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HINTERGRUND/211: 6. Internationale Schostakowitsch-Tage Gohrisch (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 7 vom 21. April 2015

Von Schostakowitsch diesmal zu Arvo Pärt
Die 6. Internationalen Schostakowitsch-Tage gibt's schon im Juni

Ein Gespräch mit der Festival-Macherin Katharina Riedeberger von Michael Ernst


Nach wie vor sind die 2010 ins Leben gerufenen Internationalen Schostakowitsch-Tage Gohrisch weltweit das einzige Festival, das sich explizit dem Schaffen von Dmitri Schostakowitsch verpflichtet sieht. Genau 50 Jahre, nachdem der russische Musiker in diesem ersten Kurort der Sächsischen Schweiz sein 8. Streichquartett und damit seine einzige außerhalb der Sowjetunion entstandene Komposition schuf, wurde hier das Wagnis gestartet, abseits der großen Kulturzentren ein neues Musikfest zu starten. Eine Menge Enthusiasmus war damals vonnöten, um diese Vision Realität werden zu lassen. Mit-Macherin Katharina Riedeberger erinnert sich und blickt im UJ-Gespräch vor allem nach vorn.


UJ: Sie gehören zu den Gründungsmitgliedern des Vereins Schostakowitsch in Gohrisch e.V. und können sich nach den ersten fünf Jahrgängen ein Resümee erlauben. Was ist denn das Besondere der Internationalen Schostakowitsch-Tage?

Katharina Riedeberger: Der überwältigende Zuspruch von Gästen aus Nah und Fern, darunter auch bereits viele Stammgäste, gibt uns Recht: Wenn es dieses Festival für Schostakowitsch nicht gäbe, hätte man es genau so erfinden müssen. Die Konzentration auf das Leben und Werk von Dmitri Schostakowitsch macht dieses Festival einzigartig. Durch die Weitung auf seine Weggefährten und Zeitgenossen, inzwischen aber auch auf lebende Komponisten, die Schostakowitschs Tradition weiterführen, bekommt jeder Jahrgang seine unverwechselbare Note.

Beispielhaft ist der Enthusiasmus sowohl der Künstler als auch des Publikums, immerhin ging der vorige Jahrgang mit einem Publikumsrekord zu Ende. Und das bei einem Programm mit überwiegend Musik des 20. und 21. Jahrhunderts! Damit stießen wir auf ein unglaublich aufgeschlossenes Publikum, das sich richtig gern darauf einlässt.

Einmalig ist auch die Organisation selbst: Die beiden Aufenthalte von Dmitri Schostakowitsch in Gohrisch, 1960 und 1972, sowie vor allem das beim ersten Besuch dort entstandene 8. Streichquartett haben nicht nur die Vereinsmitglieder, sondern auch einen großen Teil der Bevölkerung regelrecht infiziert. Mit enorm viel Initiativgeist wird hier das Programm entwickelt, werden Mitwirkende angefragt und Unterstützer gesucht, wird Werbung betrieben und der Kartenverkauf organisiert.


UJ: Das Festival startete 2010 in einer zur Konzertstätte umfunktionierten Scheune. Ab dem zweiten Jahr fand es mit diversen akustischen und klimatischen Einschränkungen in einem eigens errichteten Zelt statt. Dieses Jahr geht es wieder in die Scheune zurück und wird erstmals nicht im September, sondern schon im Juni stattfinden. Warum diese Änderungen?

Katharina Riedeberger: Die Scheune war ein gemeinsamer Wunsch der Sächsischen Staatskapelle Dresden und unseres Publikums. Sie ist akustisch ziemlich ideal und bietet einen unverwechselbaren Charme. Da sie einer Agrargenossenschaft gehört und im Herbst natürlich der Ernte vorbehalten ist, wurde der neue Termin erforderlich. Wie in den vergangenen Jahren haben wir auch diesmal erlebt, dass man dem Festival sehr gern entgegengekommen ist und sich auch vor Ort auf ein Wiedersehen und -hören mit der Konzertscheune freut. Ein stetig wachsender Zuspruch sowohl von überregionalen und internationalen Besuchern als auch die Treue der Stammgäste stimmt uns absolut hoffnungsvoll. Schließlich wird damit die Arbeit von allen Beteiligten honoriert, denn die Menschen vertrauen der Qualität unseres Festivals.

Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass bereits über 100 Festivalpässe verkauft waren, bevor überhaupt das Programm bekannt gegeben war. Mit solch einem Pass, der für 180 bzw. 210 Euro pro Person zu allen Veranstaltungen einen festen Platz garantiert, liegt man ganz bestimmt nicht falsch.


UJ: Was wird nun in diesem sechsten Jahrgang zu erwarten sein?

Katharina Riedeberger: Auch im Jahrgang 2015 wird die künstlerische Weitung des Festivals fortgesetzt. Neben Dmitri Schostakowitsch werden mit Arvo Pärt und Vsevolod Zaderatsky zwei weitere Komponisten vertreten sein, die den dreitägigen Ausflug nach Gohrisch unbedingt lohnen. Von Arvo Pärt, der zu den meistgespielten Komponisten der Gegenwart zählt und im September seinen 80. Geburtstag begeht, werden so populäre Werke wie "Fratres" zu hören sein. Der estnische Komponist ist ungemein populär und wird zu den Schostakowitsch-Tagen auch persönlich erwartet.

Zaderatsky hingegen dürfte auch vielen Musikliebhabern relativ unbekannt sein. Er war als Student der letzte Musiklehrer der russischen Zarenfamilie und erhielt deswegen sowie wegen seiner adligen Herkunft in der Sowjetunion ein lebenslanges Aufführungsverbot. Der Pianist Jascha Nemtsov hat sich ausgiebig mit dieser Persönlichkeit befasst und stellt in Gohrisch nun erstmals den gesamten Zyklus der "24 Präludien und Fugen" vor, den Zaderatsky 1937/38 unter unsäglichen Bedingungen im Gulag schuf. Damit wird auch eine künstlerische Brücke zu den erst Jahre später entstandenen Präludien und Fugen von Schostakowitsch geschlagen.

Raritäten gibt es natürlich auch wieder von ihm: In den insgesamt sechs Konzerten werden dieses Jahr neben mehreren Streichquartetten eine unvollendete Violinsonate von Schostakowitsch sowie ein Querschnitt aus seiner Filmmusik zu "Das neue Babylon" zu hören sein. Dass es unserem Künstlerischen Leiter Tobias Niederschlag gelungen ist, das vor siebzig Jahren gegründete Borodin-Quartett einzuladen, macht uns sehr glücklich, denn es steht in ganz besonderer Weise für genau dieses Repertoire. Gründungsmitglied an der Bratsche war der spätere Dirigent Rudolf Barschai, der 2010 den ersten Schostakowitsch-Preis unseres Festivals erhielt. In diesem Jahr geht dieser Preis natürlich an das legendäre Borodin-Quartett, zumal es diesem Ensemble ein Herzensbedürfnis war, Schostakowitschs 8. Streichquartett endlich einmal in Gohrisch am Ort seines Entstehens aufführen zu können.


UJ: Um den Geist dieses Ortes zu bewahren und durch die Generationen weiterzutragen, sind Sie auch an junge Leute herangetreten und hatten in den vergangenen Jahren gesonderte Schulprojekte erarbeitet. Wird dieses Engagement fortgesetzt werden?

Katharina Riedeberger: Selbstverständlich setzen wir auch in diesem Festivaljahr unsere Jugendarbeit fort. Besonders freuen wir uns darüber, dass wir erstmals mit "Rhapsody in School" kooperieren werden - einer bundesweiten Initiative von Künstlern, um Schüler an die klassische Musik heranzuführen. Einzigartig dabei ist, dass Spitzenmusiker direkt zu den Schülern in die Schule kommen und so nicht nur lebendige und lebensnahe Begegnungen entstehen, sondern die Schüler neben der Vermittlung von Musik auch hautnah erleben, wie sich Liebe und Begeisterung für eine Sache auswirken können. Wir konnten dafür den Pianisten Jascha Nemtsov gewinnen und freuen uns riesig darauf!


UJ: Das Festival wäre nicht möglich, würden nicht sämtliche mitwirkende Interpreten stets ohne Honorar in Gohrisch musizieren. Auch dieser Fakt trägt alljährlich zum Gelingen dieses einzigartigen Festivals bei - ist er zukunftsfähig?

Katharina Riedeberger: Ich denke schon, denn das "Honorar", die wunderbare Kraft der Musik, die alle Mitwirkenden erhalten, und die unmittelbare Reaktion des Publikums darauf, ist sowieso unbezahlbar. Trotzdem arbeiten wir natürlich hart an unserer Wirtschaftlichkeit - und sobald wir auch nur einen Cent Überschuss erwirtschaften, wird dieser direkt an die mitwirkenden Künstler fließen! Auch das ist Teil unserer Vision für das Festival, und wir sind damit auf einem guten Weg.


6. Internationale Schostakowitsch-Tage Gohrisch, 9.-21 Juni 2015,
www.schostakowitsch-tage.de

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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 26. Jg., Nr. 7 vom 21.04.2015, S. 9
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
Telefon: 0351/463-328 82
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E-Mail: uj@tu-dresden.de
Internet: www.tu-dresden.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2015

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