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RECHT/045: Psychiatrische Maßregel - Gefahrenabwehr und Behandlung zwischen Selbstbestimmung und/oder Zwang (SozPsy)


Soziale Psychiatrie Nr. 151 - Heft 1/16, Januar 2016
Rundbrief der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.

Die psychiatrische Maßregel
Gefahrenabwehr und Behandlung zwischen Selbstbestimmung und/oder Zwang

Von Heinz Kammeier


Peter Langanke wurde im Jahr 1968 inhaftiert und 1970 in der Forensik in Eickelborn untergebracht. Er war nach dem Diebstahl eines Pelzmantels im Wert von unter 1000 DM zu neun Monaten Freiheitsstrafe und zur Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt verurteilt worden.

Aus neun Monaten Freiheitsstrafe werden 17 Jahre Freiheitsentzug

Bei der Anhörung im Jahr 1980 betonte Peter Langanke, doch nur zu neun Monaten verurteilt worden zu sein, inzwischen befinde er sich aber bereits elfeinhalb Jahre in der Unterbringung. Nach der Stellungnahme des Krankenhauses machte Herr Langanke erhebliche Schwierigkeiten: Seine paranoiden Wahnideen seien immer noch nicht abgeklungen. Er weigere sich, die verordneten Medikamente zu nehmen. Zwangsweise behandelt wurde er offenbar nicht. Das Krankenhaus sah aber auch keine Anhaltspunkte dafür, dass Herr Langanke zu einem Leben unter freien Bedingungen fähig sei, und befürchtete, dass er nach seinen psychischen Voraussetzungen bei Schwierigkeiten rückfällig werden könne. Dabei hatte er sich während der Unterbringungszeit wiederholt - teils für einige Tage, teils für einige Wochen - eigenmächtig entfernt, war aber in diesen Zeiten strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Strafvollstreckungskammer und Oberlandesgericht übernahmen die Auffassung des Krankenhauses und entschieden Jahr für Jahr auf Fortdauer der Unterbringung.

Schließlich bemühte Herr Langanke das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Das entschied im Oktober 1985 (BVerfGE 70, 297 ff.) über die zu rechtfertigende Dauer des Maßregelvollzugs, indem es neben der gesteigerten Prüfpflicht der Gerichte auf die Bedeutung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit abhob. Auch wenn Herr Langanke in der Folge dieser Entscheidung nach dann inzwischen 17 Jahren Freiheitsentzug aus dem psychiatrischen Krankenhaus entlassen wurde, blieb das BVerfG damals doch grundsätzliche Aussagen dazu schuldig, woran denn die zulässige "Dauer" zu bemessen sei und welche Dimensionen bei Beachtung der "Verhältnismäßigkeit" der psychiatrischen Maßregel relevant seien, schuldig. Es ließ offen, ob die Dauer an einer bei Schuldfähigkeit zur Tatzeit ausgeworfenen Strafdauer oder dem infrage kommenden Strafrahmen zu messen sei. Oder am Strafrahmen der befürchteten Wiederholungs- und durch die Maßregel abzuwehrenden Tat. Und es schwieg "beredsam" zur Frage der Bedeutung von Behandlung und Behandlungserfolg oder -misserfolg im Hinblick auf die Dauer der zu rechtfertigenden freiheitsentziehenden Unterbringung. So kann es auch kaum verwundern, dass dieser Beschluss 28 Jahre lang im Grunde weitgehend folgenlos blieb: bis zum "Fall Mollath" im Jahr 2013.

Klage gegen medikamentöse Zwangsbehandlung

Eine andere untergebrachte Person, sie befand sich im Maßregelvollzug des Landes Rheinland-Pfalz, veranlasste das BVerfG im Jahr 2011 eine Entscheidung über die Zulässigkeit einer medikamentösen Zwangsbehandlung zu treffen. Vor dem Gang zum BVerfG war sie bereits einmal zwangsweise behandelt worden. Danach hatte sie mitgeteilt, bei der nächsten kritischen Situation in einem psychotischen Schub diesen lieber aus- und ohne Medikation durchhalten zu wollen, als noch einmal anschließend unter den Nebenwirkungen von Medikamenten leiden zu müssen.

Die Vornahme einer zwangsweisen medizinischen Behandlung war im Rahmen des stationären Vollzugs der Maßregel vor der BVerfG-Entscheidung von 2011 in Rheinland-Pfalz nach geltendem Landesrecht weitreichend zulässig gewesen. Nun engte das BVerfG die Zulässigkeit ganz erheblich ein. Seitdem ist sie nur noch bei einer einsichtsunfähigen Person und nur unter Einhaltung einer Reihe von materiellen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen zu rechtfertigen. Ihr primäres Ziel darf allein die (Wieder-)Herstellung von Einsichtsfähigkeit und damit die Möglichkeit zur Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts sein. Sekundär kann allerdings auch eine schnellere Entlassung intendiert werden.

Zwang und Selbstbestimmung: zentrale Fragen

Auch wenn diese beiden Fälle und die dazu ergangenen Entscheidungen des BVerfG rund zwanzig bis dreißig Jahre auseinanderliegen, verbinden sie zentrale Fragen und bisher ausgebliebene stringente und konsistente Antworten zum Verhältnis von Selbstbestimmung, fürsorglichem Zwang im Maßregelvollzug und von dessen zulässiger Dauer. Diese kreisen

  • um die rechtssystematische Einordnung und Stellung der psychiatrischen Maßregel zwischen Strafrecht, Polizeirecht und Sozialrecht, - um die Bedeutung der Anknüpfung an eine erhebliche rechtswidrige Tat,
  • um die Bedeutung krankheitsbedingter Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit, daraus folgendem Freispruch und die vollstreckungsrechtliche Gleichstellung bei vermindert Schuldfähigen,
  • um die staatliche Pflicht, die Allgemeinheit vor der Wiederholung weiterer solcher erheblichen Taten zu schützen, also der präventiven Gefahrenabwehr,
  • um die hierzu geeigneten, erforderlichen und verhältnismäßigen Maßnahmen, also um freiheitsbeschränkende Sicherungsvorkehrungen und um sozialstaatlich begründete Behandlungsangebote zur Kompensation des "Sonderopfers" durch die schuldlos hinzunehmende Freiheitseinbuße,
  • um die diesen Schutzerfordernissen entsprechenden helfenden und kontrollierenden Versorgungsstrukturen sowie
  • um die Grenzen des zulässigen maßregelrechtlichen Eingriffs in die Rechte des von all diesen Maßnahmen Betroffenen.

Im Blick auf die Kernfrage - der Frage nach dem Stellenwert von Selbstbestimmung und der Anwendung von Zwang im Maßregelvollzug - sollte es von Interesse sein, kurz historisch auszuholen und auf die Anfänge der Diskussion um die Einführung eines Maßregelrechts in Deutschland gegen Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts zurückzublicken.

Rückblick: zur Entwicklung des Maßregelvollzugs

Den Ausgangspunkt bildete die Erkenntnis, dass die der Tatschuld angemessene Strafe im System eines starren Schuldstrafrechts in zahlreichen Fällen nicht geeignet erschien und/oder nicht ausreiche, die über die Dauer des Strafvollzugs hinausreichende Gefährlichkeit eines chronischen Wiederholungs- oder eines wie auch immer psychisch kranken bzw. "psychopathischen" Täters abzuwehren. Es ging also darum, die Allgemeinheit vor Wiederholungskriminalität zu schützen. Dabei war eine Behandlung zur Besserung vor hundert Jahren angesichts der in der Psychiatrie jener Zeit zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht ernsthaft zu erwarten und faktisch bei der Einführung des Maßregelrechts durch die Nationalsozialisten im Jahr 1934 erst recht nicht gewollt und nicht angestrebt gewesen. Damals ging es, wenn man denn den Begriff der Behandlung hier überhaupt gebrauchen will, um ein "Heilen als Vernichten": Die Allgemeinheit, das Volk, der Volkskörper sollte heil bleiben oder heil werden, was nur mittels massenhafter Tötung kranker und gefährlicher Menschen erreichbar schien.

Einiges an Hoffnung in die Behandelbarkeit und die Besserungsmöglichkeiten psychischer Krankheiten und Viel an Euphorie hinsichtlich möglicher Heilungserfolge kranker und/oder krimineller Menschen keimte nach dem Zweiten Weltkrieg in den 1950er bis 1970er-Jahren auf. Die Stichworte hierzu lauteten: Psychopharmaka und Psychotherapien.

