Schattenblick → INFOPOOL → MUSIK → REPORT


NACHLESE/029: 50 Jahre später ... Fairport Convention - What We Did on Our Holidays (SB)


Tomorrow at this hour she will be far away,
Much farther than these islands,
Or the lonely Fotheringay

Fairport Convention / Sandy Denny - Fotheringay


Es war schon ihr zweites Album, das im Januar 1969 unter dem Titel What We Did on Our Holidays erschien, aber es war das erste mit Sängerin Sandy Denny. Fairport Convention war mit der Mischung aus altenglischem Liedgut, virtuos improvisierten Rockpassagen und Anleihen an nordamerikanischen Vorbildern wie Bob Dylan oder Joni Mitchell eine der originärsten Bands der englischen Folkrockszene. Die 1967 gegründete Band, die anfangs als britische Jefferson Airplane gehandelt wurde, sorgte mit häufig wechselnden Besetzungen zum Heranwachsen ganzer Generationen von MusikerInnen einer europäischen Folktradition, die niemals so sehr im klanglichen Ambiente der US-Popkultur aufging, daß sie nicht über ein eigenständiges Klangbild verfügt hätte.

Der bis heute aktive und mit ingeniösem Gitarrenspiel beeindruckende Richard Thompson, Bassist Ashley Hutchings und Gitarrist Simon Nicol waren jene Gründungsmitglieder, die den Kern der frühen Fairport Convention bildeten. Sängerin Sandy Denny blieb nach einem Gastspiel bei den zwischen Folk- und Klassikrock changierenden Strawbs nur für anderthalb Jahre, von Mai 1968 bis Dezember 1969, bei der Gruppe. Bis zu ihrem frühen Tod am 21. April 1978 war sie die große Stimme des englischen Folks. Einem breiteren Publikum weithin unbekannt geblieben ist ihr Gesang bis heute hin und wieder im Duett mit Robert Plant zu hören, wenn der schöne, untypischerweise mit akustischen Instrumenten eingespielte Led Zeppelin-Titel The Battle of Evermore gespielt wird. Als Songschreiberin erlangte sie bereits 1968 mit dem von Judy Collins übernommenen Titel Who Knows Where The Time Goes virtuellen Weltruhm. Die bekannte US-Folksängerin benannte gleich ihr ganzes in diesem Jahr veröffentlichtes Album nach einem der ersten Songs, den Sandy Denny als 20jährige Newcomerin in der britischen Folkszene verfaßt hatte.

Auch das erste Album von Fairport Convention, an dem sie teilhatte, beginnt mit einem Lied aus ihrer Feder. Fotheringay ist eine für ihr Songwriting typische Ballade. Von einem melancholischem Grundton durchzogen und in der Hoffnung auf Befreiung bitter enttäuschend, dreht sich das Lied um die Einkerkerung und Enthauptung der schottischen Königin Maria Stuart auf Schloß Fotheringhay. Sandy Denny gab der ersten von ihr selbst gegründeten Band den Namen Fotheringay, so daß zu vermuten ist, daß sie die Geschichte der 18 Jahre lang an verschiedenen Orten gefangengehaltenen Königin besonders berührt hat.

Wie überraschend nahe englischer Folk schwarzem Blues sein kann, zeigt die Band mit dem Titel The Lord Is in This Place ... How Dreadful Is This Place, unüberhörbar inspiriert von dem berühmten Blind Willie Johnson-Song Dark Was the Night, Cold Was the Ground. Ein weiterer Höhepunkt des Albums ist die Einspielung des 1964 von Bob Dylan verfaßten Titels I'll Keep It with Mine. Auch dieses Stück wurde zuerst durch Judy Collins bekanntgemacht, die es 1965 als Single veröffentlichte. Die damals nicht nur im Bluesrock, sondern auch im Folk häufigen transatlantischen Kollaborationen inklusive zahleicher Tourneen auf dem jeweils anderen Kontinent zeigen, wie eng die Gemeinschaften der britischen und US-amerikanischen MusikerInnen miteinander verflochten waren. So innovativ und neuartig die Rock- und Folkmusik vor 50 Jahren war, so überschaubar war die Zahl der Akteure, die wichtige Impulse beisteuerten und ihr Erscheinungsbild maßgeblich beeinflußten.

So erscheint mit Eastern Rain auch ein von der kanadischen Folksängerin Joni Mitchell verfaßter Titel auf dem Album, der die hohe Qualität des instrumentellen Arrangements hörbar macht. Mit dem von Juni bis Oktober 1968 eingespielten Album braucht sich Produzent Joy Boyd nicht vor heutigen Produktionen zu verstecken. Ganz im Gegenteil, der Sound verfügt über eine niemals überladene und klangtechnisch ausgereifte Natürlichkeit, die heute vermutlich nur mit einem Reengineering damaliger Aufnahmetechniken zu erreichen wäre.

Bei dem Traditional Nottamun Town handelt es sich um ein in der englischen Musikgeschichte als Lost Song eingestuftes Lied. Der Text wurde zwar in schriftlicher Form überliefert, seine Melodie jedoch vergessen, weil die Noten niemals aufgeschrieben worden waren. Nottamun Town soll seit dem frühen 18. Jahrhundert nicht mehr gesungen worden sein, doch die musikalische Feldforschung entdeckte im 20. Jahrhundert in entlegenen Regionen der Appalachen Beispiele für seine weitere Verwendung. Weil Nottamun Town mit dem gleichen Text und der gleichen Melodie an Orten, die Hunderte von Kilometern voneinander entfernt lagen, gesungen wurde, ging man von einer originären Überlieferung, die bis ins England des 17. Jahrhunderts zurückreichte, aus.

Die Hymne Meet on the Ledge schließlich ist so etwas wie die geheime Erkennungsmelodie der Band. Es wird bis heute auf dem seit 1976 alljährlich stattfindenden Festival Fairport's Cropredy Convention beim Auftritt der Band als letzter Song gespielt. Das bei dem Dorf Cropredy im englischen Oxfordshire im August stattfindende, von rund 20.000 Menschen besuchte dreitägige Musikfestival ist das älteste seiner Art in England, das bis heute ununterbrochen stattfindet, und ein großes Treffen aller alten und neuen Fans der seit über 50 Jahren existierenden Folkrockgruppe.

6. März 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang