Schattenblick → INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → BIOLOGIE


FORSCHUNG/1102: Muskelaufbau im Computer - Internationales Team will Entstehung von


Myofibrillen enträtseln (idw) ŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽŽ

Technische Universität Dresden - 13.06.2018

Muskelaufbau im Computer: Internationales Team will Entstehung von Myofibrillen enträtseln

cfaed-Gruppenleiter (TU Dresden) wirbt gemeinsam mit zwei weiteren internationalen Wissenschaftlern "Human Frontier Science Program"-Förderung für Erforschung der Myofibrillen ein


Wie sich der Bizeps anspannt, ist heute kein Geheimnis mehr. Verantwortlich sind sogenannte Myofibrillen in jeder Muskelzelle, die sich zeitgleich zusammenziehen. Jede dieser Fibrillen stellt ein exaktes Muster aus Hunderten gleich aufgebauten Einheiten dar, bestehend aus verschiedenen Eiweißmolekülen. Wie sich jedoch diese einzelnen Bausteine während der Embryonal-Entwicklung oder bei Heilungsprozessen wie von selbst zu hoch-regulären Mustern anordnen, ist bisher nicht verstanden. Ein interdisziplinäres Team unter Beteiligung des TUD-Physikers Dr. Benjamin Friedrich (Center for Advancing Electronics Dresden - cfaed) hat nun beim "Human Frontier Science Program" einen Forschungsauftrag eingeworben, um dieser Frage nachzugehen.

Jede willkürliche Bewegung, jedes Drehen des Kopfes oder Heben eines Arms, erfordert die koordinierte Kontraktion von Muskeln. Das Zusammenziehen eines Muskels entsteht, in dem sich in jeder einzelnen Muskelzelle sogenannte Myofibrillen gleichzeitig zusammenziehen. Wenn die Funktion dieser mikroskopischen Myofibrillen gestört ist, hat dies schwerwiegende Krankheiten wie Muskelschwächen zur Folge. Trotz der medizinischen Bedeutung der Myofibrillen ist noch nicht verstanden, wie diese komplizierten Kraftmaschinen im Körper zusammengebaut werden. Biologen und Mediziner konnten die einzelnen Bausteine identifizieren, aus denen jede einzelne Myofibrille besteht (darunter die größten Eiweißmoleküle der Welt), und wie diese in der fertigen Myofibrille angeordnet sind. In der reifen Myofibrille wechseln sich ein Gerüst aus elastischen Biofilamenten und sogenannte molekulare Motoren ab, die chemische Energie in mechanische Arbeit umwandeln. Diese Anordnung ist so regelmäßig wie in einem Kristall und ermöglicht es, effektiv schnell große Kräfte zu erzeugen.

Wie sich jedoch die einzelnen Bausteine der Myofibrillen während der Embryonal-Entwicklung oder bei Heilungsprozessen (z.B. nach Sportverletzungen) wie von selbst zu derart hoch-regulären Mustern anordnen, wird in der Wissenschaft nach wie vor kontrovers diskutiert. Um diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen, braucht es die Zusammenarbeit von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen. Ein interdisziplinäres Team unter der Führung des Biologen Frank Schnorrer (Developmental Biology Institute of Marseille - IBDM), sowie des Mediziners Olivier Pourquie (Harvard Medical School) und des Physikers Benjamin Friedrich (Center for Advancing Electronics Dresden - cfaed, TU Dresden) wurde nun vom international agierenden "Human Frontier Science Program" mit einem Forschungsauftrag ausgezeichnet, um dieser Frage nachzugehen. Der Auftrag ist mit einem Volumen von über einer Million US-Dollar dotiert, die Laufzeit beträgt drei Jahre.

Die Gruppe um Frank Schnorrer wird am Modellorganismus der Fruchtfliege mit hochaufgelöster Videomikroskopie die einzelnen Stadien der Musterbildung verfolgen. Die Fruchtfliegen sind genetisch verändert, so dass einzelne Moleküle sichtbar gemacht werden können, oder aber auch gezielt ausgeschaltet werden können. Zum Einsatz kommen sollen dabei auch neuartige Biomoleküle, die fluoreszent aufleuchten, wenn sie unter mechanische Spannung gesetzt werden und es so erlauben, winzige Kräfte präzise zu vermessen. Damit kann nun erstmalig untersucht werden, wie das Entstehen regelmäßiger Strukturen und die Erzeugung mechanischer Kräfte während des Selbst-Zusammenbaus von Myofibrillen Hand in Hand gehen. Oliver Pourquies Team wiederum verwendet menschliche Stammzellen, die in der Petrischale zu Muskelzellen differenziert werden. Damit ist es möglich, die an der Fruchtfliege gewonnen Erkenntnisse direkt an Säugetier-Zellen zu testen, ohne dass Tierexperimente nötig sind.

