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ORNITHOLOGIE/189: Vogel-Uhren und Kalender-Vögel (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 1/2010

Zeitprogramme im Tages- und Jahreslauf: Vogel-Uhren und Kalender-Vögel

Von Barbara Helm


Timing is everything! Als ob es nicht schwierig genug wäre für Vögel, den vielen alltäglichen Anforderungen gerecht zu werden: Nahrungssuche, Vermeidung von Beutegreifern, Parasiten und Krankheiten, Wettbewerb um Brutpartner und Territorien, Aufzucht der Jungen... Zusätzlich spielt für die Bewältigung dieser Aufgaben eine oft entscheidende Rolle, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und sich im richtigen körperlichen Zustand zu befinden. Dabei helfen den Vögeln ihre inneren Uhren und Kalender.


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Für den menschlichen Beobachter sind Vögel eng verbunden mit zeitlicher Präzision. Ganz allgemein symbolisiert der Hahnenschrei auf dem Hof den morgendlichen Weckruf, und die Ankunft von Zugvögeln markiert den Frühling. Aber die von den Menschen beobachtete Präzision geht noch viel weiter: Unter "Vogel-Uhr" verstehen Fachleute die spezielle Reihenfolge, in der die Vögel mit ihren Aktivitäten, und besonders mit dem morgendlichen Gesang, beginnen. Arten wie Hausrotschwanz, Amsel und Rotkehlchen gehören zu den frühesten Sängern, während andere Arten, z. B. Buchfink und Pirol, erst deutlich später aktiv werden. Ähnlich sind auch bei Zugvögeln die Ankunftszeiten von Art zu Art verschieden: "Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer", aber wenn der Neuntöter und der Grauschnäpper eintreffen, dann sollten auch Eisdielen, Biergärten und Schwimmbäder ihre Tore öffnen. Arttypische Ankunftszeiten spiegeln sich im deutschen Sprachraum auch in Bauernregeln wider, die die Ankunft einiger Arten genau charakterisieren. In manchen anderen landwirtschaftlichen Gesellschaften gilt die Ankunft von Zugvogelarten bis in unsere Zeit als Startsignal z. B. zur Aussaat bestimmter Kulturpflanzen. Solche Pünktlichkeit ist umso erstaunlicher, als Zugvögel den richtigen Zeitpunkt zur Rückkehr in die Brutgebiete von oft weit entfernten Winterquartieren aus einschätzen müssen. Vögel haben also ihre Symbolkraft für die "Zeit" durchaus verdient. Aus diesem Grund sind Vögel auch von hohem Interesse für die Erforschung der "Inneren Uhr", mit der sich die Chronobiologie (Biologie der Zeit) befasst.



Tagesuhren: "Wecker und Photometer"

