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NACHLESE/040: 50 Jahre später ... King Crimson - In the Court of the Crimson King (SB)



Blood rack barbed wire
Polititians' funeral pyre
Innocents raped with napalm fire
Twenty first century schizoid man

King Crimson - 21st Century Schizoid Man

Prog ist ein Gefängnis, so Robert Fripp in einem Interview vor 5 Jahren [1]. Was zuerst unter der Kategorie Underground Rock und dann als Art Rock firmierte, wird seit den 1990er Jahren als Prog Rock gelabelt. Die unter diesem Genre versammelten Bands galten in den 1970er Jahren als Vertreter einer von ihrer Orientierung an der sogenannten Hochkultur her überfrachteten, in ihrem Anspruch an musikalische Höchstleistungen formal erstarrten und in ihren Arrangements zwischen pompös und maniriert oszillierenden Rockmusik, die als frühzeitig alt gewordene Dinosaurier zu Recht vom Punk entthront wurden. Wirklich progressiv sei Miles Davis, so Fripp, Gitarrist und einziges permanentes Mitglied von King Crimson in der 50jährigen Geschichte der Band. Wer mit dem Label Prog auf die Bühne trete, sei von vornherein tot, meint der heute 73jährige Kopf der Band und erinnert an die vielen Schmähungen der Musikkritik, die er immer wieder über sich ergehen lassen mußte.

Läßt man die Werke von Bands wie Genesis und Yes Revue passieren, dann ist gut zu verstehen, wieso diese Musik mit mittelständischen weißen männlichen Studenten - heute würde man Nerds sagen - assoziiert wurde, die in der Faszination am technischen Overkill zahlloser elektronischer Klanggeneratoren und ganzer Batterien von Keyboards vergessen hatten, daß es bei Rockmusik um die Unmittelbarkeit von ihren gesellschaftlichen Fesseln befreiter Gefühle und den sexuell und aggressiv aufgeladenen Spaß an körperlicher Bewegung geht. Diese Zeit ist lange vorbei, und in dem gigantischen Katalog dessen, was heute als Prog Rock rubriziert wird, finden sich viele Perlen beeindruckender Beispiele für musikalische Virtuosität ebenso wie langweilige und ermüdende, von ästhetischer Inspiration freie Soundwüsten.

King Crimson gelten in der hegemonialen Popgeschichte als stilprägend für das ganze Genre des Progressive Rock. Dabei wird leicht übersehen, daß die Fusion zwischen Jazz und Rock bereits vor der Gründung der Band Ende 1968 mit Bands wie Colosseum und Chicago für Furore gesorgt hatte. Anleihen an die symphonische Kultur der Elterngeneration waren auch zuvor genommen worden, so von The Nice oder Deep Purple. Die psychedelische Musik der späten 1960er Jahre ist reich an Klangexperimenten, die heute das Etikett des Prog Rock trügen, wenn sie nicht als West Coast Sound oder psychedelischer Folk Rock firmierten, und allein die vielen Ausflüge des Jazz in exotische Hörwelten lassen die Neigung, die Popgeschichte in historische Schubladen zu stecken, als wenig hilfreich erscheinen.

Dennoch wird die Geschichte King Crimsons gerne mit dem zweifelhaften Verdienst geschmückt, ganz am Anfang des Prog Rock zu stehen. Im Januar 1969 betraten Robert Fripp, Sänger und Bassist Greg Lake, Drummer Michael Giles und der verschiedene Blas- und Tasteninstrumente bedienende Ian McDonald erstmals zusammen ein Studio. Von Anfang an dabei war auch der Dichter Peter Sinfield. Seine lyrische Arbeit hatte Fripp so begeistert, daß er ihn bat, mit ihm als Songtexter zusammenzuarbeiten, weshalb die Liedtexte der ersten vier Alben King Crimsons seine Handschrift tragen.

