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FORSCHUNG/624: Renaissance der biologischen Systematik (JOGU Uni Mainz)


[JOGU] Nr. 208, Mai 2009
Das Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Renaissance der biologischen Systematik
Veränderungen Rechnung tragen

Von Frank Erdnüss


Systematiker beschäftigen sich traditionell mit der Stammesgeschichte von Tieren und Pflanzen. Sie schauen ganz genau hin, entdecken Unterschiede, archivieren Probeexemplare in Herbarien oder zoologischen Sammlungen und beschreiben dann die Arten samt ihrer Verwandtschaftsverhältnisse in Wort und Bild. Im Zeitalter von Molekularbiologie und Genetik werden nun bisherige systematische Eingruppierungen überprüft und gelegentlich revidiert. Seltener wird auch noch eine neue Art in der Natur entdeckt.

Aber das ist nicht alles, was die moderne Systematik ausmacht. Auf dem Jahrestreffen der Jungen Systematiker der Gesellschaft für Biologische Systematik, das vom 14. bis 17. März 2009 an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz stattfand, wurde deutlich, dass man bei den Taxonomen jetzt auf interdisziplinäre Zusammenarbeit setzt. Nicht nur, dass Zoologen, Paläontologen und Botaniker zusammen arbeiten, auch die Ökologie wird in gemeinsame Projekte integriert. Und das erscheint als äußerst sinnvoll, denn das komplexe Gefüge natürlicher Lebensgemeinschaften kann nur gemeinsam enträtselt werden. Bereits das Motto "Arten in Raum und Zeit" des diesjährigen Treffens weist auf die kontinuierlichen Veränderungen hin, denen jede Biozönose beziehungsweise jedes Ökosystem unterworfen ist. In der Natur ist eben nichts auf Dauer stabil.

Organisiert wurde die Veranstaltung von Doktoranden/ innen des Instituts für Spezielle Botanik. Das zum Fachbereich Biologie gehörende Institut hat sich in den letzten Jahren zunehmend Fragen der Verbreitungsgeschichte von Pflanzen zugewandt. "Einer unserer Forschungsschwerpunkte sind biogeographische Arbeiten", erläutert Institutsleiter Prof. Joachim W. Kadereit, Ph.D. und ergänzt: "Die Entwicklung der Verbreitungsgebiete von Pflanzen vor dem Hintergrund von geologischen und klimatischen Veränderungen der Vergangenheit steht dabei im Mittelpunkt. Das Verständnis der Vergangenheit ist auch Schlüssel für das Verständnis möglicher zukünftiger Entwicklungen. Dies sind auch Leitthemen des Treffens, für das wir gerne Gastgeber sind." Die Jungen Systematiker sind ein Zusammenschluss von taxonomisch-systematisch arbeitenden Biologen, die sich im weiteren Sinne mit Biodiversitäts- und Klimawandelforschung beschäftigen.

Zu Beginn des Treffens in Mainz referierte Kadereit - passend für das Darwin-Jahr 2009 - zum Thema "Entstehung der Evolutionstheorie". Bei den anschließenden Vorträgen und in den Workshops diskutierten die aus ganz Deutschland und einigen Nachbarländern angereisten Jungen Systematiker dann erstmals auch mit Ökologen, wobei vor allem Fragen der Populationsgenetik, Phylogeographie und Biogeographie im Mittelpunkt standen. "Die rege Diskussionsbeteiligung zeigte uns, dass neben der Fortbildung in den Workshops vor allem der Austausch und die weitere Vernetzung aller organismisch arbeitenden Biologen wichtig für den wissenschaftlichen Nachwuchs sind", so die beiden Organisatorinnen Simone Steffen und Maria Will. Deshalb wollen die Jungen Systematiker jetzt eine stärkere Zusammenarbeit der Nachwuchsgruppen der verschiedenen Fachgesellschaften initiieren.

