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BERICHT/017: David Rovics - Lieder für ein anderes Leben (SB)


Unräumbar-Konzert der Waldbesetzung im Hambacher Forst


Beim Auftritt am Hambacher Forst - Videostill: © 2013 by Isus Chang

David Rovics
Videostill: © 2013 by Isus Chang

Unräumbar soll die Besetzung des akut von weiterer Rodung durch den Energiekonzern RWE bedrohten Hambacher Forstes sein. Unverhandelbar sind auch die Positionen des sozialen und ökologischen Widerstands, die sich der Vernichtung des verbliebenen Rests eines uralten Waldes entgegenstellen. Hier geht es nur bedingt um volkswirtschaftliche Kalkulationen, in denen das eine - etwa Freizeitmöglichkeiten im Naherholungsgebiet - gegen das andere - durch den Braunkohleabbau in Europas größtem Loch geschaffene Arbeitsplätze - abgewogen wird. Auch spielt die zweifellos negative Ökobilanz auf der Seite der CO2-Schleudern des Energieriesen eine zwar argumentative, aber für die Verteidigung des Waldes nicht allein ausschlaggebende Rolle.

Was viele Aktivistinnen und Aktivisten nach der Räumung ihres Camps vor einem Jahr auf der besetzten Wiese am Waldrand sowie den neuerlich besetzten Bäumen in ihrem Widerstand gegen Bulldozer und Rodungsgerät eint, ist die schlichte Erkenntnis, mit dem Wald eine Versammlung lebendiger Organismen gegen den unersättlichen Brand des kapitalistischen Verwertungsbetriebs zu verteidigen. Man könnte auch sagen, der Wald bedarf des Menschen nicht, um zu existieren. Wo der Mensch des Waldes bedarf, geht es fast ausschließlich um Nutzungsinteressen, die in der Regel nicht die der Bäume, Pflanzen und Tiere sind. Angesichts dessen, was dabei alles auf dem Spiel steht, drängt sich der Schluß auf, daß zwischen dem in Staat und Gesellschaft nicht nur verankerten, sondern deren Produktionsverhältnisse maßgeblich beeinflussenden Energiekonzern und den radikalökologischen Aktivistinnen und Aktivisten weniger um das Für und Wider der Braunkohleverstromung und Abholzung gestritten wird, als daß zwischen ihnen Welten miteinander unvereinbarer Gesinnungen, Lebensweisen und Umgangsformen liegen.


Blockade mit Transparent - Videostill: © 2013 by Isus Chang

"Das Loch ist groß - die Folgen größer ..."
Videostill: © 2013 by Isus Chang

Daher war der abendliche Auftritt des Singer/Songwriters David Rovics auf dem Unräumbar-Konzert, das am 3. September auf der besetzten Wiese am Hambacher Forst stattfand, nicht nur eine Gelegenheit, sich unter gleichgesinnten Freundinnen und Freunden an guter Musik zu erfreuen. Er bot auch die Möglichkeit, sich mit der Geschichte anarchistischer wie kommunistischer Bewegungen auseinanderzusetzen und die vielen Kämpfe überall auf der Welt gegen die Zerstörung der Natur, gegen imperialistische Kriege und kapitalistische Ausbeutung Revue passieren zu lassen.

Der zwischen Neuseeland und Europa, den USA und Kanada in linken Zentren und selbstorganisierten Projekten, bei Demonstrationen und Blockadeaktionen auftretende Aktivist und Musiker widmet sich in seinem reichhaltigen Repertoire wichtigen Stationen sozialrevolutionärer Bewegungen, ihrem Auf- und Niedergang wie ihren Siegen und Niederlagen. Er besingt den Widerstand durch mächtige Interessen an die Wand gedrückter Bürgerinnen und Bürger und fordert Kinder auf, sich gegen den Rüpel, der sie von ihrem Spielplatz vertreiben will, zusammenzuschließen. Mit einer gehörigen Portion Selbstironie nimmt sich Rovics - etwa in dem Stück "I'm A Better Anarchist Than You" - der bürgerlichen Auswüchse eines aktivistischen Lebens an, das sich gerade nicht in den Parametern gesellschaftlicher Konkurrenz spiegeln sollte, wenn es der Vereinnahmung durch das, was es zu verhindern und zu bekämpfen gilt, widerstehen will. Ein von Rovics explizit kritisiertes Beispiel für eine derartige Entwicklung ist der opportunistische Kurs jener US-Linker, die nach der Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten politische Entscheidungen guthießen, die sie einem George W. Bush nicht hätten durchgehen lassen.

Der weitgereiste, bei vielen Protesten von lokalen Hausbesetzungen bis zu internationalen Gipfeltreffen mit seinen Songs präsente Musiker kommentiert und berichtet aus erster Hand, wie dies auch in seinen Artikeln nachzulesen ist, die das Magazin Counterpunch regelmäßig veröffentlicht. Rovics ist zudem als Mitglied der traditionsreichen unabhängigen Gewerkschaft Industrial Workers of the World (IWW) aktiv und fest verankert in der großen linken Szene seines Wohnortes Portland in Oregon.


Transparente in Bäumen - Videostill: © 2013 by Isus Chang

So oder so ... der Wald spricht
Videostill: © 2013 by Isus Chang

Aufgewachsen in New York City als Sohn einer zum Teil jüdischen Familie bezieht er auch zum israelischen Siedlerkolonialismus in Palästina Stellung, was ihm in der Bundesrepublik seitens proisraelischer Kreise wiederholt übel genommen wurde. So wurde ein Konzert seiner diesjährigen Konzertreise, das in Freiburg in einem selbstverwalteten Wohnprojekt stattfinden sollte, kurzfristig mit der Begründung abgesagt, der Sänger unterstütze militante Palästinenserorganisationen. Dies veranlaßte Rovics, der dann an einem anderen Ort auftrat, zu einer ausführlichen Stellungnahme, die unter dem Titel "An Open Letter to the German Left - The Antideutsch and me" auf Counterpunch [1] nachzulesen ist. Wer sich die Mühe macht, sich mit den Texten und Kommentaren des Musikers zu befassen, kann angesichts der sich ideologiekritisch gebenden, dabei jedoch herrschende Interessen widerspiegelnden Angriffe auf David Rovics nicht umhin, manchen Menschen ein gebrochenes Verhältnis zur Realität der sich in aller Welt zuspitzenden gesellschaftlichen Gewaltverhältnisse zu attestieren.

Auch an dieser Stelle ins volle Leben greifend mangelt es dem Sänger nie an "Songs of Social Significance", so die Überschrift seiner Webseite [2]. Man könnte ihn auch als musikalischen Chronisten der globalen sozialrevolutionären Bewegung bezeichnen, so umfassend wie detailliert ist das Spektrum der Ereignisse und Entwicklungen, denen er in seinen Liedern Sprache und Gesicht verleiht. Die Spannweite seiner stets deutlich positionierten Texte schlägt eine Brücke zwischen den Kämpfen in den verschiedenen Weltregionen und Ländern, die nicht nur die Notwendigkeit internationaler Solidarität unterstreicht, sondern auch ermöglicht, voneinander zu lernen. Schließlich unterscheiden sich die Probleme, die etwa den antimilitaristischen Aktivistinnen und Aktivisten, die gegen das im Bau befindliche Gefechtsübungszentrum der Bundeswehr in der Letztlinger Heide, in dem der Häuserkampf für die Kriege des 21. Jahrhunderts geübt werden soll, durch den Staat bereitet werden, nicht so sehr von der Repression, mit der Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner in anderen NATO-Staaten konfrontiert sind.

So erinnert Rovics an diesem Abend im Song "Meanwhile In Afghanistan" an die fünf Antimilitaristen, die bei den Protesten gegen den NATO-Gipfel in Chicago im Mai 2012 unter fadenscheinigen Bezichtigungen als Terrorverdächtige verhaftet wurden und bis heute unter Arrest stehen. Die gegen sie gerichteten Anklagen, die zu Haftstrafen bis zu 40 Jahren führen können, resultieren aus der Arbeit zweier Undercover-Agenten, die, wie es in den USA immer wieder geschieht, auf manipulative Weise Terrorismusverdacht erzeugen [3]. Einer der Gefangenen sitzt dauerhaft in Isolationshaft, nur weil er anarchistische Literatur liest. In seinem Lied fragt Rovics, wer die Terroristen sind, und die Antwort fällt angesichts der massiven Unterdrückung antimilitaristischen Protests und der Drohnenangriffe auf die afghanische und pakistanische Bevölkerung nicht schwer.

