Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → KRANKHEIT

DIABETES/1213: Babydiätstudie - Den Zucker im Brei suchen (DFG)


forschung 1/2009 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Den Zucker im Brei suchen

Von Sandra Hummel, Maren Pflüger und Anette-G. Ziegler


Wenn Babys an Diabetes Typ 1 erkranken, kann das auch an ihrer Ernährung liegen. Eine groß angelegte Studie untersucht die Rolle des Glutens als Auslöser


Volkskrankheiten machen von sich reden. Wenn das Gespräch auf Diabetes kommt, denken die meisten Menschen an den "Alters-Diabetes", medizinisch Typ-2-Diabetes, genannt. Sehr viel weniger bekannt ist der bereits im Kindes- und Jugendalter auftretende Typ-1-Diabetes. Er erfordert, dass die teilweise noch sehr kleinen Patienten lebenslang mehrmals täglich Insulin spritzen müssen. Etwa 10 Prozent der in Deutschland an Diabetes erkrankten Menschen sind davon betroffen. Jährlich erkranken etwa 2000 Kinder neu an dem Typ-1-Diabetes.

Nachdem in den 1970er-Jahren Abwehrstoffe entdeckt wurden, die sich gegen Bestandteile der Insulin produzierenden Zellen richten und als "Inselautoantikörper" bezeichnet werden, geht die Medizin davon aus, dass es sich beim Typ-1-Diabetes um eine Autoimmunerkrankung handelt. Seither wird geforscht, wie es zu der autoimmunen Zerstörung der Insulin produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse kommt. Ein Zusammenspiel von genetischen Faktoren und äußeren Einflüssen wird vermutet.

Wann im Leben der Patienten der Krankheitsprozess beginnt, bei wem dieser häufig auftritt (Genetik) und ob vor dem Auftreten klinischer Symptome die Krankheit diagnostiziert werden kann - all das sind Fragen bei der Suche nach Auslösern dieser folgenreichen Erkrankung. Zu diesen Fragen hat die Forschung in Deutschland, insbesondere die deutsche BABYDIAB-Studie, wegweisende Erkenntnisse geliefert.

Die BABYDIAB-Studie wurde 1989 als weltweit erste Studie in der Diabetesforschung begonnen, die bei Risikokindern - Kindern von Eltern mit Typ-1-Diabetes - von Geburt an den natürlichen Verlauf des Typ-1-Diabetes untersucht. Ihre wichtigsten Befunde: Bereits in den ersten beiden Lebensjahren beginnt die gegen Inselzellen gerichtete Autoimmunität, vor allem Kinder mit den für Typ-1-Diabetes spezifischen Risikogenen haben ein zehnfach höheres Risiko für eine frühe Inselautoimmunität. Und Kinder mit frühen Inselautoantikörpern wiederum erkranken mit sehr großer Wahrscheinlichkeit bereits im Kindesalter an Typ-1-Diabetes.

Vor diesem Hintergrund konzentriert sich die Suche nach Auslösern auf frühkindliche Einflussfaktoren. Dazu zählt insbesondere die frühkindliche Ernährung. Hier konnte die BABYDIAB-Studie erstmals zeigen, dass die sehr frühe Gabe von fester Nahrung das Risiko der Inselautoimmunität deutlich zu erhöhen scheint. Eine Befragung der BABYDIAB-Eltern ergab, dass fünf Prozent der Kinder - anders als es das Forschungsinstitut für Kinderernährung empfiehlt - bereits vor dem vierten Lebensmonat feste Beikost erhielten. Hierbei handelte es sich häufig um Säuglingsmilch, die mit glutenhaltigen Getreideflocken angedickt war. Diese Kinder entwickelten im Vergleich zu Kindern, die während der ersten vier Lebensmonate ausschließlich Milchnahrung erhielten, viermal häufiger Inselautoantikörper und Typ-1-Diabetes. Kinder mit den Diabetes-Risikogenen reagierten ganz besonders auf die zu frühe Glutengabe und entwickelten vollständig Inselautoimmunität. Ganz ähnliche Ergebnisse wurden in der amerikanischen DAISY-Studie erhoben, die etwa vier Jahre später als BABYDIAB aufgenommen wurde.