Abgerundet wurde das Treffen mit Führungen durch den Botanischen Garten und die zoologischen Sammlungen sowie durch zwei gut besuchte Gastvorträge von internationalen Spitzenforschern (Dr. Isabel Sanmartín, Madrid und Dr. Richard Ree, Chicago). Auf reges Interesse stieß darüber hinaus ein Vortrag von Annegret Werner, Mitarbeiterin der Abteilung Internationales an der Universität Mainz, zum Thema "Förderung von Kongress- und Auslandsreisen". Dies ist für junge Forscher ein sehr wichtiges Thema, viele Fragen konnten direkt beantwortet werden. Auch die beiden ganztägigen Workshops zu den Themen "Neue Methoden der Biogeographie" und "Methoden der Populationsgenetik" waren mit insgesamt 40 Teilnehmern sehr schnell ausgebucht. "Da nicht alle Bewerber berücksichtigt werden konnten, hoffen wir, dass die erlernten Methoden von den Teilnehmern an ihren Heimat-Unis weitergegeben werden und so noch mehr Wissenschaftler von den Workshops profitieren", sagt Sabine von Mering, ebenfalls Mitglied des Organisationsteams.

In den zahlreichen E-Mails, die in den Tagen nach der Veranstaltung eingingen, wurde insbesondere die sehr praxisbezogene Fortbildung positiv beurteilt. Ein Teilnehmer lobte außerdem die Tatsache, dass diese Weiterbildung kostenlos war. Ein wichtiger Aspekt angesichts des geringen Budgets der meisten Studenten/innen und Doktoranden/innen. Laut von Mering wurde das Treffen von vielen Seiten finanziell unterstützt, unter anderem von den Firmen GENterprise Genomics und Bionade, dem Freundeskreis des Botanischen Gartens, der Johannes Gutenberg-Universität sowie von den drei deutschen Fachgesellschaften, der Gesellschaft für Biologische Systematik, der Deutschen Botanischen Gesellschaft und der Deutsche Zoologischen Gesellschaft. Insgesamt also eine gelungene Veranstaltung, die nach Wiederholung schreit. Die Jungen Systematiker sind gerade dabei, die lange als antiquiert angesehene Taxonomie aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwecken. Taxonomie ist Grundlagenforschung erster Güte, sozusagen das Handwerkszeug für jeden Biologen. Nur wenn wir wissen, welche Spezies es gibt, und wie sie sich verbreiten beziehungsweise vermehren, können wir sie nachhaltig schützen. Es bleibt also noch viel Arbeit für die Jungen Systematiker und reichlich Stoff für zukünftige Arbeitstagungen - nicht nur, aber auch in Mainz.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Nix für Spinnen-Phobiker: Axel Schönhofer zeigt die Weberknechtsammlung des Instituts für Zoologie der Universität Mainz.

Axel Schönhofer referierte während des Treffens "Von alten Arten und vielen Wegen - kryptische Diversität und Biogeographie am Beispiel europäischer Weberknechte". Hier zeigt er während der Führung durch die Weberknechtsammlung den größten Weberknecht Europas.

Die in den Tropen Südost-Asiens vorkommende Gattung Myrmecodia (Rubiaceae, Rötegewächse) bietet Ameisen Unterschlupf in ihrem Stamm. Solche Symbiosen zwischen Tieren und Pflanzen finden sich häufig in der Natur. Sie zeigen die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit aller biologischen Disziplinen.


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Quelle:
[JOGU] - Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Nr. 208, Mai 2009, Seite 18-19
Herausgeber: Der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,
Univ.-Prof. Dr. Georg Krausch
Tel.: 06131/39-223 69, -205 93; Fax: 06131/39-241 39
E-Mail: AnetteSpohn@verwaltung.uni-mainz.de

Die Zeitschrift erscheint viermal im Jahr.
Sie wird kostenlos an Studierende und Angehörige
der Johannes Gutenberg-Universität sowie an die
Mitglieder der Vereinigung "Freunde der Universität
Mainz e.V." verteilt.


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2009