Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → SOZIALES


MEDIEN/956: Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt - seit 150 Jahren regionales Sprachrohr (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 11/2016

ÄRZTEBLATT
Regionales Sprachrohr

Von Dr. Karl-Werner Ratschko


Seit 150 Jahren gibt es schleswig-holsteinische Ärzteblätter. In ihnen lässt sich die Geschichte der regionalen Standespolitik verfolgen.


Im Jahr 1867 entstand als Folge des deutsch-dänischen (1864) und des preußisch-österreichischen Krieges (1866) aus den Herzogtümern Schleswig und Holstein die preußische Provinz Schleswig-Holstein mit dem Regierungssitz in Schleswig. Die Entwicklung der medizinischen Wissenschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit der verbindlichen akademischen Ausbildung der Ärzte sowie der zunehmend selbstverständlicher werdenden Gepflogenheit in der Bevölkerung, im Krankheitsfall ärztlichen Rat hinzuzuziehen, führten zu einer immer größer werdenden Bedeutung des ärztlichen Standes, ohne dass staatliche Regelungen mit dieser Entwicklung Schritt hielten. 1852 war in Preußen der Einheitsstand "prakt. Arzt" mit akademischer Ausbildung und staatlicher Approbation geschaffen worden. Hieraus hatten sich für die wirtschaftliche Sicherung und das Ansehen des ärztlichen Berufes jedoch keine Fortschritte ergeben, da Scharlatane und selbsternannte Wunderheiler weiterhin unbeeinträchtigt ihr Unwesen treiben konnten. Preußische Ärzte, zu denen ab 1867 auch die schleswig-holsteinischen Ärzte gehörten, waren disziplinarrechtlich Beamten gleichgestellt, mussten einen Berufseid auf den König ablegen, vierteljährlich Berichte erstellen, eine Medizinaltaxe bei ihren Rechnungsstellungen zugrunde legen und waren nach § 200 des Preußischen Strafgesetzbuches zur unentgeltlichen Hilfe bei Bedürftigen (Kurierzwang) verpflichtet. Diese Pflichten wurden ihnen abverlangt, ohne dass entsprechende Rechte gewährt wurden wie z. B. regelmäßiges Einkommen, eine gesicherte Altersversorgung und Mitbestimmung in medizinalpolitischen Angelegenheiten.

Anfänge der "Mittheilungen des Vereins"

Die durch den Anschluss an Preußen verlangte Anpassung an die Bestimmungen des preußischen Staates schien für die schleswig-holsteinische Ärzteschaft der geeignete Zeitpunkt zu sein, Maßnahmen zur Wahrung ihrer Interessen zu ergreifen. Eine kleine Gruppe der etwa 400 approbierten schleswig-holsteinischen Ärzte in der sich abzeichnenden neuen preußischen Provinz sah die Lösung in der Schaffung eines landesweiten Ärztevereins. So wurde der "Verein für die schleswig-holsteinischen Ärzte" am 8. Juni 1865 anlässlich des 3. Baltischen Kongresses in Kiel gegründet. Zum Zeitpunkt der Konstituierung am 18. Oktober 1865 hatte der Verein bereits 142 Mitglieder. Der Provinzialverein sollte sich nach den Vorstellungen seines ersten Vorsitzenden Carl-Christian Bartel (1822-1878) vorrangig mit der wirtschaftlich schlechten Lage der Ärzte, dem niedrigen Ansehen des Berufsstandes durch Quacksalberei und der Missachtung der Kollegen untereinander befassen. Die Förderung der allgemeinen Wohlfahrt durch Einwirkung auf Gesetzgebung, Verwaltung und Volksaufklärung sollte eine weitere wichtige Aufgabe sein. Lokalvereine sollten den Verein Schleswig-Holsteinischer Ärzte unterstützen und die Verbindung zu den einzelnen Ärzten aufrechterhalten.

