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BERICHT/025: HipHop von unten - Aufschrei nach Noten ... (SB)


"Unsere Macht liegt auf der Straße! Gegenmacht aufbauen!"

Klassenfest gegen Staat und Kapital am 2. Mai 2015 in Hamburg


Menschenmenge vor der Bühne - Foto: © 2015 by Schattenblick

Foto: © 2015 by Schattenblick

Was sich am 1. Mai in Hamburg an der gängigen Strategie der Polizei entzündete, Menschen mit revolutionären Absichten den Platz zu nehmen, ihren Protest lautstark zu artikulieren [1], wurde am 2. Mai auf ganz andere Weise Wirklichkeit. Auf dem Vorplatz des S-Bahnhofes Sternschanze, also an einem für bewegte Anlässe traditionell zentralen Ort, feierte die radikale Linke der Hansestadt ein Klassenfest. Nicht so eins, auf dem ältere Menschen ihren Jugendzeiten nachweinen und sich darüber wundern, daß mit dem Erlöschen letzter rebellischer Funken das ganze Leben trist geworden ist, sondern das Gegenteil dessen. Die Klasse feiert, und die alltäglich erlebte Ohnmacht verwandelt sich in Zorn, in eine kämpferische Energie, die sich im besten Fall nicht damit begnügt, nur als emotionaler Schattenwurf funkensprühenden Aufbegehrens in Erscheinung zu treten.

Ein gemieteter Truck als Bühne, ein Stand, auf dem Getränke und Essen verkauft werden, um die vermutlich nicht unbeträchtlichen Kosten zu begleichen, und die Straße zum Sitzen, Liegen und Tanzen - dem "Klassenfest gegen Staat und Kapital" kann jedenfalls nicht angelastet werden, einer Eventkultur zu frönen, die beim Publikum schon durchfällt, wenn das Buffet des Catering-Unternehmens nicht mundet. Das Bild der insgesamt 1500 Menschen starken Menge ist geprägt von Jugendlichen, die kein Problem damit haben, sich auf dem harten Pflaster niederzulassen und unter Einsatz größerer Mengen Bieres und spezifischer Rauchwaren zu feiern, was Laune und Kondition hergeben. Ob Punker oder HipHopper, die Menschen lassen es sich gutgehen und bleiben aller Promille im Blut zum Trotz friedlich, was die Polizei nicht daran hindert, am Ende eines langen Tages zu Pfefferspray und Schlagstock zu greifen.


Albino, Veranstaltungsplakat, David Rovics - Fotos: © 2015 by Schattenblick   Albino, Veranstaltungsplakat, David Rovics - Fotos: © 2015 by Schattenblick   Albino, Veranstaltungsplakat, David Rovics - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Auftakt Albino ... internationalistisches Intermezzo mit David Rovics
Fotos: © 2015 by Schattenblick


Zu friedlich, hätte man zu Beginn der Auftritte meinen können, mußten doch die ersten Acts unter großem Einsatz darum kämpfen, die in der Sonne des späten Nachmittags lagernde Menge überhaupt auf die Beine zu bringen. Richtig los ging es erst am Abend. Vielleicht auch, weil es kühler wurde, standen die Menschen von nun an vor der Bühne und ließen sich von den Rappern nicht nur vortragen, sondern antworteten lautstark auf deren Ansagen und Parolen. Wiewohl akustisch nicht immer gut zu verstehen, wurde in den fast durchgängig deutschsprachigen Texten vieles berührt, was die Menschen in den Griff einer Verfügungsgewalt nimmt, die bei aller Krisenhaftigkeit noch lange nicht am Boden liegt, sondern es immer wieder versteht, gesellschaftliche Widerspruchslagen zur Qualifizierung ihrer Herrschaft zuzuspitzen.


Auf der Bühne - Fotos: © 2015 by Schattenblick  Auf der Bühne - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Jennifer Gegenläufer - "Weder schweigen noch missionieren"
Fotos: © 2015 by Schattenblick


Zwischen der alltäglichen Unterdrückung am Arbeitsplatz, der in der Arbeitsagentur erlittenen Demütigung, der Repression durch die Polizei, den in aller Welt aufflammenden Kriegen, der Zerstörung der Natur und dem Mut zu revolutionärer Veränderung wurde nichts ausgelassen, was kapitalistisch vergesellschaftete Menschen unter Druck setzt, zur Verzweiflung treibt und, wenn der Rückzug ins Private nicht obsiegt, aufbegehren läßt. Obwohl im Interview mit einem der Organisatoren vom Revolutionären 1. Mai-Bündnis zuvor der Eindruck entstehen konnte [2], daß versucht werden sollte, junge, nicht einer linken Szene zugehörige Menschen auch mit Hilfe unterhaltsamerer und weniger agitatorischer Musik zu erreichen, ließ der Grundtenor an kämpferischer Energie nichts zu wünschen übrig.


Rapper auf Bühne - Fotos: © 2015 by Schattenblick   Rapper auf Bühne - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Kaveh - "Lieber einen Tag in Freiheit als 100 Jahre in Ketten"
Fotos: © 2015 by Schattenblick


Das wirkte durchaus konsequent für ein "Hip-Hop Openair For The Lower Class", waren es doch die inhaltlich am meisten zur Sache des Kapitalismus und seiner Überwindung sprechenden Rapper, die auf die größte Resonanz beim Publikum stießen. Zudem kamen die zumeist jungen Menschen aus einer eher proletarischen Ecke, wo man beim Feiern nicht so sehr auf die Etikette achtet und ohnehin keinen Ruf zu verlieren hat. Die einzige Freiheit, die der "Outer Class" - so schrieb US-Präsident Bill Clinton einmal die Unumkehrbarkeit vollzogener Ausgrenzung fest - bleibt, besteht darin, dem Imperativ der Unterwerfung nicht mehr Folge leisten zu müssen, weil es ohnehin nichts mehr zu gewinnen gibt.


Auf der Bühne mit und ohne Vermummung - Foto: © 2015 by Schattenblick   Auf der Bühne mit und ohne Vermummung - Foto: © 2015 by Schattenblick

Derbst One und S. Castro - "Wer nicht kämpft, hat schon verloren"
Foto: © 2015 by Schattenblick


Auch wenn das kleine Festival in erster Linie ein szenetypisches Publikum anzog, so war es doch mehr als einer von vielen HipHop-Events. Auf der Bühne und im Publikum wurde die Faust gereckt und die revolutionäre Position betont, die den Kern dieses Treffens ausmacht. Auch die Bezugnahme auf den 1. Mai als Kampftag der Arbeiterklasse war durchgängig Thema, im Rückblick auf den Vortag und die dabei Verletzten und Festgenommenen wie in Sicht auf eine Geschichte der Linken, die bis heute an diesem Tag weltweit darum kämpfen muß, nicht schon beim ersten Anzeichen widerständiger Bewegung unterdrückt zu werden. Das Amalgam aus HipHop und klassenkämpferischer Politik funktionierte auch deshalb, weil viele Jugendliche und junge Erwachsene anwesend waren, die mit dieser Musik großgeworden sind und sie in Organisationen wie die SDAJ oder Gruppen der radikalen Linken eingeführt haben. Insofern sollte der Übertrag von einer Szene, die ihrem Anspruch auf revolutionäre Mobilisierung zuwiderhandelt, wenn sie sich hinter unsichtbaren Barrikaden identitätsheischender Art verschanzt und damit bürgerliches Distinktionsstreben spiegelbildlich reproduziert, auf eine breite gesellschaftliche Bewegung, die mehr Menschen erreicht, gerade weil sie linke Prinzipien nicht nur propagiert, sondern solidarisch lebt, gelingen.


Auftritte mit jeweils zwei Rappern - Fotos: © 2015 by Schattenblick   Auftritte mit jeweils zwei Rappern - Fotos: © 2015 by Schattenblick   Auftritte mit jeweils zwei Rappern - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Veli MC ... Reeperbahn Kareem ... Delirium & Zynik
Fotos: © 2015 by Schattenblick


Gegenmacht aufbauen? Wie der GDL-Streik zeigt, treibt schon der Griff nach einem größeren Stück vom Kuchen den Herrschenden den Brandgeruch der Revolution in die Nase. Unbescheiden die prinzipielle Überwindung von Ausbeutung und Unterdrückung zu verlangen ruft, wenn genügend Menschen dahinterständen, weit härtere Reaktionen auf den Plan. Mit künstlerischen Mitteln zu zeigen, wo die wunden Stellen dieser Gesellschaft liegen, ist daher ein nicht nur symbolpolitischer Beginn.


Auftritt mit Rauch-Haus-Song von Ton Steine Scherben - Fotos: © 2015 by Schattenblick   Auftritt mit Rauch-Haus-Song von Ton Steine Scherben - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Swiss - "Und wir schreien's laut: Ihr kriegt uns hier nicht raus!"
Fotos: © 2015 by Schattenblick


Es reicht mithin nicht aus, die Feste zu feiern, wie sie fallen. Sie auf eine Weise zu begehen, die keinen Zweifel an der Absicht der Kunst und ihrer Urheberinnen und Urheber läßt, könnte auch als Kampfansage an einen Kulturbetrieb verstanden werden, der so abhängig von staatlicher Förderung und privatwirtschaftlichem Sponsoring ist, daß aller Radikalität von vornherein die Flügel gestutzt werden. Wenn Unterhaltung Trumpf ist, weil sie in endloser Rotation davon ablenkt, was Sinn und Zweck jeder ernstzunehmenden Kunst sein sollte, dann sticht sie, wenn überhaupt, zugunsten einer Kulturindustrie, die aus der erforderlichen Widerspruchsregulation auch noch ein Geschäft macht. Freude an unbescheidener Streitbarkeit hingegen kommt dort auf, wo Kunst und Kritik nicht voneinander geschieden sind, wo jeder Mensch, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Sprache und Farbe, seinem Aufbegehren Stimme und Gesicht verleiht.


Flyer Roter Aufbau Hamburg - Foto: 2015 by Schattenblick

Foto: 2015 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Pressemitteilung
http://unten-gegen-oben.bplaced.net/index.php/presse

[2] "Leute mitreissen, die mit der Szene nichts zu tun haben"
http://unten-gegen-oben.bplaced.net/index.php/presse


6. Mai 2015


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