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INTERVIEW/056: Hip-Hop Straßenklassenfest - Protest pur, Rapkultur ...    Shivan im Gespräch (SB)


Soziale Fragen und migrantische Identität

Klassenfest gegen Staat und Kapital am 30. April 2016 in Hamburg


Vor allem Jugendliche mit Migrationshintergrund prägen das Bild des politischen Hip-Hop in Deutschland. Für sie ist der melodische Sprechgesang nicht nur ein Ausdruck künstlerischen Schaffens mit Versen und Tönen, sondern in erster Linie ein Sprachrohr für ihre Wut über die zunehmende Gleichgültigkeit in der Gesellschaft, die oftmals einhergeht mit dem Verlust an Solidarität selbst in linken Kreisen. Aus Gründen familiärer Herkunft und sozialer Zugehörigkeit ausgegrenzt, der imperativen Forderung nach Anpassung und Assimilation ausgesetzt und dann doch nichts als Herabsetzung zu spüren zu bekommen bringt Potentiale zum Vorschein, die notwendigerweise antagonistisch sind. Links, rebellisch, unangepaßt, zu Verlierern im Getriebe gesellschaftlicher Konkurrenzverhältnisse abgestempelt, stehen ihre Lieder für einen Kampf, der längst noch nicht entschieden ist. Auf dem "Klassenfest - gegen Staat und Kapital" hatte der Schattenblick Gelegenheit, dem jungen Rapper Shivan einige Fragen zu stellen.


Auf der Bühne des Klassenfestes - Foto: © 2016 by Schattenblick

Shivan
Foto: © 2016 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Shivan, wie bist du zum Rap gekommen?

Shivan: Wenn man in Problembezirken von Hannover wie zum Beispiel Bemerode groß wird, wächst man automatisch mit einer Kultur des Widerstands auf, die dort sehr vertieft ist. Als Teil dieser Lebensumstände und Not ist es dann einfacher, mit dem Rappen anzufangen, weil man für die Mucke ein Gefühl hat. Ich bin schon immer musikalisch gewesen und wollte von daher mein Talent für den guten Zweck einsetzen, den unterdrückten Menschen in der Gesellschaft eine Stimme zu geben. So bin ich zum Rap gekommen.

SB: Menschen in sogenannten Problembezirken gelten als sozial abgehängt und weitgehend desillusioniert. In den Medien wird diese Mischung als idealer Nährboden für Ausländerfeindlichkeit beschrieben, also daß die Ärmsten der Gesellschaft auch noch untereinander in Konkurrenz treten. Kannst du das aus eigener Erfahrung bestätigen?

Shivan: Überhaupt nicht. In meiner Gegend kann man sicher sein, daß dort keine Faschos herumlaufen. Die Leute in unserem Viertel halten, wenn es darauf ankommt, zusammen. Außerhalb des Viertels sieht die Situation jedoch ganz anders aus. Wenn Leute wissen, daß man aus Bemerode kommt, heißt es sofort, der ist kriminell und macht krumme Sachen. Dann wird man mit Vorurteilen konfrontiert, bekommt schiefe Blicke in der Bahn und gerät in rassistische Polizeikontrollen, was ich schon tausendmal erlebt habe. Die Gesellschaft sieht einen nicht so an wie jeden anderen, man fühlt sich immer ausgegrenzt, und das schafft viel Wut, die man irgendwie rauslassen muß. Klar lernt man in Problembezirken früh Drogen kennen, obwohl das gar nicht so tragisch ist. Viel schlimmer ist, daß die Leute voller Wut sind, weil sie in Ghettos weggesteckt werden. Meine Eltern sind vor 15 Jahren nach Deutschland geflüchtet. Jetzt wohnen wir in diesem Viertel und gehören mit zur Unterschicht. Bei uns gibt es keine reichen Leute oder Anzugträger, sondern nur solche, die genauso arm sind wie wir. Das schafft ein Solidaritätsgefühl. Wir im Viertel haben daher eine bestimmte Einstellung gegenüber der Polizei und Autoritäten.

SB: Hat es ein Ereignis in deinem Leben gegeben, wo du gesagt hast, jetzt rappe ich gegen alles, mit dem ich nicht einverstanden bin?

Shivan: Ich habe vor ungefähr drei Monaten angefangen, öffentlich Musik zu machen. Ich wußte zwar, daß ich Talent habe, aber nicht, wie ich anfangen sollte, weil ich nicht das Übliche erzählen wollte wie die anderen Rapper. Wenn man immer wieder damit konfrontiert ist, wie die Cops gegenüber meinen Leuten und mir drauf sind, nur weil ich so aussehe, wie ich aussehe, dann sagt man sich irgendwann, jetzt reicht es. Entweder passiert dann etwas schlimmes oder man verpackt, wenn man schlau ist, seine Wut in Musik. Das habe ich jedenfalls getan. Ich denke, eine klare Message ist schon deswegen nötig, weil sich zur Zeit viele jugendliche Migranten zu sehr von Dingen ablenken lassen, die gar nicht wichtig sind. Es gibt einen Rechtsruck in Deutschland, der von vielen Migrantinnen und Migranten kaum reflektiert wird. Mit meinem Rap wollte ich darauf aufmerksam machen.

SB: Bist du politisch aktiv oder in linken Gruppierungen unterwegs?

Shivan: Ich bin politisch aktiv, beteilige mich an Demos, wenn sie meinen Vorstellungen entsprechen, aber mit Gruppierungen habe ich nicht viel zu tun. Ich gehe auf die Straße, wenn mir etwas nicht gefällt, und zum Glück bin ich nicht der einzige, der so denkt.

SB: Du hast in einem deiner Lieder heute auf dem Klassenfest über den Rassismus der Grauen Wölfe gesungen. Inwieweit bist du als Kurde hier in Deutschland damit konfrontiert?

Shivan: Es gibt in Hannover Gegenden, in die man als Kurde nicht mehr hingehen kann, weil dort türkische Faschisten sind. Im September letzten Jahres hat es eine Messerattacke der Grauen Wölfe auf einen kurdischen Genossen in Hannover gegeben. Seitdem ist die Lage angespannt. Die Auseinandersetzungen zwischen Türken und Kurden haben an Heftigkeit zugenommen. Manche Straßen werden regelrecht von Grauen Wölfen kontrolliert, so daß man als Kurde wirklich aufpassen muß. Viele Kurden trauen sich nicht, etwas dagegen zu machen, aber ich verstecke mein Gesicht nicht, weil ich finde, daß man keine Angst vor ihnen zeigen darf. Die Kurden sind zur Zeit in einer sehr schwierigen Lage in Nordkurdistan; was dort geschieht, erreicht auch die Leute hier in Deutschland. Die Kurden sind wütend auf die deutsche Regierung wegen ihrer Politik zur Türkei. Wir lassen uns das nicht mehr bieten und gehen auch gegen die Grauen Wölfe auf die Straße.

SB: Nordkurdistan ist inzwischen Kriegsgebiet und Diyarbakir liegt teilweise in Trümmern. Könntest du einmal schildern, wie sich Erdogans Feldzug im Südosten der Türkei auf das Zusammenleben von Kurden und Türken hier in Deutschland auswirkt?

Shivan: Was dort geschieht, prägt auch das Leben hier. Ich hatte viele türkische Freunde, aber sie reden jetzt nicht mehr mit mir. Allerdings gibt es auch Kurden, die so denken wie die Grauen Wölfe, wie andersherum eine Menge Türken die Einstellung linker Kurden teilen. Auch hierzulande haben sich viele Türken aufgrund der Gesetzesverschärfungen und der voranschreitenden Islamisierung der türkischen Gesellschaft politisiert und sind auf die linke Seite gewechselt. So gesehen kann man die Menschen nicht pauschalisieren. Schlechte Menschen hat es immer gegeben, und auch beim kurdischen Volk gibt es Verräter gegenüber den eigenen Leuten. Viele Türken haben inzwischen verstanden, daß das, was die Türkei mit den Kurden und Armeniern gemacht hat, nicht richtig war.

