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ARTIKEL/534: Fachtagung - Die Folgen unbehandelter Traumatisierungen bei jungen Menschen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 11/2018

Traumatisierung
Die Zeit heilt nicht alle Wunden


Fachtagung informierte über Folgen unbehandelter Traumatisierungen bei jungen Menschen. Zehn Prozent aller Kinder sind traumatisiert.


Eine schwere Traumatisierung kann jedes Kind treffen: Verkehrsunfall, Mobbing in der Schule, Missbrauch oder Flutkatastrophe - es gibt tausend Möglichkeiten, die die Seele brechen können. Täglich werden Kinder und Jugendliche psychisch schwer verletzt. Allein in Hamburg sind es nach aktuellen Schätzungen jedes Jahr mehrere Tausend.

Seit 2011 gibt es die Ankerland TraumaTage. Nach Einschätzung der Initiatoren ist dies die größte Informations- und Diskussionsplattform im Kinder- und Jugendbereich, die sich in Deutschland mit diesem Thema beschäftigt und sowohl an Profis als auch an Laien adressiert ist. Rund 500 Zuhörer waren zu den TraumaTagen in das Helmut Schmidt Auditorium auf dem Campus der Bucerius Law School gekommen. Das Thema der TraumaTage 2018: "Langzeitfolgen psychischer Traumatisierung junger Menschen für die Betroffenen, ihre Familien und die Gesellschaft."

Traumaexperte Dr. Andreas Krüger ist Initiator vom Ankerland e. V. - Förderverein zur Hilfe schwer traumatisierter Kinder und Jugendlicher. Er fordert den konsequenten Ausbau eines professionellen Versorgungsnetzes für betroffene Kinder: "Wie der Körper, braucht auch die Seele nach schwerer Verletzung eine Behandlung. Aber umfassende Hilfe steht bislang nur unzureichend zur Verfügung. Aufgrund der Versorgungslücke bleibt das Trauma der Betroffenen viel zu oft unerkannt oder wird nur unzureichend therapiert." Bleiben psychische Traumatisierungen unbehandelt, leiden die Betroffenen häufig ein Leben lang an psychischen und körperlichen Folgeerkrankungen. Zu den psychischen Langzeitfolgen gehört unter anderem die Posttraumatische Belastungsstörung. Studien verweisen auf ein vermehrtes Auftreten körperlicher Erkrankungen wie Krebs, Herz-Kreislauferkrankungen und Rheuma. Hinzu kommt ein erhöhtes Suchtrisiko: Erwachsene rauchen etwa doppelt so häufig oder entwickeln eine Abhängigkeit von sogenannten harten Drogen.

Prof. Andreas Maercker aus Zürich referierte zum Thema "Psychische Erkrankungen im Erwachsenenalter als Folge kindlicher Traumatisierung - langes Leiden an sich selbst und Leid für die soziale Umgebung." Hat Suchtverhalten etwas mit Trauma zu tun? Hierzu kam ein klares "Ja" von Prof. Ingo Schäfer, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am UKE. Mehr als die Hälfte der Suchtabhängigen hat ein Trauma in der Kindheit erlitten und betäubt sein unsichtbares Leiden mit Alkohol, Tabletten und/oder Drogen.

Prof. Ulrich T. Egle, Facharzt für psychosomatische Medizin aus Zürich, wies in seinem Vortrag darauf hin, dass anhaltender Stress in der Kindheit die Lebenserwartung verkürzt. Er hielt ein Plädoyer für Prävention. Traumata in der Kindheit führen bei manchen Patienten später zu schweren internistischen Krankheiten wie Diabetes, Krebs oder Herzkrankheiten. Traumatisierte Kinder mit PTBS haben ein 240 Prozent höheres Risiko, nicht das 65. Lebensjahr zu erreichen. Prävention sollte schon bei werdenden Mütter anfangen, lautete sein Appell.

Kunsttherapeutin Nicole Alich aus Berlin schließlich zeigte in Hamburg, wie Künstler mit belastenden Kindheitserfahrungen ihr Leid verwandeln und welche Heilungschancen künstlerische Prozesse ermöglichen.

"Die Erkenntnisse der Experten legen nahe, dass möglichst frühe, traumaspezifische und nachhaltige Behandlungsmaßnahmen sinnvoll sind", lautete das Fazit von Dr. Andreas Krüger. Seit 2008 setzt sich Ankerland für die Schließung einer Versorgungslücke bei traumatisierten Kindern und Jugendlichen ein. Pro Patient fallen laut Ankerland im Durchschnitt rund 8.000 Euro Therapiekosten pro Jahr an. Die durch Fundraising aufgebrachten Mittel sollen langfristig durch öffentliche Kostenträger mitgetragen werden. Gespräche mit Krankenkassen und der Fachbehörde haben bislang zu keinen finanziellen Zusagen geführt. Eine Begründung: Es bestehe kein besonderer Versorgungsbedarf.
(PM/RED)


Info

Mit den TraumaTagen werden über die Fachwelt hinaus Hilfsorganisationen, Betroffene, Studenten und alle Interessierten am Thema angesprochen. So konnten die rund 500 Besucher den Vorträgen der Referenten auch als Laien folgen und Fragen stellen.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts xx/2018 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2018/201811/h18114a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
71. Jahrgang, November 2018, Seite 29
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Dezember 2018

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