Veterinärmedizinische Universität Wien - 07.04.2017
Du siehst etwas, was ich nicht seh - Hunde können die Perspektive des Menschen einnehmen
Indem Menschen die Perspektive des anderen einnehmen, können sie Gefühle, Bedürfnisse und Absichten vermuten und sich darauf einstellen. Im Tierreich ist diese Fähigkeit der mentalen Zuschreibung (englisch Theory of Mind) sehr umstritten. KognitionsbiologInnen der Vetmeduni Vienna konnten nun beweisen, dass Hunde erkennen, ob ein Mensch auf eine Futterquelle blickt und weiß, wo Futter versteckt wurde. Die Tiere interpretieren unsere Hinweise und übernehmen unsere Perspektive um nicht sichtbares Futter zu finden. Veröffentlicht in Animal Cognition.
Hunde beobachten uns genau und können erkennen, welcher Mensch einen
Hinweis auf verstecktes Futter geben kann.
Bild: © Ludwig Huber/Vetmeduni Vienna
Die sogenannte "Theory of Mind" beschreibt die Fähigkeit von Menschen,
geistige Zustände wie Gefühle, Absichten, Wissen und Erwartungen von
Artgenossen zu erkennen. Während sich diese Fähigkeit beim Menschen in den
ersten vier bis fünf Lebensjahren entwickelt, wird sie Tieren meist
abgesprochen. Hinweise, dass Tiere Befindlichkeiten oder gar
Wissenszustände anderer erkennen können, gibt es bislang nur bei
Menschenaffen und Rabenvögeln. Hunde wurden zwar schon mehrmals getestet,
aber die Ergebnisse waren dürftig und widersprüchlich.
Nun ist es KognitionsbiologInnen des Messerli Forschungsinstitutes der Vetmeduni Vienna mit einem neuen experimentellen Ansatz gelungen, einen stichhaltigen Beweis zu liefern, dass Hunde unsere Perspektive übernehmen können. Indem die Vierbeiner die Position des Menschen einnehmen und von dort seinem Blick folgen, verstehen sie, was der Mensch sehen und damit wissen konnte. Diese Fähigkeit der Wissenszuschreibung ist ein wichtiger Baustein einer Theory of Mind.
Ein Standardtest in der Erforschung der Wissenszuschreibung ist das sogenannte Guesser-Knower-Paradigma. Bei diesem Experiment gibt es immer zwei Personen, einen "Wissenden", der das Futter für den Hund unsichtbar in eine von mehreren Schalen platziert oder weiß, wo es von jemand anderem platziert wurde, und einen "Unwissenden". Der Unwissende war beim Verstecken des Futters entweder nicht im Raum oder hielt sich die Hände vor das Gesicht. Eine undurchsichtige Wand versperrt den Tieren die Sicht beim Verstecken des Futters. Danach werden die beiden Menschen zu Informanten, indem sie mit der Hand auf unterschiedliche Futterschalen zeigen.
Der Wissende zeigt immer auf das Versteck und der Unwissende auf eine andere Schale, wobei immer alle Schalen nach Futter riechen. Um an das Futter zu kommen, müssen die Hunde also verstehen, wer das Futterversteck kennt (Knower) und wer es nicht weiß und somit nur raten kann (Guesser). Sie müssen demnach erkennen, auf wen sie sich als Hinweisgebenden verlassen können, wenn sie sich für eine Schale entscheiden müssen", so Studienleiter Ludwig Huber. In knapp siebzig Prozent der Fälle wählten die Hunde die vom Knower angezeigte Schüssel und konnten daher den Test erfolgreich abschließen. Dieses Ergebnis war unabhängig von der Position der Futterschüssel, wer den Wissenden darstellte oder wohin der Unwissende schaute.
Die Versuchsreihe diente allerdings nur der unabhängigen Bestätigung einer Studie aus Neuseeland. Den eindeutigen Nachweis, dass Hunde unsere Perspektive einnehmen und zu ihrem Vorteil nutzen können, brachte ein neuer Test des Teams, der sogenannte "Schau hin, schau weg"-Test. Bei diesem neuen Versuch bereitete eine dritte Person in der Mitte das Futter vor, ohne später selbst einen Hinweis zu geben. Beide potenziellen Informanten waren links und rechts von diesem Verstecker positioniert und richteten ihren Blick zur gleichen Seite und etwas nach unten. Somit hatte eine der beiden Personen den "Futterbereiter" im Blick, die andere Person sah von ihm weg. "Die getesteten Hunde mussten also durch Einnahme der Perspektive der Informanten und dem Folgen ihrer Blicke beurteilen, wer der wissende Informant ist, um an das Futter zu kommen", erklärt Huber. Selbst bei diesem für die Tiere schwierigeren Test waren die Hunde wieder in knapp siebzig Prozent aller Versuche erfolgreich.
