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THERAPIE/231: Neue Wirkstoffanwendung bei häufigem Lungenkrebs (idw)


CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften - 06.12.2016

Neue Wirkstoffanwendung als mögliche personalisierte Therapie bei häufigem Lungenkrebs


Eine Untergruppe von Lungentumoren, die bisher als unbehandelbar galt, reagiert extrem empfindlich auf eine kürzlich zugelassene Gruppe von Krebsmedikamenten - das haben Forscher des CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Universität Oxford herausgefunden. Ihre Studie in Nature Communications eröffnet neue Wege, um eine Therapie für bis zu 10% aller Lungenkrebspatienten zu finden.

(Wien, der 06.12.2016) Lungenkrebs ist die tödlichste aller Krebsarten weltweit. Denn im Gegensatz zu anderen Tumoren treten bei Lungenkrebs eine hohe Zahl an genetischen Veränderungen auf, die ihn schwer behandelbar machen - eine Folge der krebserregenden Substanzen im Tabakrauch, der Hauptursache für Lungenkrebs. In 10 Prozent aller Lungentumore findet man Mutationen im Gen für ATM, einem zentralen Faktor für die DNA Reparatur. Patienten mit mutiertem ATM sprachen bisher auf keine der verfügbaren Therapien an.

Mit modernsten Hochdurchsatzanalysen, die den Effekt von Wirkstoffen auf den genetischen Zustand der Patienten untersuchen, gelang dem Team von Sebastian Nijman, Adjunct Principal Investigator am CeMM und Forschungsgruppenleiter am Ludwig Institute for Cancer Research in Oxford, eine überraschende Entdeckung: Krebszellen mit ATM-Mutationen sind empfindlich auf eine Substanz, die sogenannte MEK-Enzyme hemmt. Ihre Studie wurde in Nature Communications veröffentlicht (DOI: 10.1038/NCOMMS13701)

MEK ist Teil eines biochemischen Reaktionspfades, der für die Teilung einer Zelle von entscheidender Bedeutung ist. ATM spielt dagegen eine zentrale Rolle für die Reaktion der Zelle auf DNA-Schäden. Das Team unter der Leitung von Sebastian Nijman fand nun heraus, dass Lungenkrebszellen mit ATM Mutationen nicht mehr fähig sind, sich zu teilen und in den programmierten Zelltod, die sogenannte Apoptose, übergehen. Ein unerwartetes Ergebnis, da MEK-Inhibitoren bis dahin nur für die Behandlung von bestimmten Hautkrebsarten zugelassen waren, ihre Wirkung bei Lungenkrebs jedoch völlig unbekannt war.

"Normalerweise ist Lungenkrebs immun gegen MEK-Hemmung, die wird durch andere Signalwege kompensiert", erklärt Ferran Fece, einer der beiden Erstautoren der Studie und ehemaliger PhD-Student am CeMM. "Die Krebszellen mit mutiertem ATM sind jedoch nicht dazu in der Lage, die MEK-Hemmung auszugleichen und sterben ab. Diese Art von unerwarteter Empfindlichkeit auf einen Wirkstoff wird in der Fachsprache 'synthetic lethality' genannt".

Michal Smida, der andere Erstautor und ehemaliger PostDoc am CeMM, ergänzt: "Wir wussten, dass die Mutationen in Tumoren zu einer extremen Empfindlichkeit der Krebszellen auf manche Medikamenten führen kann. Doch diese Achillesfersen zu finden ist kompliziert, denn sie lassen sich nur schwer vorhersagen und sie sind extrem selten. Wir haben eine große Zahl an Gen-Wirkstoff-Kombinationen getestet, bevor wir diesen einen Treffer gelandet haben."

Die Studie stellt einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung einer Präzisionsmedizin für die Zukunft dar: ATM Mutationen könnten als potentielle Biomarker verwendet werden, um Lungenkrebspatienten zu identifizieren, die für MEK-Inhibitoren empfänglich sind. Bei 8-10 Prozent aller Lungenkrebspatienten wäre das der Fall - angesichts der Tatsache, dass Lungenkrebs zu den häufigsten Tumorarten bei beiden Geschlechtern zählt, könnte in Zukunft eine große Zahl an Patienten von dieser neuen Therapiemöglichkeit profitieren.


Die Studie "MEK inhibitors block growth of lung tumors with mutations in Ataxia Telangiectasia Mutated" erscheint am 6. Dezember 2016, 11:00h MEZ, in der Zeitschrift Nature Communications, DOI: 10.1038/NCOMMS13701

Autoren:
Michal Smida*, Ferran Fece de la Cruz*, Claudia Kerzendorfer, Iris Z Uras, Barbara Mair, Abdel Mazouzi, Tereza Suchankova, Tomasz Konopka, Amanda M Katz, Keren Paz, Katalin Nagy-Bojarszky, Markus K Muellner, Zsuzanna Bago-Horvath, Eric B Haura, Joanna I Loizou und Sebastian MB Nijman. MEK (* gleichwertige Beteiligung)

Förderung:
Die Studie erhielt Förderungen von dem European Research Council (ERC), dem Moffitt Lung Cancer Center of Excellence, dem Österreichischen Wissenschaftsfond (FWF), dem Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF), dem Career Integration Grant der Europäischen Union, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) sowie dem Bundesministerium für Bildung, Jugend und Sport der Tschechischen Republik.

Sebastian Nijman studierte medizinische Biologie an der Universität in Utrecht und erhielt 2005 seinen PhD am Netherlands Cancer Institute (NKI) in der Gruppe von René Bernards. Er forschte als Postdoktorand am Broad Institute of MIT and Harvard im Labor von Todd Golub und startete seine eigene Forschungsgruppe im Jahr 2007 am CeMM. Hier entdeckte er die ersten Resistenzmechanismen von PI3K/mTOR Inhibitoren und entwickelte isogene Zellmodelle um neue Wirkstoff-Gen-Interaktionen zu finden. Im November 2014 wurde Sebastian Nijman ans Ludwig Institute for Cancer Research und dem Target Discovery Institute in Oxford berufen, bleibt jedoch als Adjunct Principal Investigator mit dem CeMM verbunden.

- Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter wissenschaftlicher Leitung von Giulio Superti-Furga. Das CeMM orientiert sich an den medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische Expertise um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen, Stoffwechsel- und Immunstörungen, sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude des Institutes befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen Krankenhauses Wien.
www.cemm.at

Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an:
Mag. Wolfgang Däuble
Media Relations Manager
CeMM
Research Center for Molecular Medicine
of the Austrian Academy of Sciences
Lazarettgasse 14, AKH BT 25.3
1090 Vienna, Austria
wdaeuble@cemm.oeaw.ac.at
www.cemm.at

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution2100

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Mag. Wolfgang Däuble, 06.12.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2016

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