Um die so gewonnen Daten auszuwerten, sind neuartige Bildverarbeitungs- und Analysealgorithmen nötig, die in der Gruppe von Benjamin Friedrich entwickelt werden. Hierbei spielen insbesondere physikalische Konzepte aus der Physik weicher kondensierter Materie (also z.B. Ordnungszustände von Flüssigkristallen, wie sie sich in LCD-Bildschirmen befinden) eine wichtige Rolle. Ausgehend von den biologischen Daten sollen Computermodelle entwickelt werden, die verschiedene Varianten für den Musterbildungsprozess der Myofibrillen abbilden. Anhand dieser Simulationen lassen sich Vorhersagen treffen, die dann wieder in Experimenten getestet werden. Diese neuen Erkenntnisse fließen anschließend erneut in die Computermodelle ein, so kann schrittweise ein umfassendes Verständnis für die physikalischen Mechanismen des spontanen Zusammenbaus der Myofibrillen gewonnen werden.


Über Dr. Benjamin Friedrich
Der Dresdner Projektpartner Benjamin Friedrich ist Forschungsgruppenleiter im Exzellenzcluster cfaed der TU Dresden. Hier beschäftigt er sich unter anderem mit der Frage, wie Biomoleküle sich spontan zu funktionalen Strukturen zusammenbauen, und wie diese Prozesse auch bei Störungen und Fluktuationen robust funktionieren. Besonders interessant ist dabei die Übertragung von biologischen Prinzipien auf ingenieurtechnische Probleme, wie zum Beispiel die selbstorganisierte Dynamik stochastischer Komponenten. Umgekehrt gibt die Beschäftigung mit technischen Anwendungen einen ganz neuen Blick auf die grundlegende biologische Fragestellung, wie biologische Systeme zuverlässig funktionieren, trotz vielfältiger Störeinflüsse. Hier ist Dresden mit der Exzellenzuniversität TU Dresden mit dem Exzellenzcluster cfaed, aber auch dem beantragten Exzellenzcluster "Physics of Life" und den vielen Partnerinstituten, wie z.B. dem Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik, oder dem Biotechnologischem Zentrum ein idealer Standort für interdisziplinäre Forschung.
Biological Algorithms Group: https://cfaed.tu-dresden.de/friedrich-home

Über das cfaed - Center for Advancing Electronics Dresden
Das cfaed ist ein Exzellenzcluster im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder. Als interdisziplinäres Forschungszentrum für Perspektiven der Elektronik ist es als Zentrale Wissenschaftliche Einrichtung an der TU Dresden angesiedelt, bindet jedoch neben der TU Chemnitz auch neun außeruniversitäre Forschungsreinrichtungen in Sachsen als Kooperationsinstitute ein. Der Cluster vereint 300 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus rund 30 Nationen. Er beschäftigt sich mit der Entwicklung völlig neuartiger Lösungen für die Übertragung und Verarbeitung von Informationen. Mit seiner Vision möchte der Cluster die Zukunft der Elektronik gestalten und revolutionär neue Applikationen initiieren, wie bspw. Elektronik, die keine Bootzeit benötigt, die fähig zur THz-Bildgebung ist, oder komplexe Biosensorik unterstützt. Um seine Ziele zu erreichen, vereint das cfaed den Erkenntnisdrang der Naturwissenschaften mit der Innovationskraft der Ingenieurwissenschaften. Betrachtet werden neuartige Materialien wie 2D-Materialien, Silizium-Nanodrähte, Kohlenstoff-Nanoröhren oder Polymere, aber auch völlig neue Konzepte wie selbstassemblierende Strukturen aus DNA-Origami. Der von der DFG geförderte Cluster befindet sich in seiner ersten Förderperiode, die von 2012 bis 2018 läuft. Der Antrag für eine Förderung ab 2019 für weitere sieben Jahre ist eingereicht.
www.cfaed.tu-dresden.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution143

*

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Technische Universität Dresden - 13.06.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang