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GENETIK/215: Genetik offenbart Einfluss der Lebensweise auf die Evolution (idw)


Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte / Max Planck Institute for the Science of Human History - 04.04.2016

Genetik offenbart Einfluss der Lebensweise auf die Evolution


Bislang ging man davon aus, dass die Zahl der Veränderungen im Genom nicht durch kulturelle Faktoren beeinflusst wird. Dem entgegen steht das Ergebnis einer aktuellen Studie, für die mehr als 500 Sequenzen des männlichen Y-Chromosoms bei Landwirtschaft treibenden Ethnien und bei als Jäger und Sammler lebenden Bevölkerungsgruppen Südafrikas analysiert wurden. In den Abstammungslinien der bäuerlichen Bevölkerung zeigte sich dabei eine vergleichsweise hohe Veränderungsrate. Die Forscher erklären das mit dem höheren Durchschnittsalter der Väter. Ein weiteres Ergebnis der Studie: Der letzte gemeinsame Urahn des menschlichen Y-Chromosoms ist offenbar sehr viel älter als bislang angenommen wurde.


Durch die Sequenzierung von Abschnitten des Y-Chromosoms von mehr als 500 afrikanischen Männern konnte erstmals gezeigt werden, dass sich das nur durch die Väter vererbte Chromosom bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen in unterschiedlicher Geschwindigkeit verändert. Die Forscher verglichen auf der einen Seite Angehörige von Bevölkerungsgruppen der Khoisan, die traditionell als Jäger und Sammler leben, und auf der anderen Seite Sprecher einer Bantu-Sprache in Botswana, Namibia und Sambia, die seit langer Zeit Landwirtschaft betreiben.

Interessanterweise lassen sich die unterschiedlichen Mutationsraten mit kulturellen Unterschieden zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen erklären: Männer aus bäuerlichen Gesellschaften neigen dazu, über eine längere Zeitspanne Kinder zu zeugen, was zu einem höheren Durchschnittsalter der Väter führt und daraus resultierend zu einer höheren Mutationsrate als bei Männern aus Jäger- und Sammler-Kulturen.

"Das Durchschnittsalter der Väter in Jäger- und Sammler-Gesellschaften des südli-chen Afrika liegt bei 36 Jahren, während es bei den Bauern in der gleichen Region 46 Jahre beträgt", erklärt Chiara Barbieri, Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und eine der Hauptautorinnen der Studie. "Eine Zunahme des Alters um 15 Jahre beim Vater, hat eine fünfzigprozentige Zunahme von Verän-derungen zur Folge - so kann die Lebensweise einen riesigen Einfluss auf die Veränderungsrate im Y-Chromosom haben." Brigitte Pakendorf, Wissenschaftlerin am laboratoire Dynamique Du Langage in Lyon und Koordinatorin der Studie, ergänzt: "Landwirtschaft treibende Gesellschaften erlauben Männern häufig, mehr als eine Frau zu heiraten, sodass Männer oftmals in einem relativ fortgeschrittenen Alter mit einer jüngeren Frau Kinder haben. Das ist einer der Faktoren hinter dem Altersunterschied bei den Vätern und dem daraus resultierenden Unterschied in der Veränderungsrate."

Darüber hinaus offenbart die Studie für den letzten gemeinsamen Ahnen des menschlichen Y-Chromosoms ein sehr viel höheres Alter als bislang angenommen. Frühere Studien schätzten das Alter auf rund 140.000 Jahre, aber die aktuelle Untersuchung weist auf ein Alter von 180.000 bis 200.000 Jahren hin. "Vorherige Analysen haben für ihre Datierungsbemühungen hauptsächlich Eurasier untersucht und damit genetische Variationen in afrikanischen Bevölkerungsgruppen nicht erfasst", erläutert Co-Autor Mark Stoneking vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. "Insgesamt zeigen unsere Ergebnisse, wie wichtig es ist, genetische Studien auf nicht-eurasische Populationen auszudehnen."

Originalveröffentlichung
Chiara Barbieri, Alexander Hübner, Enrico Macholdt, Shengyu Ni, Sebastian Lippold, Roland Schröder, Sununguko Wata Mpoloka, Josephine Purps, Lutz Roe-wer, Mark Stoneking, and Brigitte Pakendorf
Refining the Y chromosome phylogeny with southern African sequences Human Genetics (2016)


Das Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte
Das Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte hat sich zum Ziel gesetzt, die Geschichte der Menschheit unter Verwendung modernster analytischer und genetischer Methoden umfassend zu erforschen. Um grundlegende Fragen zur biologischen und kulturellen Entwicklung des Menschen von der Steinzeit bis heute zu beantworten, arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen, wie Genetik, Linguistik, Archäologie, Anthropologie und Geschichte zusammen, und entwickeln gemeinsam innovative Methoden insbesondere in den Bereichen Gensequenzierung, Sprachdokumentation, Bioinformatik und Phylogeographie.

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte / Max Planck Institute
for the Science of Human History, Petra Mader, 04.04.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2016

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