Entsprechende Veränderungsprozesse zur "Besserung des Individuums" wurden im Recht und in der psychiatrischen Versorgungslandschaft ins Werk gesetzt. Der ursprüngliche Schutzauftrag des Maßregelrechts zur Abwehr von "Gefährlichkeit" verblasste allerdings rasch bei dieser Neuorientierung auf das Ziel hin, endlich tatsächlich die Chancen zu einer Besserung wahrnehmen zu können. Die große Strafrechtsreform - in den 1960er-Jahren des allgemeinen gesellschaftlichen Aufbruchs beraten und gesetzgeberisch umgesetzt und 1975 in Kraft getreten - trug erhebliche sprachliche Änderungen in die Bestimmung der Schuldunfähigkeit in den neuen § 20 Strafgesetzbuch (StGB) ein und führte damit zu einer "Annäherung an den medizinischen und psychologischen Sprachgebrauch (SS-Lenckner, StGB, 21. Aufl. 1982, § 20 Rz 2). In dieser Konsequenz lag auch die Umkehrung der Wortfolge in der Kapitelüberschrift über den §§ 61 ff. des neuen StGB: "Maßregeln der Besserung und Sicherung", statt vorher in umgekehrter, rechtssystematisch korrekter Reihenfolge: "Sicherung und Besserung". Darüber hinaus wurde aus der "Heil- oder Pflegeanstalt" (§ 42b StGB aF) in der zunächst verabschiedeten Gesetzesfassung die "Psychiatrische Anstalt" und noch vor dem Inkrafttreten des Reformgesetzes durch eine weitere Änderung das "Psychiatrische Krankenhaus" des § 63 StGB. Dieser Linie folgt auch das Prinzip des Vikariierens (§ 67 I StGB), also einer verbindlichen neuen Festlegung der Reihenfolge der Vollstreckung, wonach bei gleichzeitiger Anordnung von Freiheitsstrafe und Maßregel der Strafanspruch des Staates hinter der vorrangigen klinischen Behandlung zurückzutreten hat. Der Vollzug der psychiatrischen Maßregel war damit eindeutig dem medizinischen Paradigma zugeordnet und medikalisiert worden. Sie war nun eine stationäre Behandlungsmaßregel, wobei ihr eine gewisse sozial- bzw. wohlfahrtsstaatliche Gestalt mit Ansprüchen auf nachgehende Resozialisierungsleistungen mitgegeben wurde. Die Gestaltung des Vollzugs wurde inhaltlich durch Therapie bestimmt. Weithin wurde konsequenterweise die Anzahl der Ärzte und anderer Therapeuten im Maßregelvollzug deutlich aufgestockt. Das intrinsische Ziel des Vollzugs lautete seitdem auf Besserung, wenn nicht gar auf Heilung. Wozu sonst sollte jemand, der als krank diagnostiziert worden war, in ein Krankenhaus eingeliefert werden? Und ich selbst habe 1984 in diesem Geist zu einer Formulierung im Maßregelvollzugsgesetz NRW beigetragen, nach der sich das Maß des Freiheitsentzugs nach dem Erfolg der Behandlung zu richten habe (§ 16 I 1 idF v. 18.12.1984). Und erst gewissermaßen nebenbei sollten auch mögliche Gefährdungen, die von dem Betroffenen ausgehen könnten, berücksichtigt werden müssen.

Auswirkungen der Psychiatrie-Enquete

Im bereits angesprochenen Jahr 1975, in dem die Strafrechtsreform in Kraft trat, also vor vierzig Jahren, wurde am 25. November auch der Bericht der Bundesregierung über die Lage der Psychiatrie in Deutschland (BT-Drs. 7/4200), die so genannte Psychiatrie-Enquete, nach rund fünf Jahren Vorarbeit veröffentlicht. Sie bescheinigte der damaligen Forensik eine "absolute Schlusslichtposition" im Versorgungsbereich. Und sie empfahl "mit Nachdruck", dass mit der bereits in Kraft getretenen Strafrechtsreform die "vom Gesetzgeber geschaffenen Möglichkeiten wirklich realisiert und ausgeschöpft werden". Gemeint war damit, die in der Forensik untergebrachten Personen voll in die Versorgungsstrukturen der allgemeinen Psychiatrie und deren vorgesehene Veränderungen mit einzubeziehen.

Zwar wurden nach der Veröffentlichung der Psychiatrie-Enquete zahlreiche der riesigen Landeskrankenhäuser recht rasch aufgrund von Entlassungen und Verlegungen von Patienten verkleinert. Es wurden Sozialpsychiatrische Dienste und Psychiatrische Institutsambulanzen eingerichtet sowie kleinere psychiatrische Stationen in somatischen Krankenhäusern weitgehend flächendeckend geschaffen. Es bildeten sich zunehmend mehr Formen von betreutem Wohnen in Gruppen oder einzeln heraus, kurz: Die allgemeine Psychiatrie wurde zu einer sozialen und einer Gemeinde-Psychiatrie, indem sie die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in die Krankheitslehre und entsprechend in die Betreuungs- und Versorgungsstrukturen mit einbezog. Allein: Die Forensik hatte an dieser Entwicklung so gut wie keinen oder einen nur sehr zögerlich wahrgenommenen Anteil. Und dieser war föderal auch noch sehr unterschiedlich ausgeprägt.

Während dieses Öffnungsprozesses der allgemeinen Psychiatrie nahm die Entwicklung der Forensik einen anderen Verlauf. Sie konzentrierte sich in Theorie und Praxis des Maßregelvollzugs auf Behandlungsplanung und -durchführung, auf Anspruch auf und Durchführung von Lockerungen (nicht immer mit der erforderlichen Erfolgskontrolle) und auf die zulässigen Eingriffe in Kommunikationsrechte. Schuldfähigkeits- und Prognoseforschung wurden zu wissenschaftlichen Spitzenthemen, mindestens in den wenigen universitären Forensikarealen.

