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ARTIKEL/466: Männer im Kreisssaal - "Da ist jedes Wort umsonst" (welt der frau)


welt der frau 4/2010 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Männer im Kreisssaal
"Da ist jedes Wort umsonst"

Von Julia Broucek


Hilflos und wenig nützlich fühlen sich viele werdende Väter bei der Geburt und in den Vorbereitungskursen. Doch das muss nicht so sein. Dass Männer einfach anwesend sind, kann durchaus eine Unterstützung in dieser besonderen Situation sein.


Heutzutage scheint es selbstverständlich, dass der Kindsvater bei der Geburt dabei ist. Der Trend geht sogar so weit, dass manche schief angeschaut werden, wenn sie nicht mitgehen. "Ich habe erlebt, dass viele Männer mit der Situation, in der sich die Frau befindet, überfordert sind. Manche schauen ständig auf die Uhr und fragen, warum das so lange dauert. Oder sie halten es nicht aus, ihre Frau mit Schmerzen zu sehen und 'hilflos' danebenzustehen. Nach vielen Jahren Hebammenarbeit erkenne ich, ob ein werdender Vater geeignet ist, bei der Geburt dabei zu sein", sagt Hebamme Wilbirg Rossrucker. Nach fast 2.000 Geburten weiß sie, dass es "nicht nur schön und lieb ist", wenn ein neues Leben auf die Welt kommt. Und das ist nicht jedermanns Ding.

In den Augen der beistehenden Partner sieht Rossrucker, die seit 1984 Kindern auf die Welt hilft, bunt gemischte Gefühle: Panik, Überraschung - und Tränen. Faszination und Gerührtheit überkommen die Männer. "Ich hab selber manchmal Tränen in den Augen. Eine Geburt ist einfach etwas Besonderes. Jedes Mal", sagt die Geburtshelferin. Ihre Ansicht ist jedoch auch: "Manche Frauen sind besser beraten, wenn Männer nicht dabei sind." Machos hielten das oft nicht aus und zeigen sich durch "blöde Sprüche" stark. Es kommt vereinzelt auch vor, dass Männer hinausgeschickt werden. "Ein Paar hatte sich im Vorhinein ausgemacht, dass er draußen bleibt und nach der Geburt gleich zu Mutter und Kind geht. Beide wollten das so und ich fand ihre Entscheidung toll", sagt Rossrucker.


Das erste Mal

Für Daniel Mavambu aus Wien, Vater seit Oktober 2009, waren Blut, Wehen und Nabelschnur kein Problem: "Ich habe sie sogar abgeschnitten." Für ihn war von vorneherein klar: "Ich bin für meine Frau da und stehe das gemeinsam mit ihr durch. Ich habe sie motiviert, sie gehalten und mit ihr geredet. Mein Puls hat sich mit jeder Stufe der Geburt verändert. Es ist das Schönste, was einem Vater passieren kann", sagt er und erinnert sich an den Moment, als er seinen Sohn Jérémie das erste Mal in den Armen hielt. "Er ist aus uns entstanden. Die Frucht unserer Liebe." Seine Frau Andrea Mavambu Biba-Hörmann wollte, dass Daniel dabei ist: "Das ist etwas Intimes und es sollte dem Partner vorbehalten sein. Wenn Daniel aber nicht gewollt hätte, hätte ich das auch akzeptiert."

Die Vorbereitung bestand für das Paar darin, sich die Räumlichkeiten im Spital anzusehen und Kontakt zu den Hebammen aufzunehmen. Denn: "Wir haben keinen Vorbereitungskurs besucht, sondern alles auf uns zukommen lassen. Ich habe aber einige Zeit vor der Geburt bei einem Therapeuten Übungen gemacht", sagt Andrea. "Die Situation der Geburt ist nicht planbar. Obwohl ich viel gelesen habe, kann mir kein Buch sagen, wie unser Kind auf die Welt kommt", weiß Daniel. Der ausgesuchte Kreißsaal war modern, mit beruhigenden Farben, es sah wie in einem Wohnzimmer aus. Nützlich hat sich Daniel auch dort gemacht: "Ich bin den Hebammen nachgelaufen, als Jérémie heraußen war, und habe seine ersten Momente gefilmt." Etwas Unwiederbringliches.


