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NACHLESE/035: 50 Jahre später ... Spirit - Clear (SB)



1984
Knockin' on your door
Will you let it come?
Will you let it run your life?

Spirit - 1984

Die Bühnenpräsenz der 1967 in Los Angeles gegründeten Band Spirit wurde insbesondere von Schlagzeuger Ed Cassidy geprägt. Kahlgeschoren, stets in schwarz gekleidet und den üblichen Drumset durch jeweils eine gigantische Pauke auf jeder Seite erweitert, verfügte der 1923 geborene Musiker über das Charisma des Exoten selbst unter den ohnehin bunten Hippies. Über 20 Jahre älter als die anderen Bandmitglieder und ein erfahrener Jazzmusiker, der für Größen wie Art Pepper, Julian Cannonball Adderley, Roland Kirk, Lee Konitz und Gerry Mulligan getrommelt hatte, war Ed Cassidy der optische Mittelpunkt der Band. Er gehörte als einziges Mitglied allen Besetzungen an und war mit Eunice Pearl, der Mutter des Gitarristen Randy California, verheiratet. 1964 hatte er zusammen mit dem Bluessänger Taj Mahal und dem 17jährigen Gitarristen Ry Cooder in Los Angeles die Gruppe Rising Sons gegründet. Weil die Band auf neuartige Weise Elemente von Blues und Folk miteinander kombinierte, gilt sie als Vorläuferin des sogenannten West Coast Sounds und soll kalifornische Größen wie Grateful Dead, Moby Grape, Buffalo Springfield und The Byrds inspiriert haben.

Randy Wolfe spielte 1966 im Alter von 15 Jahren in der Band von Jimi Hendrix, Jimmy James and the Blue Flames, als zweiter Gitarrist. Die Gruppe trat in der Clubszene im New Yorker Greenwich Village auf, nachdem Hendrix in der schwarzen Musikszene aufgrund seines ausgefallenen Gitarrenstils und hippiesken Auftretens auf Ablehnung gestoßen war. Da der Bassist Randy Palmer hieß, verpaßte Hendrix dem in Los Angeles geborenen Gitarristen den Namen Randy California, während Palmer von nun unter dem Namen Randy Texas firmierte.

Mitte 1967 wurde Spirit in Los Angeles in der Besetzung Cassidy, California, Sänger Jay Ferguson, Bassist Mark Andes und Keyboarder John Locke gegründet. Die Musiker hatten sich in der Kommuneszene in den Canyons rund um Los Angeles kennengelernt, wo sie auch im privaten Rahmen zuerst zusammen auftraten. Mit dem Debüt Spirit und dem zweiten Album The Family That Plays Together, beide 1968 erschienen, leisteten die Musiker mit ihrem von Jazz- und Rockelementen inspirierten Sound einen eigenen Beitrag zur ohnehin sehr innovativen Klangwelt der psychedelischen Ära. Randy California hatte schnell den Ruf eines Ausnahmegitarristen erlangt, der insbesondere durch die Kunst, gleißende langgezogene Töne zu produzieren, die ohne hörbaren Anschlag wie aus dem Nichts auftauchten und wieder verschwanden, mit der Slide Guitar Furore machte.

Keyboarder John Locke, der eng mit dem Doors-Gitarristen Robbie Krieger befreundet war und eine Kommune im Topanga Canyon gegründet hatte, hatte ebenfalls großen musikalischen Einfluß auf den einfallsreichen Sound der Band. So war er für den häufigen Einsatz von Streichern verantwortlich, die in einigen außergewöhnlichen Kompositionen an den Einfluß der impressionistischen Klangwelten eines Claude Debussy und anderer Komponisten der modernen Klassik in der Musik erinnern.

Randy California widmete sich in seinen Songs häufig sozialen Themen, wie in dem Titel 1984, der parallel zu dem 1969 veröffentlichten Album Clear als Single erschien. Auf dem Album Clear setzte er sich mit der US-amerikanischen Konsumkultur und anderen zivilisationskritischen Themen auseinander. 1970 sollte er mit Nature's Way einen Song verfassen, der belegt, daß der beklagenswerte Zustand der Natur und Umwelt vor 50 Jahren durchaus ein Thema für die Popmusik war. Das dazugehörige Album Twelve Dreams of Dr. Sardonicus war das letzte, das in der Urbesetzung von Spirit eingespielt wurde, und gilt heute als kreativer Höhepunkt der Band. Alle vier von dieser Formation veröffentlichten Alben liefern Beispiele für hohe Kompositionskunst, die den meist aus der Feder Californias stammenden imaginativen Liedtexten zu eindrücklicher Wirkung verhalfen.

Der mit seiner eigenständigen und originären Spielweise berühmt gewordene Gitarrist ertrank im Januar 1997 im Alter von 45 Jahren im Meer vor Hawaii bei dem erfolgreichen Versuch, seinen 12jährigen Sohn Quinn zu retten, der drohte, von einem Strudel unter Wasser gezogen zu werden. Sein Stiefvater Ed Cassidy starb im Dezember 2012 im Alter von 89 Jahren, nachdem er praktisch bis an sein Lebensende Schlagzeug gespielt hatte. Der Tod Randy Californias markierte auch das Ende der Band, die unter Regie dieser beiden Gründungsmitglieder bis Ende der 1990er Jahre zahlreiche Konzerte in aller Welt spielte, die den Ruf von Spirit als sehens- und hörenswertem Live Act festigten. Wie bei vielen legendären Bands der 1960er Jahre erscheint bis heute zuvor unveröffentlichtes Material, was die Alben der Frühzeit um so mehr als hörenswerte Unikate popmusikalischer Zeitgeschichte hervortreten läßt.

30. Mai 2019


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