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INITIATIVE/110: Gesundheitsmobil Lübeck - 10 Jahre medizinische Versorgung für sozial benachteiligte Menschen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 11/2017

Gesundheitsmobil
Jubiläum - (k)ein Grund zum Feiern?


Das Gesundheitsmobil bietet seit zehn Jahren medizinische Versorgung für sozial benachteiligte Menschen in Lübeck. Zum Jubiläum wurde Bilanz gezogen.


Zehn Jahre Gesundheitsmobil Lübeck wurden kürzlich in den Lübecker media docks gefeiert. Zugleich gingen Podiumsgäste aus Politik, Medizin, Diakonie und Wohlfahrt der Frage nach, warum das Projekt der Gemeindediakonie und der Johanniter-Unfall-Hilfe so dringend gebraucht wird und wie sich Armut auf Dauer bekämpfen lässt.

"Ich würde mir wünschen, dass wir das Gesundheitsmobil irgendwann nicht mehr brauchen." Lübecks Sozialsenator Sven Schindler fasste mit diesem Satz das zentrale Anliegen des Abends "Gemeinsam gegen Armut" zusammen. Neben ihm diskutierten der Mainzer Arzt und Sozialpädagoge Prof. Gerhard Trabert, Gründer des deutschlandweit ersten "Arztmobils", Heike Raddatz-Kossak von der Vorwerker Diakonie, Hans-Martin Grusnick von der Johanniter-Unfall-Hilfe, Pastorin Dörte Eitel als Geschäftsführerin der Gemeindediakonie sowie Sabine Gritzka und Thomas Müller vom Gesundheitsmobil.

Mindestens 35.000 Menschen in Lübeck erhalten soziale Mindestleistungen, so die letzten Erhebungen der Hansestadt. Die Altersarmut steigt rapide an, ebenso die Wohnungslosigkeit, eine Statistik, die allen Beteiligten Sorge macht. Senator Schindler setzte noch nach: "Rund 30 Prozent aller Kinder wachsen in sogenannten Bedarfsgemeinschaften auf", also in Familien, die soziale Leistungen erhalten. "Das sind zu viele", so Schindler. Und obwohl die Arbeitslosenzahl gesunken sei und es gerade für Kinder und Jugendliche zahlreiche Maßnahmen gebe: "Am Ende reicht es nicht."

Trabert kritisierte eine von ihm wahrgenommene "strukturelle Ausgrenzung von Menschen". Jeder verdiene es, wertschätzend und würdevoll behandelt zu werden. Man müsse zu den Menschen hingehen, so wie das Gesundheitsmobil dies eben auch praktiziere. "So bekommen die Menschen wieder mehr Selbstwertgefühl", so Trabert. Auch strukturell müsse sich vieles ändern, forderte er, etwa der Hartz IV-Satz. Die Politik müsse soziale Gerechtigkeit verwirklichen, forderte Trabert, der für sein leidenschaftliches Plädoyer immer wieder Applaus erhielt.

Am Ende des Abends stand erneut die Frage, ob das Jubiläum des Gesundheitsmobils denn überhaupt ein Grund zum Feiern sei. Diese Fragen bejahten die beiden Träger der Einrichtung, die Gemeindediakonie Lübeck und die Johanniter-Unfall-Hilfe: "Es ist ein Grund zur Freude, dass das Gesundheitsmobil seit zehn Jahren - allein durch Stiftungsgelder und Spenden finanziert - Menschen helfen kann", sagte Dörte Eitel. "Und diese Hilfe ist möglich, weil zahlreiche Menschen ehrenamtlich für das Gesundheitsmobil arbeiten."

Gemeinsam appellierten Eitel und Hans-Martin Grusnik jedoch gleichzeitig an die Hansestadt: "Wir starten 2018 in eine neue Förderphase. Noch ist die Finanzierung für das Gesundheitsmobil nicht gesichert. Mittelfristig würden wir uns sehr freuen, wenn das Mobil den Projektstatus verliert und zu einer festen Einrichtung im Gesundheitssystem wird." Denn dass das Gesundheitsmobil in zehn Jahren tatsächlich überflüssig sein wird, daran zweifelten sowohl die Podiumsteilnehmer als auch die rund 100 Gäste an diesem Abend.

Das Gesundheitsmobil ist ein umgebauter Mercedes Sprinter, der als rollender Behandlungsraum wöchentlich zehn Haltestellen in Lübeck anfährt. Mit zwei hauptamtlichen Mitarbeitenden sowie einem ehrenamtlichen Mediziner- und Fahrerteam bietet es kostenlose medizinische Versorgung und psychosoziale Beratung für sozial benachteiligte Menschen in Lübeck an. Das Projekt wird aus Eigenmitteln der Träger und aus Spenden finanziert. Seit 2013 gibt es ergänzend auch die Gesundheitsstation im Haus der Diakonie.

(PM/RED)


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 11/2017 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2017/201711/h17114a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
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Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

- Dr. Dietrich Schröter und seine Frau Hannelore Schröter wurden nach zehn Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit beim Gesundheitsmobil verabschiedet.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, November 2017, Seite 21
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2017

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