Da örtliche Ärztevereine kaum vorhanden waren, sich erst allmählich bilden mussten und ihrerseits wie auch die einzelnen Ärzte untereinander hohen Informationsbedarf hatten, dem durch persönliche Kontakte nicht zu genügen war, kam es schon am 18. April 1866, also vor gut 150 Jahren erstmals zum Erscheinen eines schleswig-holsteinischen "Ärzteblattes", der "Mittheilungen für den Verein Schleswig-Holsteinischer Ärzte". Herausgeber war der Vorstand des Vereins, federführend der Kieler Medizinalbeamte und ab 1866 a.o. Professor für Gerichtliche Medizin an der Christians-Albrechts-Universität zu Kiel, Johannes Bockendahl (1826-1902). Bockendahl war zu dänischen Zeiten Leiter des Medizinalwesens in Holstein, später preußischer Regierungs- und Medizinalrat, gehörte neben Bartel, Wallichs sowie Steinkamp zu den Gründern des Vereins und war ab 1878 auch dessen Vorsitzender. Die anfängliche Erscheinungsfolge der "Mittheilungen" mutet heute seltsam an. Die ersten sieben Hefte erschienen im zweijährigen Abstand und berichteten über die jährlichen Sitzungen der Mitgliederversammlung, damals noch Generalversammlung genannt, über medizinische Fachvorträge sowie über Vereinsangelegenheiten wie z.B. die Abrechnung des Vereinshaushaltes. Auch Mitgliederlisten wurden regelmäßig abgedruckt. Mit dem Vorsitz Bockendahls 1878 änderte sich die Erscheinungsform. Ab Heft 8 im Jahr 1879 erschienen die "Mittheilungen" erstmalig beginnend im dritten Quartal des Vorjahres mit sechs "Stück" pro Jahr und endend im zweiten Quartal des Folgejahres. Ihr Umfang war sehr unterschiedlich und richtete sich nach dem jeweiligen Bedarf.

Themenschwerpunkte

Die Hefte enthielten bis 1925 keine Werbung. Die Berichte über die Generalversammlungen, die jährlich an wechselnden Orten stattfanden, in der Regel jedoch jedes zweite Jahr in der kleinen Aula der Universität in Kiel, und die im Schnitt von etwa 50 Mitgliedern besucht wurden, waren umfassend und gaben einen guten Einblick in das Vereinsgeschehen. Schnell wurde auch in der Berichterstattung der "Mittheilungen" deutlich, dass die Mitglieder im Verein besonders eine Alterssicherung für sich und ihre Familien suchten. Dieses Thema sollte für viele Jahrzehnte noch die schleswig-holsteinischen Ärzte beschäftigen. In der Anfangszeit war hier an eine befriedigende Regelung jedoch nicht zu denken, der jährliche Vereinsbeitrag von zunächst drei, ab 1869 sechs und 1879 zehn Mark bei 150 (1866) bis 250 Mitgliedern (1879) erlaubte nur eine gelegentliche Unterstützung nach Maßgabe der Haushaltslage. Der Hilfsfonds blieb jedoch ein drängendes Thema, da viele Ärzte wegen zu geringer Einkünfte oder aus Nachlässigkeit nicht für ihr Alter bzw. das ihrer Angehörigen sorgten. Anfang der 1870er Jahre gingen die Vorstellungen so weit, dass auch die "Mittheilungen" zugunsten der Altershilfe wieder eingestellt werden sollten. Die damals entstehenden Kosten für die Herstellung eines Heftes in der Größenordnung von etwa 200 Mark (alle zwei Jahre) sollten zur Bezuschussung Hilfsbedürftiger eingespart werden, Überlegungen, denen der Vorstand des Vereins im Interesse einer wirkungsvollen Vereinsarbeit nicht folgen konnte. Eine weitgehend geschlossen auftretende Ärzteschaft war unverzichtbare Notwendigkeit, um den standespolitischen Vorstellungen Nachdruck zu verleihen. 1874 wurde die Fortführung der "Mittheilungen" endgültig beschlossen, ihr Umfang und ihre Erscheinungsfrequenz in den künftigen Jahren ständig gesteigert.

