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FORSCHUNG/689: Ursprung der Intelligenz - neuer interdisziplinärer Forschungsansatz (idw)


Universität Wien - 25.03.2010

Ursprung der Intelligenz:
Neuer Forschungsansatz von interdisziplinärem WissenschafterInnen-Team

Einen neuen Ansatz in der Erforschung von Intelligenz und Sprache verfolgen die Wissenschafter Tecumseh Fitch, Ludwig Huber und Thomas Bugnyar vom Department für Kognitionsbiologie der Universität Wien. Sie gehen dem evolutionären Ursprung von kognitiven Fähigkeiten mit einem vergleichend biologischen Zugang, bei dem Mensch und Tier gleichermaßen Beachtung finden, auf den Grund. Ihre neuen Forschungsergebnisse erscheinen in der Fachzeitschrift "Neuron" am Donnerstag, 25. März.


"Um Fragen menschlichen Verhaltens zu beantworten, müssen wir uns auch mit unterschiedlichen Tierarten beschäftigen", meint Tecumseh Fitch, neu berufener Professor für Kognitionsbiologie der Universität Wien. Am Department für Kognitionsbiologie ist es insbesondere das Verhalten von Vögeln, Hundeartigen (eine Überfamilie innerhalb der Ordnung der Raubtiere) und Affen, aber auch von Reptilien und Fischen, das im Labor genauso wie im natürlichen Umfeld erforscht wird. Der Ansatz, menschliches und tierisches Verhalten zu vergleichen, versteht sich als Alternative zu jenen Richtungen der evolutionären Psychologie, deren Forschung sich nur auf die jüngste Vergangenheit des Menschen beschränkt. Und doch interessieren sich die Kognitionsbiologen Fitch, Huber und Bugnyar auch für eine Fähigkeit, die uns Menschen auszeichnet: die Sprache.


Neues Departement für Kognitionsbiologie bündelt Synergien

Tecumseh Fitch, seit Juni 2009 Professor für Kognitionsbiologie der Universität Wien und ERC Grant-Preisträger, suchte den intensiven Austausch mit den neuen Kollegen, Ludwig Huber, Leiter des Departments für Kognitionsbiologie, und Thomas Bugnyar, seit Oktober 2009 Vertragsprofessor für Kognitive Ethologie. Mit Unterstützung des Rektorats und der Fakultät für Lebenswissenschaften entstand ein neuer Forschungsschwerpunkt - eine Verbindung zwischen Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften - an der Universität Wien. Alle drei Forscher, die seit Jänner 2010 im neu gegründeten Department für Kognitionsbiologie zusammenarbeiten, interessieren sich für die mentalen Prozesse, die dem Verhalten von Lebewesen zugrunde liegen.


Erforschung der kognitiven Evolution

Der vergleichende Ansatz führt zu neuen Erkenntnissen: Die Kognitionsbiologen richten ihren Blick zunächst darauf, welche Merkmale bei welchen Arten vorzufinden sind. Interessant sind hier nicht nur Verhaltensmerkmale, sondern auch genetische Daten und Informationen über das Nervensystem. Diese Informationen ermöglichen es, die kognitive Evolution der Arten (cognitive phylogenies) nachzuzeichnen. So wird ersichtlich, welche taxonomischen Einheiten (z.B. alle Wirbeltiere oder nur Säugetiere) sich bestimmte Fähigkeiten teilen und wann sich diese entwickelt haben könnten. "Sei es das Farbsehen der Affen, das Spielbedürfnis von Hunden oder der Aufbau des Auges der Vögel, es gibt eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit dem Menschen, die anerkannt werden müssen", betont Fitch.


Sprache und soziale Kognition

Von den Gemeinsamkeiten also zur Differenz: Menschen können sprechen, Tiere nicht. Trotzdem wird die Evolution der Sprache greifbarer, je intensiver man sich mit dem Tierreich beschäftigt. Fest steht, dass die zugrunde liegenden Fähigkeiten von "Sprache" und "sozialer Kognition" eng miteinander verbunden sind. Um sprechen zu lernen, muss ein Kleinkind unter anderem imitieren können und verstehen, welche Intentionen mit dem Gesprochenen verfolgt werden. Ist das Sprechen erst einmal erlernt, so verfügen Kinder über ein besonderes Mittel, Gedanken auszutauschen und voneinander zu lernen.


Warum Tiere nicht sprechen

Manche Tiere verfügen über ähnliche Fähigkeiten und haben dennoch keine Sprache. Warum das so ist, wurde insbesondere an Schimpansen - den nächsten Verwandten des Menschen - erforscht. Die vorherrschende Hypothese ist, dass anatomische Merkmale (Kiefer, Zungenstellung etc.) es unmöglich machen, Sprache zu entwickeln. Fitch stellt diese Theorie in Frage: "Wir haben uns genau angesehen, was Tiere machen, wenn sie vokalisieren. Da gibt es wenige Unterschiede zwischen Hunden, Affen und Menschen." Wahrscheinlicher ist, dass direkte Verbindungen zwischen dem Motorcortex (ein Bereich der Großhirnrinde) und dort angesiedelten Neuronen - sie kontrollieren die Stimme - ausschlaggebend sind. Singvögel (komplexer Vogelgesang) und Papageien ("sprechender Papagei") verfügen über eine solche direkte Verbindung.


Neue Forschungsstation für Kognitionsforschung in Bad Vöslau

Um diese Hypothesen an besonders lohnenden Modellsystemen, wie zum Beispiel Raben und Keas (Neuseeländischer Bergpapagei), aber auch Damhirschen zu testen, haben sich die drei Wissenschaftler für den Bau einer neuen Forschungsstation außerhalb Wiens engagiert. Dies wurde nun tatsächlich in einem Kooperationsprojekt zwischen der Universität Wien und der Veterinärmedizinischen Universität Wien ermöglicht. Im Sommer dieses Jahres wird in der Nähe von Bad Vöslau der Startschuss für eine neue Ära der Kognitionsforschung erfolgen.


Publikation:
Tecumseh Fitch, Ludwig Huber, Thomas Bugnyar: Social Cognition and the Evolution of Language: Constructing Cognitive Phylogenies. Journal: Neuron. Publisher: Cell. 25. März 2010.

Weitere Informationen unter:
http://cogbio.univie.ac.at/ - Department für Kognitionsbiologie
http://www.cell.com/neuron/abstract/S0896-6273(10)00182-0 - Neuron

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution84


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Wien, Veronika Schallhart, 25.03.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2010