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EPIDEMIE/143: Neue Seuchen - alte Erkenntnisse (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2016

Seminarreihe
Neue Seuchen - alte Erkenntnisse

Von Horst Kreussler


Trotz umfangreicher Erfahrungen mit Seuchen sind die Lerneffekte über einen angemessenen Umgang vergleichbar gering.


Unter dem Titel "Neue Seuchen - alte Erkenntnisse" und dem Untertitel "Ein Rückblick auf den Nobelpreisträger Robert Koch" ging die Wintersemester-Seminarreihe "Grundfragen der Ethik der Medizin" im UKE zu Ende, die Teilnehmer und Referenten über Hamburg hinaus anzieht. Initiator Prof. Winfried Kahlke hatte für das durch die Zikavirus-Schlagzeilen besonders aktuelle Thema den Düsseldorfer Tropen- und Augenmediziner Prof. em. Johannes Grüntzig gewonnen. Grüntzig ist der Autor der großen Robert Koch-Biografie "R. K. - Seuchenjäger und Nobelpreisträger", 2010.

Die Botschaft seines Referats lautete etwa: Krankheitserreger sind nicht einfach "Feinde", die es quasi militärisch zu bekämpfen und auszurotten gilt. Vielmehr haben Bakterien, Viren, Pilze, Parasiten ihre Funktion in der Natur und nicht nur negative Seiten. (Die Balance von Organismus und Bakterien nach dem "Metaorganismus-Konzept" ist übrigens Forschungsgegenstand des neuen Kieler Sonderforschungsbereichs 1182 mit Sprecher Prof. Thomas Bosch.) Darum gelte es bei jeder Seuche, das jeweilige Muster zu erkennen, um adäquat vorgehen zu können, also neben der Therapie auch mit spezieller Prävention durch Vorsichtsmaßnahmen und Impfung oder durch allgemeine Hygienemaßnahmen im sozioökonomischen Kontext, wie einst durch Aufbau einer ausreichenden Wasser- und Abwasserversorgung in Hamburger Armenvierteln nach der katastrophalen Choleraepidemie 1892.

In seinem medizingeschichtlichen Rückblick nannte Grüntzig als eine der ältesten bekannten Präventionsmaßnahmen die Isolierung Infizierter (Quarantäne, wörtlich für 40 Tage). Bereits Thukydides habe so im 5. Jahrhundert vor Chr. über den Ausbruch der Pest in Athen berichtet. Auch später im Mittelalter sei die Isolierung der Erkrankten eine mehr oder weniger wirksame Schutzmaßnahme gewesen. Eine andere Barriere gegen das Eindringen von Pest-, Cholera- und anderen Erregern habe kaum Wirkung gezeigt: der "Sanitärkordon", identisch mit der militärischen Außengrenze des Habsburger österreichisch-ungarischen Reiches bis etwa 1881.

Kurz zuvor, 1876, gelang dem wohl bedeutendsten deutschen Infektiologen, Robert Koch, seine erste Entdeckung, die Erklärung der Milzbrandinfektion bei Tieren und Menschen. Nach Berlin in das neue Reichsgesundheitsamt berufen, entdeckte Koch den Tuberkulose-Bazillus - eine wissenschaftliche Sensation. Es folgten zahlreiche Reisen in Seuchengebiete. So konnte er die italienische Insel Brioni malariafrei machen und in Neu-Guinea und Afrika gegen die Schlafkrankheit vorgehen. Dazu probierte er im Off-Label-Use das Syphilis-Medikament Atoxyl aus und nahm dabei notgedrungen (und später umstritten) gravierende Nebenwirkungen in Kauf. Später entwickelte einer seiner Schüler (F.K. Kleine) die Substanz weiter zu "Bayer 205" bzw. "Germanin", das unzählige Menschen retten konnte. Bereits 1905 hatte Robert Koch den Nobelpreis erhalten.