Das London jener Tage war eine Weltmetropole der Rockmusik, waren in dieser wenige Jahre währenden Gründerzeit doch spektakuläre Neuerungen an der Tagesordnung, auf die sich später ganze Musikrichtungen beriefen. Unter diesen Acts erspielten sich King Crimson in den Clubs der Stadt innerhalb kürzester Zeit einen legendären Ruf. Schon der erste Gig im Club The Speakeasy im April sorgte für so viel Furore, daß Jimi Hendrix nur wenige Tage später einen Auftritt der Band im Club Revolution besuchte. Anschließend versicherte er Robert Fripp, er würde jedem sagen, daß King Crimson die beste Band der Welt sei. Am 5. Juli traten King Crimson im Programm des Free Concerts auf, das die Rolling Stones anläßlich des Todes von Brian Jones zwei Tage zuvor veranstalteten. Die Band kam bei dem Publikum von gut einer halben Million Menschen so gut an, daß ihr kometenhafter Aufstieg nicht mehr aufzuhalten war.

Der erfolgreiche Auftritt war auch den Songs geschuldet, die auf ihrem ersten Album veröffentlicht werden sollten. Obwohl die Band erst ein halbes Jahr existierte und lediglich vom Hörensagen bekannt war, entschieden sich die vier Musiker nach den ersten Sessions mit dem Produzenten Tony Clarke, der mit den Moody Blues sehr erfolgreich war, das Album selbst zu produzieren. Sie wollten gerade nicht so klingen wie die mit ihrer Fusion aus Rock und Klassik berühmt gewordene britische Band. Also ging ihr Manager das Wagnis ein, eine Hypothek auf sein Haus aufzunehmen, um die 15.000 Pfund an Studiokosten zu stemmen, ohne die das Album nicht hätte produziert werden können.

Eingespielt wurde das Album innerhalb von zehn Tagen, an die sich noch drei Wochen Bearbeitung des Materials im Studio anschlossen. In diesem kurzen Zeitraum wurde eines der wichtigsten Werke der avantgardistischen Rockmusik fertiggestellt. Der als eine Art Markenzeichen der Band geltende und bei vielen Konzerten als Opener gespielte Titel 21st Century Schizoid Man wurde an einem Tag in nur einem Take aufgenommen, also praktisch live im Studio gespielt. Nur noch Fripps Gitarrensolo wurde zum Abschluß der Produktion als Overdub hinzugefügt, so daß allein mit dieser aggressiven, in dissonante Soundkaskaden ausbrechenden Zustandsbeschreibung einer Gesellschaft im Krieg mit allem, was lebenswert ist und daher vernichtet werden muß, Musikgeschichte geschrieben wurde.

Kein geringerer als Pete Townshend von The Who bezeichnete In the Court of the Crimson King als verblüffendes Meisterwerk, das es in vielerlei Weise bis heute ist. Im Unterschied zum damals noch dominierenden Bluesrock enthält es keine Solopassagen, mit denen sich einer der vier Musiker profilieren konnte, sondern überzeugt mit einem ingeniösen Zusammenspiel, dessen künstlerische Qualität in ausgefeilten und präzisen Arrangements hervortritt. Das von Ian McDonald gespielte Mellotron, das einen orchestralen Streichersound simulierte, nahm die am Synthesizer erzeugten Klangflächen späterer Bands vorweg und wurde zu einem Markenzeichen des King Crimson Sounds. Der Klang von Flöten unterstreicht die lyrischen Qualitäten der Texte Peter Sinfields, der mit dem düsteren und traurigen Grundtenor des Albums eine Stimmung wiedergab, die am Ende dieses Jahrzehntes des Aufbruches in der Luft zu hängen schien.