SB: Ich hatte dich vorhin gefragt, ob du Türke bist. Wie aus der Pistole geschossen, hast du Nein geantwortet, ich bin Kurde. In der Türkei gibt es starke Bestrebungen, die kurdische Identität auszulöschen. Inwiefern resultiert dein politisches Selbstverständnis aus deiner kurdischen Abstammung?

Shivan: Ich bin stolz darauf, ein Kurde zu sein. Es gibt Kurden, die halten sich für Türken, aber dann sind es eben Türken und keine Kurden mehr. Es ist ja nicht so, daß die Kurden erst seit neuestem bekämpft werden. Die Kurden haben als Volk noch nie in Ruhe leben können. Deswegen wird der Tag niemals kommen, an dem sich die Kurden von ihrer Identität abwenden. Wir haben das Rebellische tief in uns, ob in Südkurdistan, Nordkurdistan, Westkurdistan oder Ostkurdistan. Wir Kurden haben immer gelitten, was ein starkes Selbstbewußtsein in uns geschaffen hat. Ein wahrer Kurde wird niemals vergessen, woher er kommt.

SB: In der Türkei gibt es mit der HDP eine prokurdische Partei, die die Interessen nicht nur der Kurden vertritt, sondern auch viele zivilgesellschaftliche Kräfte gegen Erdogan mobilisiert. Gibt es auf kurdischer Seite uneingeschränkte Sympathien für die HDP oder überwiegen vielleicht doch die Vorbehalte, weil die HDP letzten Endes verschiedene Gruppierungen in ein Bündnis schließt?

Shivan: Meine persönliche Sympathie für die HDP ist sehr groß, weil sie sich nicht nur als Interessenvertretung der Kurden sieht, sondern für alle Minderheiten eintritt und gleichermaßen für die Rechte der Homosexuellen, der Frauen, der Juden, Christen oder Atheisten kämpft. In meinen Augen ist die HDP eine starke Partei, und ihre Politiker sind mutige Menschen. Vor einigen Tagen wurden HDP-Abgeordnete im türkischen Parlament verprügelt. Meinen Respekt hat vor allem Selahattin Demirtas, der Gesicht zeigt und sich immer wieder mit der Erdogan-Regierung anlegt. Auch bei der Mehrheit der Kurden genießt die HDP eine große Wertschätzung.

SB: In einem anderen deiner Lieder hast du - was ungewöhnlich für die Rap-Szene ist - für die Frauen Partei ergriffen und die sexistische Ausbeutung durch den Kapitalismus angeprangert. Wie würdest du das Verhältnis zwischen Mann und Frau in der kurdischen Gesellschaft beschreiben, die zum Teil auch sehr konservative Werte verkörpert?

Shivan: Ich bin mit der kurdischen Tradition aufgewachsen, in der die Frau eine angesehene Person ist. Der Mann versucht immer, den Mächtigen zu spielen, aber die Frau ist diejenige, die gegen Unrecht kämpft. Das ist unser Weltbild, das nicht nur in Kurdistan, sondern auch in Europa gilt. Ich selbst bin gegen jede Art von Sexismus, und auch die kurdische Freiheitsbewegung vertritt einen starken Feminismus. Das zeigt sich auch in Rojava an den kämpfenden Fraueneinheiten. Daß Mann und Frau gleichwertig sind, ist eigentlich selbstverständlich bei den Kurden. Auch mein Vater hat kein konservatives Bild von Frauen. Ich komme aus einem feministischen und linken Elternhaus, und von daher habe ich von Geburt an gelernt, daß die Frau nicht weniger wert ist als der Mann. Das ist bei den meisten kurdischen Familien so, außer bei denen, die sehr religiös und gleichzeitig konservativ sind.

