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PLANET/366: Aufregende neue Planetenwelten (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 6/09 - Juni 2009
Zeitschrift für Astronomie

Aufregende neue Planetenwelten
Die Suche nach Planeten um andere Sterne und die Frage nach dem Ursprung des Sonnensystems

Von Hubert Klahr und Thomas Henning


Bis vor wenigen Jahren kannten wir noch alle Planeten beim Namen - es waren die Geschwister der Erde, die gemeinsam unsere Sonne umlaufen. Heute kennen wir bereits mehr als 300 Planeten um andere Sterne und lernen, sie physikalisch und chemisch zu beschreiben.



In Kürze

Seit 1995 sammeln Astronomen immer detailliertere Daten über Planeten, die andere Sterne als die Sonne umkreisen. Die Konturen dieser Welten treten immer schärfer hervor.
Am interessantesten sind junge Systeme: neu geborene Sterne mit ihren zirkumstellaren Scheiben aus Gas und Staub, in denen sich vor unseren Augen neue Planeten bilden.
Mit Modellen versuchen die Astronomen, die schnelle Entwicklung der jungen Systeme konsistent zu beschreiben. So können sie die Vielfalt der Planetensysteme und gleichzeitig auch deren Entstehungswege studieren.

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Wenn wir von Exoplaneten reden, so müssen wir definieren, was Planeten sind. Historisch waren alle Lichtpunkte am Himmel, die sich relativ zu den Fixsternen bewegen, Planeten, was ja schlicht »Wanderer« bedeutet. Somit war die Erde kein Planet, sondern bekanntlich das Zentrum des Universums, während die Sonne und der Mond als Planeten galten. Die kopernikanische Wende räumte mit dieser Vorstellung auf: Sonne und Erde vertauschten ihre Stellung, und Planeten waren fortan die Begleiter der Sonne. Mit fortschreitender Beobachtungstechnik entdeckte man neue, immer fernere und kleinere Trabanten der Sonne. So galten eine Zeit lang auch Ceres und andere Asteroiden als Planeten.

Um die Klasse der Planeten überschaubar zu halten, beschränkte man sie später auf die vermeintlich neun größten Objekte. Da man Plutos Masse zunächst kräftig überschätzte und mit stetiger Verbesserung der Beobachtungsmethoden immer weiter nach unten korrigieren musste, wurde kürzlich auch Pluto von der Liste der Planeten verbannt. Er wurde zum Prototypen und Namensgeber einer neuen Objektklasse im äußeren Sonnensystem, der Plutoiden - einer Untergruppe der Trans-Neptun-Objekte (TNOs), also der Kleinplaneten jenseits des Neptun, von denen derzeit mehr und mehr entdeckt werden. Die meisten Plutoiden sind weiter von der Sonne entfernt als Pluto und somit schwerer zu entdecken, auch wenn sie größer als Pluto sein sollten, wie das wahrscheinlich bei (136 199) Eris der Fall ist. Dieser im Jahre 2005 entdeckte Kleinplanet ist gut 27 Prozent massereicher als Pluto, jedoch mehr als doppelt so weit von der Sonne entfernt.

Die Liste der Planeten unseres Sonnensystems, von Merkur bis Neptun, sagt allerdings noch nichts über die Eigenschaften von Planeten um andere Sterne aus.


Welche Masse darf ein Planet haben?

Was ist zum Beispiel die obere Massengrenze für einen Exoplaneten? Jupiter ist mit dreihundert Erdmassen der massereichste Planet der Sonne, auch wenn er nur ein Tausendstel ihrer Masse besitzt. Nun gibt es die unterschiedlichsten Sterntypen, die sehr verschiedene Massen haben. Es besteht jedoch ein klarer Unterschied zwischen einem »Stern« (er leuchtet selbst durch Kernfusionsprozesse in seinem Inneren) und einem »Planeten« (er wird nur angestrahlt). Zudem waren in dem weiten Massenbereich zwischen Jupiter und den masseärmsten bekannten Sternen zunächst keine Objekte bekannt. Dies änderte sich 1995 mit der Entdeckung der ersten Braunen Zwerge. Diese Objekte von 13 bis 75 Jupitermassen sind keine Sterne, weil sie zu massearm sind, um in ihrem Inneren Wasserstoff zu fusionieren. Genau wie Jupiter kühlen sie stetig ab und haben nie eine stationäre »Hauptreihen«-Existenz, wie dies bei der Sonne der Fall ist.

Solange die Sonne auf der Hauptreihe ist - das werden letztlich mehr als zehn Milliarden Jahre sein -, bezieht sie ihre Leuchtkraft aus der Verschmelzung von Atomkernen und befindet sich im thermischen Gleichgewicht. Dagegen kühlen alle Objekte mit weniger als 75 Jupitermassen - also knapp 8 Prozent der Sonnenmasse - stetig ab und schrumpfen dabei in sich zusammen. Eine etwas willkürliche untere Massengrenze führte man bei ungefähr 13 Jupitermassen ein: Bei größeren Massen (Braune Zwerge) tritt Deuteriumbrennen als kurze Anfangsepisode auf, und bei kleineren Massen (Planeten) ist auch dies nicht möglich.

Braune Zwerge findet man als »frei fliegende« Objekte, in Mehrfachsystemen oder auch als Begleiter von Sternen. Ihre Entdeckung und die Bestimmung ihrer Masse ist schwierig, da ihre Leuchtkraft gering ist und nicht nur von ihrer Masse, sondern auch von ihrem Alter abhängt. Eine dynamische Massenbestimmung ist nur möglich, wenn sie um ein anderes massearmes Objekt kreisen und man dessen Auslenkung astrometrisch bestimmen kann. Kürzlich ist dieses Kunststück gelungen: Aus Beobachtungen mit dem Hubble Space Telescope und großen bodengebundenen Teleskopen konnten Astronomen des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA) in Heidelberg die Relativbewegung der beiden nur 0,1 bis 0,2 Bogensekunden voneinander entfernten Komponenten eines Doppelsystems über einen Zeitraum von vier Jahren verfolgen (siehe Bildunterschrift 1). Mit den daraus abgeleiteten Bahnparametern und weiteren spektroskopischen und photometrischen Daten konnten sie dann mit Hilfe der keplerschen Gesetze die Gesamtmasse des Systems (0,146 Sonnenmassen), die Einzelmasse des Sterns (0,085 Sonnen- oder 89 Jupitermassen) und somit auch die Masse des Braunen Zwergs (69 Jupitermassen) bestimmen.