Jähes Ende der Reformbemühungen

Mitte der 1990er-Jahre setzten dann medial spektakulär aufbereitete Kindestötungen in Belgien und Deutschland allen dennoch auch in der Forensik zaghaft begonnenen Reformbemühungen ein jähes Ende. Ein Sicherheitsdiskurs begann, den man im Anklang an ein Wort eines früheren Bundeskanzlers unter das Motto stellen könnte: "Heilen als Wegschließen". Er führte zu nachhaltigen Folgerungen: An die Stelle eines bisher weithin praktizierten gleitenden Übergangs aus dem geschlossenen Bereich einer Forensik in eine halb offene und dann offene Station eines forensischen Krankenhauses über ein dem Krankenhaus angegliedertes betreutes Wohnen bis hin zur Langzeitbeurlaubung und sich allmählich lockernder Kontrolle traten nun Hochsicherheitseinrichtungen mit verstärkten Gittern, erhöhten Mauern oder Zäunen und gestaffelt angelegten Zugangsschleusen.

Ab 1998, beginnend mit dem so genannten Sexualdeliktebekämpfungsgesetz (vom 26.01.1998, BGBl. I, 160) und den dann einsetzenden gerichtlichen und politischen Auseinandersetzungen um die Sicherungsverwahrung, zeichnete sich auch eine restriktivere Lockerungs- und Entlassungspraxis bei der psychiatrischen Maßregel ab. Sie führte zu Entwicklungen und Ergebnissen, die eigentlich niemand so recht wollte und denen - bei Beachtung der Unabhängigkeit der Justiz - auch zunächst niemand so recht etwas entgegenzusetzen hatte. Die Fakten sind bekannt: Die Anzahl der Neuanordnungen der psychiatrischen Maßregel verdoppelte sich von 1990 bis 2011. Die Zahl des Bestands an in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachten Personen erhöhte sich im gleichen Zeitraum um das Zweieinhalbfache. Und infolge des drastischen Rückgangs von Entlassungen aus der Maßregel stiegen die durchschnittlichen Verweildauern von etwa vier Jahren auf inzwischen rund acht Jahre signifikant an - ebenfalls mit erheblichen regionalen Unterschieden. Und was sollte man unter humanitären und rechtsstaatlichen Gesichtspunkten mit den in einem Krankenhaus untergebrachten Personen schon tun, die ja mal als krank eingeliefert worden waren? Sie wurden immer weiter behandelt!

Behandlungsprämisse befördert längere Verweildauer

Schaut man konzentriert auf die in den beiden Dekaden um die Jahrtausendwende zur Notwendigkeit der Fortdauer der psychiatrischen Maßregel veröffentlichten Entscheidungen von Strafvollstreckungskammern und Oberlandesgerichten, so fällt auf, wie oft dabei auf eine weiterhin erforderliche Behandlung dieser oder jener immer noch vorhandenen oder neu entdeckten Störung und/oder auf das als unangepasst und unzuverlässig eingestufte Verhalten im stationären Bereich legitimierend Bezug genommen wurde. Dagegen schien die eigentliche Aufgabe der psychiatrischen Maßregel, die Wahrnehmung der staatlichen Schutzpflicht in Gestalt der "Abwehr von erheblichen Gefahren für Dritte", die allein einen Freiheitseingriff dieser Maßregel in Intensität und Dauer rechtfertigt, weitgehend in den Hintergrund getreten zu sein. Manchen Mitarbeitern im stationären Bereich war gar das Wissen darum verloren gegangen, weswegen, wegen welcher krimineller Delikte, eigentlich die eine oder andere Person - es waren ja nun alles Patienten! - bei ihnen untergebracht war. Der Unterschied von Gefährlichkeit und Krankheit als Beschreibung von je eigenständigen menschlichen Zuschreibungen oder von Zuständen, die zwar im Sanktionenrecht über die §§ 20, 21 und 63 StGB miteinander in Beziehung gebracht werden, aber ansonsten auch einzeln in Erscheinung treten, schien verwischt worden oder aus dem von Rechts wegen kritischen Blick geraten zu sein. "Gefährlichkeit" äußerte sich in und erschien damit weitgehend als - Synonym für psychische Krankheit, Persönlichkeitsstörung und Intelligenzminderung - und somit als therapeutisch behandelbares Phänomen.

Diese Entwicklungen lassen eine Inkongruenz zwischen dem Schutzauftrag der psychiatrischen Maßregel zur Abwehr erheblicher Rechtsgutverletzungen und dem Glauben an eine durch Medikalisierung zu erreichende Perfektionierbarkeit des delinquenten Menschen erkennen.