Vorbereiten für manche ratsam

Gedankliche Sicherheit, obwohl eine Geburt nicht planbar ist, vermittelt ein Geburtsvorbereitungskurs. "Früher, in den Siebzigerjahren, hatte ich manchmal mehr als zehn Paare und wir saßen mit Wollsocken und Latzhosen auf dem Boden. Heute sitzen wir in Sesselrunden. Das kommt den Männern entgegen. Sie bekommen auch etwas zum Mitschreiben, damit sie etwas zum Anhalten haben", sagt Anneliese Kerschbaumer, die seit mehr als 30 Jahren Hebamme ist.

Auch Manfred Kummer, dreifacher Papa und Psychotherapeut in der Männerberatungsstelle Graz, rät: "Den Kurs sollte jeder werdende Vater mitmachen. Es gibt Angebote, wo nicht nur eine Hebamme dabei ist, sondern auch ein männlicher Berater." Information und Reflexion vorab verhindern, dass Männer danach traumatisiert sind, weil es die Möglichkeit gibt, darüber zu reden. "Es ist wichtig, dass Männer wissen, was sie während der Geburt tun können." Ihm kam es zugute: "Ich erinnere mich, dass ich alle drei Geburten positiv erlebt habe. Geängstigt war ich deswegen, weil mir die abfallenden Herztöne des Babys im Bauch Sorgen gemacht haben. Stundenlang war ich hilflos ausgeliefert. Das war sehr schwierig und ich hätte mir mehr Aufklärung von den Ärzten gewünscht." Trotzdem fand er bei der Geburt eine unterstützende Funktion für sich, "wenn sie auch etwas eigenartig war". Ob er sich in seiner "Funktion" bewährt hat, hat er seine Frau nie direkt gefragt, doch "sie hat gesagt, dass es ihr lieber ist, wenn ich dabei bin als eine Freundin".


Wissen, wie mann nichts tut

Männer, die zum Psychotherapeuten Hermann Walchshofer in Linz zur Beratung kommen, um über die bevorstehende oder zurückliegende Geburt zu reden, gibt es nicht. "Werdende Väter sind euphorisch und glücklich, da wird Beratungsarbeit nicht genützt", begründet er die Tatsache. Dafür kann er umso mehr von seinen eigenen Erfahrungen erzählen, da er bei den Geburten seiner drei Kinder dabei war. "Ich machte Phasen der Hilflosigkeit durch. Ich war gefordert zu schauen: Wo bin ich meiner Partnerin eine Hilfe? Das Schwierigste für mich war, da zu sein und nichts tun zu können. In diesen Momenten geht es nicht darum, Lösungen anzubieten oder Ratschläge zu erteilen, sondern zu dienen. Die Hingabe an die Situation war neu für mich." Er stellte sich während der ungewissen Wartezeiten die Frage: Wer bin ich als Mann und wie wichtig bin ich hier? Was macht mich unsicher? Bin ich für das Krankenhauspersonal lästig? Um sich vertrauter zu machen, nahm Walchshofer den Kontakt mit Hebammen und Ärzten immer wieder auf. Als er das Baby dann auf seiner Haut liegen hatte, weil die Mutter noch genäht wurde, wusste er, was zu tun war: "Ich war hundertprozentig da und konnte ihm Wärme geben."

Der dreifache Papa hat sich seinem Gefühl nach immer bewährt und meint, dass sich werdende Väter früher mit ihrer Rolle als Aktive auseinandersetzen sollen. "Es hilft, Väter zu treffen, die schon Erfahrung haben. Die Geburt soll nicht zum Problem werden. Es ist die natürlichste Sache der Welt und man muss sich darauf einlassen."


Hilflosigkeit vorbeugen

Die Tipps von langjährig tätigen Hebammen, wie werdende Mütter während der Geburt unterstützt werden können, sind vielfältig: Der Mann kann die Frau massieren, mit ihr atmen oder ihr nach jeder Wehe etwas zu trinken geben. Die wichtigste Eigenschaft sei aber die Ruhe, die der Partner ausstrahlt, denn sie sei für die Frau wichtig und ansteckend. Unruhig und nervös sind meist jene Männer, die gezwungen werden, bei der Geburt dabei zu sein. Bei Hausgeburten laufe es harmonischer ab als in der Klinik. "Zu Hause fühlen sich die Väter sicherer. Sie wissen, wo sie etwas finden, und können zum Beispiel das Badewasser vorbereiten", sagt Rosa Halmos, die schon mehr als 1.600 Säuglinge außerhalb der Krankenhausluft entbunden hat. Dann seien Männer eine große Stütze und können vielleicht sogar das Gefühl, "eine gebärende Frau durch die Geburt zu tragen", mitempfinden. Auf die Einfühlsamkeit eines Mannes komme es an, dann wären die Partner eine Erleichterung, niemals eine Last, sagen die meisten der befragten Hebammen.

Belastend für Männer - und auch für Frauen - kann die Sexualität nach der Geburt sein. "Rein fokussiert auf sexuelle Probleme nach der Geburt kommen keine Paare zu mir. Es dauert aber - je nachdem, wie schwer die Geburt war -, bis die Wunden verheilt sind und die Frau wieder bereit ist, ihre Sexualität zu leben", sagt Sexualberaterin Doris Krenn aus Linz. "Der Fokus ist auf das Kind gerichtet und Männer fühlen sich oft zurückgesetzt, wenn die Mutter dem Kind mehr Aufmerksamkeit schenkt. Dass zwischen ihnen eine symbiotische Beziehung herrscht, ist den Vätern oft nicht bewusst. Wichtig ist, dass die Partner nicht vergessen, dass sie nach wie vor Mann und Frau und nicht nur Eltern sind, und sich auch Zeit zu zweit nehmen."


Erleichtert und gerührt

Wie sich die "Belohnung" bei Eltern anfühlt, wenn ihr Kind das Licht der Welt erblickt hat, können Unwissende nur erahnen. Konsultierte Väter sprechen von unvergleichlichen Gefühlen, wo Glückshormone verrückt spielen und in unermessliche Höhen katapultiert werden. Ihr Horizont im Leben sei erweitert worden. "Ich war völlig außer mir und hatte das Gefühl, dass ich so stark bin, dass nichts passieren kann", so fasst Hermann Walchshofer seine miterlebte Erstgeburt in Worte. Jegliche Anflüge von Hilflosigkeit und Unsicherheit, die anfangs in seinem Kopf herrschten, waren wie weggeblasen. Die blutige Realität und der Stress vergessen.

Alles rund um sich vergessen hat auch Sozialarbeiter Dieter Geigle während der Geburt von seinem Sohn Emil am 23. Dezember 2009: "Das war unglaublich!" Er war sich seiner Rolle bewusst und vorbereitet, weil er vorab viele Vorträge besucht und Gespräche mit erfahrenen Vätern geführt hatte. "Ich weiß, dass man zum Beispiel bei einem Marathon an seine Grenzen stößt. Hier kann man aufhören, auch wenn man die Ziellinie noch nicht überschritten hat. Bei einer Geburt kann man nicht einfach aussteigen. Hier fängt ein neues Leben an." Als Emil dann auf dem Bauch seiner Partnerin Ulli lag, "war jedes Wort umsonst. Da ist man einfach nur. Ich war dankbar und demütig zugleich. Und ich habe geweint, weil ich froh war, dass meine Partnerin es überstanden hatte."


Bleibt ein Trauma?

"Wenn Männer ihre Gefühle nicht wahrnehmen, ob sie die Extremsituation einer Geburt durchstehen, kann es schon sein, dass die danach traumatisiert sind", sagt Geigle. Umso wichtiger sei es, mit der Partnerin zu reden und sich gegenseitig zu unterstützen. "Nur mitzugehen finde ich nicht sinnvoll. Man muss bereit sein und sich im Vorhinein überlegen: Wo sind meine Unsicherheiten? Was will ich wissen? Was gibt mir Sicherheit? Wen kann ich fragen? Dann kann die Geburt kommen." So könnten seiner Meinung nach ein Trauma oder die Wochenbettdepression, die auch Männer haben können, im Vorfeld auffangen werden. Zu wissen, was alle Beteiligten leisten, mache im Kopf ein anderes Gefühl. Antworten auf die Fragen sollen vor der Geburt gefunden werden. Einfach auf die innere Stimme hören.

