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INTERVIEW/041: HipHop von unten - Korrumpierte Erfolge ...    David Rovics im Gespräch (SB)


Singen, rappen, kämpfen - Protestkultur in den USA

Klassenfest gegen Staat und Kapital am 2. Mai 2015 in Hamburg


Der Aktivist und SingerSongwriter David Rovics ist weltweit in sozialen Bewegungen und Protesten gegen Krieg, Kapitalismus und Umweltzerstörung engagiert. Der in der Gewerkschaft Industrial Workers of the World (IWW) organisierte Musiker lebt in Portland im US-Bundesstaat Oregon und bereicherte das Klassenfest mit mehreren Songs aus seinem großen Repertoire politischer Liedermacherkunst. Im Anschluß beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zur Kultur der politischen Musik in den USA und zum Stand linker und sozialer Bewegungen.


Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

David Rovics
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): David, du trittst hier heute in einem HipHop-Kontext auf. Wie ist es um die politische Kraft des HipHop in den USA bestellt? Gibt es noch Vertreter radikaler Positionen wie einst Public Enemy?

David Rovics (DR): Ja, es gibt verschiedenste Formen des politischen HipHop, obwohl ich glaube, daß niemand damit so bekannt geworden ist wie Public Enemy. Die Musikindustrie unterstützt keine politische Musik. Wenn man nicht der linken Szene angehört oder politischen HipHop macht, ist es schwierig, sich über politische Zusammenhänge klarzuwerden. Fragt man nach politischer Musik in den USA, dann steht politischer HipHop sicherlich an vorderster Front. Natürlich gibt es auch politisch motivierte Künstlerinnen und Künstler in anderen Bereichen der Musik, insbesondere unter SingerSongwritern und im Punk Rock.

SB: In welcher Tradition stehst du mit deiner Form von politischer Musik? Hast du zum Beispiel eine Beziehung zu Woody Guthrie und Pete Seeger?

DR: Meine Wurzeln liegen definitiv in dieser Tradition, aber ich bin auch von vielen anderen Traditionen wie nicht zuletzt HipHop und Punk beeinflußt. Die SingerSongwriter-Tradition reicht sehr weit zurück, es gab sie, lange bevor sie überhaupt diesen Namen trug. Menschen schreiben Lieder, und wenn sie gut sind, werden sie bekannt, und dann wird es Folk Music genannt. Im 20. Jahrhundert fanden wir andere Namen dafür, weil man Folk Music für antiquiert hielt. Wenn du ein Stück geschrieben hast, das andere Menschen singen, ist es im weitesten Sinne ein Folk Song. Dieser breiten Definition nach komme ich aus der Folk-Tradition, aber diese Tradition ist viel größer als zum Beispiel eine von weißen amerikanischen Mittelklassebürgern wie Pete Seeger oder Bob Dylan getragene Musik.

Deshalb hat Pete Seeger schon vor Jahrzehnten damit aufgehört, seine Musik Folk zu nennen. Man assoziierte damit weiße Mittelklassebürger aus New York City, die Musik aus den Appalachen spielten. Es ist jedoch viel umfassender. Aber Bob Dylan übte definitiv großen Einfluß auf mich aus, und er schreibt immer noch politische Lieder, allerdings nicht mehr so oft wie früher.

SB: Die USA sind ein Schmelztiegel verschiedenster Formen von Musik und haben eigenständige Genres wie Americana, was früher unter Country & Western lief, hervorgebracht. Gibt es in dieser volkstümlichen Richtung auch die Tendenz, sich mit sozialkritischen Fragen auseinanderzusetzen, oder ist es ein ausgesprochen konservatives Genre?

DR: Unter allen Musikern, inklusive SingerSongwritern, der Country-Szene oder Americana, gibt es viele Menschen, die politische Positionen vertreten und politische Lieder spielen. Wenn sie sich allerdings aufmachen, professionell Musik zu machen, um in Nashville, Los Angeles oder New York City erfolgreich zu sein, dann lassen sie ihr politisches Anliegen meist hinter sich zurück. Ich habe jahrelang Open Mike-Konzerte gemacht und dabei festgestellt, daß Menschen ganz verschiedener Herkunft und Klassenzugehörigkeit, Anfänger und Fortgeschrittene, an Politik interessiert sind und dementsprechende Texte verfassen. Wer jedoch erfolgreich sein will lernt, daß er damit aufhören muß.

Es gibt zwar Ausnahmen wie Public Enemy oder Rage Against The Machine, denn manchmal realisiert die Industrie, daß ein klein wenig Politik nicht schadet. Aber immer nur ein wenig. Wenn sie eine prominente HipHop-Band mit politischen Texten hat, dann braucht sie keine zweite und fördert keine anderen politischen Bands. Die Industrie ist sehr auf den Verkauf der Musik orientiert und sorgt dafür, daß es zu keinen störenden Zwischentönen kommt. Es ist nicht so, daß sie speziell Künstler verpflichtet, die sehr konservative oder neoliberale Themen propagieren. Sie will nur, daß die Künstlerinnen und Künstler sich auf harmlose Fragen beschränken. Daher halten sich die meisten Musiker im Pop, Country oder HipHop an Themen wie das Leben auf der Straße, Parties, Drogen, Sex und ähnliches. Es geht um Ablenkung. Musik sollte in den Augen der Industrie Möglichkeiten der Flucht aus dem Alltag bieten.

Natürlich sehen wir das ganz anders. Musik sollte im Sinne von Bertolt Brecht ein Instrument zur Veränderung der Dinge sein. Natürlich wissen die Herrschenden das. Daher wird unpolitische Musik systematisch gefördert, damit die Menschen nicht aufwachen. Natürlich promoten sie dabei Macho-Werte und den Haß auf den Feind, um ihre Truppen moralisch aufzurüsten und sie effizienter töten zu lassen.


David Rovics auf der Bühne des Klassenfestes - Foto: © 2015 by Schattenblick

... wenn die anderen deine Lieder singen
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Die US-Regierung hat Rockmusik bei der Folterung von Gefangenen in Guantanamo verwendet. Was tun die Künstler, deren Musik auf diese Weise mißbraucht wird, dagegen?

DR: So weit ich weiß, kann das Militär spielen, was es will, es scheint keine Lizenzpflicht zu geben. Die Folter ist illegal, aber welche Musik dabei gespielt wird, bleibt ihm überlassen. Wenn man einmal eine CD aufgenommen hat, dann tun die Menschen alle möglichen Dinge damit. Man kann ihre Verwendung in der Produktwerbung zwar verhindern, aber wenn sie in einem Nachrichtenprogramm gespielt wird oder ein rechter Talkshowmoderator meint, deine Musik eigne sich gut als Intro seiner Sendung, dann hat man in den USA nicht die Möglichkeit, sich dagegen zur Wehr zu setzen.

SB: Angesichts der schwerwiegenden sozialen Konflikte müßte es in den Vereinigten Staaten so etwas wie ein revolutionäres Potential geben. Dennoch scheint die analytische Seite der Auseinandersetzung mit den herrschenden Verhältnissen zu kurz zu kommen. Kannst du dir vorstellen, daß es an einer solchen politischen Arbeit in Zukunft mehr Interesse geben wird?

DR: Ich warte immer darauf, daß das geschieht. Das Land ist ein solches Pulverfaß, es gibt so viel Armut. Wenn man an die Kämpfe, die gegen die sozialen Bedingungen in Griechenland geführt werden, denkt, dann müßten diese in den USA genauso stattfinden. Dort sind viele Menschen mindestens so arm wie in Griechenland, und doch gibt es keine vergleichbar radikale Bewegung. Wir stellen uns diese Frage seit Generationen. Aber man könnte auch fragen, wieso die Menschen in Ägypten erst 2011 aufgestanden sind, obwohl sie seit so vielen Jahren unter Mubarak im Elend lebten. Die Rebellion ist vorüber und die alten Kräfte sitzen wieder im Sattel, aber warum hat es so lange gedauert?

Niemand weiß es. Wenn die Linke so etwas vorhersagen könnte, dann hätte sie auch Einfluß. Man braucht viel Optimismus, bevor irgend jemand rebelliert. Es gibt sehr wenige Beispiele für Aufstände, bei denen die Menschen bereits wußten, daß sie unterliegen werden. Der Aufstand im Warschauer Ghetto ist ein Beispiel für einen solchen Kampf, aber so etwas kommt sehr selten vor.