Während Braune Zwerge wahrscheinlich ähnlich wie Sterne entstehen, also aus dem Zusammensturz einer Gaswolke unter der Last ihres eigenen Gewichts, denkt man bei Planeten an ein langsames, kontinuierliches Wachstum, von mikroskopischen Staubkörnern über Asteroiden und erdgroße Planeten bis hin zu den jupiterähnlichen Gasriesen. Ob aber ein Objekt von 10 bis 20 Jupitermassen einmal als Gesteinsplanet angefangen hat, oder als Endprodukt einer unterentwickelten oder unterbrochenen Sternentstehung anzusehen ist, geht aus seiner Masse allein nicht hervor.

Dennoch ist zurzeit die einzige praktikable Definition für Planeten anderer Sterne eine Massenobergrenze von 13 Jupitermassen. Obwohl diese Grenze weder mit ihrer Entstehung zu tun hat, noch eine wichtige physikalische Bedeutung hat, sollten wir zunächst nach Objekten suchen, die in diesen Massenbereich fallen. Da die Massenbestimmung mit großen Unsicherheiten behaftet ist, kommt es unter den konkurrierenden Forschergruppen häufig zu leidenschaftlichen Debatten, ob man einen Planeten oder »nur« einen Braunen Zwerg gefunden hat. Erst wenn wir die Chemie, die Physik, aber auch die Entstehung der Begleiter ferner Sterne besser verstehen, können wir auch eine neue Definition von Planeten wagen, dann wahrscheinlich losgelöst von der Masse der Objekte.


Die Architektur von Planetensystemen

Die meisten Exoplaneten wurden bisher mit der Radialgeschwindigkeitsmethode entdeckt, bei der über den Dopplereffekt das Wackeln des Sterns den umlaufenden, unsichtbaren Planeten verrät. Hierbei können große Planetenmassen auch kleine Radialgeschwindigkeiten erzeugen, wenn wir fast senkrecht von oben auf das Planetensystem blicken. Von den so entdeckten Planeten sind die Massen und die Bahnhalbachsen bekannt, wobei sich für die Massen nur untere Grenzwerte ergeben, solange die Lage der Bahnebenen unbestimmt ist.

Mit dieser Methode wurden schnell viele Planeten gefunden, die massereicher als Jupiter sind und deren Umlaufbahnen um einiges näher am Stern verlaufen als Merkur an der Sonne. Somit war schlagartig klar, dass sich die Verhältnisse in und die Theorien zu unserem Sonnensystem nicht einfach auf exoplanetare Systeme übertragen lassen. Es wurden auch Planeten auf sehr exzentrischen Bahnen entdeckt, was auf Wechselwirkungen mit Begleitern oder sogar mit anderen nahe vorbeiziehenden Sternen hinweist.

Die seit der ersten Entdeckung 1995 bis heute bekannt gewordenen Exoplaneten sind in der unten stehenden Grafik (siehe Bildunterschrift 3) in Abhängigkeit von ihrer Masse und ihrem Abstand vom Zentralstern dargestellt. Bei zu nehmend vielen Exoplaneten werden zusätzlich zur Radialgeschwindigkeit auch Transitereignisse gemessen, oder sie werden zuerst durch einen Transit entdeckt. Hierbei beobachtet man, wie der Planet von der Erde aus betrachtet vor dem Sternenscheibchen vorbeiwandert. Dies geschieht natürlich nicht räumlich aufgelöst, wie das mit Venus und Merkur im Sonnensystem möglich ist, sondern als kurze Verminderung der Gesamthelligkeit des Sterns. Dies erlaubt eine genaue Massenbestimmung des Planeten, denn ein Transit bedeutet, dass wir die Bahnebene genau von der Seite beobachten. Die durch die Transitmethode entdeckten Planeten stellen eine Untergruppe der Radialgeschwindigkeitsplaneten dar und sind in dem Bild unten links (siehe Bildunterschrift 3) nicht extra gekennzeichnet. Denn alle Transitkandidaten müssen nachträglich mit der Radialgeschwindigkeitsmethode bestätigt werden, um Verwechslungen mit Sternflecken oder sich gegenseitig partiell bedeckenden Doppelsternen auszuschließen. Aus dem Grad der Helligkeitsverminderung während des Transits lässt sich auf den Durchmesser des Planeten schließen - und damit erstmals auf seine Dichte als wichtige physikalische Zustandsgröße. Die meisten bisher gefundenen Transitplaneten haben eine geringere Dichte als Jupiter (siehe Bildunterschrift 5).

In den gemessenen Dichtewerten fand man bald eine große Schwankungsbreite, wobei die Dichten unserer beiden Riesenplaneten Jupiter und Saturn als durchschnittlich gelten können. Aus den bestehenden Modellen für die Gasriesen unseres Sonnensystems allein lassen sich diese Schwankungen nicht erklären. Manche Planeten haben eine hohe Dichte, was an einem sehr massereichen Gesteinskern liegen kann, andere sind eher aufgebläht, was auf eine externe Aufheizung durch den Stern hinweist. Diese Aufheizung ist noch recht spekulativ und man diskutiert, ob dabei Gezeitenkräfte oder Strahlung dominieren. Bemerkenswert ist hier, dass man erstmals die atmosphärischen »Wetter«-Muster eines Exoplaneten simulieren muss, um die Verteilung seiner Oberflächentemperatur zu verstehen.


Chemie auf fernen Planeten

Während bei der Entdeckung der meisten Planeten nur Photonen vom Zentralstern ausgewertet werden, gelang neuerdings bei Transitplaneten auch der Nachweis der Photonen vom Planeten selbst. Zwar überstrahlt der Stern den Planeten in den meisten Wellenlängen um ein Vielfaches, und so misst man mangels räumlicher Auflösung immer nur das kombinierte Spektrum von Stern und Planet. Bestimmt man aber das Spektrum des Sterns zu der Zeit, wenn der Planet hinter dem Stern verschwindet, dann kann man dieses reine Sternspektrum vom kombinierten Spektrum abziehen. Dazu muss man beide Spektren mit hoher Präzision messen, was gegenwärtig am besten mit den Weltraumteleskopen Hubble und Spitzer möglich ist: Hier gelang erst kürzlich die Gewinnung von Spektren eines Exoplaneten (siehe Bildunterschrift 4) und damit der Nachweis von Molekülen wie Wasser, Kohlenmonoxid und Kohlendioxid in seiner Atmosphäre.