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INTERVIEW

"Einfach nur da sein"
Dr. Richard Schneebauer (37), Soziologe und Männerberater, hält Vorträge und Geburtsvorbereitungskurse für werdende Väter


WDF: Immer mehr Männer sind bei der Geburt dabei. Scheint ein Trend zu sein?

DR. SCHNEEBAUER: Ja, heute begleiten mehr als 90 Prozent der werdenden Väter ihre Partnerin bei der Geburt. Das ist eindeutig positiv, denn Vater zu werden gehört sicher zu den spannendsten und aufregendsten Erfahrungen eines Mannes.

WDF: Welche Fragen tauchen bei Männern vor der Geburt auf?

DR. SCHNEEBAUER: Sie wollen wissen, was sie tun können, um ihre Partnerin bestmöglich zu unterstützen. Bei der Geburt geht es aber weniger ums Tun, sondern mehr ums Dasein. Hier beginnt das Problem: Männer tun sich oft schwer mit dem Einfach-nur-da-Sein, stundenlang "einfach nur da sein". Sie sind gewohnt, Lösungen für Probleme anzubieten. Einfach nur da zu sein bedeutet viel und ist wichtig. Das Gefühl der Unsicherheit dabei ist normal.

WDF: Was hilft, damit Männer zuversichtlich sind, dabei sein zu wollen?

DR. SCHNEEBAUER: Vorbereitung kann hier entscheidend helfen, speziell wenn sich Teile davon direkt an Männer richten, das ist mittlerweile auch wissenschaftlich erwiesen. Es gibt Vorträge, Broschüren und vereinzelt auch spezielle Abende innerhalb eines Paarkurses. Bereits ein Abend und eine speziell an sie gerichtete Broschüre geben Männern ein sichereres Gefühl.

WDF: Was ist nach der Geburt? Das ist bei Ihren Vorträgen und Kursen bestimmt auch Thema?

DR. SCHNEEBAUER: Eine der größten Ängste von werdenden Vätern ist die Frage: Gibt es mich nachher auch noch? Viele werdende Mütter quält die Frage: Kann ich den Anforderungen des Kindes und des Partners gerecht werden? Tatsächlich krempelt das erste Kind vieles um.

WDF: Was kann man tun?

DR. SCHNEEBAUER: Ich rate den Männern dann: Seid aktiv! Wenn Frau und Kind sehr eng zusammen sind, dürfen sich Männer nicht schmollend wegdrehen oder sich noch mehr in die Arbeit zurückziehen.

WDF: Welche Lösung gibt es, um zu viel Stress zu vermeiden?

DR. SCHNEEBAUER: Sich realistisch einzuteilen, wie viel ich als Vater da sein will, und das mit der Partnerin immer wieder abzustimmen; besser darüber konstruktiv streiten als nicht darüber reden. Wenn sich Männer mehr einbringen, müssen Frauen lernen, manchen Verantwortungsbereich zu teilen. Das Ergebnis ist ein größeres Verständnis in der Beziehung. Sonst besteht die Gefahr, dass die Schere bald weit auseinanderklafft: Der Mann arbeitet, die Frau ist zu Hause und das gegenseitige Verständnis fehlt.

WDF: Was geben Sie den Männern mit auf den Weg?

DR. SCHNEEBAUER: Eine Aufforderung: Verbringen Sie so bald wie möglich zuerst einzelne Stunden, dann einen ganzen Tag alleine - ich betone: alleine - mit Ihrem Kind. So einen Tag zu schaffen hebt das Selbstwertgefühl und stärkt die Beziehung zum Kind und zur Partnerin.

(Weitere Informationen auf: www.institut-genius.at)

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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
April 2010, Seite 34-39
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2010

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