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ORNITHOLOGIE/255: Expertentipps - Vogelstimmen lernen (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 3/2012

Expertentipps: Vogelstimmen lernen

Ein Gespräch mit Professor Dr. Volker Zahner



Für die Bestimmung vieler Vogelarten ist es oftmals erforderlich, die Gesänge und Rufe von Vögeln zu erkennen. Bei den meisten Vögeln wird eine Artansprache über die Stimme häufig erleichtert. Denken Sie nur an Sprosser oder Nachtigall, Sumpf- oder Weidenmeise, oder die lange Liste der Rohrsänger. Auch wird der Hörgenuss für viele von uns größer, wenn man weiß, welcher Vogel gerade singt und ein Vogelstimmenkonzert in viele "Solosänger" aufgeteilt werden kann. Aber wie fängt man damit an, Vogelstimmen zu lernen? Wir haben bei jemandem nachgefragt, der es wissen muss: Prof. Dr. Volker Zahner von der Hochschule Weihenstephan bringt seit vielen Jahren Studentinnen und Studenten das Erkennen von Vogelstimmen bei. Seine Erfahrungen hierbei hat er mit uns mitgeteilt.

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Für Vogelstimmen-Anfänger ist es oft ausgesprochen frustrierend und verwirrend, in einem Vogelstimmenkonzert einzelne Vogelarten zu identifizieren. Sie unterrichten seit vielen Jahren an der Hochschule Weihenstephan Forst- und Landschaftsarchitekturstudenten und -studentinnen darin, Vogelstimmen zu erkennen. Wie genau gehen Sie dabei vor?

Als erstes gilt, dass das Fach "Feldornithologie" ein Projekt ist; das heißt, nur diejenigen machen mit, die es auch wirklich interessiert. Der zweite wichtige Punkt ist, dass die Studenten sehr bald selbst zwölf Vogelarten in einem strukturreichen Eichen-Buchenbestand kartieren, und zwar anhand der Stimmen. Auf dieser Liste stehen verschiedene Vogelfamilien und damit unterschiedliche Klangmuster und Verhaltensweisen: der Buntspecht, zwei Meisenarten, zwei Finken, der Zaunkönig, die Mönchsgrasmücke, Rotkehlchen, Singdrossel usw. Mithilfe von CDs fertigen die Studierenden zunächst ihren persönlichen "Geräusch-Bestimmungsschlüssel" für diese Arten an. Dieser Schüssel passt in der Regel auf eine DINA4 Seite und führt dazu, dass man sich das erste Mal intensiv mit den Vogelstimmen beschäftigt. Nun gilt es, die Geräusche in eigene Worte zu verpacken, zum Beispiel beim Grünfink "rau geräuschhaft, klingelnd". Dann sortiert man, wer sich ähnlich und wer sich völlig anders anhört.

Nach dem ersten Kartierdurchgang mit Grenzerfahrungs- und Frustrationserlebnis treffen wir uns wieder im Hörsaal oder dem Sprachlabor. Dann wird noch mal an Erkennungsmerkmalen der einzelnen Arten gefeilt, Sonogramme werden betrachtet, und manchmal verhilft auch ein Merkspruch zum Durchbruch bei der einen oder anderen Stimme. Dann geht es wieder in der Kleingruppe auf Vogelpirsch. Ausgerüstet mit Fernglas, Karte, Bestimmungsbuch und CD- oder MP3-Player geht es in den frühen Morgenstunden in den Lehrwald.

Was raten Sie Privatpersonen, die Vogelstimmen erlernen möchten, aber keinen Zugang zu einer Hochschule haben?

Ich würde mir mit einem Fernglas bewaffnet ein schönes Fleckchen Natur in meiner Nähe suchen und herausfinden, welche Vögel hier vorkommen. Erst optisch und dann mit Hilfe einer CD nachhören, wie diese klingen - erst einige wenige und langsam ein paar mehr. Sobald wir dann erste Erfolge haben, ist unser Gehirn begeistert. Jetzt heißt es "dran" zu bleiben, bis uns der Suchtfaktor packt. Daneben ist es schön, gelegentlich mit Fortgeschrittenen oder Könnern unterwegs zu sein. Dabei sollte man sich aber nur wenige Arten vornehmen. Standardvogelstimmenwanderungen sind nette Erlebnisse; zum Lernen für Einsteiger sind sie aber in meinen Augen nicht geeignet.

Wann ist die beste Jahreszeit, mit dem Erlernen von Vogelstimmen anzufangen?

Das größte Problem bei Vogelstimmen ist die Reizüberflutung. Der Spätwinter und Vorfrühling sind daher ideal. Zu dieser Zeit ist die Zahl der Sänger noch überschaubar, und man kann den Ruf oder den Gesang im kahlen Garten oder dem laublosen Waldrand gut überprüfen und sich einprägen. Daher heißt es, möglichst früh im Jahr, also mit den ersten Vogelstimmen im Februar, beginnen und genau hinzusehen. Dann sollte man langsam von der Blau- zur Kohlmeise und zum Buchfink wechseln, so dass sich das Repertoire vorsichtig ausweiten kann - immer mit einer Portion Frustrationstoleranz im Gepäck. Und immer wieder üben.

Welcher Lebensraum eignet sich am besten für "Vogelstimmen-Anfänger"?

Gerade am Anfang ist ein Hausgarten ideal oder ein Park, wo man von einer Bank aus das Terrain fest im Blick hat und jede auch noch so leise Gesangsäußerung wahrnehmen kann. Im Vorfrühling mit fehlendem Blattwerk lassen sich die wenigen Sänger gut identifizieren und zur Not nachbestimmen. Ein assistierender CD-Player kann helfen, die Stimme zu vertiefen. Später dann hört man sich gezielt eine Art an und sucht diese im Gelände. Erkennt man sie spontan, ist das ein großartiges Gefühl.

Welche Hilfsmittel wie Vogelstimmenbücher oder Vogelstimmenaufnahmen haben sich bewährt?

Inzwischen gibt es eine Reihe sehr guter Hilfsmittel. Absolut unerlässlich ist in meinen Augen eine CD. Für Einsteiger ist "Was fliegt und singt denn da?" prima. Vielen helfen auch Reime oder Merksprüche, um sich den Gesang einzuprägen. Nett ist beispielsweise der Spruch, der das kurze harte Lied der Dorngrasmücke beschreibt: "Wer bist Du? Was willst Du? Geh weg!". Mit einem Diktiergerät lassen sich zudem Vögel aufnehmen, die man draußen nicht spontan bestimmen konnte.

Prof. Hans-Heiner Bergmann hat mit wechselnden Partnern ein ganzes Set an Hilfsmitteln erarbeitet, das zu Vogelstimmen hinführt. Für Einsteiger gibt es von ihm den "Grundkurs Vogelstimmen", dann für Fortgeschrittene und Profis die "Stimmen der Vögel Europas", beide mit CDs. Hier werden Stimmen detailliert beschrieben und mit Sonagrammen dargestellt. Zusätzlich gibt es noch anschauliche DVDs von ihm mit Vogelfilmen und Gesängen.

Wie lange dauert es Ihrer Erfahrung nach, bis Neueinsteiger die häufigen Vogelarten in Gärten, der offenen Landschaft und in Wäldern erkennen können?

Der Rahmen ist natürlich sehr weit. Aber in zwei Jahren können Begeisterte sehr weit kommen. Wenn sie selbst kartieren, geht es am schnellsten. Läuft man nur mit und übernimmt keine Verantwortung, kann es dagegen auch ewig dauern, und am Ende wird dann doch die Lerche mit der Nachtigall verwechselt.

Ist es erforderlich, Vogelstimmenwissen immer wieder aufzufrischen, und wie macht man das am besten?

Ja, unbedingt. Da kann man früh im Jahr eine CD im Hintergrund laufen lassen und macht sich noch im winterkahlen Zustand die Mühe, den Vögeln hinterherzuschauen. Gerade bei unbekannten Geräuschen. Auch gibt es sehr schöne Vogel-DVDs, mit deren Hilfe man die Vögel sieht, hört und gleichzeitig die Gesänge erklärt bekommt. Auch hier gilt das Gleiche wie für das Lernen allgemein: Je mehr ich Freude am Lernen habe und je mehr Informationen ich verknüpfen kann, desto leichter bleiben die Muster haften. Auch in der Gruppe kann man gut Stimmen auffrischen und voneinander lernen.

Haben Sie noch irgendwelche anderen Tipps für das Erlernen von Vogelstimmen?

Die Vorstellung ist ja, dass man mit Vogelstimmen nicht nur den Gesang erlernt, sondern ein Fenster in eine völlig neue Welt aufstößt. Damit erschließt man sich spannende Botschaften, die Nichteingeweihten völlig verborgen bleiben, wie die Signale "Bodenfeind", "Luftangriff" oder "Brutgeschehen" ebenso wie Hinweise auf bestimmte Waldstrukturen. Dazu hilft es auch dem Fortgeschrittenen, sich immer neue Lebensräume vorzunehmen und gezielt zwei oder drei Arten und deren Stimme zu entdecken.


Dr. Volker Zahner ist Professor für Zoologie und Wildtierökologie an der Hochschule Weihenstephan, wo er unter anderem "Feldornithologie" lehrt. 2006 wurde er vom Bayerischen Wissenschaftsminister mit dem Preis für herausragende Lehre ausgezeichnet.


Literatur zum Thema:

Barthel P, Dougalis P 2009: Was fliegt denn da? Franckh-Kosmos, Stuttgart.

Bergmann H-H, Westphal U 2010: Grundkurs Vogelstimmen - Heimische Vögel an ihren Stimmen erkennen. Quelle & Meyer, Wiebelsheim.

Bergmann H-H, Helb H-W, Baumann S 2008: Die Stimmen der Vögel Europas. Aula-Verlag, Wiebelsheim.

Bergmann H-H, Helb H-W 2009: Tipps für Einsteiger: Vogelstimmen selbst aufnehmen. Falke 56: 176-181.

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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 3/2012
59.‍ ‍Jahrgang, März 2012, S. 92-94
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2012