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BERICHT/010: Gutzeit, Körner, Gossenhauer - auf Augenhöhe (SB)


Ein Festival vom Kl(F)einsten

Liedersession mit Gruppe Gutzeit, Oma Körner Band und Gossenhauer in HH-Eimsbüttel

Armut und Obdachlosigkeit sind seit jeher Themen für die Weihnachtszeit. Nicht nur, weil der, auf den das Christentum sich beruft, und seine Familie erhebliche Probleme hatten, in jener berühmt gewordenen Nacht mitten im Winter eine Unterkunft und etwas zu essen zu finden, sondern vor allem, weil sich Weihnachten auf allen medialen Kanälen mit Benefizkonzerten, Debattierrunden und promigestützten Spendenaufrufen als die Chance des Jahres anbietet, sich am Elend der Welt schmerzfrei und folgenlos abzuarbeiten. Auch im Krisenwinter 2012 wird vorgezogen, drängende gesellschaftliche Widersprüche nicht nur nicht beim Namen zu nennen, sondern keinesfalls zu ihrer Überwindung aufzurufen. Die Konsumkultur erstrahlt in desto größerer Farbenpracht, als die Kälte der Herzen vergessen und das Kratzen der in winterlichem Frost Draußengebliebenen am warm erleuchteten Fenster des Wohlstandsbürgertums unhörbar gemacht werden soll.

Plakat zum Liederabend - Foto: 2012 by Schattenblick

Foto: 2012 by Schattenblick

Daß es auch anders geht, bewies - angekündigt als Remake eines in ähnlicher Besetzung 2007 gefeierten Events - ein Liederabend am 8. Dezember in Hamburg. Unter dem Stehvermögen signalisierenden Titel "Da sind wir aber immer noch", auf rotem Stern vor dem Hintergrund eines Notenblattes der Internationalen plakatiert, teilte man mit, daß die Zeiten des Widerstandes nicht ganz vorbei sind. In der fast familiären Atmosphäre der "Villa im Park", einer Stadtteilkneipe, entstanden aus einem ehemaligen Klohäuschen am Else-Rauch-Platz mitten in Eimsbüttel, von wo ein Gutteil der auftretenden Musiker "wechkommt", wie der Hamburger sagt, die Anlage und Instrumente zwischen Tresen und Tür auf kleinstem Raum untergebracht, das Keyboard auf der Fensterbank, ein Schlagzeug schon aus Platzmangel durch ein Cajon ersetzt, ließen die Musiker der Gruppe Gutzeit, der Oma Körner Band und der Hamburg Gossenhauer alte politische Stadtteilseligkeit wachwerden.

In Triobesetzung - Foto: © 2012 by Schattenblick

Gruppe Gutzeit
Foto: © 2012 by Schattenblick

Als der Schattenblick Dieter Rentzsch (Akkordeon und Gesang) und Peter Gutzeit (Gitarre und Gesang), Begründer und Namensgeber der Truppe und gleichzeitig ihr Texter und Komponist, zum Interview traf, hatte der fast keine Stimme mehr. Im rheinland-pfälzischen Scheuerfeld hatten sie zwei Tage zuvor ab 6 Uhr früh und in beißender Kälte die Kolleginnen und Kollegen des Automobilzulieferers Faurecia bei einem zwölfstündigen Streik gegen die drohende Vernichtung von hunderten Arbeitsplätzen lautstark unterstützt.

Seit ihrer Gründung im Jahr 2006 engagiert sich die Gruppe, die in verschiedensten Kombinationen zwischen Soloperformance und als fünfköpfige Combo auftritt und an diesem Abend zusammen mit Peter Horn (E-Gitarre und Gesang) in Triobesetzung zu erleben war, auf politischen und Gewerkschaftsveranstaltungen, Streiks und Demos "gegen die abgehobene Oberschicht - für das abgehängte Prekariat". [1] Ihre Songs handeln vom täglichen Überlebenskampf, von der Gentrifizierung der Städte, von Ausbeutung und Obdachlosigkeit. Armuts- und Unmutslieder nennen sie ihre Stücke, die nicht anprangern und runterziehen, sondern Mißstände benennen und Mut zur Gegenwehr machen wollen. Obwohl sie zwei CDs herausgebracht haben - große Konzertsäle füllen sie eher nicht. Ihr Metier ist die Straße, sind die Menschen, für die sie sich engagieren, unter Brücken, in Asylen, vor Fabriken.

Trotz stark eingeschränkten Stimmvolumens hatte es sich Peter Gutzeit nicht nehmen lassen, an diesem Abend dabei zu sein. Kollege Dieter Rentzsch übernahm diesmal die Rolle des Leadsängers, weshalb wohl das neue Stück vom leerstehenden "Haus am Schulterblatt" im Programm fehlte, aber bei den Refrains mischte Peter ordentlich mit. Scheiß auf die Stimmbänder.

