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MEINUNG/021: Cornelia Schmitz im Gespräch über ihren Psychiatriekrimi "Betreutes Sterben" (Soziale Psychiatrie)


Soziale Psychiatrie Nr. 159 - Heft 1/18, 2018
Rundbrief der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.

Soziale Psychiatrie und Klinik »Behandeln Sie uns als mündige, gleichberechtigte Patienten«

Ilse Eichenbrenner im Gespräch mit der Autorin Cornelia Schmitz


Der Anfang 2017 im Psychiatrie Verlag erschienene Psychiatriekrimi »Betreutes Sterben« spielt auf einer geschlossenen Station. Die Autorin Cornelia Schmitz erweist sich in dem Buch als Expertin für stationäre Behandlung. Passend zum aktuellen Themenschwerpunkt führte Ilse Eichenbrenner ein Gespräch mit der Autorin über ihre Erfahrungen.


Ilse Eichenbrenner: Liebe Cornelia Schmitz, durch meine Rezension in der »Psychosozialen Umschau« wissen Sie bereits, wie gut mir Ihr »Betreutes Sterben« gefallen hat.

Cornelia Schmitz: Vielen Dank für Ihr Lob. Ich freue mich, dass Ihnen mein Buch gefallen hat.

I.E.: Ich finde, die stationäre Behandlung kommt bei Ihnen recht gut weg. Wollten Sie nur freundlich zum medizinischen Personal sein, oder entspricht dies Ihrer Erfahrung und Einschätzung?

C.S.: Nein, ich wollte klar meine Meinung sagen. Wie Sie wissen, war ich selbst als bipolare Patientin in stationären Einrichtungen. Und abgesehen von der ein oder anderen »Pflaume« fand ich das Personal immer durchaus wohlwollend, bemüht und nett. Die Sache ist nur die, dass Personal und Patienten oftmals aneinander vorbeireden, oder übereinander reden oder gar nicht reden. Die Diagnosen und die entsprechende Behandlung stehen fest, das Erfahrungswissen der Patienten wird nicht herangezogen.

I.E.: Was sind für Sie die Problemzonen - was finden Sie besonders schlimm? Was ärgert Sie?

C.S.: Für mich sind Freiheit und Selbstbestimmung zentrale Elemente meines Seins. Es ist grauenhaft, wenn ich hierin verletzt werde. Das passiert aber in den Kliniken immer wieder, egal ob durch »fürsorgliche Belagerung« oder nackten Zwang. Oftmals wird man wie ein unmündiges Kind behandelt, bevormundet, in ein enges Korsett von Regeln und Vorschriften gepresst, oder man wird sogar fixiert und isoliert. Das macht klein und unselbstständig und ist das Gegenteil von dem, was für das Erreichen des Zieles »psychisch gesund« richtig ist. Hier wäre das einzig Richtige: Reden, reden, reden, offene Fragen stellen, einfühlsam, also nicht bohrend, herausfinden, was mit dem Patienten los ist, welchen Sinn der Wahn hat, welche Antriebsfedern oder Probleme sich dahinter verbergen. Vielleicht auch nicht immer sofort behandeln wollen, erst mal schauen, was Sache ist. Wahn oder psychische Störung bestehen nicht grundlos, oftmals stecken ein Wunsch, ein Begehren, dem eigenen Selbst verborgene Gefühle dahinter. Ein Wahn kann viele gute Seiten haben.

I.E.: Gibt es etwas, was sich positiv verändert hat? Wo sehen Sie Fortschritte?

C.S.: In den Kliniken selbst - aber ich spreche hier nur von meinen subjektiven Erfahrungen, und die liegen über zehn Jahre zurück - sehe ich leider keine Fortschritte. Im Gegenteil, meiner Meinung nach sind die Kliniken wieder konservativer geworden, parallel zu der Entwicklung in der Gesellschaft.

Ich war dreimal geschlossen untergebracht, davon das erste und das dritte Mal in derselben Klinik. Beim ersten Mal - 1999 - bin ich gut wieder rausgekommen und habe mich auch in der Klinik wohlgefühlt. Warum? Die Ärzteschaft und das Personal sprachen lange und ausführlich mit den Leuten, hörten ihnen zu, versuchten herauszufinden, wie man am besten heilen könnte. In der Aufnahmesituation z. B. setzte sich ein Pfleger zu mir auf den Boden im Flur, rauchte dort mit mir eine Zigarette nach der anderen, plauderte über Gott und die Welt und erreichte schließlich, durch zwangloses Erörtern des Themas, dass ich freiwillig ein Medikament nahm. Damals gab es dort einen sozialpsychiatrischen Chefarzt.

