Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → PHARMA

WIRKSTOFF/505: Wenn Mittel gegen Magen- und Herzleiden sich gegenseitig beeinflussen (Thieme)


Thieme Verlag / FZMedNews - Freitag, 5. Februar 2010

Verwirrende Wechselwirkungen - Wenn Mittel gegen Magen- und Herzleiden sich gegenseitig beeinflussen


fzm - Im Sommer letzten Jahres haben die amerikanische und die europäische Arzneimittelbehörde vor der gleichzeitigen Einnahme sogenannter Protonenpumpeninhibitoren mit dem Wirkstoff Clopidogrel gewarnt. Ein Experte erläutert in der Fachzeitschrift "DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2010), wie sich die beiden Mittel in der Wirkung behindern können - und warum Ärzte beide Medikamente manchmal dennoch verordnen müssen.

In den letzten Jahren ist die Zahl der Patienten, denen Ärzte den Wirkstoff Clopidogrel verschrieben haben, deutlich gestiegen. Betroffen sind Patienten, denen nach einem Herzinfarkt über einen Katheter ein "Stent" in ein Herzkranzgefäß implantiert wurde. Sie erhalten neben Clopidogrel in der Regel auch Acetylsalicylsäure. Beide hemmen die Blutplättchen und verhindern, dass sich im "Stent" ein Blutgerinnsel bildet. Diese Stentthrombose ist ein katastrophales Ereignis, das früher zwei von drei Patienten nicht überlebten, berichtet Professor Joachim Labenz vom Evangelischen Jung-Stilling-Krankenhaus in Siegen, der vor einem frühzeitigen Absetzen der "dualen Plättchenhemmung" warnt. Nach Implantation eines unbeschichteten Metallstents müssen die Patienten Clopidogrel über wenigstens vier Wochen einnehmen. Nach Implantation eines modernen Wirkstoffe-freisetzenden Stents dauert die Therapie sechs bis zwölf Monate, manchmal sogar lebenslang. Auch andere Patienten mit Herzkrankheiten erhalten zur Vorbeugung eines Herzinfarkts Clopidogrel verschrieben.

Wenn diese Patienten gleichzeitig zum Schutz der Magenschleimhaut einen Protonenpumpeninhibitor (PPI) einnehmen, kann die Wirkung von Clopidogrel nachlassen. Dies liegt, wie Professor Labenz darlegt, an einem Enzym der Leber. Es hat die Bezeichnung "CYP2C19" und seine normale Aufgabe besteht in der Entgiftung von Fremdstoffen, die über die Nahrung aufgenommen werden. Dazu gehören auch PPI und Clopidogrel. Beide konkurrieren um das Enzym CYP2C19, was den Abbau der beiden Wirkstoffe verzögert. Dies hat vor allem für Clopidogrel Auswirkungen. Denn Clopidogrel ist ein Prodrug. Es wird erst durch den Abbau am CYP2C19-Enzym in seine wirksame Form umgewandelt. Die Laboranalysen sind eindeutig. Professor Labenz: Bei der gleichzeitigen Einnahme beider Wirkstoffe ist der Clopidogrel-Effekt auf die Blutplättchen vermindert. Doch ob damit auch die Gefahr von tödlichen Blutgerinnseln in den Herzkranzgefäßen ansteigt, sei umstritten. Eine klinische Relevanz der Wechselwirkung ist nicht belegt, betont der Experte in der DMW: "Die aktuelle Datenlage spricht eher gegen eine solche."

Dennoch sollten Ärzte sich an die Warnhinweise der Aufsichtsbehörden und der Hersteller halten, rät der Internist: Praktizierende Mediziner sind im Sinne eines Worst-Case-Szenario zu besonderer Vorsicht verpflichtet. Das Dilemma besteht darin, dass einige Patienten ein PPI benötigen, weil ihr Magen die gleichzeitig verordnete Acetylsalicylsäure schlecht verträgt. Es kann zu lebensgefährlichen Magenblutungen kommen. PPI hilft, ihnen vorzubeugen. Professor Labenz: Deshalb gibt es weiterhin Patienten, die beide Medikamente, PPI und Clopidogrel, benötigen. Der Experte rät dazu, die Einnahme beider Mittel im Tagesverlauf zu trennen: Die Patienten könnten morgens einen PPI und abends Clopidogrel einnehmen.

Die Ärzte sollten die Dosis des PPI möglichst niedrig halten, empfiehlt der Autor: Vorsicht sei allerdings notwendig, wenn die Patienten sehr wenig PPI zur Kontrolle ihrer Beschwerden benötigen. Bei einigen Menschen arbeitet Enzym CYP2C19 aufgrund einer genetischen Störung sehr langsam, erklärt Professor Labenz: Dies ist bei Chinesen und Japanern häufig der Fall, komme aber auch bei Mitteleuropäern vor. Bei diesen "langsamen Metabolisierern" werde die PPI-Wirkung verstärkt, weil das PPI nur langsam abgebaut wird. Gleichzeitig sei natürlich die Clopidogrel-Wirkung vermindert. Bei jedem Verdacht empfiehlt der Experte eine Funktionskontrolle der Thrombozyten im Labor.


J. Labenz et al.:
Clopidogrel und Protonenpumpeninhibitoren - Fluch oder Segen?
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2010; 135 (5): S. 203-206


*


Quelle:
FZMedNews - Freitag, 5. Februar 2010
Thieme Verlagsgruppe
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart
Tel: 0711-8931-319, Fax: 0711-8931-167
Internet: www.thieme.de/presseservice/fzmednews/


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2010