Vogelforschern, die die genauen morgendlichen Aktivitätsbeginne und ersten Gesangszeiten einiger Vogelarten notiert hatten, war zunächst eine deutliche Beziehung zum Tageslicht aufgefallen. In Abhängigkeit vom Ort und der Jahreszeit finden Sonnenaufgang, Sonnenuntergang und Dämmerung zu verschiedenen Tageszeiten statt. Diese Unterschiede beeinflussen auch die Tageszeit, zu der ein Vogel aktiv wird. Dementsprechend wurde zunächst davon ausgegangen, dass die Aktivitätszeit von Vögeln durch eine Art von "Photometer" (also durch Bestimmung der Lichtintensität) gesteuert wird. Genauere Untersuchungen ergaben aber ein komplizierteres und spannenderes Bild. Wenn Vögel ohne Informationen über die Tageszeit in einem teilweise abgedunkelten Raum gehalten werden, zeigen sie dennoch klare Muster von Aktivität und Ruhe, die sich in etwa 24-stündigem Rhythmus wiederholen. Verfolgt man diese Rhythmen jedoch über mehrere Tage, dann zeigt sich, dass die Zeiten der Vögel langsam und kontinuierlich "wandern": Die Vögel folgen ihrer eigenen, inneren Uhr, die aber nicht ganz präzise ist und deshalb auch als "circadiane" Uhr (von circa = ungefähr, und dies = Tag) bezeichnet wird. Bei Vögeln, deren innere Uhr schneller läuft als 24 Stunden, verfrüht sich die Aktivität täglich um einige Minuten, und bei Vögeln mit einer langsameren Uhr als 24 Stunden beginnt die Aktivität täglich etwas später. Dieser "Freilauf" ist der Beleg dafür, dass die Vögel nicht nur auf ein äußeres Umweltsignal (normalerweise das Tageslicht) reagieren, sondern schon innerlich auf den Beginn des kommenden Tages vorbereitet sind. Dies hat entscheidende Vorteile. Viele Aspekte der Physiologie, wie die Körpertemperatur und Hormone, werden so gesteuert, dass der Vogel mit Beginn seiner Aktivitätszeit "durchstarten" kann. Unter natürlichen Bedingungen bestimmen die innere, circadiane Uhr und die äußere Uhr, die durch die Umwelt vorgegeben ist, gemeinsam die Aktivitätszeit der Vögel. Die circadiane Uhr ist der "Wecker", der den nahenden Tag ankündigt. Die äußere Uhr stellt diesen Wecker genau ein und passt die Aktivitätszeit ggf. an die jeweiligen Tagesbedingungen an. Dabei fällt dem Sonnenstand die Rolle des "Zeitgebers" zu, der die Uhr stellt, während andere Faktoren wie Temperatur und Wetter mitbestimmen, wie sich ein Vogel um eine bestimmte Uhrzeit verhält. So lässt sich verstehen, wie es den Vögeln gelingt, einerseits auf den Tag vorbereitet zu sein, aber andererseits ihren Tagesablauf an die aktuellen Bedingungen anzupassen, denen sie an einem bestimmten Tag und Ort ausgesetzt sind.



"Lerchen und Eulen": Vielfalt der Uhren

Die erwähnte, klassische Vogeluhr zeigt an, dass sich die Vogelarten deutlich in ihren Zeitmustern unterscheiden. Diese Unterschiede basieren auf ererbten, arttypischen Programmen, die steuern, wie ein Vogel auf Lichtintensität und andere Umweltfaktoren reagiert. Beispielsweise pendelt sich die Kombination von Wecker und Photometer so ein, dass ein Rotkehlchen bereits bei der ersten Dämmerung, ein Buchfink aber erst bei relativ hellem Licht zu singen beginnt. Auch viele andere Eigenschaften von Vogelarten haben sich in engem Zusammenhang mit einem bestimmten tageszeitlichen Verhalten entwickelt. Arten, die bereits nachts und in der frühen Dämmerung aktiv sind, haben z. B. in der Regel einen größeren Augendurchmesser als rein tagaktive Arten. Aber selbst innerhalb von Arten gibt es deutliche Unterschiede zwischen Individuen, die ausgesprochene "Frühaufsteher" sind, und anderen, die eher spät aufstehen. Dies gilt nicht nur für Vögel, sondern auch für uns Menschen. In Selbstversuchen und später in gezielten Experimenten, in denen freiwillige Probanden in einem unterirdischen Bunker ohne zeitliche Informationen auskommen mussten, zeigte sich, dass beim Menschen der Tagesablauf ebenso von einer Kombination aus innerer und äußerer Uhr bestimmt wird. Auch beim Menschen gibt es deutliche Unterschiede zwischen "Frühaufstehern" und "Spätaufstehern" (besser: Morgentypen und Abendtypen). Und wiederum sind es Vögel, die als Symbole für diese Typen namengebend verwendet werden: "Lerchen" für die Morgentypen und "Eulen" für die Abendtypen.