Die Entwicklung des Vereins wurde dadurch begünstigt, dass die Verabschiedung einer novellierten preußischen Gewerbeordnung 1869 tiefgreifende Veränderungen für den ärztlichen Berufsstand brachte. Als Reaktion auf die Forderung der einflussreichen Berliner Medizinischen Gesellschaft mit Zustimmung vieler ärztlicher Vereinigungen wurde der ärztliche Beruf als Gewerbe in die Gewerbeordnung aufgenommen. Lediglich das Führen der Berufsbezeichnung Arzt war weiterhin von einer Approbation abhängig. Im Übrigen entfielen mit Einführung der Kurierfreiheit für die Behandlung von Patienten die Notwendigkeit einer Approbation, der Kurierzwang, die staatliche Bevormundung und die Pflicht zur Anwendung der Medizinaltaxe, damit aber auch u.a. der Schutz vor Konkurrenz der Kurpfuscher sowie vor "Überfüllung" des Berufes durch etwaige restriktive Maßnahmen des Staates. Die Vertreter des "Vereins Schleswig-Holsteinischer Ärzte" hatten der Aufnahme des ärztlichen Berufes in die Gewerbeordnung von Anfang nicht zugestimmt, eine Auffassung, die sich bald in der gesamten Ärzteschaft durchsetzte. Grundsätzliche Beschlüsse hierzu erfolgten 1882 in der Jahresversammlung des Deutschen Ärztevereinsbundes, dem 10. Deutschen Ärztetag in Nürnberg. Die Delegierten der regionalen Ärztevereine, zu denen aus Schleswig-Holstein das Vorstandsmitglied Julius Peter Wallichs (1829-1916) gehörte, beschlossen nunmehr, sich für die Herausnahme ihres Berufes aus der Gewerbeordnung einzusetzen.

Neben berufspolitischen Themen sowie Berichten über die Generalversammlungen und weiteren eher formalen Inhalten wurden medizinische Referate aus den Versammlungen wie auch des Kieler physiologischen Vereins in den "Mittheilungen" ausführlich, selten sogar mit einfachen Abbildungen ausgestattet, wiedergegeben. Beispielhaft sollen hier die Berichte über die Vorträge Friedrich von Esmarchs (1829-1916) genannt werden, der von 1854 bis 1898 Direktor der chirurgischen Universitätsklinik war und besonders in der Kriegschirurgie viele neue Methoden einführte. Im Heft 10 (1881/82) sind allein acht Vorträge Friedrich von Esmarchs wiedergegeben, die sich unter dem Titel "Principiis obsta!" u.a. mit verschiedenen Formen der Krebserkrankungen, der Blutstillung bei Kriegsverletzungen und der Behandlung der Schusswunde des 20. US-Präsidenten James A. Garfield nach einem tödlich ausgegangenen Attentat 1881 befassten. Immer wieder beschäftigten sich die "Mittheilungen" auch mit den zwei epidemiologischen Projekten des Vereins, einer Untersuchung der Schwindsucht, initiiert durch Bockendahl und einer von dem Kieler Ordinarius Heinrich Quincke (1842-1922) beantragten über drei Jahre laufende Morbiditätsstatistik zur Lungenentzündung.

Der Kampf um ärztliche Solidarität

Die durch Allerhöchste Verordnung 1883 im Deutschen Reich errichteten gesetzlichen Krankenkassen sowie weitere einschlägige Gesetzgebungen und das als repressiv empfundene Verhältnis der neuen Krankenkassen zu den schleswig-holsteinischen Ärzten fanden ihren Niederschlag in der Berichterstattung der "Mittheilungen" in den nächsten Jahren. Insbesondere kam es dem Verein darauf an, die erforderliche Solidarität unter den Ärzten herzustellen und Preisdumping für ärztliche Leistungen zumindest einzugrenzen. Erhebungen zu den Auswirkungen des Krankenkassengesetzes wurden durchgeführt.