2006 in derselben Klinik unter anderer Leitung war es, als hätte sich alles um 180 Grad gedreht: Wesentlich mehr Zwang, wesentlich mehr Vorschriften, Pfleger, die einem in den Hals schauten, ob man die Pillen auch wirklich geschluckt hatte. Das war sehr demütigend.

I.E.: Hat sich aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren viel getan? Und wenn ja, in welche Richtung?

C.S.: Hm. Meine letzte Klinikerfahrung ist einige Jahre her, insofern kann ich nicht aus eigener Erfahrung über Veränderungen in Kliniken sprechen. Von anderen Patienten höre ich, dass der Zwang in der stationären Behandlung der Gleiche geblieben ist. Und dort gehört er nicht hin.

Ich akzeptiere zwar Einweisungen per Zwang - wenn jemand die Wirklichkeit nicht mehr einschätzen kann, zur Gefahr für andere wird oder dringend Hilfe benötigt, darf man zwangseinweisen. Aber: In der Klinik muss der Zwang aufhören und durch Deeskalation, Tiefengespräche, Psychotherapie, Nutzung der Gruppendynamik auf Station mit einer dadurch wohlwollenden Atmosphäre, einem »Austoberaum« oder »Nachdenkzimmer« u.v.m. ersetzt werden.

Außerhalb der Kliniken hat sich natürlich - auch durch die UN-Behindertenrechtskonvention - einiges getan. Man spricht etwa davon, die Werkstätten für behinderte Menschen ganz aufzulösen, man spricht über Partizipation, Home Treatment, Sozio- und Psychotherapie und dergleichen.

Doch ich glaube, in der Sozialpsychiatrie zentriert man sich zu viel auf die Medikamentenfrage. Es ist für mich nebenrangig, ob ich Medikamente nehme oder nicht. Entscheidend ist nur, dass ich in meinem Selbstbewusstsein gestärkt werde: durch eine Behandlung, ein Angesprochenwerden als mündiger Mensch, der seine Entscheidungen nach Information und Rücksprache selbst trifft. Das kann eine Entscheidung für oder gegen Medikamente sein, wichtig ist nur, dass ich, und niemand sonst, einen Entschluss gefasst habe.

I.E.: In unseren Kreisen ist viel von EX-IN die Rede. Genesungsbegleiter arbeiten auch im Kontext stationärer Behandlung. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

C.S.: Eher kritisch. Sagen wir so: Da ich in der Manie schon kein allzu großes Vertrauen in Ärzte, Sozialarbeiter und Pflegepersonal hatte und auf deren immerhin doch drei- oder siebenjährige Ausbildung verächtlich herabgesehen habe (»Ist das alles, was die können?«), hätte ich mit einem EX-INler vermutlich erst recht Probleme gehabt - wenn der Mensch mir etwas vorzuschreiben gedacht hätte. Ich hätte wohl sofort gedacht: Was qualifiziert dich denn groß? Du hast das Gleiche wie ich, also verzieh dich. Vielleicht wäre ich allerdings auch positiv überrascht worden, wenn die Person an mich herangekommen wäre, Zugang zu mir gefunden hätte, und dann tatsächlich Einfluss auf meine Behandlung gehabt hätte. Ich kann mir auch vorstellen, dass ich als EX-INlerin auf Station nicht recht wüsste, auf wessen Seite ich eigentlich stehe, dass ich in innere Konflikte geraten würde. Wichtig ist also auch hier: Wenn EX-INler auf Station arbeiten, dann vollkommen gleichberechtigt, und die Klinik muss eine sprechende Klinik sein, eine wohlwollende Atmosphäre haben, zwangslos sein etc. Außerhalb der Kliniken ist Ex-IN oder die Selbsthilfebewegung natürlich sinnvoll, in Schulen, Universitäten etc.

I.E.: Was wollten Sie den Ärztinnen und Ärzten schon immer einmal sagen?

