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INTERVIEW/034: E-Cardmedizin - Transparenz und Selbstbestimmung ...    Rolf Lenkewitz im Gespräch (SB)


Paradigmenwechsel - Plädoyer für eine Bürgerwissenschaft

Interview am 31. Oktober 2014 in Hamburg



Der Münchner Datensicherheitsspezialist Rolf Lenkewitz schaut als Quereinsteiger in die Informationstechnologie auf 25 Jahre Berufserfahrung als Programmierer, Coach und Systemadministrator zurück. Er ist seit vier Jahren in der letztgenannten Funktion für einen bekannten IT-Dienstleister tätig und gehört nach eigener Aussage zu den Menschen, die man dem Bereich Citizen Science zuordnen würde. Mit diesem Begriff wird eine neue Form von Bürgerwissenschaften bezeichnet, bei der nicht nur Wissenschaftler und Akademiker, sondern auch Bürger mit speziellen Interessen wissenschaftlich arbeiten. Die damit verbundenen Änderungen seien in der heutigen Gesellschaft noch nicht angekommen, wenngleich es bereits Beispiele gebe, daß sich Unternehmen diese Ressourcen nutzbar machen wollen. [1]

Auf der Veranstaltung "Gesundheit statt Überwachung", welche die Aktion "Stoppt die e-Card" am 31. Oktober in Hamburg durchführte, stellte Rolf Lenkewitz die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit über die Dokumentationen der Betreibergesellschaft gematik vor. Vor dem Aktionstreffen beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zur Verschlüsselung, zu den Interessen hinter dem Projekt eGK und zum Paradigmenwechsel im Sinne einer Bürgerwissenschaft.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Rolf Lenkewitz
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Herr Lenkewitz, Sie sind in einem bekannten IT-Unternehmen als Systemadministrator im Bereich der Telematik im Verkehrswesen tätig und damit ein Experte auf diesem Gebiet.

Rolf Lenkewitz: Das ist richtig. Telematik heißt ja, daß Telekommunikation und Informatik zusammenwachsen. Damit ist letzten Endes die Datenversorgung von mobilen Komponenten gemeint.

SB: Sie gehören aber auch zu den Kritikern der elektronischen Gesundheitskarte (eGK). Man könnte ja auf den ersten Blick meinen, das stünde in Widerspruch zu Ihrer beruflichen Tätigkeit.

RL: Nein. Telematik ist inzwischen weit verbreitet. Die Technologieentwicklung schreitet extrem schnell voran, und die Onlinefähigkeit jeder einzelnen Hardwarekomponente, die derzeit produziert wird, ist schon von sich aus gegeben. Insofern haben wir im Grunde schon überall telematische Infrastrukturen. Der Bürger, der sich nicht mit IT beschäftigt, kriegt das nur noch nicht so mit.

SB: Sie sind indessen ein entschiedener Gegner der elektronischen Gesundheitskarte. Was hat Sie auf diese Spur gebracht?

RL: Ich beschäftige mich seit drei Jahren intensiver mit diesem Thema. Damals habe ich ein Dokument der gematik namens "Whitepaper Sicherheit" in die Hände bekommen. Darin stand unter anderem, daß bildlich gesprochen ein Banksafe realisiert werden soll, in dem sämtliche Daten aller Betriebsstätten der Medizin in Deutschland verwahrt werden. Das hat mich mißtrauisch gemacht. Es kam mir eigenartig vor, daß jemand das Projekt eGK mit einem Banksafe vergleicht, denn wenn ich mir einen solchen Safe einrichten möchte, dann wähle ich auch gerne die Bank selber aus, der ich in dieser Hinsicht mein Vertrauen schenke. Was passiert hier eigentlich? Es wird eine Monopolisierung angestrebt, denn man gibt eine einzige Bank vor, in der die Daten aller medizinischen Betriebsstätten und Versicherten in einem einzigen Banksafe eingelagert werden, um in diesem Bild zu bleiben.

SB: Und wer hat letztendlich die Kontrolle über diesen Banksafe? Das ist ja die entscheidende Frage.

RL: Ja. Ich denke, daß dieses Vorhaben staatlich getrieben ist und zentralstaatlichen Charakter hat. Das kann man auch an der Gesetzgebung ablesen, da die Paragraphen 291 und 291a nur deswegen geschaffen wurden, um diese Datensammlung trotz des Bundesdatenschutzes möglich zu machen. Wenn man beispielsweise im Sicherheitsbereich der gematik tiefer gräbt, dann stellt man fest, daß die Zertifikate vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik gehalten werden. In dieser Konstruktion ist das Projekt also eng mit staatlichen Stellen verbunden.

SB: Wenn man sich die Kostenentwicklung des Projekts vor Augen führt, wird deutlich, daß es von einflußreichen ökonomischen Interessen vorangetrieben wird.

RL: Der Chaos Computer Club hat die Kosten-Nutzen-Analyse von Booz Allen Hamilton veröffentlicht, in der die einzelnen Komponenten des Systems hochgerechnet auf einen Zeitraum von zehn Jahren mit fast vier Milliarden Euro kalkuliert wurden. Es können aber auch gut und gern vierzehn Milliarden werden.

SB: Kritisiert man bei der eGK Lücken im Datenschutz, liefe man dann nicht sogar Gefahr, den Betreibern unter Umständen Munition zu liefern, indem man dazu beiträgt, diese Lücken zu schließen, und sich damit selbst der Argumente beraubt?

RL: Ich sehe das vollkommen anders. Letzten Endes steckt eine Systemphilosophie hinter diesem Projekt, die gar nicht bewußt hinterfragt wird. Man könnte ja demgegenüber die dezentralen Strukturen mit diesem investiven Kapital stärken und ebensogut drei oder vier Milliarden Euro dafür verwenden, dezentrale Komponenten ohne eine Zentrale zu bauen. Das wäre gleichermaßen möglich, sofern man mit einer entsprechend kreativen alternativen Technik arbeitet. Darin würde ich überhaupt keine Hürde sehen.

SB: Wie würden Sie die Frage der Verschlüsselung einschätzen? Kann man nicht mittels überlegener Kapazitäten letztlich jede Verschlüsselung überwinden?

RL: Verschlüsselung ist im Grunde Standard geworden. In den Verschlüsselungsraten, die im Moment möglich sind, kann man schon relativ viel machen. Ich bin allerdings der Auffassung, die viele nicht verstehen, daß Verschlüsselung gar nicht diese Priorität besitzt, die ihr meist zugemessen wird. Am Anfang und Ende jeder verschlüsselten Datenstrecke steht der Mensch oder irgendein System, das diese Daten liest. Irgendwann werden sie also erzeugt, dann werden sie verschlüsselt, und irgendwann müssen sie wieder entschlüsselt werden. Verschlüsselung mag also für sich gesehen gut funktionieren, doch sie wird überbewertet und lenkt davon ab, was hinter diesem System steckt, nämlich ein Monopol für Datenspeicherung und Datenverarbeitung.

Und letzten Endes auch ein Monopol, um aus diesen Daten Sekundärdaten zu erzeugen, denn das ist das Entscheidende. Dieses System würde sich überhaupt nicht rechnen, wenn nicht eine Überlegung stattgefunden hätte, wie man die Daten nutzbringend weiterverkaufen kann. Die Telemedizin gibt in dieser Hinsicht schon seit Jahren die Richtung vor, indem sie die Pseudonymisierung und Anonymisierung als die Mittel betrachtet, um berechtigterweise die persönlichen Daten weiterzuverarbeiten, indem man sozusagen die Identifikationsmerkmale, die diese Daten haben, entfernt. Aber das ist mit Demokratie nicht vereinbar, was freilich schwer zu vermitteln ist.

Nehmen wir einmal an, Sie haben einen Datensatz mit Ort, Postleitzahl, Straße und Name sowie aus dem medizinischen Bereich eine Hüftprothese oder ähnliches. Wenn Sie die identifizierenden Merkmale wie Vorname, Nachname und Straße daraus entfernen, dann bleibt ein Datensatz übrig, der nicht sofort auf Ihre Person rückverfolgt werden kann. Aber in der Menge der Daten, die in diesem System entstehen, können Sie mit den gleichen Technologien, mit denen diesen Daten die Identifikationsmerkmale entzogen werden, wieder identifizierende Merkmale finden. Was in dieser Hinsicht möglich ist, wird leider bei weitem unterschätzt.

SB: Sie haben davon gesprochen, daß hinter der eGk ein System steckt. Welche Verwertungsinteressen kommen Ihres Erachtens dabei zum Tragen?

RL: Es sind ganz klar die Interessen der Industrie, die diese Hardware und diese Konzepte verkauft und die letzten Endes auch eine Bindung erzeugen will. Es ist heutzutage so, daß neu entwickelte Software von sehr vielen Leuten benutzt wird und daher zu einem enormen Marktpotential, ja regelrechter Macht des Herstellers führt, wenn man beispielsweise an Google oder Facebook denkt. Die Initiatoren des Systems eGK wissen ganz genau, daß sie ein ungeheures Potential in Händen halten, wenn sie die Daten aller medizinischen Betriebsstätten und aller Bürger in einem einzigen System zusammenführen.