Auch der Medizin-Nobelpreis im vorigen Jahr (2015) ist unter anderem an einen Infektiologen (Satoshi Omura) gegangen. Dieser habe die Infektion durch Fadenwürmer erklärt, die in tropischen Gebieten zur Flussblindheit führt. Auch der Referent war, wie er sagte, mit dem Fokus auf Augenerkrankungen oft in afrikanischen und anderen tropischen Infektionsgebieten unterwegs. Kritische Nachuntersuchungen der WHO-Zahlen zu Loa-Loa in Kamerun hätten ihm allerdings gezeigt, dass nicht einfach bestimmte Infektionen und bestimmte Manifestationen am Auge kausal verknüpft werden könnten. Dennoch sei für den Arzt vor Ort die unmittelbare Hilfe auch experimenteller Art unabweisbar. So geschehen auch durch den deutschen Arzt Vincent Zigas, der im früheren deutschen Schutzgebiet Neu-Guinea die neue Kuru-Seuche ("der lachende Tod") bekämpfte, ohne jedoch den Erreger identifizieren zu können. Ein Zusammenhang mit Kannibalismus bei Verstorbenen wurde vermutet. Sein amerikanischer Mitstreiter Daniel C. Gajdusek erhielt 1976 den Nobelpreis. Schon damals seien, so Grüntzig, Zusammenhänge mit neurologischen Eiweißdefekten (Prionen) bei M. Parkinson, M. Alzheimer oder der Creutzfeld-Jakob-Krankheit diskutiert worden.

Auffällig sei aber nicht erst in jüngster Zeit, dass auch ohne Kenntnis der erforderlichen Daten Warnungen vor Seuchen sehr früh verbreitet würden. Auch die WHO sei in die Reihe sich profilierender Institutionen einzureihen, denke man an den Ausbruch der Schweinegrippe in Mexiko vor einigen Jahren, als keineswegs die definierte Zahl von Opfern gegeben war. (Kritiker vermuteten damals eine Beeinflussung der WHO durch die Pharmaindustrie, die Milliardengewinne durch Impfstoffe realisieren konnte.)

Auch die 2014 in einigen hygienisch besonders ungünstig situierten afrikanischen Ländern ausgebrochene Ebola-Erkrankung sei nicht zeitgerecht zur globalen Pandemie hochstilisiert worden, gab der Vortragende zu bedenken. Wer vor Ort war, habe gesehen, dass Hilfsmaßnahmen von Teilen der Bevölkerung erheblich behindert wurden, die Desinfektion von Wasserstellen z. B. durch Panikmache: "Ausländische Agenten wollten unsere Brunnen vergiften." Erkrankte wurden von Verwandten aus Quarantänestationen "befreit", weil Gerüchte über Organhandel um sich griffen. In der Folge gab es viel weniger Ebola-Patienten als angenommen, sodass etwa ein komplettes Bundeswehr-Lazarett samt Airbus keinen Patienten bekam und unter großem Aufwand zurückgezogen werden musste.

Ob all diese Erfahrungen mit alten und jüngeren Seuchen wirklich zu einem Lerneffekt führen, ließ der Referent offen. Er schien mit Blick auf die aktuelle Zikavirus-Katastrophisierung jedenfalls nach den bisher vorliegenden Daten eher von einer medialen als realen globalen Epidemie auszugehen.


Info

125 Jahre besteht das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin in diesem Jahr. Das RKI hat nach eigener Darstellung die Gesundheit der Bevölkerung im Blick und ist eine der ältesten Einrichtungen dieser Art weltweit. Grundlage seiner Arbeit ist die Forschung. Dadurch ist das RKI in der Lage, Gesundheitsrisiken verlässlich einordnen zu können und Empfehlungen zur Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung zu erarbeiten. Das Institut wurde nach seiner Gründung 1891 bis 1904 von Robert Koch selbst geleitet - dem Arzt und Forscher, der als erster am Beispiel Milzbrand den Zusammenhang zwischen einem Infektionserreger und einer Krankheit herausfand, später den Erreger der Tuberkulose entdeckte und dafür den Medizinnobelpreis erhielt.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2016 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2016/201603/h16034a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, März 2016, Seite 38
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
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Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2016

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