Dies ist ein gewaltiger Erkenntnisgewinn zur chemischen Zusammensetzung der Atmosphären von Exoplaneten, und es ebnet den Weg zur Beobachtung der Atmosphären von »habitablen« erdähnlichen Planeten. »Habitabel«, also bewohnbar, bedeutet hier zunächst nur, dass die an der Oberfläche der Planeten herrschenden Temperaturen das Vorhandensein flüssigen Wassers erlauben, das wir als wichtige Grundlage des Lebens ansehen. Würden wir im Spektrum eines habitablen Exoplaneten auch Ozon oder Methan beobachten, so wäre das der Durchbruch in die Exobiologie, denn diese Gase können nach unserem Wissen nur von biologischen Prozessen in großen Mengen gebildet werden: Dies wäre die Entdeckung von biologischer Aktivität in anderen Planetensystemen.


Die Geburt der Planeten

Aber bis es so weit ist, haben wir noch viel zu tun, um Entstehung und Entwicklung von Planeten besser zu verstehen. Zwar wurde ihre Geburt noch nie direkt beobachtet, aber wir glauben zu wissen, woraus sie entstehen: aus den Staub- und Gasscheiben um junge Sterne, die sich gerade aus einer Molekülwolke gebildet haben. Diese Scheiben lassen sich aufgrund ihrer Wärmestrahlung oder ihrer Absorption des von einem hellen Hintergrund emittierten Lichts direkt beobachten; danach kann man erst wieder den fertigen, von seiner Scheibe befreiten Stern mit mehr oder weniger vielen Planeten beobachten. Trotzdem hat sich ein Standardbild davon entwickelt, was sich in der Zwischenzeit im Inneren der Scheiben abspielt (siehe das »Schema der Planetenentstehung aus einzelnen Staubteilchen« in Infografik "Stadien der Planetenbildung" unter Zusatzinformation 3).

Man geht davon aus, dass sich mikroskopisch kleine Staubkörner zu immer größeren Körpern zusammenlagern. Diese vereinen sich dann unter dem Einfluss der Schwerkraft entweder zu den terrestrischen Planeten oder - falls massereich genug - zu den Kernen der Gas- und Eisriesen, welche mit ihrer Schwerkraft Gas aus der zirkumstellaren Scheibe aufsammeln. Dieses Gas macht bei Jupiter mehr als 90 Prozent seiner Gesamtmasse aus. Hier gibt es also nur einen subtilen Unterschied zu den Braunen Zwergen, die wohl zu 98 Prozent aus Wasserstoff und Helium bestehen, da sie eben nicht um einen festen Kern herum entstanden sind. Das äußere Erscheinungsbild, also die Größe und Oberflächentemperatur solcher Objekte, hängt nur schwach von der Existenz eines Kerns ab, während die noch weitgehend unbekannten kalorischen Zustandsgleichungen des Planetengases einen viel stärkeren Einfluss auf ihre Struktur haben. Somit ist bei Jupiter noch nicht vollständig geklärt, welche Masse sein Kern wirklich hat.

Staubteilchen müssen zunächst zu kilometergroßen Brocken zusammenwachsen, bevor die Schwerkraft zwischen diesen Brocken zur Bildung der Planetenkerne führt. Die meisten Simulationen und theoretischen Abschätzungen sagten jedoch voraus, dass die Brocken etwa bei Metergröße aus dem Nebel um den jungen Stern ausregnen, ähnlich wie Hagelkörner bei einem Gewittersturm. Wie groß die Brocken werden können, hängt von der Stärke der Gasturbulenz ab. Zwar führt starke Turbulenz zu vielen Kollisionen zwischen den Brocken, jedoch führen diese Kollisionen nicht unweigerlich zu deren Wachstum, sondern - wie Experimente von Forschergruppen aus Münster und Braunschweig zeigen - letztlich zu deren Zerstörung und zur Produktion kleinerer Staubkörner.

Andererseits zeigt eine aufwändige, kürzlich am MPIA durchgeführte magnetohydrodynamische Computersimulation, wie die Gesteins- und Eisbrocken in der turbulenten Gasscheibe sich teilweise so stark in Wirbeln konzentrieren, dass ihre gegenseitige gravitative Anziehung direkt zur Bildung eines viele Kilometer großen Körpers führt. Diese Modellrechnungen wurden nur möglich durch eine umfassende Berücksichtigung der relevanten Physik. So behandelten wir neben den Gleichungen der Magnetohydrodynamik, die für die Beschreibung der Turbulenz erforderlich sind, auch die Bewegung von Millionen Staubpartikeln, die von dem turbulenten Gas umhergewirbelt werden und selbst mit ihrer Reibung auf das Gas wirken. Zusätzlich berechneten wir die Anziehung zwischen diesen Partikeln und fanden so, wie sie sich in filamentartigen Strukturen konzentrieren, aus denen dann die Planetesimale herauskristallisieren. Das obige Bild (siehe Bildunterschrift 6), ein Schnappschuss aus dieser Simulation, zeigt die Verteilung der Staubpartikel innerhalb der Mittelebene und ein erstes Planetesimal. Somit ist der Weg zur Bildung der Planetenkerne frei.

Wir können die Zwischenschritte der in der Infografik "Stadien der Planetenbildung" (oben) dargestellten Planetenentstehung noch nicht direkt beobachten, und also auch nicht direkt überprüfen. Eine Ausnahme bilden neuerdings die ersten Stufen des Wachstums vom submikrometergroßen Staubkorn hin zu zentimetergroßen Steinchen. Mit Beobachtungen im Radiobereich konnten wir nachweisen, dass in protoplanetaren Scheiben solche Teilchen tatsächlich existieren, dass also ein erster Wachstumsprozess tatsächlich abläuft. Zugleich fanden wir Hinweise auf die Auflösung der Scheiben: Die so genannten »Übergangsscheiben« weisen riesige zentrale Löcher auf, die entweder durch bereits entstandene Planeten oder durch andere Prozesse wie Photoverdampfung erzeugt werden.