Die ersten Wahlen zu den am 25. Mai 1887 in Preußen neu geschaffenen Ärztekammern waren für den Herbst 1887 vorgesehen, die Vorbereitungen lagen in den Händen des Vereins, der sich dabei auch seiner "Mittheilungen" bediente. In einer Umfrage wurden die Vereinsmitglieder gebeten, Wahlvorschläge zu machen, deren Ergebnis veröffentlicht wurde. Am 18. Januar 1888 fand die erste Ärztekammersitzung in Schleswig statt. In den Wahlen wurde Julius Wallichs zum Vorsitzenden, weitere Vorstandsmitglieder sowie die Vertreter für das Provinzial-Medizinal-Kollegium und die wissenschaftliche Disputation für das Medizinalwesen bestimmt. Die "Mittheilungen" wurden auch das Mitteilungsblatt der Ärztekammer. So wurden u. a. sämtliche Protokolle von Ärztekammersitzungen abgedruckt. Auch die etwa 25 Prozent der schleswig-holsteinischen Ärzte, die nicht Mitglied des Provinzvereins waren, erhielten auf diese Weise ihr Exemplar der "Mittheilungen".

Ein kleiner, unscheinbarer Beitrag in Heft 12 1892 weist erstmalig auf eine drohende Spaltung in der schleswig-holsteinischen Ärzteschaft hin. Unter dem Titel "Kleine beachtenswerte Ereignisse" wird Folgendes berichtet: "Im Herzogthum Schleswig will es ein Neues werden! Es hat sich daselbst ein 'Cartell-Verband Schleswiger-Ärzte-Vereine' gebildet, dem bis jetzt der Angler, der Flensburger und der Nordost-Schleswigsche Verein angehören." Zu den Aufgaben des neuen Verbandes sollten insbesondere die Wahrnehmung und Förderung der materiellen ärztlichen Interessen wie Aufbesserung des Honorars, das Verhältnis zu den Krankenkassen und die Leitung des Existenzkampfes in standeswürdige Bahnen gehören. Hierzu wollte man Material für Verhandlungen des Provinzvereins und der Ärztekammer vorbereiten. Ganz offenkundig hatte der Verein die durch die Krankenkassengesetzgebung des Reiches größer werdenden existenziellen Sorgen der praktizierenden Ärzte in der Provinz nicht sensibel genug wahrgenommen. Der Unwille der am Patienten tätigen Ärzte, die durch die weitgehend ungehinderte Machtausübung der regionalen Krankenkassen gegeneinander ausgespielt wurden, schaffte sich durch Bildung einer auf der Struktur der Regionalvereine beruhenden Parallelorganisation Raum. Fast alle schleswig-holsteinischen Lokalvereine schlossen sich in den Folgejahren dem Cartell-Verband an. Bezweckt wurde die Abwehr der Übergriffe der Krankenkassen, im Ergebnis richtete sich die Aggression der ärztlichen Basis aber auch bald gegen den Provinzialverein. Der Vorstand des Vereins sah in der Stärkung seines Kommunikationsorgans, der "Mittheilungen", der Beseitigung von dessen Lückenhaftigkeit und dem Versuch, dort vermehrt Möglichkeiten zur Aussprache zu schaffen, einen Lösungsweg. Unter Leitung von Prof. Georg Hoppe-Seyler (1860-1940) wurden die aus Sparsamkeitsgründen zuletzt nur noch halbjährlich erscheinenden "Mittheilungen" in eine "Neue Folge der Mitteilungen" mit ein- bis zweimonatiger Erscheinungsfolge umgestaltet. Hoppe-Seyler war von 1896 bis 1926 leitender Arzt des Städtischen Krankenhauses Kiel, die mit Jahrgang I neu beginnende "Neue Folge" (NF) der Mitteilungen wurden von ihm bis zu ihrer Einstellung durch die Nationalsozialisten Ende 1933 gestaltet.