SB: Rojava hat Hoffnungen bei den Kurden geweckt, weil eventuell auch die Frage nach einem selbständigen kurdischen Staat im Raum steht bzw. nach den Ideen von Öcalan der Aufbau einer Konföderation für alle Völker, die in dieser Region leben. Wie wird das generell in der kurdischen Community hier in Deutschland aufgenommen, teilt man die Hoffnungen oder hat man doch eher Zweifel an der politischen Umsetzbarkeit?

Shivan: Viele linke Kurden haben die Befürchtung, wenn Rojava jetzt wirklich eine autonome Region wird, daß sie sich dann zu einem Teil des weltkapitalistischen Systems entwickelt, wie es in Südkurdistan unter der Barzani-Regierung geschehen ist. Auch dort hatte man sich etwas anderes erhofft. Südkurdistan ist für mich eines der kapitalistischsten Länder der Welt. Die Kurden dort haben sich leider daran gewöhnt, aber ich denke, in Rojava kann man sich auf den Vorsitzenden der PYD, Salih Muslim, verlassen. Die Kurden in Rojava wollen keinen Staat, sondern eine demokratische, klassenlose, autonome Region. Das ist beim Barzani-Clan schiefgelaufen, der ein kapitalistisches System aufgebaut hat. In Südkurdistan herrscht eine Klassengesellschaft. Ich selbst komme aus Kirkuk. Die Stadt ist von Armut gezeichnet, aber wenn man nach Erbil geht, sieht man überall Edelrestaurants. Ich hoffe, daß es in Rojava nicht so sein wird. Die Türkei lebt natürlich in der Angst, daß das kurdische Volk in Rojava seine Freiheit erringt, aber möglicherweise wird sie einsehen, daß das gar nicht so schlimm wäre, wie sie es sich ausmalt.

SB: Unter den Kurden gibt es auch Aleviten, die eine sehr alte Glaubensgemeinschaft darstellen, die sich notgedrungen das Kleid des Islams übergezogen hat, um im Osmanischen Reich überleben zu können. Wie ist das Verhältnis zwischen sunnitischen bzw. schiitischen Kurden und Aleviten, die strenggenommen nicht islamisch sind und Traditionen folgen, die wesentlich älter sind als der Islam und daher eigene Wertvorstellungen haben?

Shivan: Aus Südkurdistan kenne ich es so, daß jeder, egal, welcher Religion er angehört, dort frei leben kann. Das ist in Südkurdistan gesichert. Die Haltung eines Kurden gegenüber Aleviten ist entspannt, Aleviten sind ganz normale Menschen wie wir auch, nur daß sie eben einen anderen Glauben haben. Ein Mensch ist ein Mensch, das sieht auch die Mehrheit der Kurden so. Daran ändert auch nichts, daß die Menschen in Südkurdistan teilweise sehr konservativ sind, während Nordkurdistan auf jeden Fall Hardcore-sozialistisch ist. Das gilt auch für die Aleviten.

SB: Vor einigen Tagen fand in Hannover eine große Demonstration gegen TTIP und CETA statt. Wie ist die Haltung der Kurden zu den Freihandelsabkommen?

Shivan: Die kurdische Freiheitsbewegung ist antikapitalistisch. Sowohl die Freihandelsabkommen als auch die Kräfte, die den Kapitalismus stützen und stärken, werden von linken Kurden abgelehnt. TTIP und CETA wollen für den Kapitalismus auf allen Ebenen größere Freiheiten durchsetzen. Das sehe ich sehr kritisch.

SB: Shivan, vielen Dank für das Gespräch.


Shivan in verschiedenen Positionen - Foto: © 2016 by Schattenblick Shivan in verschiedenen Positionen - Foto: © 2016 by Schattenblick Shivan in verschiedenen Positionen - Foto: © 2016 by Schattenblick

Auf der Bühne des Klassenfestes
Foto: © 2016 by Schattenblick


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25. Mai 2016


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