Jahresuhren: Die Rückkehr der Zugvögel

Das jahreszeitliche Verhalten der Vögel hat für Menschen ganz besondere Bedeutung. Schon aus ägyptischen Dokumenten, aus der Bibel und aus griechischen Schriften sind Beobachtungen über die Ankunft von Kranichen und Gänsen erhalten. Mündliche Überlieferungen über Ankunft und Abzug der Zugvögel, über Brutaktivitäten und über Beginn und Ende der Gesangsperiode sind in Form von Bauernregeln und Mythen aus vielen Kulturen bekannt. Wie bei der Tagesuhr unterscheiden sich die Zeitpläne je nach Lokalität. Für einen vorgegebenen Ort jedoch lässt sich saisonales Verhalten wie eingangs erwähnt ähnlich wie bei der Vogeluhr arttypisch als "Vogelkalender" darstellen: Auch bei der Jahresuhr gibt es Vogelarten, die notorisch früh oder aber spät im Jahr ankommen, brüten, mausern oder abziehen. Am deutlichsten lässt sich dieses Spektrum für die erste Ankunft im Frühjahr zeigen.

Lange schon haben Vogelinteressierte überlegt, woher die Vögel ihr präzises Wissen über die Jahreszeiten gewinnen. Vogelliebhabern, die Zugvögel in menschlicher Obhut hielten, war aufgefallen, dass besonders die nächtlich ziehenden Arten während der Zugperiode ihrer frei lebenden Artgenossen unruhig wurden, obwohl ihre regelmäßige Versorgung durch Menschen gesichert war. Diese "Zugunruhe" oder "Wanderlust" gab Anlass zu Spekulationen, dass Vögel in der Tat einen inneren "Kalender" in sich tragen könnten, der ihnen die richtigen Abflugzeiten angibt. Dies konnte dann 1967 zum ersten Mal durch den deutschen Verhaltensforscher Eberhard Gwinner auch experimentell eindeutig nachgewiesen werden. Gwinner zeigte zunächst am Fitis und später auch an vielen weiteren Vogelarten, dass die Jahresuhr ähnlich wie die Tagesuhr auch dann weiterläuft, wenn Vögel keinerlei Umweltinformationen über die Jahreszeit erhalten. Die Vögel wurden mehrere Jahre lang unter immer gleichen Licht- und Temperaturverhältnissen gehalten und erhielten auch ganzjährig dieselbe Nahrung. Dennoch zeigten sie klare Jahresrhythmen von Mauser und Zugunruhe. Doch wie bei den Experimenten zur circadianen Uhr waren die Rhythmen nicht mit dem äußeren Jahr synchronisiert, sondern entfernten sich kontinuierlich von der natürlichen Mauser- und Zugzeit. Auch die Jahresuhr läuft also nicht ganz präzise und wird deshalb als "circannualer" Kalender (von circa = ungefähr, und annus = Jahr) bezeichnet.

Da diese Experimente sehr zeitintensiv sind, ist die circannuale Uhr der Vögel weit weniger genau erforscht als die circadiane Uhr. Bei allen bisher untersuchten Singvogelarten lief die Jahresuhr schneller als das äußere Jahr. Im Gegensatz dazu benötigten die beiden bisher von Theunis Piersma untersuchten Limikolenarten Knutt und Großer Knutt deutlich länger als ein Jahr, um einen Jahreszyklus von Mauser und Körpermasseveränderungen zu durchleben. Ähnlich wie bei der Tagesuhr funktioniert auch die Jahresuhr als Zusammenspiel von inneren und äußeren Zeitinformationen. Die für Vögel wichtigste Informationsquelle, die den Kalender richtig stellt, ist die jährliche Veränderung in der Länge des Tageslichts. Dies lässt sich experimentell zeigen, indem man Vögel zur falschen Jahreszeit allein durch längere oder kürzere Lichtzeiten zu saisonalen Aktivitäten wie Brut oder Mauser stimulieren kann. Im Freiland wiederum sind viele weitere Faktoren wie z. B. Wetterbedingungen, das Nahrungsangebot oder das soziale Umfeld für das genaue zeitliche Verhalten mitverantwortlich. Wie die innere Uhr hat vermutlich auch der innere Kalender die Aufgabe, Vögel rechtzeitig auf bevorstehende Jahreszeiten und die dazugehörigen Aktivitäten wie Brut, Zug oder Mauser vorzubereiten. Schließlich bedarf es jeweils wochenlanger Vorbereitung, bis ein Vogel nach der Winterpause reproduktionsbereit oder das Gefieder komplett erneuert ist. Bei Langstreckenziehern regeln Programme meist schon lange vor Zugbeginn den rechtzeitigen Aufbau von Energiespeichern für die Reise. Eine weitere Aufgabe des inneren Kalenders liegt vermutlich darin, dass er besonders Langstreckenzieher davor schützt, ihr jahreszeitliches Verhalten nach irreführenden, lokalen Faktoren zu richten. So stimulieren längere Tage das Brutverhalten im Frühjahr, aber nicht im Winterquartier, wo Zugvögel zumindest auf der Südhalbkugel ja ebenfalls langen Tagen und oft auch günstigen Bedingungen ausgesetzt sind.



