Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → KRANKHEIT

EPIDEMIE/099: Unsichtbare Angreifer (1) - Gesundheit in zwei Gangarten (research*eu)


research*eu - Nr. 59, März 2009
Magazin des Europäischen Forschungsraums

DOSSIER EPIDEMIEN
Die unsichtbaren Angreifer - Gesundheit in zwei Gangarten

Von Christine Rugemer


Das größte Tier auf der Erde ist der Blauwal, der bis zu 33 m lang werden kann. Und das kleinste bekannte Insekt ist die Zwergwespe Caraphractus cinctus. Sie ist 0,17 mm lang und damit 200.000 Mal kleiner als der Wal. Was ist beiden Tieren gemeinsam? Es sind Riesen. Das gilt auch für Menschen und alle anderen Säugetiere, für Vögel, Insekten und all die Tiere, die wir kennen. Sie besiedeln unsere sichtbare Welt und die kleine Caraphractus cinctus markiert diese Grenze. Aber selbst wenn man alle Gattungen zusammennimmt, stellen sie nur einen kleinen und extrem beschränkten Teil unserer tierischen Welt dar.

Denn über diesen Teil hinaus beginnt erst die "wahre" Welt der Bewohner unseres Planeten. Die kleinsten Milben sind bereits 20.000 Mal kleiner als wir, Amöben rund 100.000 Mal und Bakterien ungefähr zwei Millionen Mal kleiner. Und das ist noch nicht das Ende. Im Vergleich zu Viren, bei denen man sich immer noch nicht entschieden hat, ob sie zur lebenden Welt gehören oder nicht, sind Bakterien riesige Monster: Das Sputnik-Virus, ein erst kürzlich entdeckter Virophage (siehe Seite 21), ist nur 50 Nanometer groß und damit 40 Millionen Mal kleiner als wir.

So viel zur Größe. Aber wie viele sind es? Die Menge ist für unseren Geist kaum fassbar: In manchen Sedimentschichten auf dem Meeresgrund enthält ein einziges Gramm des Sediments im Durchschnitt eine Milliarde Viren! Sie sind überall, immer und zu jedem Zeitpunkt vorhanden. Es ist eine für unsere Augen völlig unsichtbare Welt, in der wir nicht nur Freunde haben, sondern auch Feinde. Und manche von ihnen sind besonders hart in einem immer ungleichen und endlosen Kampf. Dachten Sie etwa gerade "Klein ist niedlich"?


*


DAS GLOBALE DORF

Gesundheit in zwei Gangarten

Die Globalisierung ist überall. Epidemien machen auch vor kontinentalen Grenzen nicht Halt. Im Norden und im Süden leiden die Menschen unter ähnlichen Krankheiten. Aber sie werden nicht auf dieselbe Weise behandelt. Eine Bilanz zur Realität einer Doppelmoral und zu den Versprechungen einer gerechteren Medizin.


Jedes Jahr fallen in den Tropen zwei Millionen Menschen der Malaria zum Opfer. Doch seit 1977 sind auch in Europa 75 Menschen daran erkrankt. Der Grund dafür liegt in den transkontinentalen Reisen, bei denen die Mücken als blinde Passagiere mitreisen. In Altreifen gut versteckt, können Mückenlarven das Dengue-Virus auf der Welt verbreiten. Ein weiteres Problem ist die Fettleibigkeit, die sich auch in weniger entwickelten Teilen der Welt ausbreitet. Und 12% aller Todesfälle in entwickelten Ländern gehen heute auf AIDS, Tuberkulose und Malaria zurück. Heute steht man vor der Globalisierung der Gesundheitsbedrohungen, aber wie sieht es mit Behandlung und Forschung aus?


Grundsatzfragen

"Gesundheit ist nunmehr zu einem weltumspannenden Problem geworden, das global angegangen werden muss. Lange Zeit konnte man beobachten, dass 90 % der Forschungsmittel der großen Pharmakonzerne für Krankheiten ausgegeben wurden, die nur 10% der Weltbevölkerung betrafen. Doch jetzt tut sich etwas. Ein Beispiel: das Urteil von Pretoria, nach dem Laboratorien, die antiretrovirale Medikamente gegen AIDS produzieren, gezwungen werden, der Entwicklung von Generika, die nicht der Zahlung von Lizenzgebühren unterliegen, in den südlichen Ländern zuzustimmen", erklärt Roland Schaer, der für das Programm Wissenschaft und Gesellschaft in der Cité des Sciences et de l'Industrie in Paris zuständig ist.