Vorhersagen zur Planetenentstehung

Um zwischen den verschiedenen Teilprozessen der Planetenbildung und der Struktur der entstandenen Planetensysteme eine Verbindung herzustellen, hilft man sich seit einigen Jahren mit »Populationssynthesen«. Diese sind Vorhersagemodelle für Planeten um Sterne in Abhängigkeit von ihrer Masse und Metallizität, also der Menge an schweren Elementen, die für die Entstehung der Planeten zur Verfügung steht. Bei diesen Populationssynthesen vereint man all unser Wissen zur Planetenentstehung, angefangen von der Entwicklung der Gasscheiben um junge Sterne, zusammen mit Staubwachstum und Bildung von Planetenkernen, über Gasakkretion bei den Riesenplaneten bis hin zur Migration von jungen Planeten innerhalb der Scheiben, zu einem einheitlichen Bild. Davon ausgehend berechnet man, wie häufig man Planeten gegebener Masse in bestimmten Abständen von ihrem Zentralstern entdecken sollte. Der Vergleich dieser Vorhersagen mit den tatsächlich entdeckten Planeten zeigt, wie realistisch unsere theoretischen Annahmen zur Planetenentstehung tatsächlich sind.

Solche Modelle können mittlerweile die meisten bekannten Exoplanetensysteme reproduzieren, auch Jupiter und Saturn kommen als wahrscheinliche Planeten in den Populationssynthesen vor. Zum Beispiel wurde in der Arbeitsgruppe um Willy Benz in Bern ein Modell entwickelt, das unser derzeitiges Wissen über Staub- und Gasscheiben um junge Sterne sowie die aktuellsten Theorien zu verschiedenen Planetenentstehungsprozessen beinhaltet - siehe dazu den untenstehende Zusatzinformation »Populationssynthese«.

Einer der wichtigsten Parameter in den Rechnungen zur Populationssynthese ist die Migrationsrate der Planeten. Solange die Planeten noch in der Gasscheibe eingebettet sind, kommt es zu einem Drehimpulsaustausch zwischen Planet und Scheibengas. Daraus resultiert eine ständige Veränderung der Halbachse der Bahn, auf welcher der Planet den Stern umläuft. Der Planet wandert auf den Stern zu, oder in manchen Fällen auch von ihm weg. Der Grund für diesen Drehimpulsaustausch liegt in den Gezeitenkräften, die zwischen Planet und Scheibe wirken. Ähnlich, wie der Mond zunächst die Flutberge auf der Erde erzeugt und diese dann auf Grund der Zähigkeit der rotierenden Masse - die Deformation der Erde eilt der Erde-Mond-Achse immer ein Stück voraus - ein Drehmoment auf den Mond ausübt, so erzeugt der Planet in der Gasscheibe ein Spiralmuster (siehe Bildunterschrift 7), das dem Planeten Drehimpuls entzieht. So wandern die Planeten in der Gasscheibe, aus der sie entstanden sind, wie auch der Mond sich ständig von der Erde entfernt. Das Gas in der Nähe des Planeten zieht mit seiner Schwerkraft am Planeten. Wäre das Gas völlig gleichmäßig in der Scheibe verteilt, so würden sich alle Anziehungskräfte des Gases auf den Planeten gegenseitig aufheben. Bestehen jedoch kleine Abweichungen von dieser Symmetrie, die vom Planeten selbst erzeugt werden, so können die Kräfte dem Planeten Drehimpuls zuführen oder entziehen.


Jupiter, quo vadis?

Die Migrationsrate, also die Geschwindigkeit, mit der ein Planet in der Scheibe nach innen oder nach außen wandert, hängt von der Masse des Planeten, der Scheibe und des Zentralsterns sowie von den turbulenten und thermodynamischen Eigenschaften des Gases ab. Lange Zeit ergaben numerische Simulationen Migrationsraten, die im Widerspruch zur Beobachtung standen. Es ergab sich stets eine nach innen gerichtete und meist so schnelle Migrationsgeschwindigkeit, dass die Planeten sich zwar schnell Masse »anfraßen«, jedoch alsbald in den Stern fielen. Erst kürzlich erkannte man, dass eine genauere thermodynamische Behandlung der Gasakkretion auf den Planeten und der erfolgenden Strahlungskühlung eine Verlangsamung und gar Umkehr der radialen Drift der Planeten ergibt. Wurden lange Zeit die Simulationen unter Vernachlässigung der korrekten Temperaturentwicklung durchgeführt, so gelangen uns am MPIA in Zusammenarbeit mit Willy Kley und seiner Tübinger Arbeitsgruppe die ersten ausführlichen dreidimensionalen Rechnungen zur Migration unter Einschluss der Thermodynamik und des Strahlungstransports (siehe Bildunterschrift 7). Gerade bei noch wachsenden Planeten verändert die lokale Aufheizung des Gases durch den Planeten die Gasverteilung in der Scheibe so stark, dass die Planeten nach außen statt nach innen wandern. Die Auswirkungen dieses Verhaltens untersuchen wir derzeit in neuen Populationssynthesemodellen.


Der jüngste Planet

Offenbar verbessert sich unser Verständnis der Planetenentstehung mit zunehmender Anzahl und Vielfalt der untersuchten Exoplanetensysteme. Neben den Massen und Bahnhalbachsen der Exoplaneten werden auch andere Daten verfügbar, etwa ihre Radien, Oberflächentemperatur und Chemie. Jenseits der systematischen Planetensuche mit ganz unterschiedlichen Techniken gibt es auch die Jagd nach den extremen Fällen, ohne die wir nichts über den vollen Parameterraum lernen würden. So fahnden Teams nach den masseärmsten oder den am weitesten vom Zentralstern entfernten Planeten, sowie nach Planeten um Sterne mit der größten oder kleinsten Masse, oder mit der geringsten Metallizität. Sehr interessant ist die einem Team des MPIA gelungene Entdeckung des »jüngsten« Planeten. Der Stern TW Hydrae ist mit wenigen Millionen Jahren so jung, dass er noch von seiner Staub- und Gasscheibe umgeben ist. Dennoch konnte mit der Doppler-Methode ein fast zehn Jupitermassen schwerer, 0,04 Astronomische Einheiten (AE) vom Zentralstern entfernter Planetenkandidat gefunden werden (siehe Bildunterschrift 9). Dies wäre der erste Planet, der gleichzeitig mit der Scheibe beobachtet wird, aus welcher er - der Theorie nach - entstanden ist.