"Kalendervögel und Wettervögel"

Saisonale Aktivitäten verschiedener Arten unterscheiden sich nicht nur im Zeitplan, sondern auch in ihrer Pünktlichkeit. Auch dies war Vogelbeobachtern schon lange bekannt und führte zur Unterscheidung zwischen "Kalendervögeln" und "Wettervögeln". Kalendervögel zeichnen sich durch präzise, artspezifische Zeitmuster besonders beim Vogelzug aus. Zu ihnen zählen "klassische Zugvögel", also Langstreckenzieher wie Mauersegler, Neuntöter und Wespenbussard. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für zeitliche Präzision bietet eine Studie, die Gunnarson und Kollegen an der Uferschnepfe durchgeführt haben. Bei dieser Art überwintern Weibchen und Männchen in Winterquartieren, die etwa 1000 km auseinanderliegen. Dennoch gelingt es den Brutpartnern, die unabhängig voneinander ziehen, ihre Ankunft im isländischen Brutgebiet zeitlich genau aufeinander abzustimmen. Solche Verhaltensweisen sind kaum anders erklärbar als durch innere Kalender, die den richtigen Zeitpunkt vorgeben und die Vögel gleichzeitig auch gegen größere Abweichungen vom Zeitplan in Reaktion auf örtliche Faktoren abschirmen.

Das andere Extrem im Spektrum von saisonalem Verhalten repräsentieren die "Wettervögel". Hierbei handelt es sich um Arten, deren Wanderungen weitgehend von aktuellen lokalen Faktoren, besonders vom Wetter und vom Nahrungsangebot, beeinflusst werden. Aus diesem Grund ziehen sie in aufeinanderfolgenden Jahren oft zu unterschiedlichen Zeiten oder über unterschiedliche Strecken. Zu den Wettervögeln zählen viele Kurzstreckenzieher, Teilzieher (Arten, von denen ein Teil der Population das Brutgebiet verlässt und der andere im Brutgebiet überwintert) und nomadische oder irruptive (plötzlich in großer Zahl auftretende) Arten, z. B. Kiebitz, Star, Erlenzeisig oder Seidenschwanz. Die Steuerung des Verhaltens gerade bei Wettervögeln ist noch wenig verstanden. Hier besteht großes Potenzial durch neue Entwicklungen der Mikrotechnologie, besonders von Datenloggern und Sendern, über die auch DER FALKE berichtet (z. B. 2001, H. 5; 2009, H. 7). Mithilfe dieser Techniken können tiefe Einblicke in das Verhalten von individuellen Tieren bei gleichzeitiger Kenntnis von Umweltbedingungen gewonnen werden.


Spezialisierte Zeitprogramme in verschiedenen Lebensräumen: Schwarzkehlchen als Modellart

Angeborene Zeitprogramme können nur dann zu richtigem zeitlichem Verhalten führen, wenn sie genau auf die örtlichen Bedingungen abgestimmt sind. So brüten beispielsweise Vögel auf den Britischen Inseln in der Regel früher als in Kontinentaleuropa und Vögel in niedrigen Lagen früher als Artgenossen in Gebirgsregionen. Solche Unterschiede können teilweise von direkten Umweltreaktionen z. B. auf die Temperatur bestimmt werden. Bei Arten mit stark ausgebauten inneren Kalendern sind jedoch die Zeitprogramme selbst an den jeweiligen Lebensraum angepasst. Dies konnte im Detail für Schwarzkehlchen dokumentiert werden. Die genaue Taxonomie der Schwarzkehlchen wird zurzeit anhand von molekularen Daten geklärt. Unabhängig von den taxonomischen Details ist die Gruppe der Schwarzkehlchen jedoch als Brutvogel über ein riesiges Nord-Süd-Areal verbreitet. Schwarzkehlchen brüten in Sibirien bis zu einer nördlichen Breite von 70° und in Südafrika bis zu einer südlichen Breite von 30°. Innerhalb dieses riesigen Areals lassen sich fast zu jeder Jahreszeit und unter einem weiten Spektrum von Tageslängen brütende oder mausernde Schwarzkehlchen vorfinden. Auch das saisonale Verhalten unterscheidet sich lokal sehr stark. So sind die Vögel in Sibirien Langstreckenzieher, während sie im äquatorialen Kenia ganzjährig Territorien besetzen. Daher sind Schwarzkehlchen eine ideale Gruppe um zu untersuchen, inwieweit saisonales Verhalten durch angeborene Programme bestimmt ist. Schwarzkehlchen wurden seit Beginn der 1980er Jahre in umfassenden Studien des Max-Planck-Instituts für Ornithologie erforscht. Dabei wurden die Zeitpläne von Schwarzkehlchen aus sibirischen, afrikanischen, zentraleuropäischen und britischen Populationen im Freiland untersucht. Gleichzeitig wurden die Vögel auch im Institut gezüchtet, handaufgezogen, und unter genau gleichen Bedingungen verglichen. Diese Untersuchungen ergaben klare Hinweise auf ererbte Unterschiede in den Zeitprogrammen. Die grundsätzlichen Unterschiede im Zeitplan blieben bei sibirischen, zentraleuropäischen und britischen Populationen erhalten, einzig afrikanische Schwarzkehlchen zeigten sich etwas flexibler. Europäische und sibirische Schwarzkehlchen waren durch ihre unterschiedlichen Zeitprogramme stark in der Hybridisierung beschränkt. In Volieren erzeugten Mischpaare immer nur dann Junge, wenn beide Populationen gleichzeitig in Brutstimmung waren. Diese Unterschiede waren teilweise schon in den circannualen Rhythmen sichtbar, also im "inneren Kalender". Afrikanische Schwarzkehlchen zeigten von allen Populationen die stabilsten inneren Kalender. Beispielsweise behielt ein Vogel unter Konstantbedingungen über einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren klare circannualle Rhythmen in Brutbereitschaft und Mauser bei. Weitere Unterschiede fanden sich in den Reaktionen auf Umweltbedingungen, hauptsächlich auf die Tageslänge. Während der Brutzeit bietet die Tageslänge einen verlässlichen Kalender besonders für junge Zugvögel, die bis zum Abzug ihr Wachstum abgeschlossen und das schüttere Jugendgefieder durch robustes Adultgefieder ersetzt haben müssen. Jungvögel aus späten Gelegen mausern deshalb in jüngerem Alter als Nestlinge aus frühen Gelegen. Dieser "Kalendereffekt" unterschied sich markant zwischen den Schwarzkehlchenpopulationen und bekräftigte unterschiedliche ererbte Zeitprogramme.


Globale Veränderungen: Heute gehen die Uhren anders ...