Ich bin erst vor kurzem auf die Frage gestoßen, ob es überhaupt kartellrechtlich korrekt ist, daß eine Institution praktisch alle Daten zentral verwaltet und gleichzeitig auch noch den Arbeitsprozeß in den Betriebsstätten stringent vorgibt. Das ist ja ein weiteres Problem, daß deren Vielfalt verlorengeht und ein strenger Arbeitsablauf aufgezwungen wird. Das kann nicht richtig sein, und ich überlege die ganze Zeit, was ich machen kann, damit die Bürger aufwachen und das mitbekommen. Die gematik hat sich jedenfalls absolut keine Mühe gegeben und nicht 100.000 Euro für einen Prospekt aufgewendet, um den Bürgern zu erklären, um was es sich bei ihrem Vorhaben eigentlich handelt.

SB: Was würde passieren, wenn es gelänge, die eGK zu verhindern? Wäre damit das Problem gelöst?

RL: Nein, überhaupt nicht. Man muß das System als solches und damit den Aufbau der dahintersteckenden Datenbanken verhindern. Dateneingaben erfolgen ja nicht nur über die eGK, sondern können auch über jede Software, über jedes Onlineportal vorgenommen werden. So ist beispielsweise auch in Planung, den Versicherten at home, also eine Art Home-Banking-Software für Medizindaten, im Internet möglich zu machen, wofür man keine Karte mehr braucht. Dort kann man dann Daten in das System reinschreiben und umgekehrt natürlich auch darauf zugreifen.

SB: Man müßte die Einwände gegen dieses System also auf eine viel breitere Grundlage stellen und es weitergehender kritisieren?

RL: Letzten Endes geht es um einen Paradigmenwechsel. Es ist leider so, daß unsere wissenschaftlichen Eliten einer bestimmten Philosophie folgen, wie Wissen heutzutage produziert wird. Ich sehe hingegen eine andere Möglichkeit, wie dies geschehen könnte. Man sollte meiner Meinung nach beispielsweise im Vorfeld eines gesellschaftlichen oder sozialen Projekts, das die Allgemeinheit betrifft, nicht eine Ausschreibung von privaten Auftraggebern auf den Weg bringen. Es müßte vielmehr in der Phase seiner Entstehung von einem wesentlich breiteren Fundament aus kontrolliert werden. So müßten zum Beispiel Vorgaben gemacht werden, daß mindestens zwei, drei oder noch mehr Alternativen einbezogen werden und nicht nur eine einzige Systemphilosophie, ein gematisches Modell, das Feld beherrscht. Dann hätte man eher die Möglichkeit, über einen Vergleich dieser verschiedenen Modelle zu einer Entscheidung zu kommen, welches das bessere System für die Gesellschaft ist. Aber dieses Bewußtsein wird einfach nicht entwickelt.

SB: Wäre das aus Ihrer Sicht der Entwurf einer etwas anderen Gesellschaft mit einer wesentlich ausgeprägteren Bürgerbeteiligung und Bürgerwissenschaft?

RL: Ja, das ist heutzutage die Diskrepanz. Alle reden von der Wissensgesellschaft, doch wenn neue Begriffe wie Citizen Science auftauchen, tut man sich sehr schwer, sie in Betracht zu ziehen. Dies ist der Schlüsselbegriff dafür, daß die Bürger selber tätig werden sollen und auch die Hürde nehmen können, sich über die akademische Grenze hinweg mit Wissenschaften oder solchen Projekten zu beschäftigen. Leider sind wir in Deutschland noch nicht so weit, es herrscht eine ungeheure Passivität vor, und die Leute sind einfach überfordert. Es ist sehr schade, daß die Kritik am System eGK bisher nicht so vermittelt werden konnte, daß die Bürger in breiter Front aufstehen und sich dagegen wehren. Da stört mich sehr! Aber ich muß ehrlich sagen, daß es auch eine sehr schwere Aufgabe ist, diese Inhalte zu vermitteln. Ich habe mich darangemacht und die einzelnen gematik-Dokumente durchgearbeitet, so gut ich das in meiner freien Zeit konnte, aber es ist eben außerordentlich schwierig.

SB: Sie sind ja nicht nur Informatiker, sondern auch Künstler. Man könnte das zunächst für einen Widerspruch in sich halten, was es aber offensichtlich nicht ist. Ich würde Sie gern zum Abschluß fragen, wie es zu dieser Zweigleisigkeit gekommen ist.

RL: Das hat einen ganz praktischen Grund. Ich konnte von meiner Kunst nicht mehr leben, und da ich mich schon immer für Elektronik und Linux interessiert habe, bin ich in den 90er Jahren zu 100, nein 200 Prozent in die Informatik eingestiegen.

SB: Also waren sie ursprünglich Künstler?

RL: Ich male immer noch, aber es ist heute eher ein Hobby.

SB: Herr Lenkewitz, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnote:

[1] http://www.rdlenkewitz.eu/


Bisherige Beiträge zum Aktionstreffen "Medizin statt Überwachung" in Hamburg im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → MEDIZIN → REPORT:

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23. November 2014