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PFLEGE/747: Alarmsignal - Pflegende Angehörige werden durch die Pflege kränker (Uni Bremen)


Universität Bremen - Pressemitteilung vom 8. November 2018

Alarmsignal: Pflegende Angehörige werden durch die Pflege kränker


Rund 2,5 Millionen Pflegebedürftige in der Bundesrepublik Deutschland werden von Angehörigen versorgt. Deutlich mehr als die Hälfte der Pflegenden hat keine Möglichkeiten, jemanden zu finden, der sie zeitweise ablöst. So sind Pausen kaum möglich, und die Hauptpflegepersonen werden häufiger krank als Personen aus Vergleichsgruppen. Das sind Ergebnisse aus dem Pflegereport 2018, den ein Autorenteam des SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik im Auftrag der BARMER erstellt hat.

Im Pflegereport wurden Belastungssituationen und Gesundheitszustände von Hauptpflegepersonen analysiert. Zudem wurden die Auswirkungen der jüngsten Pflegereformen auf die Versorgung der Pflegebedürftigen untersucht. Die Autoren sind Professor Heinz Rothgang und Dr. Rolf Müller. Wesentliche Datengrundlagen sind die Pflegestatistik 2015, die Routinedaten der BARMER sowie eine eigens für das Schwerpunktthema durchgeführte Befragung von 1.862 Versicherten der BARMER.

Zwei Drittel der Pflegenden sind Frauen

Rund 2,5 Millionen Pflegebedürftige wurden im Dezember 2017 durch eine Hauptpflegeperson versorgt. Zwei Drittel davon sind Frauen, ein Drittel Männer. Nur ein Drittel der pflegenden Personen aus der BARMER-Versichertenbefragung 2018 hat eine aktuelle Erwerbstätigkeit angegeben. Allerdings hat ein Viertel angegeben, wegen der Pflege die Erwerbstätigkeit reduziert oder aufgegeben zu haben.

Unterstützung oft nicht ausreichend

Die Hauptpflegeperson muss in der Regel mehrere Aufgaben übernehmen. Dazu gehören Medikamentenversorgung, Unterstützung beim Essen, Unterstützung bei der Mobilität und Unterstützung beim Toilettengang. Sechs von zehn Hauptpflegepersonen wünschen sich in mindestens einem der elf abgefragten Aufgabenbereiche weitere Hilfe. Neben dieser generellen Bedarfslage gibt es Probleme bei der Vertretung. Deutlich mehr als die Hälfte hat gar keine Möglichkeiten, jemanden zu finden, der sich eine oder mehrere Wochen um die pflegebedürftige Person kümmert, so dass die Hauptpflegeperson pausieren kann. Häufig werden wegen hoher Kosten, vermuteter geringer Qualität, fehlender Angebote oder hohem Organisationsaufwand Angebote nicht genutzt. Es wird ein Bedarf deutlich, der aber aus Gründen der Angebotsstruktur oder des Aufwands nicht befriedigt werden kann.

In der Rolle als Pflegender gefangen

Von den Hauptpflegepersonen kommen 87,5 Prozent nach eigenen Angaben meistens oder immer gut mit der Pflege zurecht. Dennoch bekommt ein Großteil nicht genug Schlaf (38 Prozent), fühlen sich 29,9 Prozent der Hauptpflegepersonen in der Rolle als Pflegender gefangen. Jedem Fünften (20,4 Prozent) ist die Pflege häufig zu anstrengend. Bei 22,7 Prozent wirkt sich die Pflege negativ auf Freundschaftsverhältnisse aus. Jeder Fünfte (18,8 Prozent) hat Zukunfts- und Existenzängste.

Pflegende Angehörige sind nicht nur kränker, sie werden auch durch die Pflege kränker. Psychische Leiden sind bei Hauptpflegepersonen mit 48,7 Prozent im Dezember 2017 sehr häufig. In einer nach Alter und Geschlecht strukturgleichen nicht pflegenden Vergleichspopulation haben nur 42,5 Prozent solche Diagnosen. Die Erkrankungshäufigkeit hat bei den Hauptpflegepersonen in den letzten fünf Jahren um 9,1 Prozentpunkte zugenommen und in der Vergleichsgruppe nur um 5,7 Prozentpunkte.

Zukunftsszenarien der Pflegenden

Hochgerechnet ergibt sich aus der BARMER-Versichertenbefragung 2018 eine Gesamtzahl von mindestens 185.000 Hauptpflegepersonen, die kurz davor stehen, die Pflege einzustellen. Weitere über eine Million Hauptpflegepersonen wollen die Pflege nur fortsetzen, solange sich nichts an der Situation ändert. Da sich die Pflegesituation aber häufig im Zeitverlauf verschlechtert, kann auch für diese Gruppe nicht unterstellt werden, dass sie weiterhin die Pflege übernehmen. Die Autoren erkennen darin insgesamt "eine bedrohliche Ausgangslage".

Wunsch nach weniger Bürokratie

Hauptpflegepersonen wünschen sich weniger Bürokratie bei Antragstellungen, würden gern bei Fragen immer dieselbe Fachkraft kontaktieren, hätten gern eine bessere Aufklärung über die Leistungen der Pflegeversicherung und darüber, woher man Hilfe bekommt. " Hier zeigt sich Handlungsbedarf seitens der zentralen Akteure der Pflegelandschaft und der Politik", resümieren die Autoren.

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Quelle:
Universität Bremen
Pressemitteilung 8. November 2018
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2018

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