Mithilfe teilweise genauer Zeitpläne, vielfältiger Wanderungen und flexibler Reaktionen auf Umweltbedingungen haben sich Vögel eine erstaunliche Reichhaltigkeit von Ressourcen evolutionär erschlossen. Dieses Erfolgsrezept wird jedoch durch die immer schnelleren globalen Veränderungen auf eine harte Probe gestellt. Neben der Vielfalt und Menge an natürlichen Ressourcen verändert sich auch die Zeit ihrer Verfügbarkeit. So gehören ein immer früherer Frühling und ein häufig auch verlängerter Herbst zu den auffälligsten Veränderungen, die im Zusammenhang mit dem Klimawandel beobachtet wurden. Vogelarten unterscheiden sich stark in ihren Reaktionen auf diese Veränderungen. An einigen Arten werden zunehmend markantere Änderungen im saisonalen Verhalten beobachtet, während andere Arten ihre Zeitpläne fast gar nicht umgestellt haben. Diese Unterschiede zeigen auffällige Parallelen zum Spektrum von "Wettervögeln" und "Kalendervögeln". Wettervögel scheinen insgesamt sehr viel eher in der Lage zu sein auf aktuelle Veränderungen zu reagieren als Arten mit ausgeprägten angeborenen Zeit- und Zugprogrammen. Vergleichende Studien am Trauerschnäpper legen nahe, dass die Vitalität von Populationen mit ihrer Fähigkeit zusammenhängt, sich neuen saisonalen Bedingungen anzupassen. Selbst das tageszeitliche Verhalten der Vögel wird von Umweltveränderungen beeinflusst.

So mehren sich die Anzeichen, dass nächtliche Beleuchtung möglicherweise die Tagesuhr und die Jahresuhr manipuliert. Einige Arten verändern ihren Tageslauf und tragen beispielsweise ihren Gesang vor, während die Menschen sich ruhig verhalten. Stadtamseln unterscheiden sich von ihren Verwandten im Wald unter anderem durch frühere Brutbereitschaft, die sich teilweise auch an handaufgezogenen Vögeln zeigen lässt. Bleibt zu hoffen, dass die Vögel ihre Zeitpläne schnell genug auf menschengemachte Veränderungen umstellen können, um auch in Zukunft zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

Dr. Barbara Helm arbeitet als Ornithologin am Max-Planck-Institut für Ornithologie und ab Januar an der Universität Konstanz. Vogelbeobachtung fasziniert sie seit ihrer Jugend in Nürnberg.


Literatur zum Thema: Aschoff, J. & D. von Holst (1960): Schlafplatzflüge der Dohle, Corvus monedula L.. Proc. XII Int. Ornithol. Congress Helsinki 1958: 55-70.

Gunnarsson, T. G., J. A. Gill, T. Sigurbjörnsson, W. J. Sutherland (2004): Arrival synchrony in migratory birds. Nature 431: 646.

Gwinner, E. (1967): Circannuale Periodik der Mauser und der Zugunruhe bei einem Vogel. Naturwissenschaften 54: 447.

Helm, B. (2008): Migration der Vögel: Zusammenspiel zwischen genetischen Programmen und Umwelteinflüssen. Nova Acta Leopoldina, NF 358: 61-86.

Helm, B. (2009): Geographically distinct reproductive schedules in a changing world: costly implications in captive Stonechats. Integ. Comp. Biol. 49: 563-579.

Hubálek, Z. (2003): Spring migration of birds in relation to North Atlantic Oscillation. Folia Zool. 52: 287-298.

Partecke, J., T. Van't Hof, E. Gwinner (2004): Differences in the timing of reproduction between urban and forest European blackbirds (Turdus merula). Result of phenotypic flexibility or genetic differences? Proc. Royal Soc. London - B: 271: 1995-2001.

Piersma, T. (2002): Shorebird cycles: when it takes 18 months to make a year complete. Naturwissenschaften 2002, 89:278-279.

Zulley, J. (2000): Unsere inneren Uhren. Verlag Herder, Freiburg.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 1/2010
57. Jahrgang, Januar 2010, S. 9-15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2010