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SUCHT/608: Fachverband Sucht fordert bedarfsgerechte Finanzierung der Rehabilitationsleistungen (Adhoc)


Fachverband Sucht e.V. - Freitag, 23. März 2012

Stellungnahme zur vorgesehenen Aufstockung des Reha-Budgets

Fachverband Sucht e.V. fordert bedarfsgerechte Finanzierung der medizinischen Rehabilitationsleistungen



Bonn - Die aktuell von der Bundesregierung vorgesehene Aufstockung des Reha-Budgets der Rentenversicherung ab 2017 um 100 Mio. Euro (s. Referentenentwurf RV-Lebensleistungsanerkennungsgesetz" vom 22.03.2012) wird dem steigenden Reha-Bedarf in unserer Gesellschaft nicht gerecht. Erforderlich sind eine kurzfristige Aufstockung des Reha-Budgets und eine dem Bedarf entsprechende Dynamisierung der Reha-Ausgaben. Hierbei sind nicht nur demografische Entwicklungen zu berücksichtigen.

Die Bedeutung der medizinischen Rehabilitation nimmt zukünftig noch deutlich zu

Der Bedarf an medizinischen Rehabilitationsleistungen (incl. Entwöhnungsbehandlungen) nimmt aktuell und zukünftig deutlich zu. Dies hängt zusammen

- mit dem demografischen Wandel unserer Bevölkerung und der damit verbundenen Zunahme chronischer Erkrankungen

- mit einem wachsenden Fachkräftemangel aufgrund der demographischen Entwicklung

- mit der Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre

- mit der Zunahme psychischer Erkrankungen

- mit der steigenden Akzeptanz der Rehabilitation bei Arbeitgebern, Beschäftigten und niedergelassenen Ärzte sowie einer verbesserten Frühintervention.


Die Rehabilitation eröffnet wie kaum ein anderer Behandlungsansatz die Chance für eine umfassende und interdisziplinäre Behandlung chronisch kranker Menschen und deren Verbleib im Erwerbsleben. Gerade vor dem Hintergrund der verlängerten Lebensarbeitszeit stellt die medizinische Rehabilitation eine wichtige flankierende Maßnahme dar, damit diese politische Zielsetzung auch erreicht werden kann.

Rehabilitation und Entwöhnungsbehandlung rechnen sich für die Gesellschaft

Den enormen volkswirtschaftlichen Nutzen der medizinischen Rehabilitation belegt nicht zuletzt eine aktuelle Prognos-Studie ("Die medizinische Rehabilitation Erwerbstätiger - Sicherung von Produktivität und Wachstum"), wonach die Gesellschaft für jeden in die medizinische Rehabilitation investierten Euro fünf Euro gewinnt. Dies geht insbesondere auf die gewonnenen Berufstätigkeitsjahre, geleistete Beitragszahlungen und reduzierte Arbeitsunfähigkeitstage zurück. Die Rehabilitation trägt somit dazu bei, die Sozialversicherungsträger zu entlasten, indem vermieden wird, dass aus Leistungsträgern der Gesellschaft Leistungsempfänger werden. Bezogen auf die gesamten Ausgaben der Rentenversicherung im Jahre 2009 betrugen die Aufwendungen für Rehabilitation lediglich 2,1 % (5,26 Mrd. Euro), deutlich höher lagen diese für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit mit 5,8 % (14,25 Mrd. Euro). Dies zeigt wie wichtig der Grundsatz "Reha vor Rente" auch aus volkswirtschaftlicher Sicht ist.

Die Effektivität der medizinischen Rehabilitation ist auch gerade im Bereich der Abhängigkeitserkrankungen durch vielfältige Untersuchungen zur Wirksamkeit nachgewiesen. So führt der FVS bereits seit dem Jahr 1996‍ ‍einrichtungsübergreifende Studien zur Wirksamkeit der stationären Suchtrehabilitation durch. Diese belegen, dass im Bereich Alkohol-/Medikamentenabhängigkeit über 50 % der Patienten ein Jahr nach der stationären Behandlung abstinent leben. Auch die ambulante und ganztägig ambulante (teilstationäre) Rehabilitation erweisen sich als wirksam. Ferner belegen Untersuchungen der Deutschen Rentenversicherung, dass sich die medizinische Rehabilitation Abhängigkeitskranker lohnt. So sind zwei Jahre nach Ende der Rehabilitation bei Abhängigkeitserkrankungen noch ca. 90 % der Rehabilitanden im Erwerbsleben verblieben, von diesen weisen 59 % sogar eine lückenlose Beitragszahlung auf.

Eine bedarfsgerechte Finanzierung der medizinischen Rehabilitation durch eine Anhebung des REHA-Budgets ist durch die Politik sicherzustellen

Angesichts der zunehmenden Bedeutung und einer steigenden Inanspruchnahme von medizinischen Rehabilitationsleistungen insgesamt (z.B. Psychosomatik, Onkologie, Orthopädie) ist deren bedarfsgerechte Finanzierung sicherzustellen.

Hierzu sei beispielhaft auf den Bereich der Abhängigkeitserkrankungen verwiesen. Aufgrund der weiten Verbreitung von Abhängigkeitserkrankungen (1,3 Mio. Alkoholabhängige, 1,4 - 1,9 Mio. Medikamentenabhängige, 400.000 pathologische Glücksspieler, 220.000 Cannabisabhängige, 175.000 Drogenabhängige) ist auch in diesem Bereich mit einem Anstieg an Leistungen zu rechnen, da derzeit nur ein vergleichsweise geringer Teil abhängiger Menschen mit Rehabilitationsleistungen erreicht wird (Anzahl der Entwöhnungsbehandlungen 2010: 56.997).

Angesichts der zunehmenden Inanspruchnahme medizinischer Rehabilitationsleistungen ist deshalb im Bereich der Deutschen Rentenversicherung (DRV) eine Aufhebung der Deckelung der Ausgaben, welche mit dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz von 1996 eingeführt wurde, vorzunehmen. In den letzten Jahren von 1997 bis 2010 haben im Bereich der DRV die medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen von 629.752 auf 996.154 Maßnahmen zugenommen (plus 58,2 %). Die Bruttoaufwendungen für medizinische und ergänzende Leistungen sind im Unterschied dazu im gleichen Zeitraum aber lediglich von 2.627,5 Mio. Euro auf 3.512,6 Mio. Euro (plus 33,7 %) gestiegen. Betrachtet man den Indikationsbereich der Entwöhnungsbehandlungen, so stieg die Anzahl der ambulanten und stationären Rehabilitationsleistungen im Bereich der Rentenversicherung von 1997 bis 2010 von 41.486 Leistungen auf 56.997 (plus 37,4 %). Die Bruttoausgaben stiegen hingegen lediglich von 424,4 Mio. Euro im Jahr 1997 auf 559,5 Mio. Euro im Jahr 2010 (plus 31,8 %). Damit lag der Zuwachs des Leistungsvolumens insgesamt deutlich über dem Anstieg der Kosten. Somit ist die Effizienz des Rehabilitationssystems in diesem Zeitraum erheblich gestiegen. Dieser Prozess hat aber auch seine Grenzen.

Das REHA-Budget muss an die aktuellen Entwicklungen angepasst werden

Bereits im Jahr 2010 ist das Rehabilitationsbudget der Rentenversicherung aufgrund zunehmender Anträge für medizinische Rehabilitationsleistungen vollständig ausgeschöpft worden. Dieser Trend setzte sich nun im Jahr 2011 weiter fort, so dass es bereits zu Überschreitungen der Rehabilitationsbudgets einzelner Rentenversicherungsträger kam. Zudem stellen sich auch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung die Finanzierungsprobleme der medizinischen Rehabilitationsleistungen zunehmend dramatisch dar. Aufgrund dieser Entwicklung drohen die Rationierung von Leistungen und/oder deutliche Qualitätseinbußen. Aus Sicht der Patienten und der Behandler stellt es beispielsweise keine "Lösung" dar, wenn Behandlungszeiten verkürzt werden, um das gedeckelte Budget einzuhalten. Gerade im Bereich der Abhängigkeitserkrankungen wie auch der Psychosomatik ist der enge Zusammenhang zwischen Behandlungserfolg und der Behandlungsdauer durch viele Untersuchungen belegt.