Gluten ist ein Protein, das in den meisten Getreidesorten enthalten ist und bereits als Auslöser einer chronischen Erkrankung der Dünndarmschleimhaut, die als "Zöliakie" bezeichnet wird, identifiziert wurde. Interessanterweise zeigen Kinder der BABYDIAB-Studie nicht nur ein erhöhtes Risiko für Typ-1-Diabetes, sondern auch für Zöliakie. Diese Erkenntnisse warfen eine Reihe von Fragen auf, die die Forschergruppe Diabetes in München veranlassten, ein Studienprogramm zur Rolle des Glutens und der frühkindlichen Ernährung für die Entstehung des Typ-1-Diabetes zu starten. Ist es möglich, durch eine glutenfreie Ernährung Inselautoimmunität und Typ-1-Diabetes zu verhindern? Und ist Gluten wirklich der Diabetes auslösende Nahrungsfaktor?

Mit diesen und weiteren Fragen nahm die Interventionsstudie BABYDIÄT 2001 ihre Arbeit auf. Dabei soll durch die gezielte Gabe von glutenhaltigen Speisen entweder im sechsten oder zwölften Lebensmonat das Auftreten der Inselautoimmunität verhindert werden. Behandelt wurden 150 Säuglinge, die sowohl einen erstgradigen Verwandten mit Typ-1-Diabetes als auch die bekannten Diabetes-Risikogene aufweisen, wodurch das Diabetes-Risiko der Kinder etwa 20 Prozent beträgt. Die eine Hälfte der Familien wurde angeleitet, sich die ersten zwölf Lebensmonate glutenfrei zu ernähren, die andere Hälfte sollte Gluten dem Säugling erstmalig nach dem sechsten Lebensmonat geben. Durchschnittlich sind diese Kinder inzwischen über 2,8 Jahre nachuntersucht und eine erste Auswertung der Ergebnisse ist Ende 2009 geplant.


Außer der Verhinderung von Inselautoimmunität soll auch mittels der Stuhlproben der Kinder untersucht werden, wie Beikost und besonders Gluten die Darmflora und die Häufigkeit von Magen-Darm-Erkrankungen verändert. Ein sehr positiver Nebeneffekt der BABYDIÄT-Studie ist, dass Mütter durch die Teilnahme an BABYDIÄT länger stillen und weniger rauchen, sich also gesünder und bewusster verhalten, was insgesamt einen positiven Effekt auf die Entwicklung der Kinder haben wird.


Gleichzeitig stellte sich die Frage, ob eine Eliminierung von Gluten bei Kindern mit mehreren Inselautoantikörpern den Ausbruch des Typ-1-Diabetes verhindern kann. Um dies herauszufinden, wurden Kinder, die bereits zuvor glutenhaltig ernährt wurden und aufgrund ihrer Inselautoantikörper ein hohes Risiko hatten, Typ-1-Diabetes zu entwickeln, ein Jahr lang glutenfrei ernährt. Anschließend erhielten die Kinder wieder normale, glutenhaltige Nahrung. Das Ergebnis: Ein schützender Effekt der einjährigen glutenfreien Ernährung auf die weitere Entwicklung von Inselautoimmunität beziehungsweise Typ-1-Diabetes trat nicht zutage. Die Schlussfolgerung aus dieser Untersuchung ist, dass Kinder mit schon bestehender Inselautoimmunität nicht durch eine kurzzeitige glutenfreie Ernährung vor dem Fortschreiten des Krankheitsprozesses geschützt werden können.

Parallel zu den Interventionsstudien bei Kindern standen Untersuchungen bei Mäusen, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent Diabetes entwickeln, der sehr ähnlich zum menschlichen Typ-1-Diabetes ist. Ziel dieser Untersuchungen war zunächst herauszufinden, ob es möglich ist, die Tiere vor einem autoimmunen Diabetes zu schützen, indem sie ohne die glutenhaltigen Getreidesorten Weizen und Gerste ernährt werden. Hier konnte festgestellt werden, dass die ohne Weizen und Gerste ernährten Mäuse deutlich seltener an Diabetes erkranken.