Die Vierbeiner übernehmen die Perspektive, also die Blickrichtung des
richtigen Informanten, um an verstecktes Futter zu kommen.
Bild: © Ludwig Huber/Vetmeduni Vienna
Die Fähigkeit, die Perspektive eines Menschen zu übernehmen, erfordert jedoch nicht, Absichten oder Wünsche lesen zu können. "Die Studie zeigte aber, dass Hunde herausfinden können, was Menschen oder Artgenossen sehen oder nicht sehen können", so Huber. "Indem sie die Position eines Menschen einnehmen und von dort aus seiner Blickrichtung folgen, finden sie heraus, was der Mensch sieht und daher weiß, folglich wem man trauen kann oder nicht."
Schimpansen und wenige Vogelarten wie Buschhäher oder Raben konnten in ähnlichen Versuchen den Wissensstand und davon abgeleitet die Absichten von Artgenossen erkennen und ihr Verhalten entsprechend anpassen. Bei den Hunden gab es bisher nur Vermutungen und vage Hinweise in diese Richtung. Sie verstehen allerdings sehr gut unser Verhalten, etwa den Grad unserer Aufmerksamkeit, und können aus direkt sichtbaren Hinweisen wie Gesten oder Blicken lernen. Damit ist es ihnen möglich, Futter zu finden, selbst wenn den Hunden der Blick darauf versperrt ist. "Die offenbar über eine Kombination aus Domestikation und individueller Erfahrung entwickelte Fähigkeit, unser Verhalten zu interpretieren und unsere Absichten zu antizipieren, scheint bei Hunden auch das Vermögen der Perspektivenübernahme gefördert zu haben", sagt Huber. "Noch ist nicht klar, welche Mechanismen dazu beitragen. Diese Fähigkeit hilft den Vierbeinern allerdings, sich in unserer Welt ausgezeichnet zurecht zu finden."
Service:
Der Artikel "Dogs demonstrate perspective taking based on geometrical gaze
following in a Guesser-Knower task" von Amelie Catala, Britta Mang, Lisa
Wallis und Ludwig Huber wurde in Animal Cognition veröffentlicht.
DOI: 10.1007/s10071-017-1082-x
http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs10071-017-1082-x
Über die Veterinärmedizinische Universität Wien
Die Veterinärmedizinische Universität Wien (Vetmeduni Vienna) ist eine der
führenden veterinärmedizinischen, akademischen Bildungs- und
Forschungsstätten Europas. Ihr Hauptaugenmerk gilt den Forschungsbereichen
Tiergesundheit, Lebensmittelsicherheit, Tierhaltung und Tierschutz sowie
den biomedizinischen Grundlagen. Die Vetmeduni Vienna beschäftigt 1.300
MitarbeiterInnen und bildet zurzeit 2.300 Studierende aus. Der Campus in
Wien Floridsdorf verfügt über fünf Universitätskliniken und zahlreiche
Forschungseinrichtungen. Zwei Forschungsinstitute am Wiener
Wilhelminenberg sowie ein Lehr- und Forschungsgut in Niederösterreich
gehören ebenfalls zur Vetmeduni Vienna.
www.vetmeduni.ac.at
Über das Messerli Forschungsinstitut
Das Messerli Forschungsinstitut wurde 2010 mit der Unterstützung der
Messerli-Stiftung (Schweiz) unter Federführung der Veterinärmedizinischen
Universität Wien in Kooperation mit der Medizinischen Universität Wien und
der Universität Wien gegründet. Es widmet sich der Erforschung der
Mensch-Tier-Beziehung und ihrer Grundlagen in den Bereichen Ethik,
vergleichende Medizin sowie Kognition und Verhalten von Tieren. Dabei
zeichnet es sich durch einen breiten interdisziplinären Zugang (Biologie,
Humanmedizin, Veterinärmedizin, Philosophie, Psychologie,
Rechtswissenschaft) und eine starke internationale Ausrichtung aus.
www.vetmeduni.ac.at/messerli
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1560
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Veterinärmedizinische Universität Wien, Mag.rer.nat Georg Mair, 07.04.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 11. April 2017
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