Schulterschluss zwischen Verbänden

Zunächst wuchsen die Gegensätze zwischen Cartell-Verband und dem ärztlichen Provinzialverein. Der Streit eskalierte, insbesondere die vom Cartell-Verband beklagte starke Repräsentanz von beamteten Ärzten in den Leitungsstrukturen des Vereins und der Ärztekammer wurde immer wieder kritisch vorgebracht. Ende 1899 gelang dem Cartell-Verband und dem Verein schleswig-holsteinischer Ärzte jedoch in Erkenntnis der Tatsache, dass der Gegensatz zwischen beiden schleswig-holsteinischen Verbänden ein abnormer Zustand sei, mit großer Mehrheit eine Kommission einzusetzen, die eine Integration des Cartell-Verbandes in den Provinzialverein durch eine Neuorganisation vorbereiten sollte. Parallel dazu erfolgte übrigens im September 1900 aus genau den gleichen Gründen die Gründung des Leipziger Verbandes, des späteren Hartmannbundes, auf Reichsebene. In Schleswig-Holstein wurden neue Satzungen entworfen, die 1901 zunächst von beiden Parteien, 1902 dann auch vom Land Preußen gebilligt wurden. Künftig sollten die Mitglieder der mittlerweile flächendeckend vorhandenen Lokalvereine von diesen auch im Provinzialverein als Mitglieder angemeldet werden. Der Verein erhielt nun zwei Beschlussgremien. Das eine Gremium war die sich aus den Vertretern der Lokalvereine zusammensetzende neue Vertreterversammlung, das andere die bisher als Generalversammlung bezeichnete Mitgliederversammlung. Die Mitgliederversammlung behielt weitgehend ihre Kompetenzen, mit einigen wichtigen Ausnahmen. Die Vertreterversammlung sollte nunmehr die Wahlen des Vorstands und der Rechnungsprüfer vornehmen und damit entscheidenden Einfluss auf das berufspolitische Handeln des Vereins bekommen. Die Einigung in Schleswig-Holstein verbesserte die standespolitischen Möglichkeiten: Die Ärztekammer beschloss 1903 die Einrichtung zweier Vertragskommissionen, deren Richtlinien für die Ärzte verbindlich sein sollten. Insbesondere die ungenügende Honorierung und die nicht bestehende freie Arztwahl von Krankenkassenmitgliedern sollten im Vordergrund stehen, nicht einzelne Ärzte, sondern ärztliche Kommissionen sollten die Beziehungen der Ärzte zu den Krankenkassen regeln. Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 waren durch Bildung kassenärztlicher Vereinigungen für den Bezirk eines jeden Versicherungsamtes und eines Zweckverbandes kassenärztlicher Vereinigungen auf Provinzebene gute Voraussetzungen geschaffen, die Machtbestrebungen der Krankenkassen einzuschränken. Die wesentlichen Entscheidungen fielen jedoch außerhalb Schleswig-Holsteins: Gerade noch rechtzeitig vor dem Inkrafttreten der Reichsversicherungsordnung am 1. Januar 1914 kam es mit dem Berliner Abkommen Ende 1913 zum Frieden mit den Kassen. Durch die Übergabe der Zulassungsautonomie der Kassen in paritätisch besetzte Vertrags- und Registerausschüsse wurde der erste Schritt zu einer Zusammenarbeit zwischen Kassen und Ärzten vollzogen, mit dem die freie Arztwahl und Kollektiverträge später möglich wurden.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte zu einer weitgehenden standespolitischen Stagnation. Kriegsbedingte Notwendigkeiten beherrschten die Arbeit von Kammer und Verein und prägten auch die "Mitteilungen (NF)". Erst 1924 im 33. Jahrgang wurde ihre Erscheinungsfolge auf das Kalenderjahr umgestellt. Die gleichzeitig versuchte 14-tägige Erscheinungsform eher kurz gehaltener Ausgaben wurde in den Folgejahren nicht fortgesetzt. Ab 1925 erschienen die "Mitteilungen" im Januar beginnend monatlich, ab 1926 enthielten die bis dahin werbefreien Ärzteblätter auch Anzeigenwerbung. In die Zeit der Weimarer Republik fiel 1926 die Verabschiedung der Novellierung eines preußischen Gesetzes über die Ärztekammern, mit dem die bis dahin erlassenen Vorschriften zu Ärztekammern zusammengefasst und modernisiert wurden. Auch weiterhin gab es aber keine deutsche Ärzteordnung und auch das Ausscheiden aus der Gewerbeordnung sollte der im April 1936 in Kraft tretenden Reichsärzteordnung der Nationalsozialisten vorbehalten bleiben. Die standespolitischen Notwendigkeiten, besonders aber auch eine wirkungsvolle Ärzteversorgung, die nach dem damaligen Vorsitzenden der Ärztekammer benannte "Lubinus-Kasse", wurde von der Ärztekammer wahrgenommen, wobei die Verbindungen zum Provinzialverein als Basis berufspolitischer Willensbildung eng blieben. Die lokalen Vereine waren sowohl für den Verein als auch die Ärztekammer weiterhin wichtige Ansprechpartner, die "Mitteilungen (NF)" weiterhin Mitteilungsblatt aller ärztlichen Organisationen im Land. Auch der Deutsche Ärztetag blieb in den Händen des Deutschen Ärztevereinsbundes.