Behandlung ist tendenziell auf Erfolg aus. Um einen solchen Erfolg zu erzielen, bedarf es aber mindestens zweierlei Voraussetzungen: der Behandlungsfähigkeit und einer gewissen auf Krankheitseinsicht gründenden Behandlungswilligkeit. Bei den meisten von den mit der psychiatrischen Maßregel bedachten Personen liegen diese Voraussetzungen aber nicht oder nur sehr eingeschränkt vor. Kaum jemand "leidet", fühlt sich also nicht als "Patient". Und niemand hat sich freiwillig in diese Behandlungsmaßregel begeben, sondern ist vom Gericht dort - trotz Freispruchs oder mit nur geringer zeitiger Begleit-Freiheitsstrafe in Abverlangung eines Sonderopfers - zum Schutz Dritter untergebracht worden. Interesselosigkeit und vielfache Unfähigkeit, sich auf eine Behandlung einzulassen, gepaart mit Renitenz gegen die entindividualisierenden Zwänge und Abläufe einer totalen Institution und den in ihr tätigen Mitarbeitern dämpften seit jeher schnelle Behandlungserfolge und führten auch deshalb zu unverhältnismäßig langen Unterbringungsdauern im psychiatrischen Krankenhaus des Maßregelvollzugs. Das Herbeiführen von Krankheitseinsicht und daraus folgender Behandlungswilligkeit brauchen eben oft eine lange Zeit. Und die war im Maßregelvollzug prinzipiell vorhanden. Es drängten ja auch keine Krankenkassen und keine Medizinischen Dienste auf Verkürzung der Behandlungsdauern ... Und wie schon angedeutet, war auch der Hinweis des BVerfG von 1985 auf die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht nur hinsichtlich einer zu rechtfertigenden Höchstdauer der Unterbringung folgenlos geblieben.

Aufwertung des Selbstbestimmungsrechts im Umgang mit Krankheit

In diesen hier kurz nachgezeichneten vierzig Jahren haben die allgemeine Psychiatrie kaum und die Forensik gar nicht wahrgenommen, wie im "Paralleluniversum" der somatischen Medizin und des Medizinrechts das Recht auf Selbstbestimmung des Menschen in Angelegenheiten des Umgangs mit seiner Krankheit, seinem Leiden und seinem Genesen- oder eben auch Nicht-genesen-Wollen zunehmend ins Bewusstsein gerückt ist und an prägender Bedeutung gewonnen hat. Diese Bewusstseins- und Rechtsänderungen nahmen ihren Ausgang in der Furcht und der Abwehr vor allem gegen eine erstarkende medizintechnische und intensivmedizinische Fremdbestimmung und ihr folgender Behandlungsausdehnung, die mit dem "eigentlichen Interesse" mancher Patienten nicht im Einklang stand und wegen der "Machtasymmetrie" zwischen dem mit seinem Fachwissen dominierenden Arzt und dem "ohnmächtigen" Patienten nicht in Übereinstimmung zu bringen war. Kurz ein paar Stichworte, um das Wachsen und Erstarken dieses Selbstbestimmungsrechts darzustellen:

  • In der gesellschaftlichen Umbruch- und Aufbruchzeit der "1968er-Jahre" ging eine starke Gruppe von Frauen unter dem Slogan auf die Straße: "Mein Bauch gehört mir!", und erstritt damit schließlich die 1975 in Kraft getretene Reform des Rechts zum Abbruch einer Schwangerschaft, nach der die schwangere Frau innerhalb einer gewissen Frist selbstbestimmt entscheiden können sollte, ob sie ihren Embryo austragen oder entfernen lassen wollte.
  • Im Jahr 1978 trat der Jurist Wilhelm Uhlenbruck mit seinem Vorschlag an die Öffentlichkeit, mittels eines Patienten-Testaments, wie er damals noch formulierte, nicht mehr gewollte Behandlungen zu Verweigern und Ärzten zu ihrer Fortführung die Zustimmung zu entziehen.
  • Im Jahr 1981 judizierte das BVerfG (E 58, 208 ff.), auch dem psychisch Kranken sei in gewissen Grenzen die "Freiheit zur Krankheit" zu belassen.
  • 1992 trat das Betreuungsrecht mit der Orientierung des Betreuerhandelns an den subjektiven Wünschen des Betreuten in Kraft.
  • 1994 entschied der Bundesgerichtshof (BGH) im so genannten Kempten-Fall, dass auch der nur als "mutmaßlich" ermittelte Wille eines Betroffenen, der zu einer autonomen Entscheidung nicht mehr fähig ist, als Selbstbestimmungsrecht des Patienten für das Handeln des Arztes rechtlich bindend sei.
  • 1997 war es die sexuelle Selbstbestimmung der Ehefrau, die durch eine Änderung des § 177 StGB als zu schützendes Rechtsgut anerkannt wurde und die die Ehefrau damit der fremdbestimmten Verfügungsgewalt ihres Ehemannes - wenigstens rechtlich betrachtet - entzog.
  • Im Jahr 2009 traten zunächst die UN-Behindertenrechtskonvention mit ihrer Bindungswirkung für Deutschland und im Herbst das Patientenverfügungsgesetz in Kraft. Beide führten zu einer bedeutenden Aufwertung des Selbstbestimmungsrechts, nicht nur somatisch erkrankter, sondern auch behinderter und somit auch psychisch erkrankter Personen. Letztere dürfen rechtlich und versorgungspraktisch nicht anders gestellt werden als andere Kranke. Beide Regelungen sehen keine Bereichs- oder Reichweitenbegrenzung der Selbstbestimmung vor.
  • Und noch bevor im Jahr 2011 das BVerfG in dem eingangs genannten Fall seine Entscheidung zur grundsätzlichen Geltung und Beachtung der Selbstbestimmung auch im Maßregelvollzug traf, befand sich bereits das später ins Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) eingefügte Patientenrechtegesetz, das längst geltende Regelungen über Aufklärung, Einwilligung und Selbstbestimmung normativ festschreiben sollte, in der parlamentarischen Bearbeitung.
Akuter Nachholbedarf für die (forensische) Psychiatrie

Von diesen Entwicklungen scheint die allgemeine Psychiatrie wenig mitbekommen zu haben, geschweige denn, sie hätte gestaltend daran Anteil genommen oder mitgewirkt. Lediglich wurde ab Anfang der 1990er-Jahre in einigen psychiatrischen Kliniken über Behandlungsvereinbarungen diskutiert, um wenigstens auf diese Weise gewissen Patientenwünschen entgegenzukommen und sie gegebenenfalls zu berücksichtigen. Und auch eher nur "am Rande" wurde ab dem Ende der 1990er-Jahre über die "Respektierung des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen" als "Bestandteil einer psychiatrischen Behandlung" in der Literatur diskutiert (Marschner 1997 und 2000).

Und erst recht blieb es in der Forensik bei einer auf das sozialstaatlich geboten erscheinende Ziel der Besserung der untergebrachten Person ausgerichteten Behandlung, wie es alle landesgesetzlichen Regelungen des Vollzugs verschrieben. Man muss nicht unbedingt auf die metaphysische Höhe und eine dort angesiedelte Beauftragung zurückgreifen, mit der eine forensische Psychiaterin (Nahlah Saimeh) den Auftrag der Psychiater beschrieben hat, wonach sie dazu berufen seien, dem durch die psychische Krankheit hervorgerufenen Desintegrationszustand und dem Zerfallsprozess des Individuums entgegenzutreten. Manche Psychiater mögen "ihren Auftrag" so oder als dem ärztlichen Ethos innewohnend verstehen oder aus einfachen humanitären Erwägungen heraus jemanden vor einer Chronifizierung seiner Krankheit bewahren wollen. Aber, und das haben die Entscheidungen des BVerfG aus den Jahren 2011 und 2013 deutlich herausgestellt, der Maßregelvollzug ist ein integraler Teil unseres Rechtssystems und der hierin sich vollziehenden Rechtsentwicklung. Und deshalb kommen im Grundsatz, wie das BVerfG deutlich hervorgehoben hat, auch im Maßregelvollzug dem Selbstbestimmungsrecht der untergebrachten Person und ihrer Entscheidungsfreiheit, in eine Behandlung einzuwilligen oder diese zu versagen, eine höhere Priorität zu als einem berufsethisch motivierten oder von Vernunftgründen getragenen fürsorglichen Einsatz von Zwang bei der Behandlung einer psychischen Krankheit.

Das Recht der Behandlung einer strafrechtlich im Maßregelvollzug untergebrachten Person ist jedenfalls inzwischen dem Behandlungsrecht in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung (nach dem Psychisch-Kranken-Gesetz [PsychKG]) und der zivilrechtlichen nach dem Betreuungsrecht (§ 1906 III BGB) weitgehend kongruent mit den neu normierten §§ 630a ff. BGB, dem vertraglichen Patientenrechtegesetz, ausgestaltet worden. Aus Platzgründen kann ich hier nicht auf die Diskussion über die Zulässigkeit und die Folgen von Selbstbestimmung im Blick auf eine freiverantwortliche Beendigung des eigenen Lebens und erst recht nicht auf die gebotene oder zu verbietende Mitwirkung eines Arztes daran eingehen. Aber gerade an der Diskussion um die Extremsituation der Lebensbeendigung wird gegenwärtig besonders deutlich, welche Bedeutung das Selbstbestimmungsrecht in Behandlungsangelegenheiten inzwischen erlangt hat.

Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts - nur zur Gefahrenabwehr

Das BVerfG hat damit das Selbstbestimmungsrecht im Blick auf die eigene Person und deren Umgang mit ihrer Krankheit beinahe in den Rang der Würde erhoben, den Artikel 1 Grundgesetz (GG) dem Menschen zuspricht. Im Jahr 2004, in einer Entscheidung die Sicherungsverwahrung betreffend, hat es (BVerfG NJW 2004, 739 ff.) dies so ausgedrückt: "Menschenwürde ist auch dem eigen, der auf Grund seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht sinnhaft handeln kann. Selbst durch 'unwürdiges' Verhalten geht sie nicht verloren. Sie kann keinem Menschen genommen werden." Und weiter: "Mit der Menschenwürde ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen geschützt, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt." Wenn man diese Worte über die Menschenwürde auf die Ausprägung der Geltung des Selbstbestimmungsrechts einer im Maßregelvollzug untergebrachten Person nach den Entscheidungen von 2011 und 2013 überträgt, dann hat das Selbstbestimmungsrecht keinen anderen Zweck als nur den, sich möglichst selbst zu verwirklichen! - Das mag man kritisch sehen oder ablehnen, aber es ist gegenwärtig geltendes Recht. Und ausschließlich um dieses Recht auf Selbstbestimmung auch selbst verwirklichen zu können, hat es das BVerfG zugelassen, unter engen materiellen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen zwangsweise eine Medikation einzusetzen, die genau dieses und nur dieses Ziel - die Selbstbestimmung - erreichbar erscheinen lässt. Auch wenn das BVerfG konsekutiv ergänzend formuliert, "um sie - die untergebrachte Person - 'entlassfähig' zu machen", ist damit im Kontext der Gesamtentscheidungen nichts anderes gemeint, als dass der Betroffene nach der Anwendung von Zwang selbst darüber bestimmen können soll, ob er in eine Behandlung einwilligen will, die möglicherweise dazu beiträgt, seine Gefährlichkeit mit der Aussicht auf eine Entlassung zu reduzieren, oder ob er dies - auch um den Preis lang dauernden Freiheitsentzugs - gerade nicht will. Noch einmal das BVerfG: Deshalb darf auch "der Täter nicht zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung [hier: auf die Situation der drittschützenden Gefahrenabwehr in der psychiatrischen Maßregel bezogen] unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Achtungsanspruchs gemacht werden" (a.a.O.).

Mit dieser Herausstellung der Bedeutung von Selbstbestimmung ist nach dem Beschluss des BVerfG zum Ende des so genannten "besonderen Gewaltverhältnisses" im Jahr 1972 (BVerfGE 33, 1) und der Normierung von zulässigen Eingriffen in die Grundrechte von im Maßregelvollzug untergebrachten Personen durch Gesetze nun auch die letzte fremden Zwecken dienende Zugriffsmöglichkeit des Staates auf die Individualität und die Persönlichkeit der Betroffenen beendet worden. Dies bedeutet zugleich und konsequent: Über den Weg der "Behandlung" und möglicherweise sogar einer Genesung sind der Zweck und das Ziel der psychiatrischen Maßregel, nämlich der Schutz Dritter, nicht mehr allein und wie selbstverständlich erreichbar! Hieraus folgt, eine Verringerung oder gar die Aufhebung des Freiheitseingriffs zum Schutz Dritter ist auch dann rechtlich geboten, wenn trotz fehlender Krankheitseinsicht und anerkanntermaßen fortbestehenden Behandlungsbedarfs die Gefährlichkeit des Betroffenen so weit reduziert ist, dass sie als sozialadäquat von der Gesellschaft akzeptiert werden kann.

Daraus folgt der Schluss: "Back to the roots!" Der Staat hat den Auftrag und die Verpflichtung, seine Bürger vor den Gefahren durch Menschen zu schützen, die erhebliche Rechtsgüter anderer bereits verletzt haben und bei denen eine erneute Verletzung zu befürchten ist. Diese Befürchtung bzw. die Erwartung neuer Taten beschreibt § 63 StGB mit dem Begriff "Gefährlichkeit". Die psychiatrische Maßregel - wie vergleichbar auch die Sicherungsverwahrung - dient im System des Straf- bzw. des Strafvollstreckungsrechts dazu, eine erneute Realisierung von Gefährlichkeit zu verhindern. Unter der Maßgabe des geltenden Schuldstrafrechts tut sie dies, indem sie der betroffenen Person zum Schutz der Allgemeinheit ausschließlich das Sonderopfer des nicht schuldbezogenen Freiheitsentzugs abverlangt. Mehr lässt unsere Rechtsordnung nach den angesprochenen Entscheidungen des BVerfG an Eingriffen in Persönlichkeitsrechte nicht zu.

