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ORNITHOLOGIE/179: Zugvögel - Immer der Nase nach (MPG)


Max-Planck-Gesellschaft - 17. Dezember 2009

Immer der Nase nach

Vögel verlassen sich auf langen Zugrouten wesentlich auf ihren Geruchssinn. Der "dritte Sinn" ist für sie wichtiger als die Orientierung an der Sonne und dem Magnetfeld der Erde


Wie sich Vögel auf ihren Zugrouten orientieren, ist bis heute nicht vollständig geklärt. Wie entwickelt ein Vogel eine "innere Landkarte"? Wie findet er zurück in sein Nest vom Vorjahr? Erwachsene Zugvögel sind offensichtlich in der Lage, sich an Routen zu erinnern. Selbst bei einem Flug über unbekanntem Terrain finden sie ihren Weg. Forscher am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell und ihre Kollegen von den Universitäten Princeton, Pisa und Kopenhagen haben nun in einem Freilandversuch festgestellt, dass Gerüche wesentlich den Vogelzug erleichtern. Sie spielen eine wichtigere Rolle als die Sonne und das Magnetfeld der Erde. (Journal of Experimental Biology, 27. November 2009)

Von Jungvögeln vieler Arten wissen Forscher bereits, dass sie eine artspezifisch vererbte Himmelsrichtung einschlagen, um bei ihrer ersten Reise die Winterplätze zu erreichen. Sie verfehlen ihr Ziel, wenn man sie über große Entfernungen von ihrem Ausgangspunkt wegtransportiert. Erwachsene Zugvögel sind dagegen in der Lage, sich an einmal geflogene Routen zu erinnern und nach einer Ortsveränderung die Flugrichtung zu korrigieren und zu den Winterplätzen zurückzufinden. Dies ist ein Beweis echter Navigationsleistung. Wissenschaftler versuchen daher, Faktoren und Mechanismen zu bestimmen, die es den Tieren ermöglichen, ihren Standort zu lokalisieren.

Forscher um Richard Holland und Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell und der Universität Konstanz haben nun erstmals kleine Singvögel in ihrer natürlichen Umgebung untersucht. In der Feldstation der Universität Princeton (New Jersey) haben sie dazu während des Herbstzuges 24 erwachsene und 24 juvenile Katzendrosseln (Dumatella carolinensis) gefangen. Anschließend manipulierten die Forscher in beiden Gruppen bei jeweils acht Vögeln den Geruchssinn, indem sie die Nasenschleimhäute der Vögel mit einer Salz-Lösung spülten. Die Vögel konnten daraufhin für zwei Wochen nicht mehr richtig riechen, ihre Riechzellen wurden jedoch nicht permanent geschädigt. Bei weiteren acht Vögeln störten die Forscher den Magnetsinn mittels starker magnetischer Impulse. Bei der Kontrollgruppe blieben die Tiere ihrer Wahrnehmung unbeeinträchtigt.

Parallel dazu wurden in Illinois - in der Mitte des amerikanischen Kontinents - 19 erwachsene Katzendrosseln gefangen, über Nacht 1100 Kilometer Richtung Osten nach New Jersey gebracht und dort ebenso in die drei Gruppen aufgeteilt. Anschließend befestigten die Wissenschaftler bei allen Vögeln einen 0,9 Gramm leichten Radiotransmitter auf dem Rücken und ließen alle sofort frei. Die Ornithologen konnten nun den Zug der Vögel vom Boden und von der Luft aus beobachten.

Üblicherweise fliegen Katzendrosseln bei ihrem Herbstzug durch New Jersey in Richtung Südwesten westlich an der Bucht von Delaware entlang. Wenn sie - wie ihre Artgenossen in Illinois - einen streng südlichen Kurs fliegen, würden sie am Cape May ankommen. Das hätte zur Folge, dass sie die Delaware Bay an ihrer breitesten Stell überqueren oder an der Küste entlang wieder Richtung Norden fliegen müssten, bis sie eine schmale Stelle gelangen. Erwachsene Vögel meiden deshalb die direkte Südrichtung.

Die erwachsenen nicht-riechenden Vögel wählten jedoch eine unterschiedliche Flugroute als die erfahrene Kontrollgruppe und diejenigen Tiere, deren Magnetsinn gestört war. Die Vögel, deren Geruchssinn beeinträchtigt war, waren nicht in der Lage, sich zu orientieren und flogen nach Süden. Sie mussten wie die Jungvögel auf eine endogene Peilung zurückgreifen, weil sie sich nicht mehr auf ihren Geruch verlassen konnten. Auch die aus Illinois stammenden Tiere ohne Geruchssinn flogen in südliche Richtung, während die Kontrollgruppe versuchte, den Ortswechsel durch Flug gen Südwesten beziehungsweise Westen zu kompensieren.

Die Manipulation des Magnetsinns wirkte sich dagegen nicht auf die Orientierung aus - weder für die erwachsenen noch für die jungen Vögel. "Auch andere Feldstudien haben keinen klaren Beweis erbracht, dass es eine Wirkung haben könnte, wenn man den Magnetsinn stört", sagt Richard Holland. Deshalb stellt sich für die Forscher die Frage, wie wichtig tatsächlich das Magnetfeld für die Navigation über große Distanzen ist. "Dennoch nehmen wir nicht an, dass der Mangel an Wirkung bei der Magnetpuls-Behandlung ein Zeichen dafür ist, dass der Magnetsinn gar keine Rolle bei der Migration erwachsener Vögel spielt." Die Ergebnisse erlauben erstmals den Schluss, dass der Geruchssinn ein wesentlicher Faktor einer Navigationskarte ist. Der Versuch eröffnet darüber hinaus auch eine zuverlässige Methode für zukünftige Feldstudien, die die Rolle von Umweltfaktoren beim Vogelzug untersuchen.
[AP / BA]


Originalveröffentlichung: R.A. Holland, K. Thorup, A. Gagliardo, I.A. Bisson, E. Knecht, D. Mizrahi and M. Wikelski
Testing the role of sensory systems in the migratory heading of a songbird
The Journal of Experimental Biology 2009 212, 4065-4071, 27. November 2009

Weitere Informationen erhalten Sie von:
Richard Holland
Max-Planck-Institut für Ornithologie, Radolfzell
E-Mail: rholland@orn.mpg.de

Leonore Apitz, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Ornithologie, Radolfzell
E-Mail: apitz@orn.mpg.de


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Quelle:
MPG - Presseinformation B / 2009 (275), 17. Dezember 2009
Herausgeber:
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Dezember 2009