Im Konzert - Foto: © 2012 by Schattenblick

Peter Gutzeit
Foto: © 2012 by Schattenblick

Im Konzert - Foto: © 2012 by Schattenblick

Dieter Rentzsch
Foto: © 2012 by Schattenblick

Im Konzert - Foto: © 2012 by Schattenblick

Peter Horn
Foto: © 2012 by Schattenblick

Eher besinnlich begann das "Notprogramm" mit dem Lied von Holger, jenem Holger Hanisch, der, selbst in prekären Verhältnissen aufgewachsen, im ehemaligen Hafenkrankenhaus auf Hamburg St. Pauli ein "CaFée mit Herz" für die Obdachlosen begründete und mit seinen Bettelmärschen auf dem Kiez Euros für die sammelte, die nichts haben, für den Hilfe kein karitatives Anliegen, sondern eine politische Herausforderung war und der 2006 mit nur 56 Jahren verstarb. Jetzt sitzt er, so der Text, auf einer rosa Wolke und blickt entsetzt auf Hamburg, wo sich noch immer nichts geändert hat. Es folgen das Lied vom Pik As, dem berühmt-berüchtigten Obdachlosenasyl, von der Kassiererin "Sabine von Lidl", die die Arbeit zur Maschine gemacht hat, "Unsere Erde" mit der wiederholten Frage, warum diese Welt nicht so sein kann wie unsere Träume und das Lied von den Tränen, die wieder trocknen, auch wenn man ganz unten ist.

Die Melodien und Rythmen zwischen Ballade, Folk und Country sind eingängig, die Texte einfach. Sie handeln, fernab jeder Betroffenheitsschiene, von Menschen, denen es nicht gutgeht in unserem Land und die trotzdem ihr Leben leben - und sie kommen an. Wenn es im Refrain heißt: "Verlierer werden Sieger", klatschen ganz besonders die, denen man ansieht, daß sie keine guten Zeiten haben. Am Ende singen alle begeistert und mit der empfundenen Stärke einer gemeinsamen Position das Faurecia-Lied: "Keiner schiebt uns weg!"

Im Konzert - Foto: © 2012 by Schattenblick

Oma Körner Band - Ilja, Gudrun, Schmiddl, Malte, Jens
Foto: © 2012 by Schattenblick

Die Frage, wieviel Stimmung darf, wieviel Ernsthaftigkeit muß bei gesellschaftskritischen Themen sein, beantwortete anschließend die Oma Körner Band, auch sie in kleinerer Besetzung, auf ihre Weise. Schmiddl (Texte, Moderation und Gesang), Gudrun (Banjo, Gitarre, Harp und Gesang), Jens (Gitarre und Gesang), Ilja (Bass) und Malte (Cajon) bezeichnen sich als Polit-Comedy und Folk-Punk-Pop, und wollen nach eigenem Anspruch linke Veranstaltungen um eine Prise Humor und Lockerness bereichern. [2] Mit einem ironischen Blick auf sich selbst besangen die in die Jahre gekommenen Musiker, die sich auf Friedensmärschen, Gewerkschaftsveranstaltungen, Stadtteilfesten und Country-Festivals einen Namen gemacht haben, die "schrägen Vögel", die das Ostermarschieren nicht lassen können, die Arbeit am Hafen, "Kumpel Peter" und das Treiben in der "Haifischzahnbar". Auch eine eigene Version der Hamburger Stadthymne vom Jung und der Deern mit dem "Tüdelband" gehört ins Programm der Lokalmatadoren. Die Gruppe hat aber auch englischsprachige Folk-Evergreens im Repertoire.

Im Konzert - Foto: © 2012 by Schattenblick

Voller Einsatz Schmiddl
Foto: © 2012 by Schattenblick

Daß Kritik bei aller notwendigen Ablehnung rechter Gesinnung bisweilen über das Niveau der Gegenseite nicht hinauskommt und eher eine Diffamierungskultur befeuert, deren Opfer man als Linker oft genug selbst ist, zeigen die Körners mit dem Refrain ihres Anti-Nazi-Liedes "Deutsche Eicheln", wenn es heißt: "Nazis ha'm die Haare kurz und auch 'nen kürzeren Schniedelwutz." Desungeachtet kam die Oma Körner Band beim Publikum bestens an. Mit ihrem bewegungsfreudigen, extrovertierten und höchst kommunikativen Auftritt, vor allem der beiden Frontmänner Schmiddl und Jens, heizten die Musiker in der Villa ordentlich ein.

Im Konzert - Foto: © 2012 by Schattenblick

Claus und Malte
Foto: © 2012 by Schattenblick

Wer feste kämpft, soll auch feste feiern - das ist die Devise von Claus Vaith und Malte Hansen von den Hamburg Gossenhauern. [3] Gleich zu Beginn schlugen sie mit "Der Traum ist aus" eine Brücke in die siebziger Jahre, als Ton Steine Scherben gelobten, gerade deshalb alles zu geben, "damit er Wirklichkeit wird". Nichts von seiner Gültigkeit hatte auch der zweite Titel Rio Reisers verloren - "Alles Lüge" könnte in Anbracht des wachsenden Bedarfs, krasse Mißstände durch Massenbespaßung und Beschwichtigungsrhetorik zu übertünchen, geradezu zum Leitmotiv der kulturindustriellen Überwältigungsmaschinerie erhoben werden. Zwischen Liedern voller kämpferischem Elan, darunter die gleich zweimal im mehr als zweistündigen Set gespielte Eigenkomposition "Mach mit, reih dich ein", dem großen Hit der Toten Hosen "Hier kommt Alex", überzeugend intoniert von Gastsänger Jan Malte, Bob Dylans Hymne "Forever Young", einschlägigen Disconummern und bewährten Rockhits wechseln die Gossenhauer mühelos zwischen den musikalischen Genres und Stilformen des popmusikalischen Backkatalogs der letzten Jahrzehnte hin und her.

Im Konzert - Foto: © 2012 by Schattenblick

Hier kommt Jan Malte
Foto: © 2012 by Schattenblick

Claus reizt die Klangfülle seiner akustischen Gitarre bis zum Limit aus, wobei es seine Riffs nie daran mangeln lassen, den rhythmischen Akzent eben dort zu setzen, wo er verlustlos in Bauch und Beine des Publikums geht. Malte schlägt das Cajon dazu auf eine Weise, daß die Wucht einer Rockband auch mit der denkbar kleinsten Gruppenformation, dem Duo, auf das Publikum losgelassen wird. Das quittiert den Einsatz der beiden mit frenetischem Jubel, lautstarkem Mitsingen und Tanz auf engstem Raum, als wollte die Menge vor dem Tresen der "Villa im Park" den Beweis antreten, daß nicht die Größe des Ereignisses, sondern der enge Kontakt zu den Musikern jenes Feuer der Gemeinsamkeit entfacht, an dem sich die Menschen schon immer gerne gewärmt haben.

Ernst und Spaß sind bei Claus und Malte kein Widerspruch, weil in allem ein großes inneres Engagement spürbar ist. Das Lied "Warum tu ich das?", eine Selbstreflexion über die ewige Wiederholung gleichlautender Kritik an nicht hinnehmbaren gesellschaftlichen Zuständen und die offensichtliche Wirkungslosigkeit politischen Widerstandes, von dem man aber doch nicht lassen will, legt Zeugnis davon ab, daß Unterhaltung nicht bloß Ablenkung von den Widrigkeiten des Alltags sein muß, sondern auch Mut zum Kämpfen machen kann. Zu erleben, wie sehr ein mit einfachen Mitteln arbeitendes Duo - The White Stripes und The Black Keys lassen grüßen - abräumen kann, teilt einiges über das Verhältnis von Aufwand und Wirkung mit - im Rausch der Megaevents geht manches unter, was in der Intimität eines kleinen Rahmens die Seele künstlerischen Schaffens hervortreten läßt.

Leuchtreklame der 'Villa im Park' - Foto: © 2012 by Schattenblick

Eimsbüttler Szenetreff am Else-Rauch-Platz
Foto: © 2012 by Schattenblick

Man könnte den Abend als eine gelungene Reminiszenz an die alten Zeiten bewerten, man kann aber auch feststellen, daß trotz konsumförmiger Gleichschaltung und werbestrategischen Formatvorgaben die Menschen innerhalb ihrer Reichweite den eigenen Takt diktieren. Die Frage, ob man heute noch mit dieser Musik ein Publikum, auch ein junges, erreichen kann, sie stellte sich an diesem Abend nicht - es war einfach da. Zweifellos war es für alle Beteiligten ein Heimspiel mit viel Eimsbütteler Lokalkolorit, doch gerade das machte den Reiz eines Liederabends aus, der noch Tage nach dem Auftritt von Gutzeit, Oma Körner Band und Claus & Malte Würmer im Ohr machte.

Fußnoten:
[1] http://www.gruppegutzeit.de am 12.12.2012

[2] http://www.omakoernerband.de am 12.12.2012

[3] http://www.hamburg-gossenhauer.de/index.html am 12.12.2012

13. Dezember 2012