Zur Auswertung der Radialgeschwindigkeitsmessungen müssen die Effekte der stellaren Aktivität vom Radialgeschwindigkeitssignal getrennt werden. Anders als die Sonne, sind diese Sterne noch hochgradig turbulent, haben viele große Flecken, und ihre Rotationsraten sind teilweise noch unbekannt. So kann ein großer Fleck, der mit dem Stern rotiert, ein ähnliches Signal erzeugen wie ein umlaufender Planet. Ein Fleck ist ein kühleres und dunkleres Gebiet auf der Sternoberfläche. Wenn er sich auf den Beobachter zudreht, so fehlt der Teil des Sternspektrums, der per Doppler-Effekt blau verschoben wird. Dreht sich der Fleck wieder vom Beobachter weg, so fehlt der rotverschobene Anteil. Für den Beobachter sieht das so aus, als würde der gesamte Stern sich von der Erde weg oder auf sie zu bewegen - genau so, als zerrte ein Planet am Stern periodisch hin und her. Da aber der Fleck nicht völlig schwarz ist, sondern nur ein wenig kühler als die restliche Sternoberfläche, hängt diese Rot- beziehungsweise Blauverschiebung des Sternspektrums von der Wellenlänge ab (siehe Bildunterschrift 10), während die Signatur eines Planeten konstant bleibt. Somit besteht die Hoffnung, in naher Zukunft durch Beobachtungen Klarheit darüber zu erlangen, ob der Stern TW Hydrae tatsächlich den jüngsten bekannten Planeten beheimatet.


Bilder von fernen Welten

Ein weiterer spektakulärer Weg, Exoplaneten zu entdecken, ist ihre direkte Abbildung. Das geht natürlich nur, wenn sie weit genug von ihrem Zentralstern entfernt sind und selbst noch auf Grund ihrer Jugend hell genug strahlen. Ist ein Planet so alt wie Jupiter, dann ist er meist so kalt, klein und dunkel, dass es sehr schwer wird, ihn abzubilden. Aber in einem Alter von nur wenigen Millionen Jahren war auch Jupiter mehr als tausendmal heller als heute.

In letzter Zeit ist es endlich gelungen, Exoplaneten direkt abzubilden. Ein schönes Exemplar ist der Stern HR 8799 mit seinen drei Planeten von wahrscheinlich 10, 10 und 7 Jupitermassen in 24, 38 und 68 AE Abstand vom Zentralstern (siehe Bildunterschrift 11). Auf diese Massen schließt man allein aus Farbe und Helligkeit der Lichtpunkte um den 60 Millionen Jahre jungen Zentralstern. Eine dynamische Massenbestimmung ist schwierig, da die Umlaufzeit des innersten Planeten rund 100 Jahre, die des äußersten mehr als 500 Jahre beträgt. Das MPIA ist an der Entwicklung einer neuartigen Kameratechnik (SPHERE, Spectro-Polarimetric High-contrast Exoplanet Research) für das Very Large Telescope (VLT) in Chile beteiligt, welche die direkte Abbildung jupitergroßer Planeten im Alter von bis zu einigen Milliarden Jahren ermöglichen soll.

Einerseits ist das Foto eines Planetensystems ein schlagender Beweis, dass man Objekte mit planetarer Masse - also kleiner als Braune Zwerge - auch bei sehr großen Entfernungen zum Zentralobjekt antreffen kann. Andererseits schrillen bei den meisten Theoretikern die Alarmglocken, denn sie können die Existenz von Planeten bei solch großen Entfernungen vom Zentralstern nicht mit ihren Berechnungen zur Planetenentstehung in Einklang bringen. Dies war ja auch lange Zeit nicht nötig, denn bei unserem Sonnensystem sind wir uns sicher, dass jenseits von Neptun keine größeren Planeten existieren - sie hätten sich längst durch ihre Störung der restlichen Planetenbahnen verraten.

Wie wir bei der Populationssynthese bereits erwähnt haben, bilden sich im Standardbild der Planetenentstehung keine Planeten jenseits von Saturn (siehe Zusatzinformation 1). Bereits die Existenz von Uranus und Neptun kann nur erklärt werden, wenn sich diese Planeten zunächst in enger Nachbarschaft zu Jupiter gebildet haben und dann durch diesen Gasriesen nach außen geschleudert wurden. Würde man ein solches »Schleuder-Szenario« für das oben erwähnte System HR 8799 entwerfen, so müsste man noch den oder die schleudernden Planeten finden, die sehr massereich sein dürften und sich nahe am Stern befinden müssten. Solche »Schleuderplaneten« fand man bisher nicht. Vielmehr kommt hier eine zweite Möglichkeit der Planetenentstehung ins Spiel, die auch bereits seit vielen Jahren diskutiert wird.


Die zweite Art der Planetenentstehung

Mit dem Begriff Scheibenfragmentation beschreibt man einen alternativen Mechanismus der Planetenentstehung. Er geht von einer massereichen kalten Scheibe um einen jungen Stern aus, in welcher der thermische Druck dem Gewicht der Scheibenmasse nicht mehr standhalten kann. Ähnlich wie ein Stern aus einer Molekülwolke heraus durch Fragmentation entsteht, kann unter bestimmten Bedingungen aus der Scheibe ein Planet ausfragmentieren. Dieser Prozess verläuft viel schneller als das mit den Staubteilchen beginnende Wachstum eines Planeten. Bereits Bereits innerhalb weniger hundert statt Millionen Jahren kann so ein Objekt von mehreren Jupitermassen entstehen.

Zunächst wurde dieses Szenario auch für Jupiter diskutiert. Die Anzeichen mehren sich jedoch, dass Jupiter einen Kern besitzt, was bei einem Gravitationskollaps des Gases schwer zu erklären wäre. Andererseits waren für Jupiter wahrscheinlich die beiden Bedingungen für die Scheibenfragmentation nicht gleichzeitig gegeben: Erstens muss die Scheibe genügend massereich sein, so dass ihre Eigengravitation stärker ist als der thermische Druck, und zweitens muss die beim Kollaps frei werdende Energie schnell genug abgestrahlt werden können, damit die Fragmente zügig kontrahieren, statt von den Gezeitenkräften des Zentralsterns zerrissen zu werden. Das erste Kriterium setzt eine hohe Scheibenmasse voraus, während für das zweite die Scheibendichte nicht zu hoch sein darf, da sonst ihre optische Tiefe groß wird und das Gas nur langsam auskühlt.