Blockade auf einem Waldweg - Videostill: © 2013 by Isus Chang

Unwegsames Gelände für unwillkommene Besucher
Videostill: © 2013 by Isus Chang

Weitere Lieder befassen sich mit dem Kampf des Fischerdorfes Cordova in Alaska um die Beseitigung der Schäden, die die Ölkatastrophe des havarierten Tankers Exxon Valdez 1989 hinterlassen hat, und mit dem Widerstand der Navajo auf dem Black Mesa Plateau in Arizona, die sich seit 30 Jahren gegen ihre Vertreibung durch den Kohletagebau [4] wehren. Der irische Befreiungskampf gegen die britische Besetzung wird am Beispiel des Aktivisten Francis Hughes geschildert. Er starb 1981 nach 59 Tagen ohne Nahrung bei dem legendären Hungerstreik im Maze-Gefängnis. Zum von allen mitgesungenen Refrain "Burn It Down" thematisiert Rovics die Verfolgung ökologischer Aktivistinnen und Aktivisten in den USA durch Terrorismusgesetze, die schon die bloße Erörterung direkter Aktionen mit drakonischen Haftstrafen sanktionieren. Wer aus politisch motivierten Gründen darüber spricht, eine Baumaschine oder ein Haus anzuzünden, erhält eine obligatorische Mindeststrafe von 25 Jahren, wer eine solche Tat als Eigentumsdelikt begeht, braucht nicht länger als fünf Jahre in den Knast.


Netze zwischen Bäumen ausgespannt - Videostill: © 2013 by Isus Chang

Mit den Bäumen leben ...
Videostill: © 2013 by Isus Chang

Im Rückblick auf die 1848er-Revolutionen erinnert Rovics daran, daß über lange Zeit aufbauende Bewegungen unter bestimmten Bedingungen innerhalb kurzer Fristen tiefgreifende Veränderungen bewirken können, es also zu einem Momentum des Wandels kommen kann, das sich aus der Theorie und Praxis der organisierten Linken nicht immer erschließen läßt. Musikalisch in der Tradition des von irischen Einflüssen bestimmten Folks der Appalachen verankert und auf den Spuren politischer Sänger wie Pete Seeger, Woody Guthrie und Paul Robeson wandelnd nahm David Rovics die rund 50 Gäste des nachtdunklen Konzerts auf eine Reise durch die so aufregende wie bestürzende Welt sozialer und politischer Konfrontationen mit, die das Publikum nicht in der Rolle bloßer Zuhörerinnen und Zuhörer beließ, sondern zur Stellungnahme in grundlegenden Fragen aufforderte.

Das politische Lied ist in seinen Händen gut aufgehoben, greift der Singer/Songwriter doch nicht auf den historischen Fundus revolutionärer Bewegungen zurück, um sentimentale Geschichten längst verwehter Aufbrüche zu erzählen. Die Auseinandersetzung mit den bedrückenden Erfahrungen der Ausbeutung und Unterdrückung ist, wenn sie zur Befreiung führen soll, stets nach vorne gewandt. Sie vermittelt Einsichten in Strategie und Taktik des sozialen Widerstands, macht Mut zum Überschreiten des von Ohnmacht und Angst belagerten Ereignishorizontes und erinnert daran, daß entschiedenes Eintreten für das im Kalkül kapitalistischer Verwertung und Staatsräson ausschließlich zum Verbrauch vorgesehene Leben keiner Begründung bedarf. Den Moment zu ergreifen gelingt am besten, wie David Rovics - ohne Begleitung durch die ansonsten stets präsente Gitarre - im Lied "Behind the Barricades" schildert, gemeinsam.


David Rovics am Feuer mit Publikum - Videostill: © 2013 by Isus Chang

Auftritt unter archaischen Bedingungen
Videostill: © 2013 by Isus Chang


Fußnoten:

[1] http://www.counterpunch.org/2013/09/25/the-antideutsch-and-me/

[2] http://davidrovics.com/index.php

[3] http://nato5support.wordpress.com/2013/09/05/update-mark-migs-of-the-nato-5-to-spend-six-months-in-solitary-for-anarchism/

[4] http://supportblackmesa.org/1998/10/geopolitics-of-the-navajo-hopi-land-dispute/

Audiovisuelle Mitschnitte des Unräumbar-Konzerts von David Rovics siehe unter
http://www.youtube.com/channel/UCWW9WI9fyVKzQGHXubB8QWA

7. Oktober 2013


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