ARV) in den frühen 90ern. Brasilien konnte sieben registrierte ARVs der ersten Therapielinie als Generika, zu einem viel niedrigeren Preis, als die Pharmakonzerne verlangten, produzieren. Die Generika-Produktion erzeugte Wettbewerb und zwang auch die Industrie ihre Preise zu senken. Die schnelle und qualitativ hochwertige Produktion von Generika war einer der Hauptgründe für die guten Ergebnisse im Kampf gegen AIDS. Die AIDS-Sterblichkeitsrate ging Mitte der 90er Jahre um 50% zurück. Mittlerweile sind viele HI-Viren resistent gegen die älteren Arzneistoffe. Damit werden die neueren Medikamente der zweiten Therapielinie immer bedeutender. Diese dürfen seit dem Inkrafttreten des TRIPS-Abkommens in Brasilien 1996 aber nicht mehr als Generika hergestellt oder importiert werden. Brasilien steht daher vor einer großen Herausforderung. Es gilt Wege zu finden, die HIV-Positiven Menschen eine Behandlung zu Preisen ermöglicht, die den ökonomischen Möglichkeiten des Landes entspricht.

ABIA betreibt deshalb Forschungsprojekte, die die Auswirkungen der brasilianischen Patentgesetzgebung auf die Gesundheitssituation dokumentieren und analysieren. Sie entwickeln Argumentationen und Strategien gegen die Versuche der Pharmaindustrie ihre Monopolstellung durch Patente abzusichern. "Für den Dialog zwischen den Akteuren ist es wichtig, dass auch die Zivilgesellschaft aktiv Wissen produziert und diese Aufgabe nicht allein den Akademikern überlässt. Unsere Gesundheit wird durch die Patente geschädigt und ist damit auch eine politische Angelegenheit", meint Veriano. ABIA hat sich von Anfang an mit "treatment activism" beschäftigt. Sie versuchen die Öffentlichkeit zu mobilisieren und widersprechen den Verlautbarungen der Pharmafirmen. Im August 2008 gelang ihnen ein bedeutender Erfolg. Das Brasilianische Nationale Institut für Eigentumsrecht (INPI) lehnte den Patentantrag des US-Konzerns Gilead auf den Wirkstoff Tenofovir ab. ABIA lieferte dem INPI Fakten die zeigten, dass die Wirksamkeit von Tenofovir und seine Struktur bereits seit den 1980ern bekannt sind. Damit konnte nachgewiesen werden, dass es sich nicht um eine Neuerfindung des Pharmakonzerns Gilead handelt und folglich ein Patent nicht rechtens wäre. Für das staatliche HIV-Behandlungsprogramm ist Tenofovir eines der wichtigsten, zugleich aber auch eines der teuersten Medikamente. Durch diese Entscheidung des INPI könnte der Preis nun deutlich fallen.

Gerechtfertigte Patente

medico international unterstützt ABIA in dieser und noch kommenden Auseinandersetzungen - ideell und materiell. In einem von medico finanzierten Workshop in Rio wurden im Dezember 2008 weitere Aktivisten verschiedener NGOs ausgebildet um Einsprüche gegen Pharma-Patente einlegen zu können. Dabei wurde anhand konkreter Beispiele erlernt, wie sich erkennen lässt, ob es sich um ein neues zumindest juristisch "gerechtfertigtes" Patent handelt oder um den Versuch einer unzulässigen Verlängerung abgelaufener Patente. Im zweiten Schritt wurde den Anwälten, Pharmazeuten und Chemiker beigebracht, wie formal korrekte Einsprüche gegen Pharma-Patente aussehen müssen.

Doch der Zugang zu Medikamenten ist nur eine, wenn auch sehr wichtige, Facette funktionierender AIDS-Arbeit. Mit der Verteilung von Pillen ist es nicht getan. ABIA versucht deshalb auch Druck auf die Regierung ausüben, damit das öffentliche Gesundheitswesen gestärkt und verbessert wird. Nur im Zusammenspiel von Prävention, Behandlungsmöglichkeiten, günstigen Medikamenten und einem funktionierendem ambulanten System kann Nachhaltigkeit erreicht werden. Zwar ist in Brasilien das Recht auf freien Zugang zur Gesundheitsversorgung in der Verfassung verankert, doch sieht die Realität oft düster aus. "In Brasilien gibt es in dieser Hinsicht ein strukturelles Problem. Vor allem für ärmere Menschen ist es sehr schwierig eine gute Behandlung zu bekommen", sagt Veriano und bleibt dennoch optimistisch: "Die Ausgangsbedingungen sind nicht schlecht. Es existiert eine progressive Rechtsgrundlage und das öffentliche Gesundheitswesen ist in seinen Grundprinzipien gut aufgebaut. Die erforderlichen Strukturen müssen daher nicht neu kreiert, aber unbedingt verbessert werden. Bislang ist da noch viel zu wenig passiert."

Damit etwas passiert, wird sich Veriano auch weiter ruhig und besonnen mit der Regierung oder den Pharmakonzernen anlegen. Wenn es ein muss auch die nächsten 20 Jahre. Er sieht es schlicht als Notwendigkeit und seine tägliche Aufgabe.

Projektstichwort

medico international arbeitet mit der brasilianischen AIDS-Initiative ABIA seit mehreren Jahren im Kampf um gleichen und gerechten Zugang Gesundheit und entsprechender medizinischer Versorgung für AIDS-Erkrankte zusammen. Die globale Vernetzung zivilgesellschaftlicher Organisationen gegen die Patentierung und Privatisierung von Gesundheitswissen steht dabei im Fokus der gemeinsamen Arbeit. Sie unterstützen die Arbeit von ABIA mit dem Spendenstichwort: Brasilien.


*


Quelle:
medico international - Pressemitteilung vom 09.03.2009
Herausgeber: medico international
Burgstraße 106, 60389 Frankfurt am Main
Tel.: 069/944 38-0, Fax: 069/43 60 02
E-Mail: info@medico.de
Internet: www.medico.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2009