Nahe der Sonne sind die Temperaturen hoch und die Gezeitenkräfte stark. Hier werden wahrscheinlich Planeten aus Staubkörnern gebildet. Jenseits von 20 bis 30 AE, wo das Staubwachstum für die Entstehung von Gasriesen zu langsam und ineffizient ist, könnten die Bedingungen für Scheibenfragmentation aber gegeben sein. Scheiben um junge Sterne, so lehrt uns die Beobachtung, kommen in allen Massen und Größen vor. Hier spiegelt sich der Drehimpulsgehalt der Wolke wider, aus der Stern und Scheibe entstanden sind. Es kann also Scheiben geben, deren Masse im Abstand von 20 bis 100 AE noch so groß ist, dass die Eigengravitation wichtig wird, und auch die Kühlraten kurz genug sind, um einen Kollaps zu ermöglichen. Für den Stern HR 8799 haben wir dieses Szenario am MPIA betrachtet (siehe Zusatzinformation 2). So dürften alle drei Planeten bei etwa 40 AE durch Scheibenfragmentation entstanden sein und haben sich durch gegenseitige Streuung auf ihre jetzigen Bahnen verteilt. Die Entdeckung, dass Exoplaneten auf unterschiedliche Art und Weise entstehen können, macht die Definition eines Planeten nicht einfacher, aber ihre Erforschung umso interessanter.

Vielleicht helfen uns auch Beobachtungen von noch ganz jungen Planeten, die in der Scheibe, aus der sie geboren wurden, noch eingebettet sind, im Verständnis der Planetenentstehung voranzukommen. Solche Beobachtungen sollten mit den Instrumenten und Teleskopen der nächsten Generation, allen voran ALMA, dem Atacama Large Millimeter Array, möglich werden. Wir haben sie unter realistischen Bedingungen simuliert (siehe Bildunterschrift 12) und konnten so mithelfen, die günstigste Konfiguration der Antennen für das Aufspüren von Planetenmustern wie Spiralen und Lücken in Scheiben zu finden.

Es bleibt spannend! Heute sind viele massearme Objekte um Zentralobjekte ganz unterschiedlicher Masse und Zusammensetzung bekannt. Durch die kommenden Suchprogramme wird sich die schiere Anzahl von Planeten wohl weiterhin etwa alle 18 Monate verdoppeln. Dies führte bisher zu einer Erweiterung der theoretischen Beschreibung der Planetenentstehung, jedoch auch zur Verwirrung bei der Definition, was Planeten eigentlich sind. Die Internationale Astronomische Union plant eine neue Planetenresolution - wessen Inhalts, das steht jedoch in den Sternen, denn als Politikum muss sie ja unterschiedlichsten Ansprüchen genügen: Keiner möchte sich im Nachhinein eine »Planetenentdeckung« aberkennen lassen, nur weil sein Objekt zu leicht oder zu schwer ist, keinen ordentlichen Stern umkreist oder sich »falsch« gebildet hat.

Der Hauptgrund für unser Interesse an den Exoplaneten bleibt jedoch: Wir suchen die Antwort auf die Frage »Sind wir allein im Universum?«. Die Chancen stehen gut, dass wir bald in der Lage sein werden, bei anderen Sternen Schwestern der Erde zu entdecken und sie auf vorhandenes Leben hin zu untersuchen.


Hubert Klahr leitet die Theoriegruppe der Abteilung »Planeten- und Sternentstehung« am Max-Planck-Institut für Astronomie.

Thomas Henning ist Direktor am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg und leitet dort die Abteilung »Planeten- und Sternentstehung«.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht vorhandenen Abbildungen der Originalpublikation:

Bildunterschrift 1:
So detailreich wie diese künstlerische Darstellung ist unser wissenschaftlich fundiertes Bild der extrasolaren Planetensysteme noch nicht. Aber mit der wachsenden Menge gesammelter Daten nehmen auch die Vorstellungen der Forscher immer schärfere Konturen an.

Bildunterschrift 2:
Die erste dynamische Massenbestimmung eines Braunen Zwergs beruht auf Einzelaufnahmen des Doppelsystems 2MAS W J074625+2000321, die am Weltraumteleskop Hubble (HST) und an mehreren Großteleskopen entstanden. Sie zeigen seine Bahnbewegung um einen M-Stern im Laufe von vier Jahren.

Bildunterschrift 3:
In diesem Diagramm sind die bis heute entdeckten Exoplaneten in Abhängigkeit von ihrer Masse und von ihrem Abstand zum Zentralstern dargestellt. Die unterschiedlichen Symbole kennzeichnen die verschiedenen Entdeckungsmethoden. Zum Vergleich sind auch die Planeten des Sonnensystems eingetragen.

Bildunterschrift 4:
Mit Hilfe des Weltraumteleskops Hubble konnten in der Atmosphäre des Exoplaneten HD 189733b Kohlenmonoxid (CO), Kohlendioxid (CO 2) und Wasser (H2O) spektroskopisch nachgewiesen werden.

Bildunterschrift 5:
Mit der Transitmethode lassen sich die Radien der beobachteten Exoplaneten bestimmen, und die Radialgeschwindigkeitsmethode liefert direkt ihre Masse. Somit kennt man auch ihre Dichte und kann auf ihren inneren Aufbau schließen. Die Kurven sind Linien konstanter Dichte relativ zur Dichte Jupiters (ρJupiter).

Bildunterschrift 6:
Die Entstehung von Planetesimalen lässt sich neuerdings im Computer nachvollziehen. Großskalige magnetohydrodynamische Simulationsrechnungen zur Entwicklung turbulenter Gas- und Staubscheiben um junge Sterne zeigen die spontane Entstehung von Ceres-großen Planetenbausteinen - hier zum Beispiel rechts im Bild.

