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HINTERGRUND/205: Glanz und Elend eines Heldenlebens - zum 150. Geburtstag von Richard Strauss (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2014

Glanz und Elend eines Heldenlebens
Zum 150. Geburtstag von Richard Strauss

Von Hanjo Kesting



Eine von ihm selbst 1899 uraufgeführte sinfonische Dichtung, in der er ein klangliches Bild der eigenen Künstlerexistenz entwarf, nannte Richard Strauss Ein Heldenleben. Der Komponist war damals 35 Jahre alt und hatte bereits den Gipfel einer Weltkarriere erklommen. Besser, er hatte diesen Gipfel erstürmt, denn stürmische Energie in Verbindung mit orchestraler Virtuosität war von Anfang an das wichtigste Merkmal seines brillant nach außen gewandten Genies. Seine kolossale Signatur steht gleich am Anfang der 1896 uraufgeführten Tondichtung Also sprach Zarathustra im musikalischen Bild des Sonnenaufgangs, das Stanley Kubrick 70 Jahre später für seine Space Odyssey verwendete - triumphal klingt es bis in unsere Tage weiter. Strauss' schöpferischer Überschwang brachte im Jahr darauf die sinfonische Dichtung Till Eulenspiegels lustige Streiche hervor, ein weiteres Jahr später folgte Don Quixote. Gleichzeitig wurde Strauss für zehn Jahre zum Königlichen Kapellmeister an der Berliner Hofoper ernannt. Nach solchen Triumphen konnte er durchaus daran denken, die eigene Laufbahn unter dem Titel "Ein Heldenleben" in Musik zu setzen und mit Zitaten aus früheren sinfonischen Dichtungen zu unmissverständlicher Kenntlichkeit zu bringen. Zwar trägt der letzte Abschnitt des Werkes die Überschrift "Des Helden Weltflucht und Vollendung", aber Strauss' grandiose Laufbahn als Opernkomponist hatte da noch gar nicht begonnen.Weitere 50 ertragreiche Schaffensjahre lagen vor ihm - sie machten ihn, wenn nicht zum größten, so doch zum berühmtesten und materiell erfolgreichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts.

15 Jahre nach seinem Tod attestierte Adorno dem Komponisten des Heldenlebens "den Gestus eines idealisierten großen Industriellen". Das war als Hinweis darauf zu verstehen, dass Strauss' grandioser Aufstieg parallel verlief zur Herausbildung der Industriegesellschaft während des deutschen Kaiserreichs.Ähnliches hatte der englische Musikwissenschaftler Wilfrid Mellers im Sinn, als er Strauss' erstaunliche Bereitschaft konstatierte, die Welt, in der er lebte - die kommerzielle wie die politische -, rundum zu akzeptieren, sei es aus Mangel an Vorstellungsvermögen, sei es aus geistiger Robustheit. Strauss war ein erdgebundener Materialist, dessen schöpferische Potenz im Diesseitigen Genüge fand bis hin zum exzessiven Naturalismus seiner Tonmalereien, gipfelnd in der Alpensinfonie, auf die der Ausspruch gemünzt sein könnte: "Was ein richtiger Musiker sein will, der muss auch eine Speisekarte komponieren können." Thomas Mann hat später im Doktor Faustus seinem Protagonisten Adrian Leverkühn über Strauss die Sätze in den Mund gelegt: "Was für ein begabter Kegelbruder! Der Revolutionär als Sonntagskind, keck und konziliant. Nie waren Avantgardismus und Erfolgssicherheit vertrauter zusammen."

Ein heikles Bündnis

Doch hatte Strauss das Glück, für sein Opernwerk in Hofmannsthal einen Partner von ganz anderem, gegensätzlichen Schlage zu finden, der ihn aufs glücklichste ergänzte, wenn auch in einer eher unglücklichen Beziehung. Hofmannsthal schrieb für Strauss die besten Operntexte, die ein Komponist je zur Vertonung erhielt. Gleichwohl waren die beiden einander fremd und kamen sich trotz großer Erfolge niemals wirklich nahe. Ihr umfangreicher Briefwechsel ist eine für beide Künstler zwar ergiebige, aber dauerhaft peinliche Lektüre. Immer wieder brach der Bajuware lärmend in die gläsern-heikle Welt des Österreichers ein, stets nach der Maxime, der Textdichter habe des Komponisten gehorsamer Diener zu sein. Gleich im ersten Brief, als es um Elektra ging, die Frage: "Es wäre wertvoll, zu wissen, was Sie etwa an Anderem auf Lager haben ... Haben Sie einen schönen Renaissance-Stoff für mich? So ein ganz wilder Cesare Borgia oder Savonarola wäre das Ziel meiner Sehnsucht!" Man denke sich den Dichter zerbrechlicher Verse bei der Lektüre solcher Raubautzbriefe. Die ruppigen Töne fehlten auch später nicht, bis hin zur letzten gemeinsamen Oper Arabella. Wie viel von Strauss hat der Dichter im Baron Lerchenau des Rosenkavalier porträtiert, wie viel im Landbesitzer Mandryka in Arabella, der seine Brautwerbung dadurch untermalt, dass er gegenüber dem Schwiegervater in spe die Geldbörse zückt. Nachdem dieser sich bedient hat, lautet die Regieanweisung: "Mandryka läßt das Portefeuille in seine Brusttasche gleiten. Eine leichte Pause der Verlegenheit." Diese Verlegenheit stellt sich insgesamt ein, wenn man den Weg von Elektra zu Arabella verfolgt.