C.S.: Es ist eine Binse, aber: Behandeln Sie uns als mündige, gleichberechtigte Patienten. Behandeln Sie uns nicht von oben herab, nicht so, als hätten wir nicht mehr alle Latten am Zaun. Bevormunden Sie uns unter keinen Umständen - das ist tatsächlich schädlich für die Psyche.

Stellen Sie sich niemals als autoritäres Hilfs-Ich zur Verfügung, sondern helfen Sie uns, das eigene Ich zu stärken. Fragen Sie, reden Sie. Der beste Psychiater, den ich je erlebt habe, war ein junger Assistenzarzt auf Station, der mit seinen sensiblen, respektvollen Fragen und ohne taktlos zu bohren, den Patienten geholfen hat. In der Psychiatrie hilft nur das Wort bzw. die vertrauensvolle Bindung.

I.E.: Welche Wünsche und Forderungen haben Sie an die pflegenden Berufe?

C.S.: Sehen Sie uns als Einzelwesen, nicht als Symptomträger, nicht als Teil einer Masse Mensch, nicht als »die Betroffenen«, sondern als Frau Müller, Herrn Meier mit je eigenen Vorlieben und Abneigungen. Sehen Sie uns als Subjekt, nicht als Objekt, nie als nur jemand mit einer Krankheit. Urteilen Sie niemals nach dem äußeren Anschein. Hören Sie gut zu und seien Sie respektvoll. Bedenken Sie vor allem auch die positiven Seiten eines Wahns, einer Störung. Wenn niemand leidet, warum behandeln?

I.E.: Was könnte mit einfachen Mitteln verbessert werden?

C.S.: Ich halte sehr viel davon, sich die Gruppendynamik unter den Patienten zunutze zu machen, diesen Ansatz gibt es ja bereits. Fördern Sie alles, was der Gruppe hilft, vertrauensvolle Bindungen untereinander aufzubauen. Stärken Sie die Patienten, die viel zum Gesamtwohl der Gruppe beitragen. Machen Sie aber nicht aus allem eine Therapie. Ein Gruppenerlebnis sollte vor allem Spaß bringen.

I.E.: Können Sie sich eine Psychiatrie ohne Klinik vorstellen - Stichwort Home Treatment? Oder ganz persönlich gefragt: Können Sie sich vorstellen, zu Hause behandelt zu werden?

C.S.: Ich sehe nicht den Gegensatz: Klinik oder Home Treatment, ich sehe den Gegensatz gute Behandlung vs. schlechte Behandlung. In einer schlechten Klinik wird man traumatisiert, aber in einer guten Klinik (s.o.) kann man heil wieder rauskommen und viel an Anregung mitnehmen. Bei einer Depression kann ich mir die Behandlung zu Hause für mich gut vorstellen, bei einer Manie nicht, da ich mich in der Manie nicht im Geringsten krank fühle und keine Behandlung wünsche.

Da liegt der Hase im Pfeffer: Home Treatment funktioniert meiner Meinung nach nur bei Einverständnis des Klienten. Aber es wird immer Menschen geben, die man zwangsweise einweisen muss. Und für die müssen die Kliniken gut sein.

Mein Schlusswort. Grundsätzlich gilt: Man sollte an die Psychiatrie, an die Psychiater und die Gesundheitsberufe keine allzu großen (Heils)-Erwartungen haben. Menschen sind überall fehlbare Wesen und überall wird nur mit Wasser gekocht, alle können und dürfen sich irren, die ganze Psychiatrie ist noch jung und in der Entwicklung. Man muss vonseiten der Klienten wie der Profis die Latte ein bisschen tiefer legen.

I.E.: Ich danke Ihnen für das Gespräch.

C.S.: Ich danke Ihnen.


Cornelia Schmitz ist Autorin und Übersetzerin und lebt in Köln. Das Buch »Betreutes Sterben. Ein Psychiatriekrimi« ist in der »edition BALANCE« des Psychiatrie Verlags erschienen. (s. Rezension in SP 4/2017)

Das Gespräch mit Cornelia Schmitz wurde von Redaktionsmitglied Ilse Eichenbrenner per Mail geführt.

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Quelle:
Soziale Psychiatrie Nr. 159 - Heft 1/18, Januar 2018, Seite 24 - 25
veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. September 2018

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