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FORSCHUNG/1032: Algen überleben Wärme, Kälte und kosmische Strahlung (idw)


Fraunhofer-Gesellschaft - 01.02.2017

Algen überleben Wärme, Kälte und kosmische Strahlung


Mit einem Langzeit-Experiment auf der Raumstation ISS haben Fraunhofer-Forscher getestet, wie Algen auf die extremen Bedingungen im Weltraum reagieren. Der Versuch wurde in enger Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Partnern durchgeführt. Die Ergebnisse könnten nicht nur für industrielle Anwendungen, sondern auch für eine mögliche Mission zum Mars bedeutsam sein.


Foto: © ESA/ROSCOSMOS

Grün- und Blaualgen wurden in diesen Halterungen auf der Außenseite der Weltraumstation ISS über eineinhalb Jahre den Raumbedingungen ausgesetzt.
Foto: © ESA/ROSCOSMOS

Sie leben! Trotz extremer Temperaturschwankungen, Vakuum sowie starker UV- und kosmischer Strahlung überlebten zwei Algen 16 Monate an der Außenseite der internationalen Raumstation ISS. Das ist das erstaunliche Ergebnis eines Experiments, das von Dr. Thomas Leya vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI in Potsdam gemeinsam mit nationalen und internationalen Partnern durchgeführt wurde. Der aufwändige Test war Teil des groß angelegten Projekts BIOMEX (Biology and Mars-Experiment), das Dr. Jean-Pierre de Vera vom Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrums (DLR) in Berlin-Adlershof koordiniert. Leya hatte die Algenkulturen selbst gesammelt und für das Experiment präpariert. Er wählte das Cyanobakterium Nostoc sp. (CCCryo 231-06), eine Blaualge aus der Antarktis und die Grünalge Sphaerocystis sp. (CCCryo 101-99) aus Spitzbergen. Sie gehören zu den kryophilen, also kälteliebenden Stämmen. Bei Kälte und Trockenheit entwickeln sie besondere Anpassungsstrategien und sind deshalb auch unter extremen Bedingungen noch überlebensfähig.

Thomas Leya leitet die Arbeitsgruppe Extremophilenforschung & Biobank CCCryo (Culture Collection of Cryophilic Algae) am Potsdamer Institutsteil Bioanalytik und Bioprozesse IZI-BB des Fraunhofer-Instituts. Seit 18 Jahren beschäftigt sich die Arbeitsgruppe mit den Überlebensstrategien kryophiler Algen, Cyanobakterien, Moosen, Pilzen und Bakterien polarer Regionen. Dass Algen gegen lang andauernde Trockenheit, extreme Temperaturen sowie UV-Strahlen weitgehend unempfindlich sind, hatten die Forscher bereits im Labor herausgefunden. Doch die extremen Bedingungen im erdnahen Orbit lassen sich dort nur bedingt simulieren.

»Für den Flug ins All haben wir die Algenstämme durch leichte Trocknung vorbereitet«, erläutert Leya. Am 23. Juli 2014 wurden die Organismen mit dem Raumtransporter Progress auf die Reise geschickt, eine Sojus-Raumkapsel brachte die Algenkulturen zurück. Dazwischen mussten sie rund 16 Monate an der Außenseite der ISS ausharren, geschützt nur durch Neutralfilter, der die einwirkende Strahlung dämpfte. Die Temperaturentwicklung sowie die Energiemenge der kosmischen Strahlung wurden durch Sensoren gemessen und protokolliert.

Die Forscher wollten nicht nur wissen, ob die Algen den Aufenthalt im erdnahen Orbit überstehen. Im Fokus stand darüber hinaus, wie die Präparate im Vakuum auf die UV-A-, -B und -C-Strahlung reagieren würden. »Wir gingen davon aus, dass die Organismen das Vakuum, die Temperaturschwankungen zwischen minus 20 Grad und plus 50 Grad sowie die UV-A und UV-B-Strahlung überleben würden. Als überraschend erwies sich jedoch, dass auch ein Teil der extrem schädlichen UV-C-Strahlung den Algenstämmen nichts anhaben konnte«, so Leya. Zudem haben die Grünalgen die Trockenheit überraschend gut überstanden.

DNA der ISS-Rückkehrer unter der Lupe

Im nächsten Schritt prüfen die Forscher die Anpassungsstrategien der Blau- und Grünalgen. Da UV-Strahlung die DNA des Menschen schädigen kann, untersucht das DLR in Kooperation mit der TU-Berlin die DNA der ISS-Rückkehrer. Die Wissenschaftler testen, ob und in welchem Umfang die DNA beeinträchtigt wurde. Außerdem wird die Bio-Signatur der in den Algen enthaltenen Carotinoide mit Spektroskopieverfahren analysiert. Als Bio-Signatur bezeichnen Experten beispielsweise die Basenabfolge in der DNA oder ihr Absorptionsverhalten bei bestimmten Wellenlängen. Bedeutsam sind diese Erkenntnisse unter anderem für eine künftige Mission zum Mars. Sollten die Menschen in ferner Zukunft den roten Planeten besiedeln, wäre die Produktion von Nahrungsmitteln auf dem Mars eine überlebensnotwendige Aufgabe. Algen produzieren Sauerstoff und Proteine und lassen sich als Nahrungsquelle nutzen. Besonders resistente Stämme könnten in speziellen Kulturhäusern oder halbtransparenten Zelten als Nahrungsquelle kultiviert werden.

Ebenfalls interessant für die Forscher: Ist es möglich, dass das Leben auf der Erde vor ein paar Millionen Jahren durch Organismen aus dem All entstanden ist? Frühe Vorformen von Leben könnten durch einen Meteoriteneinschlag auf die Erde gelangt sein. Diese sogenannte Panspermie-Theorie bekommt möglicherweise durch die Algen-Experimente auf der ISS neuen Auftrieb.

Algen-Komponenten als Nahrungsergänzungsmittel und Sonnenschutz

Von den Ergebnissen des ISS-Versuchs profitiert auch die Industrie. Kosmetikhersteller dürften schon bald in der Lage sein, UV-Schutz-Cremes mit Algen-Komponenten herzustellen. Für die Lebensmittelindustrie sind Algen mit ihren leistungsfähigen Reparaturmechanismen und dem hohen Gehalt an Omega-3-Fettsäuren, wie etwa EPA, als Nahrungsergänzungsmittel attraktiv. Die dafür nötigen Herstellungsverfahren sind derzeit noch sehr aufwändig, sie werden jedoch in naher Zukunft verfügbar sein.

Nahezu 500 Algen und andere Organismen hat Thomas Leya in den Polargebieten und anderen extremen Standorten der Erde bereits gesammelt. Doch insgesamt geht man von weit über hunderttausend verschiedenen Arten aus, von denen bisher nur ein Bruchteil bekannt ist. Die Chance ist also groß, dass diese unterschätzten Organismen noch für die eine oder andere Überraschung sorgen.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution96

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Fraunhofer-Gesellschaft, Britta Widmann, 01.02.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2017

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