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FORSCHUNG/660: Wenn Seeanemonen rot werden - Forschung zur Entwicklung von Muskelzellen (idw)


Universität Wien - 15.12.2009

Wenn Seeanemonen rot werden:
Wegweisende Forschung zur Entwicklung von Muskelzellen


Nesseltiere wie Seeanemonen gehören zu den ersten Lebewesen in der Geschichte der Evolution, die Muskeln entwickelt haben. Ulrich Technau, Entwicklungsbiologe der Universität Wien, und sein Team untersuchen, ob diese einfachen Organismen, deren Ursprung vor etwa 600 Millionen Jahren liegt, bereits die molekularen Anlagen für die Entstehung der viel komplexeren Muskulatur von Wirbeltieren in sich tragen. Dabei gelang es den ForscherInnen zum ersten Mal, transgene Seeanemonen zu züchten - Seeanemonen, deren Muskelzellen buchstäblich rot werden. Die Ergebnisse der Studie erscheinen demnächst in der renommierten Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)".

Wenn man die Muskeln der transgenen Seeanemonen, die Ulrich Technau und sein Team gezüchtet haben, unter fluoreszierendem Licht beobachtet, dann werden sie rot. Aber nicht aus Scham: Die EvolutionsbiologInnen haben den Nesseltieren ein Markierungsgen eingebaut, das rot fluoreszierende Proteine produziert. Dem roten Markierungsgen wurde die DNA-Kontrollsequenz des Myosin Heavy Chain-Gens, das maßgeblich an der Muskelkontraktion beteiligt ist, vorgeschaltet. Da diese Kontrollsequenz nur in ausgebildeten Muskelzellen aktiviert wird, leuchten im Organismus auch nur diese Muskelzellen rot.

In-Vivo-Analyse von fluoreszierenden Muskeln

Die erfolgreiche Zucht von transgenen Seeanemonen ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg, die Evolution der Muskelzellen und deren embryonale Vorläufergewebe besser zu verstehen. "Bei der Embryonalentwicklung von Wirbeltieren und den allermeisten wirbellosen Tieren gehen die Muskelzellen aus dem dritten Keimblatt, dem so genannten Mesoderm hervor. Nesseltiere besitzen aber noch gar kein Mesoderm", erklärt Technau: "Dieses dritte Keimblatt hat sich erst später während der Evolution der höheren Tiere entwickelt."

Um herauszufinden, ob die Muskelzellen von Mensch und Seeanemone neben dem Muskelgen noch andere molekularen Gemeinsamkeiten haben - und damit, ob die "einfachen" Seeanemonen bereits vor 600 Millionen Jahren die evolutionäre Grundlage für die Entwicklung des Mesoderms in sich trugen -, kombinierten die Forscher die Kontrollsequenz des Myosin Heavy Chain-Gens mit dem fluoreszenten Protein. Mit Erfolg: "Nun leuchten die Muskelzellen der transgenen Tiere rot, und wir können ihren Aufbau und die Kontraktion in vivo, also beim lebenden Tier, verfolgen", erklärt Ulrich Technau: "Das erlaubt es uns nicht nur, die embryonale Bildung und Physiologie der Muskelzellen zu studieren, sondern auch, die genetische Kontrolle des Muskelgens Myosin Heavy Chain zu analysieren. Die Analyse könnte Auskunft darüber geben, ob die molekularen Faktoren der Muskelzellentwicklung bei Nesseltieren und viel komplexeren Tieren ähnlich sind."

Ulrich Technau und sein Team experimentieren bereits mit weiteren Farben: "Durch Kreuzungen ist es uns gelungen, doppelt und dreifach transgene Seeanemonenlinien zu züchten, deren Zellen je nach Typ grün, blau oder orange leuchten."

"Gene fallen nicht vom Himmel"

Da Seeanemonen ein sehr plastisches Nervensystem haben, soll es dadurch in Zukunft möglich sein, direkt unter dem Mikroskop zu beobachten, wie die Tiere neuromuskuläre Verbindungen aufbauen und steuern. Damit wollen die Forscher u.a. ihre Vermutung bestätigen, dass der evolutionäre Sprung von zwei zu drei Keimblättern seinen Ausgang bereits vor über 600 Millionen Jahren genommen hat - und auf molekularer Ebene vielleicht gar kein so großer Sprung war: "Gene fallen nicht vom Himmel", sagt Ulrich Technau: "Bereits kleinste Veränderungen in der Interaktion zwischen zwei Genen können auf morphologischer Ebene zu großen Veränderungen führen. Das erlaubt uns ein ganz neues Verständnis davon, wie Neuheiten in der Evolution entstehen."

Publikation:
A muscle-specific transgenic reporter line of the sea anemone, Nematostella vectensis: AutorInnen: Eduard Renfer, Annette Amon-Hassenzahl, Patrick R. H. Steinmetz und Ulrich Technau. Erscheint in der Woche vom 14. Dezember 2009 in der Early Edition (EE) des Fachjournals "Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS)".

Weitere Informationen unter:
http://www.pnas.org/content/early/recent - sobald online
http://www.univie.ac.at/175 - weiteres Bild im Presseportal der Universität Wien

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/pages/de/news348922

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Wien, Veronika Schallhart, 15.12.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2009