Mitteilungsblätter zur NS-Zeit

Dies alles fand im Jahr 1933 ein unvermitteltes Ende. Auf Anordnung des Reichsärzteführers Gerhard Wagner wurde der Provinzialverein abgewickelt, die Leitung von Provinzärztekammer und Kassenärztlicher Vereinigung ging in die Hände des Nationalsozialisten Hans Köhler (1878-1961) über. Köhler war Leiter des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes im Gau Schleswig-Holstein und als Frauenarzt mit einer kleinen Privatklinik in Neumünster niedergelassen. Bisher vorhandene Beschlussgremien von Kammer, KV und lokalen Ärztevereinen wurden abgeschafft. Das "Führerprinzip" wurde auf allen Ebenen bisheriger ärztlicher Selbstverwaltung eingeführt. Die "Mitteilungen (NF)" wurden Ende 1933 im 42. Jahrgang eingestellt, Hoppe-Seyler wie auch Johannes Lubinus (1865-1937) und andere bewährte Funktionäre aus ihren Ämtern entfernt. Ab Januar 1934 erschien neu das "Ärzteblatt für Hamburg und Schleswig-Holstein", herausgegeben von der Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands in Berlin, bei dem der Teil für Schleswig-Holstein redaktionell zunächst von Fritz Hinrichsen, einem Vertrauten des bald sogar für die Nationalsozialisten untragbaren Hans Köhler bearbeitet wurde. Köhlers Nachfolger wurde der SS-Obersturmbannführer und Chefarzt des Segeberger Krankenhauses Hans Rinne, die Nachfolge Hinrichsens übernahm der Geschäftsführende Arzt der Ärztekammer, nunmehr in Bad Segeberg, Oskar Voigt (1888-1974). Standespolitik fand sowohl im "Ärzteblatt für Hamburg und Schleswig-Holstein" wie auch dem ab 1939 als Nachfolgeblatt erscheinenden "Ärzteblatt für Norddeutschland" nicht mehr statt. Die Hefte hatten nur noch die Aufgabe, die Anordnungen der Reichsärzteführung und des regionalen Leiters von Kammer und KV mitzuteilen. Im Mai 1941 wurde das "Ärzteblatt für Norddeutschland" eingestellt. Für die nächsten sechseinhalb Jahre gab es in Schleswig-Holstein kein Ärzteblatt.

