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PARKINSON/080: Interview - "15 Jahre mit Parkinson - und der Nachbar bemerkt es nicht" (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2011

Interview
"15 Jahre mit Parkinson - und der Nachbar bemerkt es nicht"

Von Uwe Groenewold


Prof. Günther Deuschl, Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, im Gespräch mit Uwe Groenewold.


Herr Prof. Deuschl, zum ersten Mal fand der Parkinson-Kongress an der Förde statt. Wie ist es dazu gekommen?

Deuschl: Wir haben hier in Kiel am Universitätsklinikum ein aktives Zentrum der Parkinsonforschung in Deutschland. Die Klinik ist ein wichtiger Standort im Kompetenznetz Parkinson und es werden viele Patienten bei uns ambulant und stationär versorgt. Das mag dazu beigetragen haben, dass sich die Deutsche Parkinson Gesellschaft entschieden hat, in diesem Jahr nach Kiel zu gehen.

Ein Schwerpunkt Ihrer Klinik ist die sogenannte Tiefe Hirnstimulation. Was kann mit dem innovativen Verfahren erreicht werden?

Deuschl: In den meisten Fällen gelingt eine deutliche Besserung der Symptomatik - und damit verbunden eine entscheidende Steigerung der Lebensqualität! Der Tremor wird praktisch ausgeschaltet, die Akinese deutlich verbessert. Wir können die Krankheit bei vielen Patienten um fünf bis zehn Jahre zurücksetzen. Seit 1998 haben wir in enger Kooperation mit der Klinik für Neurochirurgie annähernd 600 Patienten in Kiel behandelt und zählen damit zu den größten Zentren in Europa.

Wie häufig treten Komplikationen auf?

Deuschl: Natürlich handelt es sich um einen neurochirurgischen Eingriff mit allen üblichen Operationsrisiken. Dennoch ist das Verfahren inzwischen ausgesprochen sicher. In Kiel beträgt die Komplikationsrate für Letalität und schwerste Mortalität 0,45 Prozent. Das sind in der Regel Folgen von Hirnblutungen, eventuell auch von schweren postoperativen Pneumonien.

Bei der Suche nach den Krankheitsursachen konzentriert sich die Forschung derzeit stark auf die Genetik. Auch an diesen Untersuchungen ist das Kieler Zentrum beteiligt?

Deuschl: Wir haben eine der größten Patientendatenbanken und -biobanken für die Parkinsonkrankheit bundesweit und sind häufig in genetische Studien eingebunden. Innerhalb des Universitätsklinikums Schleswig-Holsteins besteht eine sehr enge Zusammenarbeit mit unserer Schwesterklinik in Lübeck, die einen besonderen Schwerpunkt bei der Genetik von Bewegungsstörungen hat.

In einem kürzlich erschienenen Beitrag im Lancet wurde über das genetische Risiko einer Parkinsonerkrankung berichtet.

Deuschl: Ja, bisher waren sechs Genvarianten bekannt, die die Wahrscheinlichkeit für die Erkrankung erhöht haben. Jetzt identifizierte ein Konsortium internationaler Wissenschaftler unter Kieler Beteiligung weitere fünf Loci. Menschen mit einer ungünstigen genetischen Kombination haben der Untersuchung zufolge ein zweieinhalbfach erhöhtes Risiko, an Parkinson zu erkranken, im Vergleich zu denjenigen mit einem günstigeren Genprofil. Mit über 12.000 Patienten, 21.500 gesunden Kontrollpersonen und 7,7 Millionen untersuchten Genvarianten handelte es sich um die weltweit bisher größte genetische Analyse der Parkinsonerkrankung.

Ist Parkinson also eine rein genetisch bedingte Erkrankung?

Deuschl: Nein, keinesfalls. Eine ausschließlich genetische Ursache liegt nur bei wenigen Patienten zugrunde. Man nimmt dies bei den sogenannten monogenetischen Parkinson-Varianten an. Bei der Mehrzahl der Kranken sind die Ursachen nicht bekannt. Eine maßgebliche Rolle spielen wahrscheinlich auch Umweltfaktoren. Aus epidemiologischen Untersuchungen wissen wir, dass Parkinson häufiger in der ländlichen Bevölkerung auftritt. Man vermutet daher, dass Umwelttoxine einen Beitrag leisten. Es wird angenommen, dass wir sie über das oberflächlich gesammelte Trinkwasser, also zum Beispiel über Brunnenwasser, aufnehmen. Dass bestimmte synthetische Gifte Parkinson auslösen können, weiß man seit den 80er Jahren. In jüngster Zeit gibt es Studien, die mit Rotenon, einem Bestandteil von Insektiziden und Herbiziden, bei Nagetieren eine Art Parkinsonsyndrom auslösen können. Von diesen Untersuchungen versprechen wir uns zukünftig weitere Aufschlüsse, wie Umweltfaktoren die Erkrankung auslösen können.

Neben Genforschung und Hirnstimulation: Welche maßgeblichen Therapiefortschritte hat es in den vergangenen Jahren gegeben?

Deuschl: Es deutet sich ein Paradigmenwechsel an: Hat sich die Therapie bisher ausschließlich auf die motorischen Probleme konzentriert, rücken bislang weniger beachtete Symptome wie Depressionen, Blasenfunktionsstörungen oder Schlafstörungen in den therapeutischen Fokus. Hier haben wir in der jüngeren Vergangenheit einige vielversprechende Studienergebnisse gesehen.

Lässt sich das Leiden heute besser ertragen als früher?

Deuschl: Das kann man ohne Weiteres sagen. Vor 30 Jahren war ein Neuerkrankter innerhalb von zwei bis drei Jahren von jedermann als Parkinsonpatient erkennbar. Heute gibt es Menschen, die haben 15 Jahre Parkinson und der Nachbar merkt es nicht. Dass die Krankheit dennoch mit viel Leid für Betroffene und deren Angehörige verbunden ist, bleibt davon unberührt. Aber die Lebensqualität hat sich für die meisten Patienten in den letzten drei Jahrzehnten entscheidend verbessert.


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2011 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2011/201104/h11044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Foto: Prof. Günther Deuschl
- Der Deutsche Parkinson-Kongress im Kieler Schloss.


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt April 2011
64. Jahrgang, Seite 19 - 20
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2011