Eine weitere interessante Aktion ist die Einrichtung eines Programms gegen die Leishmaniose in Indien. Die von der amerikanischen Pharmakologin Victoria Hale mit Unterstützung der Bill and Melinda Gates Foundation ins Leben gerufene Gesellschaft OneWorld Health packt diese Krankheit an, deren Überträger eine winzige Mücke ist und die nach der Malaria die meisten Menschen tötet (600.000 Tote und 500.000 neue Fälle jedes Jahr). OneWorld Health ist es gelungen, die Kosten der bekannten Behandlungen zu senken. Für Shyam Sundar, Professor für Medizin an der Hindu-Universität in Benares, "ist die Rolle der Stiftungen und Philanthropen nicht zu unterschätzen. Nicht nur im Hinblick auf die Unterstützung, sondern auch darin, wie sie auf Regierungsebene eine Dynamik entfachen."


Eine Formfrage

Die Kluft zwischen Norden und Süden hat nicht nur mit den Finanzmitteln zu tun, sondern auch mit der Form - etwa wie klinische Tests durchgeführt werden. Diese müssen einem universalethischen Ansatz folgen, der auf Normen gründet (Nürnberger Kodex, Erklärung von Helsinki), die unter allen Umständen und an allen Orten einzuhalten sind. So müssen die in den Versuch eingebundenen Menschen die beste Behandlung erhalten, die für die Krankheit, für die der Versuch unternommen wird, zur Verfügung steht, und sie müssen über mögliche Folgen aufgeklärt werden, bevor sie ihre schriftliche Einwilligung geben.

Doch manche in Entwicklungsländern durchgeführten klinischen Tests führen zu Diskussionen.(1) Zu den bekanntesten Kontroversen gehörte eine Versuchsreihe mit Tenofovir (ein antiretrovirales Medikament, das in der Kombinationstherapie gegen das HI-Virus eingesetzt wird und wahrscheinlich präventiv wirkt), die an einer Gruppe von 400 HIV-negativen, des Lesens und Schreibens unkundigen Prostituierten in Kamerun durchgeführt wurde. Von mehreren Gruppierungen kamen Proteste gegen diesen Fall wegen der Gefährdung der Frauen, ihrer reellen Unfähigkeit, die Reichweite des Experiments zu verstehen und wegen der fehlenden Behandlungsmöglichkeiten in ihrem Land im Falle einer Ansteckung während des Versuchs.

"Oft ist es so, dass die Versuchsteilnehmer nur durch ihre Teilnahme überhaupt eine reelle Chance auf eine wirksame Behandlung erhalten. Um solche Zweideutigkeiten zu vermeiden, sollte die Information stärker in der gesellschaftlichen Kultur der am Versuch teilnehmenden Länder verankert sein", führt Roland Schaer weiter aus. "Es ist klar, dass wir unsere Argumentationsformen nicht einfach und in jeder Form übertragen können."

Der Arzt Ogobara Doumbo, Direktor des Malariaforschungs- und Versuchszentrums der Universität Bamako (Mali), arbeitet mit traditionellen Heilern zusammen. Für ihn ist "die Welt zu einem Dorf geworden, zu einer riesigen Forschungsgruppe". Und was ihn betrifft, zu einer Gruppe, die die Realität vor Ort berücksichtigt.


Anmerkung

(1) Siehe Afrika dienen oder ausnutzen?, Seite 13.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Der zweite Stamm des HI-Virus, der 1985 am Institut Pasteur bei einem Patienten aus Westafrika isoliert wurde. Aufnahme eingefärbt.

Gesundheitszentrum in Bamako (Mali) - Juni 2008. Mit einem Test namens "Dicker Tropfen" kann sofort festgestellt werden, ob das Blut Plasmodium, Malariaparasiten, enthält.


*


Quelle:
research*eu - Nr. 59, März 2009, Seite 6 - 8
Magazin des Europäischen Forschungsraums
Copyright: Europäische Gemeinschaften, 2009
Herausgeber: Referat Information und Kommunikation der
GD Forschung der Europäischen Kommission
Chefredakteur: Michel Claessens
Redaktion: ML DG 1201, Boîte postale 2201, L-1022 Luxembourg
Telefon: 0032-2/295 9971, Fax: 0032-2/295 8220
E-Mail: research-eu@ec.europa.eu
Internet: http://ec.europa.eu./research/research-eu

research*eu erscheint zehn Mal im Jahr und wird auch
auf Englisch, Französisch und Spanisch herausgegeben.


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2009