Als Beispiel für den neuen Ton, der nun seitens der Leitung der ärztlichen Organisationen gegenüber den Ärzten herrschte, sei hier nur ein Zitat Köhlers aus seinem "Neujahrsgruß" im Januar 1934 im "Ärzteblatt für Hamburg und Schleswig-Holstein" wiedergegeben. Er gibt schon hier nicht nur den bisher die ärztliche Standespolitik prägenden Anspruch der Ärzte auf Selbstverwaltung auf, sondern droht unverhohlen denen, die dem von den NS-Ärzteführern bestimmten Kurs nicht folgen wollten: "Auch in unserem Stande ist der nötige Umschwung gekommen. (...) Es ist der letzte Appell! Ein weiterer wird nicht mehr folgen, und wer nicht antritt zum Vormarsch, der wird nie da sein! Es soll sich jeder klar sein, daß es nie wieder wird wie vorgestern oder gestern, sondern daß unumstößlich das Nationalsozialistische Reich da ist und da bleibt! An und für sich brauchen wir niemand; wir haben im Kampf mit unseren Widersachern die Arbeit allein gemacht, wir werden sie auch in unserem Staat spielend machen; auch allein, wenn es sein müßte." Im gleichen Heft findet sich noch eine Anordnung des Reichsärzteführers, Schwerbehinderte in Praxen bevorzugt zu behandeln. Auch werden Mitteilungen in nicht genehmigten Zeitschriften untersagt, der Hitlergruß wird verbindlich eingeführt und es erfolgt eine bei Ablehnung mit Strafe bewehrte Verpflichtung der arischen Ärzte, jeden dienstlich abwesenden SA- bzw. SS-Arzt unentgeltlich zu vertreten. Diktion und Inhalt auch aller weiteren Ärzteblätter setzten nicht auf die freiwillige Mitarbeit der Ärzte, sondern ordneten an, drohten mit Nachteilen und erwarteten bedingungslose Gefolgschaft.

Ärzteblatt in der Nachkriegszeit

Die Umstände erforderten es, dass die Ärztekammer und als Teil von ihr die Kassenärztliche Vereinigung nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg im Juni 1945 ihre Tätigkeit auf Anordnung der britischen Besatzungsmacht ohne große Unterbrechung fortsetzte. Die etwas fragwürdige Rechtsgrundlage bildete die um nationalsozialistische Inhalte befreite Reichsärzteordnung des "Dritten Reiches". Als Präsident war Berthold Rodewald (1891-1966), ein aus Schlesien geflüchteter Amtsarzt, tätig seit 1945 in Kiel als niedergelassener prakt. Arzt, eingesetzt worden. Mit einem ebenfalls von den Briten bestimmten Vorstand und einer behelfsmäßig zusammengesetzten Kammerversammlung gestaltete er die Geschicke der Ärzteschaft in der schwierigen Nachkriegszeit. Ein Ärzteblatt erschien mit Genehmigung der Militärregierung erst wieder ab 1948 mit dem 1. Jahrgang als "Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt". Die Schriftleitung hatte bis 1965 der Geschäftsführende Arzt von Kammer und KV Dr. Dr. Curt Walder (1895- ?), sein Nachfolger war Dr. Gerd Iversen (1916-2004). Walder war 1928 Mitarbeiter des Deutschen Ärztevereinsbundes geworden, wurde dann 1936 für die Reichsärztekammer tätig und übernahm 1945 die ärztliche Geschäftsführung der Ärztekammer. Waren es in den Jahren der Schriftleitung Walders besonders die drängenden berufspolitischen Themen, mit denen sich das Ärzteblatt beschäftigte, wie z. B. die Probleme der kassenärztlichen Tätigkeit, die Gestaltung des Kammergesetzes und die Einrichtung einer Altersversorgung für Ärzte legte Iversen den Schwerpunkt auf psychotherapeutische Inhalte und Buchbesprechungen. 1989 übernahmen die Hauptgeschäftsführer der beiden Körperschaften Dr. phil. Bodo Kosanke und Dr. Karl-Werner Ratschko zusammen mit dem Lübecker HNO-Arzt Dr. Heinz-Peter Sonntag die redaktionelle Betreuung. Berufs- und Gesundheitspolitik bildeten jetzt wieder die Schwerpunkte der weiterhin monatlich erscheinenden Hefte; Mitteilungen von Kammer und KV wurden in die unregelmäßig erscheinenden Publikationen "Kammer Info aktuell" und "Nordlicht" ausgelagert. Seit 1999 erschien das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt in alleiniger Herausgeberschaft der Ärztekammer, die KV baute ihr Mitteilungsblatt "Nordlicht aktuell" zu einem Publikationsorgan für die Vertragsärzte aus. Seit 2009 leitet der Journalist Dirk Schnack das in mehreren Verjüngungskuren an die heutige Zeit angepasste "Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt", das in seiner Druckversion mehr als 16.000 Ärzte im Land erreicht.