Rehabilitationsleistungen sind zudem hochkomplexe und personalintensive Leistungen. Eine ausreichende Refinanzierung von steigenden Personal- und Sachkosten ist durch den Leistungsträger sicherzustellen. Diese Mittel benötigen die Einrichtungen dringend für die Weiterentwicklung der medizinisch-therapeutischen Versorgungsangebote, die dafür notwendige Personalentwicklung und die erforderlichen Investitionen. Im "Gutachten zur aktuellen und perspektivischen Situation der Einrichtungen im Bereich der medizinischen Rehabilitation" (2010), erstellt durch GEBERA, Düsseldorf, (s. www.agmedreha.de) wurde bereits festgestellt, dass die tatsächlichen gesamten Kostensteigerungen in Deutschland in den Jahren 2006‍ ‍bis 2010 13,1 % betrugen, die Vergütungssätze in der medizinischen Rehabilitation stiegen in diesem Zeitraum allerdings insgesamt lediglich um 10,0 % bei den allgemeinen Heilverfahren im Bereich der DRV, die Steigerungen im Bereich der GKV lagen noch darunter.

Die Schere zwischen den realen Kostenentwicklungen und den Vergütungssatzerhöhungen ging vor dem Hintergrund des gedeckelten Budgets nun im Jahr 2011 weiter auseinander. So entsprachen die Vergütungssatzsteigerungen auch im Bereich der Rentenversicherung dem Anstieg der prognostizierten Grundlohnrate (ca. 1,1 %). Die Preissteigerungen in Deutschland im Jahr 2011 lagen allerdings deutlich darüber und betrugen bis zum Oktober 2011 bereits 2,5 %, auch die Lohnentwicklung war deutlich höher. So erhielten die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst im Jahr 2011 2,3 % mehr Gehalt, in anderen Bereichen lagen die Lohnerhöhungen noch deutlich darüber. Beispielsweise erbrachte die Tarifeinigung an Unikliniken, dass dort beschäftigte Ärzte/innen 3,6 % mehr verdienen und zudem für die Monate Januar bis November eine Einmalzahlung von 350 Euro erhalten. Darüber hinaus bekommen sie eine Zulage von 20 % für nächtliche Bereitschaftsdienste zwischen 21.00 - 6.00 Uhr. Auch die aktuellen Tarifforderungen im Öffentlichen Dienst übersteigen die vorgesehenen Vergütungssatzentwicklungen bei weitem. Diese Steigerungen im Personalbereich können mit den geplanten Vergütungssatzerhöhungen vor dem Hintergrund des gedeckelten Budgets im Bereich der medizinischen Rehabilitation nicht annähernd realisiert werden. Insofern besteht die deutliche Gefahr, dass hier die Beschäftigten von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt werden.

Angesichts des Ärztemangels und zunehmender Personalengpässe im gesamten medizinisch-therapeutischen Bereich ist es dringend notwendig, dass - auch im Vergleich zu anderen Sektoren des Gesundheitswesens - in der medizinischen Rehabilitation attraktive Arbeitsplätze vorgehalten werden. Dies beinhaltet, dass auch eine angemessene Honorierung der Mitarbeiter/innen in den Rehabilitationseinrichtungen erfolgt.

Die politisch Verantwortlichen müssen angesichts dieser Entwicklungen dafür Sorge tragen, dass eine qualitativ hochwertige Behandlung jedem Versicherten mit entsprechendem Rehabilitationsbedarf auch weiterhin offensteht. Dies erfordert eine kurzfristige Anpassung des Reha-Budgets an die vorhandene Bedarfs- und Kostenentwicklung.

Kontakt:
Ansprechpartner:
Dr. Volker Weissinger
Geschäftsführer
Fachverband Sucht e.V.
Walramstraße 3
53175‍ ‍Bonn
v.weissinger@sucht.de
http://www.sucht.de

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Quelle:
Redaktion GESUNDHEIT ADHOC
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2012