Man zitiert in der Regel die sechs großen Resultate der Zusammenarbeit von Dichter und Komponist, die tatsächlich einmalig, vielleicht letztmalig war, aber zu erinnern ist auch an die vielen Projekte, die nicht zustande kamen. Hofmannsthals Verdienst liegt zu einem nicht unerheblichen Teil in der Verhinderung jener Stücke, die er Strauss ausreden konnte. Die Liste der Vorschläge, die er ablehnte, manchmal aus sicherem Instinkt, oft aus persönlicher Animosität, gelegentlich einfach deshalb, weil er Strauss jede Geschmacksverfehlung zutraute, wurde schließlich sehr lang: die Französische Revolution im Stile von Sardou, die Renaissance mit viel Saft und Kraft, die Minnesänger mit Pfitzner als neuem Beckmesser und Strauss selbst in der Rolle des Hans Sachs - das alles blieb ungeschrieben.

Die Uraufführung ihrer letzten Oper hat Hofmannsthal nicht mehr erlebt, er starb im Juli 1929. Strauss sah sich bereits am Ende seiner einzigartig erfolgreichen Laufbahn als Opernkomponist. Da traf er auf Stefan Zweig und erkannte in ihm instinktsicher den idealen Hofmannsthal-Nachfolger. Zweig schlug ihm ein Stück des elisabethanischen Dramatikers Ben Jonson, The Silent Woman, als Sujet einer Oper vor: die Geschichte eines lärmempfindlichen Mannes, der auf seine alten Tage die Torheit begeht, eine, wie er glaubt, schweigsame junge Frau zu heiraten, die sich nach der Eheschließung als keifende Xanthippe entpuppt. Strauss ging begeistert darauf ein. Die Arbeit am Textbuch ging zügig vonstatten, begleitet von einem lebhaften Briefwechsel zwischen Garmisch, Strauss' Wohnsitz, und Salzburg, dem Wohnsitz von Stefan Zweig. Bereits im Oktober 1932 war der erste Akt vollendet, im Januar 1933 folgten der zweite und der dritte Akt. Strauss bedankte sich mit einem Brief, in dem er in Notenschrift eines seiner populärsten Lieder zitierte: "Ja, daß ich dich gefunden, du liebes Kind, das freut mich alle Tage, die mir beschieden sind ..."

"Der wird mein Führer sein"

Der Brief trägt das Datum vom 24. Januar 1933. Wenige Tage später, am 30. Januar, wurde Hitler Reichskanzler - das ließ das Verhältnis zwischen Strauss und Zweig nicht unberührt. Zwar verhielt sich der Komponist persönlich loyal gegenüber seinem Textdichter, aber durch seine öffentlichen Aktivitäten stellte er ihre Beziehung auf harte Belastungsproben. Schon im März 1933 unterzeichnete er den berüchtigten Protest der "Wagner-Stadt" München gegen einen Vortrag Thomas Manns, in dem dieser das "germanische Genie" Wagners angeblich verunglimpft hatte. Damit begann die Austreibung Thomas Manns aus Deutschland. Strauss sah auch zu, wie die Nazis Fritz Busch, seinen mehrfachen Uraufführungsdirigenten, aus Dresden verjagten. Und als Nazi-Störtrupps ein Konzert Bruno Walters in Berlin verhinderten, sprang er ebenso bereitwillig als Dirigent ein wie wenig später in Bayreuth, nachdem Arturo Toscanini aus Protest gegen den ersten Juden-Boykott im April 1933 seine Teilnahme bei den Wagner-Festspielen abgesagt hatte. Im November 1933 übernahm Strauss schließlich das Präsidentenamt der Reichsmusikkammer, jetzt die Galionsfigur der nationalsozialistischen Musikpolitik. Bei Goebbels bedankte er sich mit einem Lied ("Das Bächlein", op. 88 Nr. 1), das dem Reichspropagandaminister gewidmet war. Es endet mit dem Vers: "Der mich gerufen aus dem Stein, / Der, denk' ich, wird mein Führer sein". Als Textautor wurde fälschlicherweise Goethe angegeben, wahrscheinlich um dem Text eine gewisse Dignität zu sichern. War es eine Huldigung an die neuen Machthaber? Oder "nur" Opportunismus?