In einem zweiten Ansatz fragte das Forscherteam, ob sich durch eine erneute Zugabe von Weizen oder von isolierten Weizenproteinen das Diabetes-Risiko der Mäuse wieder erhöht. Die Antwort: Die Zugabe von Weizen in einer geringen Konzentration erhöht die Diabetes-Rate der Mäuse wieder, nicht jedoch die Zugabe von isolierten Weizenproteinen wie Gluten, Albumin und Globulin oder von anderen Nahrungskomponenten wie Obst und Kartoffeln. Daraus ist zu schlussfolgern, dass die Dosierung des Getreidegehalts die Entstehung des autoimmunen Diabetes bei Mäusen beeinflusst. Der stärkste Diabetes auslösende Effekt wird allerdings bei sehr niedriger Dosierung beobachtet.

Bislang ist noch nicht geklärt, wie es zur Abwehr von körpereigenem Insulin kommt. Vorstellbar wäre, dass Insulin-Autoantikörper aus einer Kreuzreaktion mit Nahrungsproteinen resultieren. Mit Nahrungsantigenen wird das noch unreife Immunsystem des Säuglings bereits in den ersten Lebensmonaten konfrontiert. Da in dieser Zeit die Durchlässigkeit des Darms für größere Moleküle erhöht ist, ist ein Zusammenspiel zwischen dem darmzugehörigen Immunsystem und Nahrungsbestandteilen möglich. So fanden sich bei einigen Kindern Insulin-Autoantikörperklassen, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit über das darmzugehörige Immunsystem aktiviert wurden. Diese Antikörper zeigten interessanterweise auch eine Reaktion gegen Kuhmilchproteine. Weitere Untersuchungen ergaben jedoch, dass diese Antikörper keine direkte Rolle bei der Diabetes-Progression der Kinder spielen. Es bleibt somit zu klären, welche Rolle diese mit Nahrungsprotein reagierenden Insulin-Autoantikörper bei der Entstehung des Typ-1-Diabetes haben.

Die bisher gesammelten Erkenntnisse führten zum Design der TEDDY (The Environmental Determinants of Diabetes in the Young)-Studie, das weltweit größte Konsortium, das den Einfluss der frühkindlichen Ernährung, aber auch von anderen Umweltfaktoren auf die Entstehung des Typ-1-Diabetes untersucht. Dabei werden über 7000 Kinder aus den Vereinigten Staaten, Finnland, Schweden und der Bundesrepublik Deutschland mit einem erhöhten genetischen Risiko für Typ-1-Diabetes von Geburt an in engmaschigen Abständen nachuntersucht. Im Rahmen der TEDDY-Studie soll nun überprüft werden, ob sich die erhobenen Befunde auch in anderen Ländern mit anderen Ernährungsgewohnheiten bestätigen lassen.


Dr. Sandra Hummel, M. Sc. Maren Pflüger und Prof. Dr. med. Anette-G. Ziegler arbeiten am Institut für Diabetesforschung der TU München.

Adresse:
Prof. Dr. med. Anette-G. Ziegler, Forschergruppe Diabetes, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München und Institut für Diabetesforschung, Forschergruppe Diabetes e.V., Kölner Platz 1, 80804 München

Die DFG fördert die BABYDIÄT-Studie im Normalverfahren.


*


Quelle:
forschung 1/2009 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 10-12
mit freundlicher Genehmigung der Autorin
Herausgeber: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Kennedyallee 40, 53175 Bonn
Telefon: 0228/885-1, Fax: 0228/885-21 80
E-Mail: postmaster@dfg.de
Internet: www.dfg.de

"forschung" erscheint vierteljährlich.
Jahresbezugspreis 2007: 59,92 Euro (print),
66,64 Euro (online), 70,06 Euro für (print und online)
jeweils inklusive Versandkosten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2009