Und selbst der mit diesem Sonderopfer verbundene Freiheitseingriff ist am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auszurichten. Denn auch die normierten und insoweit zulässigen Eingriffe in Grundrechte haben eine freiheitsgewährleistende Funktion. Deshalb ist auch das Sonderopfer nur so lange und nur in dem Maße zu legitimieren, wie es erforderlich ist, um die "Gefährlichkeit" der betroffenen Person abzuwehren, bis sie unter ein sozialadäquates und daher tolerables Maß gesunken ist. Die Fälle Langanke 1985 und jetzt besonders deutlich Mollath 2013 geben von daher verstärkt Anlass, über die rechtliche und vor allem Versorgungspraktische Ausgestaltung der Verhältnismäßigkeit des Sonderopfers weiter nachzudenken. Die Konzentration ausschließlich auf den Aspekt der "Dauer" der Unterbringung, auch wenn demnächst besondere qualitativ und verfahrensrechtlich ausgestaltete zeitlich fixierte Prüffristen ins Vollstreckungsrecht eingefügt werden, reicht hierzu nicht aus.

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Novellierung des Maßregelvolzugs

Im Koalitionsvertrag vom November 2013 haben CDU/CSU und SPD vereinbart: "Wir reformieren das Recht der strafrechtlichen Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern, indem wir insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stärker zur Wirkung verhelfen."

Aufgrund dieses Auftrags hat eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe im Januar 2015 einen "Diskussionsentwurf" zur "Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 Strafgesetzbuch" vorgelegt.

Etwas überarbeitet und ergänzt wurde dieses Papier im Mai 2015 als "Referentenentwurf" des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz der Öffentlichkeit zur Stellungnahme übergeben.

Am 4. November 2015 hat ihn nun das Bundeskabinett mit nochmals kleinen Änderungen als "Gesetzentwurf der Bundesregierung" beschlossen und dem Bundestag zur Beratung zugeleitet (BT-Drs. 539/15). Darin werden folgende Gesetzesänderungen bzw. -ergänzungen vorgeschlagen (die Neuerungen sind hervorgehoben):

• Hinsichtlich der Anordnung einer psychiatrischen
Maßregel soll § 63 StGB künftig wie folgt lauten:

"Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird."

• Im Vollstreckungsrecht wird § 67d Abs. 2 Satz 1
StGB wie folgt ergänzt:

"Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird."

Eine weitere Ergänzung soll § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB erfahren:

"Dauert die Unterbringung sechs Jahre, ist ihre Fortdauer in der Regel nicht mehr verhältnismäßig, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung gebracht werden. Sind zehn Jahre der Unterbringung vollzogen, gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend.

• Darüber hinaus sollen die Anforderungen an die gerichtliche Überprüfung der Notwendigkeit einer Fortdauer der Unterbringung im psychiatrischen Maßregelvollzug durch die Einführung besonderer Prüffristen und Vorgaben für die Benennung von Sachverständigen erhöht werden.

Hierzu soll § 463 Abs. 4 Strafprozessordnung (StPO) wie folgt umgestaltet und erweitert werden:

"Im Rahmen der Überprüfung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 des Strafgesetzbuches) nach § 67e des Strafgesetzbuches ist eine gutachterliche Stellungnahme der Maßregelvollzugseinrichtung einzuholen, in der der Verurteilte untergebracht ist. Das Gericht soll nach jeweils drei Jahren, ab einer Dauer der Unterbringung von sechs Jahren nach jeweils zwei Jahren vollzogener Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus das Gutachten eines Sachverständigen einholen. Der Sachverständige darf weder im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung mit der Behandlung der untergebrachten Person befasst gewesen sein noch in dem psychiatrischen Krankenhaus arbeiten, in dem sich die untergebrachte Person befindet, noch soll er das letzte Gutachten bei einer vorangegangenen Überprüfung erstellt haben. Der Sachverständige, der für das erste Gutachten im Rahmen einer Überprüfung der Unterbringung herangezogen wird, soll auch nicht das Gutachten in dem Verfahren erstellt haben, in dem die Unterbringung oder deren späterer Vollzug angeordnet worden ist. Mit der Begutachtung sollen nur ärztliche oder psychologische Sachverständige beauftragt werden, die über forensisch-psychiatrische Sachkunde und Erfahrung verfügen. Dem Sachverständigen ist Einsicht in die Patientendaten des Krankenhauses über die untergebrachte Person zu gewähren. § 454 Abs. 2 gilt entsprechend. Der untergebrachten Person, die keinen Verteidiger hat, bestellt das Gericht für die Überprüfung der Unterbringung, bei der nach Satz 2 das Gutachten eines Sachverständigen eingeholt werden soll, einen Verteidiger."


Auf die Wiedergabe anderer und weiterer Folgeänderungen im StGB und zum Inkrafttreten wurde hier verzichtet.
Heinz Kammeier

Dr. jur. Heinz Kammeier, Jurist und Theologe, ist Sprecher des DGSP-Fachausschusses Forensik.
E-Mail: kammeier-muenster@t-online.de

Literatur beim Verfasser.

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Quelle:
Soziale Psychiatrie Nr. 151 - Heft 1/16, Januar 2016, Seite 4 - 9
veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2016

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