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ORNITHOLOGIE/331: Wanderfalke - Kühner Flieger mit Spoiler (forsch - Universität Bonn)


forsch 1/2015
Bonner Universitäts-Nachrichten

Kühner Flieger mit Spoiler
Aerodynamisch: Der Wanderfalke erreicht Formel 1-Geschwindigkeit

Von Johannes Seiler


Von der Thermik getragen schraubt sich der Wanderfalke immer weiter in die Lüfte empor. Aus großer Höhe hat er einen besonders guten Überblick. Sobald er einen tiefer fliegenden Vogel entdeckt, legt er die Flügel an und geht in den Sturzflug über. Wie ein Stein fällt er vom Himmel und ergreift seine überraschte Beute.


"Wanderfalken gehören zu den schnellsten Vögeln der Welt. Im Sturzflug können sie bis zu 320 Stundenkilometer schnell sein", sagt Prof. Dr. Horst Bleckmann vom Institut für Zoologie. Zum Vergleich: Ein Fallschirmspringer erreicht im freien Fall mit ausgebreiteten Armen "nur" etwa 200 Stundenkilometer. Wissenschaftler fragen sich deshalb schon seit langem, ob der Wanderfalke über spezielle aerodynamische Eigenschaften verfügt, die ihn auf Formel 1-Geschwindigkeit bringen.

Diesem Rätsel gingen die Bonner Zoologen zusammen mit Prof. Dr. Christoph Brücker und Diplom-Ingenieur Benjamin Ponitz vom Institut für Mechanik und Fluiddynamik der TU Bergakademie Freiberg nach. Mit zwei Hochgeschwindigkeitskameras, die eine dreidimensionale Rekonstruktion der Flugbahn erlaubten, zeichneten sie den Sturzflug eines Wanderfalken auf. "Die größte Herausforderung war, den Falken auf einer vorher definierten Route zu halten, um die Aufnahmen machen zu können", berichtet Prof. Bleckmann.

Dafür sorgten Karl Fischer und seine Mitarbeiter von der Greifvogelstation Hellenthal, die vorher einen Wanderfalken darauf abgerichtet hatten, sich von der Olef-Talsperre in der Eifel in den Sturzflug zu begeben. Unten lockte ein Helfer mit einem federumhüllten rohen Fleischstückchen. Anhand von Markierungen am Staudamm konnten die Forscher mit den Kameras genau verfolgen, in welcher Höhe und bei welcher Geschwindigkeit der Wanderfalke eine bestimmte Flugposition einnahm.


Wie ein Vakuumpack

Die Kameraaufnahmen zeigen eindrucksvoll, wie der Falke im Sturzflug Beine, Flügel und Schwanzfedern zunehmend anlegt und dadurch beschleunigt. "Während der Maximalgeschwindigkeit sieht er aus wie ein Vakuumpack aus dem Lebensmittelmarkt", schildert Bleckmann plastisch. Kurz vor dem Erdboden hebt der Vogel leicht den Kopf und breitet die Flügel etwas aus. Beim Bremsmanöver drückt er die Schwingen weiter vom Körper weg und landet schließlich.

Von Wanderfalken-Sturzflügen gibt es inzwischen zahlreiche Filmaufnahmen, unter anderem auf YouTube. Exakte Messungen der Beschleunigungskräfte, der Flugwinkel und der Umströmung des Wanderfalken fehlten bislang. Diese Daten lieferte nun das Forscherteam. In ihren Videoaufzeichnungen fielen den Wissenschaftlern abstehende Federn hinter dem Kopf des Falken auf. Diese Federn klappen offensichtlich bei hoher Geschwindigkeit wie der Heckspoiler eines Rennwagens aus.


"Heckspoiler" hinter dem Kopf

Nach dem Vorbild der Silhouette des Falken in den Videosequenzen fertigte Klaus Völker vom Zoologischen Institut das Präparat eines Wanderfalken im Sturzflug an, das als Vorlage diente. Mit Hilfe eines Lasers wurde die gesamte Oberfläche des Präparates abgetastet. Die so ermittelten räumlichen Koordinaten wurden zur maschinellen Anfertigung eines Kunststoffmodells in Originalgröße verwendet. Die Aerodynamiker der Bergakademie Freiberg untersuchten das Modell im Windkanal. "Dabei zeigte sich, dass es hinter dem Kopf zu Strömungsablösungen kommt, die beim lebenden Falken durch das Aufstellen von Federn vermieden werden", berichtet Prof. Bleckmann.

Solche Strömungsablösungen erhöhen den Luftwiderstand und verringern die Fluggeschwindigkeit. Vermutlich wird dieser "Spoiler" nicht aktiv mit Hilfe von Muskeln ausgefahren, sondern passiv durch Unterdruck aufgestellt. "Das ist die viel elegantere Methode", weiß der Zoologe. "Aktive Vorgänge erfordern meist aufwändige Regelungssysteme. Die spart sich der Wanderfalke und setzt allein auf die Strömung."


Stabiler Federschaft

Wie müssen Federn konstruiert sein, um derart hohen Geschwindigkeiten standzuhalten? "Beim Wanderfalken ist der Schaft der Schwanzfedern besonders stabil, weil er damit aus großer Geschwindigkeit abbremst", sagt Privatdozentin Dr. Anke Schmitz. Die Mitarbeiterin von Prof. Bleckmann hat die Biegesteifigkeit der Wanderfalkenfedern gemessen und mit anderen Vögeln, wie der Felsentaube und dem Sperber, verglichen. Dabei zeigte sich eine Anpassung an unterschiedliche Flugerfordernisse: Beim Wanderfalken unter anderem an Bremsmanöver. Beim Sperber etwa sind dagegen die Daumenfittiche an der Vorderseite der Flügel besonders belastbar. "Dies ist einer der Gründe, warum er so wendig ist", so die Zoologin.

Die Wissenschaftler wollen nun mit weiteren Experimenten klären, welche strömungsmechanischen Besonderheiten der Wanderfalke bei seinen kühnen Sturzflügen noch aufweist.


WANDERFALKENSCHUTZ:

Prof. Dr. Horst Bleckmann beschäftigt sich schon lange mit den Greifvögeln. Bereits als Student war er im Wanderfalkenschutz aktiv und bewachte Brutplätze. "In den 1970er Jahren gingen die Bestände dramatisch zurück", berichtet er. Nur wenige Paare brüteten noch in Deutschland. Ein wichtiger Grund war, dass wegen des verbreitet eingesetzten Insektizids "DDT" die Dicke der Eierschalen schlagartig zurückging: Die Eier zerbrachen, Nachwuchs gab es kaum. Mit dem Verbot von DDT und weiteren Schutzmaßnahmen erholten sich die Restbestände der Wanderfalken überall. Inzwischen sind in Deutschland wieder rund 1000 Brutpaare heimisch. "Das ist eine Erfolgsstory des Naturschutzes", sagt Prof. Bleckmann.

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Quelle:
forsch - Bonner Universitäts-Nachrichten Nr. 1, Februar 2015, Seite 16-17
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2015

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