Bildunterschrift 7: Strahlungshydrodynamische Simulationen
Diese Bilder zeigen Ergebnisse strahlungshydrodynamischer Simulationen zur Wechselwirkung von Planet und Scheibe. Zunächst die Dichteverteilung innerhalb der Scheibe: Der 30 Erdmassen schwere Planet befindet sich links vom Stern bei 5 Astronomischen Einheiten (AE). Im ersten Fall (oben) wurden die Thermodynamik des Gases und das Aufheizen durch den Planeten vernachlässigt, es bildet sich in der Dichteverteilung eine Spiralstruktur, welche die Wanderung des Planeten nach innen bewirkt. Im zweiten Fall (darunter) wurde die Temperatur des Gases konsistent berechnet: Die hier sich ergebende Dichteverteilung führt dem Planeten Drehimpuls zu - Migration nach außen ist die Folge; das dritte Bild zeigt die entsprechende Temperaturverteilung in der Scheibe (hell = hohe Temperaturen). Richtung und Geschwindigkeit der Drift hängen von der Masse des Planeten ab: Unten ist die berechnete Driftgeschwindigkeit bei 5 AE Abstand vom Stern als Funktion der Planetenmasse, ohne (rot) und mit (blau) Berücksichtigung der thermodynamischen Effekte dargestellt.

Bildunterschrift 8:
Diese schematische Darstellung des Systems TW Hydrae zeigt die Lage des knapp zehn Jupitermassen schweren Planeten, die große zentrale Lücke in der verbliebenen Scheibe und ihre wahrscheinliche Ausdehnung.

Bildunterschrift 9:
Die periodische Geschwindigkeitsvariation des Sterns TW Hydrae (rote Punkte, mit dem Instrument FEROS am 2,2-Meter-MPG/ ESO Teleskop gemessen) könnte auch durch Sternflecken vorgetäuscht sein. In diesem Fall würde aber die gemessene Amplitude von der Wellenlänge abhängen (blaue Modellrechnungen). Bald werden Infrarotmessungen mit dem Instrument CRIRES am VLT die Entscheidung herbeiführen.

Bildunterschrift 10:
Das Bild zeigt eine Aufnahme des Sterns HD 8799 mit seinen drei Planeten. Das Licht des Zentralstern wurde nahezu vollständig abgezogen. Das rechte Diagramm zeigt die Massen der drei Planeten in Abhängigkeit von ihrem Abstand vom Stern.

Bildunterschrift 11:
Das Atacama Large Millimeter Array (ALMA) wird nach neuen Berechnungen in der Lage sein, mögliche Signaturen von Planeten in Scheiben um junge Sterne zu beobachten. Grundlage dieser Beobachtungssimulationen sind hydrodynamische Modellrechnungen wie im Kasten (siehe Bildunterschrift 7) beschrieben, sowie spezielle Gegebenheiten bei der Beobachtung mit ALMA.


ZUSATZINFORMATIONEN:

Zusatzinformation 1:
Populationssynthese

Die Vielfalt möglicher Wege der Planetenbildung in zirkumstellaren Scheiben lässt sich im Computer mit einem statistischen »Monte-Carlo-Verfahren« ausloten. Dabei werden Entwicklungswege mit unterschiedlichen, zufällig gewählten Anfangsbedingungen (etwa die Entfernung zum jungen Zentralstern oder die Eigenschaften der Scheibe) verfolgt. Der Zufall ist dabei so gewählt, dass er die beobachtete statistische Streuung echter Scheiben und die unterschiedlich wahrscheinlichen Entstehungsorte der Planetenkerne berücksichtigt. Für die im Bild rechts (keine Bildunterschrift) vorgestellte Untersuchung wurden »Planetenkeime« von 0,6 Erdmassen in die Scheibe platziert. Diese Planetenkeime beginnen am unteren Rand des Diagramms zu wachsen, indem sie zunächst Planetesimale und später Gas aufsammeln. Gleichzeitig migrieren sie nach Innen (farbige Kurven), wobei die Migrationsgeschwindigkeit von der Masse des Planeten und der Masse in der Gasscheibe abhängt. Je nach Migrationstyp wurden die Kurven verschieden eingefärbt. Wenn die Scheibe sich schließlich auflöst, erreicht der Planet seine endgültige Position, gekennzeichnet durch ein schwarzes Symbol. Es herrscht bereits gute Übereinstimmung mit den Beobachtungsdaten (siehe Grafik (Bildunterschrift 3)).

Jedoch gibt es Grenzen der Modelle: So können sie die Entstehung von Planeten jenseits der Saturnbahn noch nicht erklären, und es fehlt noch ein Haltemechanismus für die Migration, so dass die entdeckten massereichen Planeten, die ihre Sonne mehr als zehnmal so eng umkreisen wie die Erde, weder vorhergesagt, noch theoretisch erklärt werden können - nach den Simulationen würden einige von ihnen in den Zentralstern stürzen. Bei der Erzeugung des nebenstehenden Diagramms wurde die Evolution dieser Planeten willkürlich bei 0,1 Astronomischen Einheiten gestoppt.


Zusatzinformation 2:
Wachstum aus Staubteilchen oder Scheibenfragmentation?

Das hier gezeigte Entdeckungsbild (siehe Bildunterschrift 11) der drei Planeten um den Stern HR 8799 hat den Theoretikern ein Problem beschert. Denn im Rahmen des Standardszenarios der Planetenentstehung, das vom Wachstum aus einzelnen Staubteilchen ausgeht, tun sie sich schwer, bei diesen großen Abständen vom Stern die Entstehung von gleich drei massereichen Planeten zu erklären. Die Migration ist, selbst wenn nach außen gerichtet, im Allgemeinen nicht effektiv genug, um diese Konfiguration zu erklären, und eine dynamische Streuung der Planeten nach außen würde einen oder mehrere noch massereichere Streupartner näher am Stern erfordern, die eigentlich hätten entdeckt werden müssen. Auf der anderen Seite konnten Theoretiker am MPIA zeigen, dass die drei Planeten sich durchaus durch gravitativen Kollaps der noch jungen massereichen Scheibe um den entstehenden Stern gebildet haben könnten. Im Masse-Abstand-Diagramm rechts sind die drei Planeten mit ihren Fehlerbalken als durchgezogene Kreuze eingezeichnet. Das gepunktete Kreuz entspricht einem möglichen gemeinsamen Entstehungsort, von dem aus sie sich unter Drehimpulserhaltung dann gegenseitig weggestreut hätten. Die rote durchgezogene Linie gibt eine untere Grenze für mögliche Scheibenfragmente vor; sie folgt aus der hydrostatischen Simulation einer selbstgravitierenden Scheibe. Bedingung ist hier, dass die Scheibe genügend viel Masse haben muss, um unter ihrem eigenen Gewicht zu kollabieren. Aus der gleichen Simulation folgt auch eine obere Grenze der Fragmente (grüne gepunktete Linie), da noch massereichere Scheiben zu langsam kühlen und dadurch die Fragmentation verhindern würden. Die rote gestrichelte Linie schließlich stellt die absolute obere Grenze für Fragmente dar und entspricht den massereichsten möglichen Scheiben. Offenbar liegt der mögliche Ursprung der drei Planeten, sowie im Besonderen des mittleren, exakt im erlaubten Bereich für Planetenentstehung nach dem Scheibenfragmentationsmodell.


Zusatzinformation 3:
Stadien der Planetenbildung

Zwei Merkmale des Sonnensystems haben schon seit Jahrhunderten die Vermutung begründet, dass sich unsere Planeten in einer dichten, rotierenden Scheibe aus Gas und Staub gebildet haben, welche die Sonne bei ihrer Geburt umgab: Zum einen liegen die Bahnen aller Planeten in guter Näherung in der Ebene der Ekliptik, zum anderen sind die meisten Rotationsbewegungen im Sonnensystem etwa gleichgerichtet. Dieses Argument geht auf Immanuel Kant (1755) zurück.

Bald nach dem Aufkommen der Infrarotastronomie vor etwa 40 Jahren wurde deutlich, dass bei den jüngsten Sternen solche zirkumstellaren Scheiben tatsächlich die Regel sind. Heute lassen sie sich bereits in vielfältiger Weise abbilden und untersuchen. Andererseits können zwar seit dem Jahr 1995 die fertigen Planeten auch bei anderen Sternen als der Sonne, vorzugsweise mit der Dopplermethode, nachgewiesen werden - aber zu ihrer Entstehung und ihrem Heranwachsen in der Scheibe gibt es noch kaum direkte Beobachtungen.

Theoretisch werden zwei Entwicklungswege diskutiert, die von der zirkumstellaren Scheibe zum fertigen Planetensystem führen. Der erste Weg ist in der hier gezeigten Grafik dargestellt: Er verläuft über das Zusammenwachsen der einzelnen Staubteilchen und stützt sich zum Teil auch auf Laborexperimente auf der Erde und im Weltraum. Es lassen sich darin sechs Stadien (a) bis (f) unterscheiden, von denen heute nur das erste (die Scheibe) und das letzte (das fertige Planetensystem) beobachtbar ist. Die bis zum Abschluss des jeweiligen Stadiums größenordnungsmäßig verflossene Entwicklungszeit und die wesentlichen dabei ablaufenden Prozesse sind angegeben.

- Und so verläuft die Entwicklung:
(a) Wir gehen von einer turbulenten Scheibe aus Gas und Staub um den jungen Zentralstern aus. (b) Im Inneren dieser Scheibe lagern sich Staubpartikel unter dem Einfluss von Sedimentation, Brownscher Molekularbewegung und turbulenter Gasbewegung zu wachsenden Aggregaten zusammen. Ist nahe der Äquatorebene eine hinreichend hohe Dichte erreicht, so lassen einfache Oberflächenkräfte die Partikel aneinander haften. (c) Bei zunehmender Größe wird die Gravitation wichtig: Simulationen zeigen, dass aus dem Gravitationskollaps einer unter Turbulenz konzentrierten Partikelwolke viele kilometergroße, Planetesimale genannte Planetenbausteine entstehen (siehe auch Bildunterschrift 6). (d) Die Planetesimale bilden wiederum die terrestrischen, also festen Planeten sowie die Kerne für die Gasriesen. (e) Ab ungefähr fünf Erdmassen beginnen diese Kerne die Gasteilchen aus der Scheibe gravitativ an sich zu binden, erreichen so als Gasplaneten ihre endgültige Masse und sind nun nachweisbar. (f) Bei der Gezeitenwechselwirkung zwischen den Planeten und der Scheibe kommt es für die wachsenden Gasriesen zum Austausch von Drehimpuls und somit zu einer Wanderung innerhalb der Scheibe, der »Migration«. Diese kann sowohl nach innen als auch nach außen gerichtet sein und bestimmt letztlich, verbunden mit der Anziehung zwischen den Planeten, die Örter, an denen die fertigen Planeten ihrer Entdeckung harren.

Der zweite Weg der Planetenbildung ist die viel schnellere, auf Seite 40 beschriebene Scheibenfragmentation. Möglicherweise beschreitet die Natur, je nach den vorherrschenden Umständen, beide Wege.

Hubert Klahr, Thomas Henning


Quelle: Hubert Klahr / SuW-Grafik

Quelle: Hubert Klahr / SuW-Grafik


Quelle: Hubert Klahr / SuW-Grafik (Grafik mit der Maus anklicken zum Zoomen)

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Literaturhinweise

Bayler-Jones, C., Brandner, W., Henning, Th.: Braune Zwerge. In: Sterne und Weltraum 4/2006, S. 34 - 42.

Blum. J.: Die Entstehung von Planetesimalen im frühen Sonnensystem. In: Sterne und Weltraum 4-5/2001, S. 342 - 348.

Blum, J., Holländer, W.: Staubforschung auf der Internationalen Raumstation. In: Sterne und Weltraum 2/2005, S. 24 - 33.

Wuchterl, G.: Zehn Jahre extrasolare Planeten - eine Bilanz. Teil 1: Sterne und Weltraum 1/2006, S. 22 - 32; Teil 2: Sterne und Weltraum 2/2006, S. 32 - 40.

Staude, J.: Erste Bilder von extrasolaren Planeten. In: Sterne und Weltraum 1/2009, S. 26 - 28.

Wolf, S., Klahr, H.: Planetenentstehung. In: Sterne und Weltraum 2/2006, S. 22 - 30.

SuW-Dossier »Planetensysteme«: Spektrum der Wissenschaft 2006, ISSN 1612-4618.

Weblinks zum Thema: www.astronomie-heute.de/artikel/993086


© 2009 Hubert Klahr und Thomas Henning, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
Sterne und Weltraum 6/09 - Juni 2009, Seite 32 - 43
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
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Internet: www.astronomie-heute.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2009