Sogar bei dem verzweifelt kompromissbereiten Stefan Zweig führte das zu ernsthaften Irritationen. In seinen Lebenserinnerungen schrieb er später: "Bei seinem Kunstegoismus, den [Strauss] jederzeit offen und kühl bekannte, war ihm jedes Regime innerlich gleichgültig. Er hatte dem deutschen Kaiser gedient als Kapellmeister und für ihn Militärmärsche instrumentiert, dann dem Kaiser von Österreich als Hofkapellmeister in Wien, war aber ebenso in der österreichischen und deutschen Republik persona gratissima gewesen. Den Nationalsozialisten besonders entgegenzukommen, war außerdem von vitalem Interesse für ihn, da er in nationalsozialistischem Sinne ein mächtiges Schuldenkonto hatte. Sein Sohn hatte eine Jüdin geheiratet, und er mußte fürchten, daß seine Enkel, die er über alles liebte, als Auswurf von den Schulen ausgeschlossen würden; seine neue Oper ('Die schweigsame Frau') war durch mich belastet, seine früheren Opern (nach der 'Salome') durch den nicht 'rein arischen' Hugo von Hofmannsthal, sein Verleger war ein Jude. Um so dringlicher schien es ihm geboten, sich Rückhalt zu schaffen, und er tat es in beharrlichster Weise. Er dirigierte, wo die neuen Herren es gerade verlangten, er setzte für die Olympischen Spiele eine Hymne in Musik und schrieb mir gleichzeitig in seinen unheimlich freimütigen Briefen über diesen Auftrag mit wenig Begeisterung."

Die Oper Die schweigsame Frau, im Juni 1935 in Dresden uraufgeführt, wurde bereits nach wenigen Aufführungen abgesetzt. Noch in letzter Minute hatte die Leitung des Opernhauses versucht, Zweigs Namen auf dem Theaterzettel zu unterdrücken. Das scheiterte an Strauss' Widerstand, aber sein Brief an Zweig vom 17. Juni 1935 - eine Woche vor der Uraufführung - verblüfft noch heute durch die Verbindung geschäftlicher, künstlerischer und politischer Argumente, vor allem aber durch die Unverblümtheit gegenüber seinem Textdichter: "Ihr Brief vom 15. bringt mich zur Verzweiflung! Dieser jüdische Eigensinn! Da soll man nicht Antisemit werden! Dieser Rassestolz, dieses Solidaritätsgefühl - da fühle sogar ich einen Unterschied! Glauben Sie, daß ich jemals aus dem Gedanken, daß ich Germane bin (vielleicht, qui le sait), bei irgend einer Handlung mich habe leiten lassen? Glauben Sie, daß Mozart bewußt 'arisch' komponiert hat? ... Für mich existiert das Volk erst in dem Moment, wo es Publikum wird. Ob dasselbe aus Chinesen, Oberbayern, Neuseeländern oder Berlinern besteht, ist mir ganz gleichgültig, wenn die Leute nur den vollen Kassenpreis bezahlt haben."

Danach erläutert, oder rechtfertigt Strauss seine politische Haltung: "Wer hat Ihnen denn gesagt, daß ich politisch so weit vorgetreten bin? Weil ich für den schmierigen Lausejungen Bruno Walter ein Conzert dirigiert habe? Das habe ich dem Orchester zuliebe - weil ich für den andern 'Nichtarier' Toscanini eingesprungen bin - das habe ich Bayreuth zuliebe getan. Das hat mit Politik nichts zu tun. Wie es die Schmierantenpresse auslegt, geht mich nichts an, und Sie sollten sich auch nicht darum kümmern. Daß ich den Präsidenten der Reichsmusikkammer mime? Um Gutes zu tun und größeres Unglück zu verhüten. Einfach aus künstlerischem Pflichtbewußtsein! Unter jeder Regierung hätte ich dieses ärgerreiche Ehrenamt angenommen, aber weder Kaiser Wilhelm noch Herr Rathenau haben es mir angeboten. Also seien Sie brav, vergessen Sie auf ein paar Wochen die Herren Moses und die andern Apostel und arbeiten Sie nur Ihre zwei Einakter."

Der Brief, wenig einfühlsam gegenüber dem Empfänger, hat Stefan Zweig niemals erreicht. Die Gestapo fing ihn ab, und er gelangte in die Hände Hitlers, der die Absetzung der Schweigsamen Frau vom Dresdner Spielplan anordnete, ohne Strauss seine Gunst völlig zu entziehen; bis zum Ende des Drittes Reiches ließ man ihn ungeschoren. Als Präsident der Reichsmusikkammer trat er am 6. Juli 1935 zurück. Ihm folgte im Amt der Aachener Generalmusikdirektor Peter Raabe. Auf dessen Posten wiederum rückte ein junger, vielversprechender Dirigent: Herbert von Karajan, womit eine andere Erfolgsgeschichte begann. Stefan Zweig starb 1942 im brasilianischen Exil von eigener Hand. Spätestens hier möchte man die letzten Worte seines Textbuches zur Schweigsamen Frau zitieren: "Wie schön ist doch die Musik - aber wie schön erst, wenn sie vorbei ist!"


Hanjo Kesting ist Kulturredakteur dieser Zeitschrift. Soeben erschien im Wehrhahn Verlag Hannover sein Buch Das Geheimnis der Sirenen. Bücher und andere Abenteuer.

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2014, S. 59 - 62
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2014