Die mit farblichen Attributen und eindringlichen Imaginationen fast überreich bebilderten Songs verströmen die Traurigkeit einer Zivilisation, der die Krisenhaftigkeit so tief eingeschrieben ist, daß sich die Sinnfrage nicht mehr zu stellen scheint. Die großzügig angelegten Arrangements lösen sich in Gefühlen von Einsamkeit, ja Verzweiflung auf, ohne die Schwärze regelrechter Todessehnsucht zu beschwören. An deren Stelle treten Anklänge an kollektive Erinnerungen, die dem Zuhörer verschlossen bleiben, solange Gefühle konsumiert und die eiserne Kapsel schmerzvoller Selbstreflektion nicht verlassen wird. Die psychedelische Anmutung des Sounds ist mit allen Sinnen zu greifen, obwohl die Bandmitglieder stets versicherten, mit den halluzinogenen Substanzen, die diese transzendente Ästhetik evozierten, nichts am Hut zu haben.

Ein großer Wurf war auch das Cover des Albums. Es wurde von einem Freund der Band, dem Computerprogrammierer Barry Godber, geschaffen und schlug bei allen vier Musikern bei seiner Präsentation sofort ein. Der Maler hatte den 21st Century Schizoid Man ins Bild gesetzt und eines der beeindruckendsten Cover dieser Ära der Rockmusik geschaffen. Das dem Betrachter regelrecht ins Gesicht springende Konterfei dieses von allen Seiten getriebenen und zerrissenen Menschen wurde als Front Cover verwendet, ohne vom Schriftzug mit dem Namen der Band und dem Titel des Albums unterbrochen zu werden. Was damals ein kommerzielles Wagnis und daher ganz und gar unüblich war, erwies sich als wegweisende Entscheidung, mit der eine Bildikone der Popmusik geschaffen wurde. Das Gemälde, dessen Original sich im Besitz von Robert Fripp befindet, war das einzige Albumcover, das der ein halbes Jahr später verstorbene Künstler geschaffen hatte.

Wie schon der laut Fripp mit Beelzebub, einer anglizierten Form des arabischen B'il Sabab, das als Mann mit einem Ziel oder Grund zu verstehen sei, synonym zu setzende Bandname verrät, spielten King Crimson auf den ersten Alben gerne mit Mythen und Anklängen an vergangene, weniger rationale denn geheimnisvolle Zeiten. Dies sollte sich später mit der entschiedenen Hinwendung zu avantgardistischen, am Jazz und den Neutönern symphonischer und experimenteller Musik orientierten Sound vollständig ändern, zumal Ian McDonald und Michael Giles die Band schon im Dezember 1969 wieder verließen. Obwohl Fripp angeboten hatte, ihnen den Bandnamen zu überlassen, schieden sie freiwillig aus dem Projekt aus, weil es ihrer Ansicht nach am meisten mit seiner Person identifiziert werden müsse. Greg Lake übernahm noch auf dem zweiten Album In The Wake Of Poseidon den Gesang, um sich dann mit Keith Emerson und Carl Palmer zu Emerson, Lake & Palmer zusammenzutun.

In dem 2006 uraufgeführten Film Children of Men feiert das Titelstück des Albums The Court of the Crimson King auf eine Weise Auferstehung, die seinem düsteren Grundton mehr als gerecht wird. Durch das dicke Fensterglas einer schweren Limousine blickt der Protagonist zu den so melancholischen wie majestätischen Klängen der Musik King Crimsons auf ein von Armut und Zerfall gezeichnetes London des Jahres 2017. Wie in einer Sicherheitskapsel rollt der Wagen in eine gegen Aufständische gut abgesicherte administrative Zentrale, die sich über die umliegende Trümmerlandschaft wie eine Burg inmitten einer untergehenden Welt erhebt. Im Post Brexit Britain wird der Weg klassengesellschaftlichen Niedergangs weiter an Tempo zunehmen, und King Crimson war niemals aktueller als gerade morgen.


Fußnote:

[1] https://www.loudersound.com/features/king-crimson-prog-it-s-a-prison

8. Oktober 2019


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