Menschen rebellieren, wenn sie denken, daß sie obsiegen können. In Deutschland ist oft die Rede davon, daß der Faschismus nicht erfolgreich gewesen wäre, wenn die Linke nur mehr getan hätte und mehr Menschen dagegen aufgestanden wären. So weit ich weiß, haben 20.000 Menschen in Deutschland gegen die Herrschaft des NS-Faschismus gekämpft, obwohl sie wußten, daß sie ihr Leben verlieren können, und das ist eine große Zahl. Wieso soll man Widerstand leisten, wenn man weiß, daß man getötet wird? Was entzündet die Lunte am Pulverfaß? Das weiß niemand, denn sonst würden viele Streichhölzer angesteckt werden.

Die USA sind definitiv ein Pulverfaß, und was in Baltimore geschieht, hätte jeder vorhersagen können. In jeder größeren Stadt der USA gibt es in jeder Generation einen größeren Aufstand aufgrund des immer weiter voranschreitenden Rassismus und der Armut. Es scheint sich tatsächlich um ein Generationenphänomen zu handeln, denn es bedarf einer langen Zeit der Niederlagen und Demütigungen, bis die Menschen dazu gebracht werden, ihre Viertel in Brand zu stecken. Wer nicht in Baltimore wohnt, versteht nicht, warum die Menschen ihre eigenen Viertel anzünden. Das liegt daran, daß es nicht ihre eigenen Viertel sind. Die Häuser gehören nicht ihnen, sondern Vermietern und Banken, die so viel Miete wie möglich aus ihnen herauspressen. Es gibt keine Mietpreisbeschränkung, die Menschen leben in Armut, die Industrie ist abgewandert, an vielen Orten in den USA herrscht große Verzweiflung.

Wenn man als Tourist in die Vereinigten Staaten kommt, fährt man nicht nach Baltimore. Vielleicht stattet man Washington DC einen Besuch ab und stellt überrascht fest, wie groß die Armut in der US-Hauptstadt ist. Aber üblicherweise besuchen die Touristen Manhattan, San Francisco oder die schöne Bergwelt Utahs. Sie reisen nicht in die vielen Städte, die wie Baltimore sind. St. Louis, Cleveland, Detroit, Toledo, Albany, Springfield - wie sie auch heißen mögen, es handelt sich um sozial verelendete Orte. Gut daran ist lediglich, daß die Mieten niedrig sind, aber es gibt keine Arbeit.

SB: Vor zwei Jahren wurde dir bei einer Rundreise in der Bundesrepublik der Vorwurf gemacht, zu viel Solidarität mit den Palästinensern zu zeigen, was du in einem Artikel im US-Magazin Counterpunch [1] verarbeitet hast. Wie erlebst du es dieses Mal, hat sich die Stimmung verändert?


David Rovics auf der Bühne des Klassenfests - Foto: © 2015 by Schattenblick

Position beziehen gegen Ohn- und Übermacht
Foto: © 2015 by Schattenblick

DR: Ich glaube, vor einem Jahr haben die Antideutschen noch einmal einen meiner Auftritte verhindert. Probleme mit den Antideutschen hatte ich bei Reisen in Deutschland seit etwa 2004 regelmäßig. Jedesmal, wenn ich mit einem neuen Veranstalter zusammenarbeite, der ein Konzert mit mir organisiert, erkläre ich im Vorwege, daß die Antideutschen mich nicht mögen. Wenn sie das einmal wissen, gehen sie bei der Auswahl des Auftrittsortes meist etwas vorsichtiger vor. Heute abend zum Beispiel trete ich im Hamburger Gewerkschaftshaus auf, und die Gewerkschaften kümmern sich in der Regel nicht um die Antideutschen.

Es sind meist jugendliche Kommunisten und Anarchisten, die von den Antideutschen beeinflußt werden. Unter älteren Menschen ist das anders, dort haben einige Linke noch nie von den Antideutschen gehört. Die politische Einstellung der Antideutschen ist fürchterlich, aber ich habe Schwierigkeiten damit, mich über sie aufzuregen. Es ist ein ausschließlich deutsches Phänomen, und ich kann aus der deutschen Geschichte nachvollziehen, wie es zustandegekommen ist. Unter den Ländern, die ich bereist habe, ist die Bundesrepublik das Land mit der selbstreflektiertesten Gesellschaft überhaupt. Die Antideutschen sind auf gewisse Weise ein bizarrer Auswuchs dieses Prozesses der Selbstreflexion. Es wird sie nicht immer geben. Vielleicht wird sie die nächste Generation als merkwürdiges Phänomen betrachten, bei dem das Pendel auf verrückte Weise in die Gegenrichtung ausgeschlagen ist.

SB: Welche Positionen herrschen in der US-Linken vor?

DR: Ich bin seit 20 Jahren als linker Musiker unterwegs. Die Linke setzt sich meiner Erfahrung nach wesentlich aus der Umweltbewegung, der Bewegung gegen den Krieg und der antikapitalistischen Bewegung zusammen. Diese drei Bewegungen grenzen sich tragischerweise stark voneinander ab. Während der Proteste gegen den IWF und die WTO von 1999 bis 2003 arbeiteten diese Bewegungen und die Arbeiterbewegung eng miteinander zusammen, was wunderbar war. Der Kampf gegen die Freihandelsdoktrin war perfekt. Für jeden, der für eine bessere Gesellschaft eintrat und dabei Rassismus, Sexismus, Umweltzerstörung oder Klassenherrschaft anprangerte, war die WTO der ideale Feind.

Aber diese gemeinsame Bewegung gibt es seit über zehn Jahren nicht mehr. Seitdem hat es kleinere Ansätze wie den Kampf der Dienstleistungsgewerkschaft für 15 Dollar Stundenlohn gegeben, aber es ist keine Massenbewegung. Die organisierte Arbeiterschaft stellt weniger eine Bewegung dar, als daß sie aus verschiedenen kleinen Aktionsgruppen besteht und Proteste organisiert, die lediglich von einigen hundert Menschen getragen werden. Sie konnte kleine Erfolge erzielen, was für eine Gruppe, die aus schlecht bezahlten und überarbeiteten Organisatoren besteht, beachtlich ist.

Die Bewegung für die Rechte der Migrantinnen und Migranten war 2006 einige Monate sehr stark, und Occupy Wall Street hat zwei Monate lang viel bewegt. Aber seit dem Zusammenbruch der Antikriegsbewegung und der antikapitalistischen Bewegung vor über zehn Jahren gab es meiner Ansicht nach keine soziale Bewegung mehr in den USA, die länger als zwei Monate bestanden hätte.

Die seit letztem Jahr bestehende Bewegung gegen Polizeigewalt wird vor allem dadurch aufrechterhalten, daß immer wieder schwarze Männer von der Polizei erschossen werden. Sie ist aus Verzweiflung geboren, was keine schlechter Anlaß zum Aufbegehren ist. Doch die Menschen brauchen Optimismus, sie brauchen eine Idee, wofür sie kämpfen, wie sie das erreichen und wie sie sich organisieren können. Die Polizeibrutalität wird weitergehen, so lange es diese riesige Unterklasse gibt. Der Zweck der Repression besteht darin, sie in ihrer Ohnmacht zu belassen und die Reichen vor ihr zu schützen. Sie müssen weiterhin Schwarze umbringen, denn sonst würden die Menschen die Polizei nicht mehr fürchten.

Wenn man die Armen ruhig halten will, muß man die Armut beseitigen. Man muß tun, was viele Gesellschaften in Europa getan haben. Nordeuropa weist im Vergleich zu den USA sehr gute soziale Bedingungen auf. Die Menschen verstehen den Unterschied häufig nicht. Der US-Kapitalismus ist etwas ganz anderes als die europäische Sozialdemokratie. Die Menschen hier protestieren gegen die Austeritätspolitik, aber ich habe manchmal den Eindruck, daß die Europäer außerhalb Griechenlands, Spaniens oder Portugals nicht wissen, was Austerität wirklich bedeutet. In den USA herrscht Austerität auf ewig, das ganze Geld wurde für das Militär ausgegeben, und das hat niemals aufgehört.

SB: David, vielen Dank für das Gespräch.


David Rovics auf der Bühne des Klassenfestes - Foto: © 2015 by Schattenblick

Hamburg und überall
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://www.counterpunch.org/2013/09/25/the-antideutsch-and-me/

David Rovics im Schattenblick:
BERICHT/017: David Rovics - Lieder für ein anderes Leben (SB)
Unräumbar-Konzert der Waldbesetzung im Hambacher Forst
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0017.html

28. Mai 2015


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