Dr. med. Dr. phil. K.-W. Ratschko,
Havkamp 23, 23795 Bad Segeberg


 TABELLE: Ergänzende Inhalte im Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt zu dem Artikel 
 (www.karl-werner-ratschko.de) 
1.
Die Ärztekammer Schleswig-Holstein vor der NS-Zeit, Die
Welt der ärztlichen Organisationen in Schleswig-Holstein
vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten.
Schl.-Holst. Ärzteblatt 7
(2010), S. 53-57.

2.
Der Weg der schleswig-holsteinischen Ärzteschaft in das
"Dritte Reich", "Bedingungslose Unterordnung" von Ärzten
gefordert und erbracht.
Schl.-Holst. Ärzteblatt 8
(2010), S. 53-58

3.
"Es muß Schluß gemacht werden mit den Meckerern". Der
Weg von Ärztekammer und KV in Schleswig-Holstein in den
Jahren 1934 bis 1936
Schl.-Holst. Ärzteblatt 11
(2010), S. 64-69

4.
Der mühevolle Weg zu einer leistungsfähigen
Ärzteversorgung
Schl.-Holst. Ärzteblatt 9
(2014), S. 24-27.
5.
Verkammerung als Folge der Professionalisierung des
Berufs
Schl.-Holst. Ärzteblatt 10
(2014), S. 42-49


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

1948
Drei Jahre nach Kriegsende erscheint das erste Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt wieder. Themen sind u. a. die Versorgung der zahlreichen zugewanderten Menschen und die Reform der Sozialversicherung.

1972
Längst erscheint das Ärzteblatt im lange gewohnten Gelb. 1972 wird u. a. über Behandlungsmodelle für Drogengefährdete und über aktuelle gesundheitspolitische Gesetzesvorhaben aus Bonn berichtet.

1999
hat das Ärzteblatt schon das seit einigen Jahren etablierte kleinere Format angenommen. Im Dezemberheft wird über einen gerade im Amt bestätigten Akademieleiter Dr. Franz Bartmann berichtet.

2009
In diesem Jahr verabschiedet sich mit Dr. Karl-Werner Ratschko der langjährige Schriftleiter und frühere Hauptgeschäftsführer der Kammer. Thema ist u. a. eine Demonstration in Kiel mit 250 Ärzten.

2010
wird das Layout professionell überarbeitet. In der Januarausgabe wird u. a. über die medizinische Versorgung auf den Inseln und über den ersten Kongress für vernetzte Gesundheit in Kiel berichtet.

2015
erfolgt eine Auffrischung, die auf breite positive Resonanz stößt. Das größere Format erlaubt mehr Varianten im Layout, Gelb wird aus dem Heft gestrichen. Häufiges Thema ist die Flüchtlingsversorgung.

- Johannes Bockendahl (1826-1902) war ab 1878 Vorsitzender des Vereins SchleswigHolsteinischer Ärzte, der ab 1866 die "Mittheilungen für den Verein Schleswig-Holsteinischer Ärzte" herausgab.

- Georg Hoppe-Seyler (1860-1940) war von 1896 bis 1926 leitender Arzt des Städtischen Krankenhauses Kiel. Er stellte die "Mitteilungen" auf einen neuen Erscheinungsrhythmus um.


Randnotizen

- 400 approbierte Ärzte gründeten 1865 in Kiel den landesweiten "Verein für die schleswig-holsteinischen Ärzte". Ein Jahr später gab dieser erstmals die "Mittheilungen für den Verein Schleswig-Holsteinischer Ärzte" heraus.

- 1941 wurde das "Ärzteblatt für Norddeutschland" eingestellt. Zuvor hatten die Nationalsozialisten nur noch Veröffentlichungen über Anordnungen der Reichsärzteführung, nicht aber Berichte über Standespolitik erlaubt. Erst ab 1948 konnte das "Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt" wieder erscheinen.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 11/2016 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2016/201611/h16114a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

*

Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, November 2016, Seite 22 - 25
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-127, -119, Fax: -188
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.de
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang