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GEWALT/242: Studie zur häuslichen Gewalt - Besser nachfragen! (Thieme)


Thieme Verlag / FZMedNews - Freitag, 19. Juli 2013

Besser nachfragen!



Frauen, die unter häuslicher Gewalt leiden, sprechen oft nur ungern darüber - selbst wenn sie sich in den professionellen Händen eines Psychiaters befinden. Auch umgekehrt gibt es Hürden: Für das medizinische Personal ist es nicht einfach, das Problem sofort zu erkennen und anzusprechen. "Entsprechend schwierig ist es, gezielt Hilfe anzubieten", sagt Professor Anita Riecher-Rössler von den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Um herauszufinden, wie häufig das Problem gerade bei Patientinnen in der Psychiatrie ist und welche Risikofaktoren es gibt, hat Riecher-Rössler gemeinsam mit Kollegen eine Befragungsstudie durchgeführt. Die Arbeit erscheint nun in der Fachzeitschrift "Fortschritte der Neurologie Psychiatrie" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2013).

Die Basler Wissenschaftler befragten insgesamt 115 Frauen, die eine psychiatrische Kriseninterventionsstation aufgesucht hatten, nach ihren Erfahrungen mit häuslicher Gewalt. Dabei gaben immerhin 70 Prozent der Frauen an, irgendwann in ihrem Leben in irgendeiner Form von Partnergewalt betroffen gewesen zu sein. Bei elf Prozent war die Gewalt die Ursache für die jetzige Behandlung, und 19 Prozent gaben an, mindestens einmal in ihrem Leben aufgrund häuslicher Gewalt in stationärer Behandlung gewesen zu sein.

"Der Begriff der häuslichen Gewalt umfasst sowohl die Ausübung als auch die Androhung psychischer, physischer oder emotionaler Gewalt", erläutert Anita Riecher-Rössler. Per Definition stammt der Täter dabei aus dem häuslichen Umfeld des Opfers: Ehemann, Partner oder Ex-Partner, Familienangehöriger, Freund oder Bekannter. In der vorliegenden Studie wurde jedoch nur nach Gewaltausübung innerhalb einer Partnerschaft gefragt.

Für die Befragung verwendeten Riecher-Rössler und ihre Kollegen zunächst ein selbst entwickeltes Kurzinterview, das "Screening Partnergewalt" (SPG), und anschließend einen etablierten Fragebogen zur Erfassung von psychischer, sexueller und physischer Gewalt in der Partnerschaft, den "Index of Spouse Abuse" (ISA). "Unseres Wissens ist dies die erste Studie, in der eine psychiatrische Kriseninterventionspopulation nach ihren Gewalterfahrungen befragt wird", betont Anita Riecher-Rössler.

Art und Ausmaß der Gewalt waren dabei erschreckend: Rund ein Drittel der 74 Frauen, die aktuell in einer Partnerschaft lebten, gab in Bezug auf die vergangenen zwölf Monate an, Angst vor ihrem Partner gehabt zu haben. Fast jede fünfte war mit den Fäusten oder in die Kopf-/Gesichtsregion geschlagen worden, 15 Prozent gaben an, ihr Partner benehme sich zuweilen so, als ob er sie töten wolle. Bislang ist es kaum möglich abzuschätzen, welche Frauen besonders gefährdet sind, denn bisherige Studien ergaben zum Teil widersprüchliche Risikofaktoren. Durchgängig erwies sich lediglich eine Scheidung oder Trennung als Risiko für Gewalt, wobei die Reihenfolge dieser Ereignisse meist nicht untersucht wurde. In der vorliegenden Studie waren Frauen mit geringer Schulbildung besonders häufig von häuslicher Gewalt betroffen. Angesichts der Häufigkeit von Gewalterfahrungen und der fehlenden Risikofaktoren halten die Basler Wissenschaftler eine direkte Befragung für unerlässlich: "Patientinnen in der Krisenintervention und in der Psychiatrie nach häuslicher Gewalt zu befragen, sollte zum Standard einer good clinical practice gehören", fordern sie. Die hier eingesetzten Screening-Instrumente könnten dem medizinischen Personal den Zugang erleichtern und hätten sich als gute und aussagekräftige Hilfe erwiesen.


E. Nyberg et al.:
Häusliche Gewalt bei Frauen einer Kriseninterventionspopulation - Formen der Gewalt und Risikofaktoren
Fortschritte der Neurologie Psychiatrie 2013; 81(6); S. 331-336

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Quelle:
FZMedNews - Freitag, 19. Juli 2013
Georg Thieme Verlag KG
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2013