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ARTIKEL/025: Gelähmte Frau steuert DLR-Roboterarm mit ihren Gedanken (DLR)


Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) - 16.05.2012

Gelähmte Frau steuert DLR-Roboterarm mit ihren Gedanken


Fast 15 Jahre lang war eine 58-Jährige US-Amerikanerin infolge eines Hirnschlages gelähmt. Mithilfe eines vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelten Roboterarms, den sie über ein Implantat in ihrem Hirn steuerte, konnte sie zum ersten Mal wieder alleine aus einer Flasche trinken. Nur wenige Momente dauerte es, bis die Probandin die Trinkflasche von dem Roboterarm greifen, zu ihrem Mund führen und anschließend durch einen Strohhalm Kaffee trinken konnte. Dabei entschlüsselte ein Softwareprogramm ihre neuronalen Signale und wandelte diese in Kommandos für Roboterarm und -hand um. Die DLR-Wissenschaftler stellen die Ergebnisse ihrer Kooperation mit der amerikanischen Brown-University, dem US-Ministerium für Veteranen-Angelegenheiten und dem Massachusetts General Hospital in Boston am 17. Mai 2012 im Wissenschaftsmagazin "Nature" vor.

Es ist der 12. April 2011: Konzentriert ist der Blick, mit dem die Schlaganfall-Patientin die Bewegungen des DLR-Leichtbauroboters verfolgt. Während sie sich vorstellt, wie sie die Bewegungen selbst ausführt, sendet ihr Hirn über ein vier mal vier Millimeter großes Implantat die dazugehörigen Signale an einen Computer. Der Roboterarm und die Fünf-Finger-Hand des DLR führen diese entschlüsselten Anweisungen aus, ersetzen der gelähmten Probandin die eigenen Hände und ermöglichen es ihr, aus "eigener Kraft" zu trinken. Nach einem Hirnschlag vor fast 15 Jahren hatte die 58-Jährige nicht nur die Sprache, sondern auch die Fähigkeit, ihren Körper zu bewegen, verloren. Lediglich die Bewegungen des Kopfes und der Augen kann die Teilnehmerin noch bewusst steuern. Als schließlich das erste Mal der Strohhalm den Mund berührt, lächelt die Probandin. "Das war für alle Beteiligten ein großer emotionaler Moment", sagt DLR-Wissenschaftler Prof. Patrick van der Smagt, Projektleiter für den robotischen Anteil des Versuchs, der es erlaubt, über die direkte Kontrolle des Gehirns sogar Gedanken in Handlungen zu überführen.


Nervensignale in Bewegung umsetzen

Bereits 2005 hatten Wissenschaftler der amerikanischen Brown University der 58-Jährigen das Implantat (Neural Interface System) in deren Motor Cortex, eingesetzt - dem Hirnareal, dass für Steuerung der willkürlichen Bewegungen zuständig ist. "2006 konnten wir dann erstmals zeigen, dass gelähmte Menschen über dieses Implantat und ihre Nervensignale die Bewegung eines Computercursors steuern können", erläutert Prof. John Donoghue, Wissenschaftler der Brown University und des "Veteran Affairs Medical Center" in Providence (Rhode Island / USA). Donoghue leitet den neurologischen Anteil der Studie.

Für Patrick van der Smagt Anlass, eine Weiterentwicklung der Studie anzugehen: "Diese Fähigkeit wollte ich mit den Erkenntnissen der Robotik zusammenführen", sagt er. Einen extrem beweglichen Roboterarm mit Hand gab es am Institut bereits: DLR-Roboter Justin ist damit schon seit längerem in der Lage, Gegenstände zu greifen und zu öffnen. 2006 startete das Bionik-Team des DLR-Instituts für Robotik und Mechatronik dann mit einer Machbarkeitsstudie: Sie erstellten ein Softwareprogramm und testeten mit Datensätzen aus den USA die Umsetzung von neuronalen Signalen in Bewegung. Waren bei der Steuerung eines Computercursors nur zwei Dimensionen gefragt, erhöhte sich nun die Komplexität der Aufgaben. Leichtbauroboter und Fünf-Finger-Hand sind in ihrer Beweglichkeit dem menschlichen Arm sehr ähnlich - und somit nicht einfach zu bedienen. Bei ersten Versuchen steuerte die Probandin deshalb zunächst einen Roboterarm auf ihrem Computerbildschirm. Damit die Wissenschaftler die neuronalen Signale richtig deuten konnten, stellte sich die Probandin zunächst vor, den Roboterarm zu kontrollieren, während sie seine Bewegungen beobachtete - dabei wurden die entsprechenden Hirnaktivitäten aufgezeichnet und ausgewertet. Schließlich kam der DLR-Roboterarm zum Einsatz: Zum ersten Mal konnte die Patientin alleine mit der Kraft ihrer Gedanken mit dem Roboterarm ein Weinglas greifen.


Sicherheit bei der Interaktion zwischen Mensch und Roboter

"Besonders wichtig bei den Versuchen ist natürlich, dass der Roboter für die Probandin keine Gefahr darstellt", betont van der Smagt. Dafür sorgen Sensoren im Roboterarm, die kontinuierlich prüfen, ob ein unerwünschter Kontakt zur Umgebung besteht. Tritt dies ein, greift sofort eine spezielle Programmierung, die den Roboter innerhalb von wenigen Millisekunden nachgiebig und somit "kraftlos" werden lässt. Auch die Stärke, mit der die Roboterhand zugreift, sowie die Geschwindigkeit des Leichtbauroboters wurden präzise geregelt.

Die Studie zeigt: Auch bei Menschen, die bereits über einen längeren Zeitraum gelähmt sind, funktionieren die neuronalen Signale in einem Ausmaß, dass sie für die Bewegung von beispielsweise Robotern genutzt werden können. "Der Einsatz von Robotern ermöglicht der Probandin wieder ein wenig mehr eigenbestimmte Beweglichkeit", sagt DLR-Wissenschaftler Patrick van der Smagt. Mit weiteren Versuchen wollen die Wissenschaftler nun herausfinden, wie die Kooperation zwischen Mensch und Robotersystem weiter ausgebaut werden kann.


Die Anwendungen des DLR-Leichtbauroboterarms und der Fünf-Finger-Hand in der Assistenzrobotik, Prothetik und Rehabilitation zeigen die DLR-Wissenschaftler auch vom 22. bis 25. Mai 2012 auf der Fachmesse Automatica in München.

Kontakte

Andreas Schütz
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation, Pressesprecher
mailto:andreas.schuetz@dlr.de

Elisabeth Mittelbach
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Kommunikation, Redaktion Raumfahrt, Verkehr
mailto:elisabeth.mittelbach@dlr.de

Prof. Patrick van der Smagt
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Institut für Robotik und Mechantronik
mailto:smagt@dlr.de

Vollständiger Artikel mit Video auf:
http://www.dlr.de/dlr/presse/desktopdefault.aspx/tabid-10172/213_read-3443/year-2012/

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Quelle:
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Presse-Information vom 16. Mai 2012
Kommunikation, Linder Höhe, 51147 Köln
http://www.dlr.de/


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2012

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