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ZOOLOGIE/756: Schwierige Familienverhältnisse bei wehrhaften Wasserflöhen (idw)


Ludwig-Maximilians-Universität München - 15.01.2009

Gekrönte Häupter und ihre Verwandtschaft:
Schwierige Familienverhältnisse bei wehrhaften Wasserflöhen


So mancher Zoologe wünscht sich eine Art Checkliste mit den charakteristischen Merkmalen einer Tierart - die auch die sichere Abgrenzung verwandter Spezies erlaubt. Oft hilft hier die Morphologie, also das Erscheinungsbild und die Gestalt der Individuen. Als ein eindeutiges und artspezifisches Merkmal zur Unterscheidung wurde etwa die "Dornenkrone" am Kopf mancher Wasserflöhe herangezogen. Doch eine genetische Untersuchung dieser winzigen aquatischen Krebse unter der Leitung des LMU-Forschers Dr. Christian Laforsch zeigte jetzt, dass selbst solch prominente Charakteristika in die Irre führen können.

"Die Dornen im Kopfbereich der Tiere werden nur ausgebildet, wenn diese ihren Lebensraum mit räuberischen Krebsen teilen," berichtet Laforsch. "Die Krone bietet also Schutz vor dem Fraßfeind, ist aber für keine der untersuchten Arten charakteristisch. Wir konnten damit nicht nur ein neues faszinierendes Verteidigungssystem nachweisen, sondern gleichzeitig den Wert genetischer Daten für die Untersuchung ökologischer und evolutionsbiologischer Zusammenhänge unter Beweis stellen." (PNAS early edition, 14. Januar 2009)

Die Abgrenzung verwandter Spezies anhand äußerer Merkmale fällt oft selbst Fachleuten schwer. Vor allem die sogenannten kryptischen Arten sind sich so ähnlich, dass sie kaum unterschieden werden können. Nur auf der Ebene des Erbmoleküls DNA mit den genetischen Anlagen ist eine eindeutige Klassifizierung möglich. Deshalb werden seit längerem auch die genetischen Daten der Tiere in taxonomische und ökologische Studien - etwa zur Untersuchung der Biodiversität in einem Lebensraum - herangezogen. Bei diesem sogenannten "Barcoding" werden Artunterschiede anhand ausgewählter genetischer Marker erfasst.

Diese können dann auch im Widerspruch stehen zu morphologischen Kriterien, die bisher zur Klassifizierung von Arten herangezogen wurden. Unter der Leitung von Dr. Christan Laforsch vom Lehrstuhl für Evolutionsökologie am Department Biologie II und Geobio Center München konnten sein Mitarbeiter Andreas Haas sowie die Kollegen Dr. Adam Petrusek, Prag, Professor Ralph Tollrian, Bochum, und Privatdozent Dr. Klaus Schwenk, Frankfurt, einen derartigen Irrtum bei zwei Arten von Wasserflöhen nachweisen.

Die Forscher konnten zeigen, dass die Dornenkrone am Kopf mancher Tiere als Merkmal nicht typisch für eine Spezies ist, sondern nur bei Bedarf und unabhängig von der Art ausgebildet werden. Die Ausbildung unterschiedlicher Gestalten in unterschiedlichen Umwelten wird als phänotypische Plastizität bezeichnet. "Die Wasserflöhe der Daphnia-Gruppe können sich gut gegen Räuber verteidigen", so Laforsch. "Treten die Fraßfeinde nur zeitweise auf, bilden die Wasserflöhe ihre Verteidigung nur aus, wenn sie benötigt wird. Sind keine Räuber vorhanden, werden die Kosten für den Schutz eingespart."

Die Gestalt von Organismen dient aber gerade in der klassischen Taxonomie als Erkennungsmerkmal für Arten. Heute werden zunehmend aber auch genetische Methoden eingesetzt. Es gibt sogar Bestrebungen, artspezifische Variationen in einzelnen Genen zu klassifizieren - für einen Barcode je Spezies. Bei der nun vorliegenden Untersuchung der Stammesgeschichte von Wasserflöhen zeigten die genetischen Daten, dass die bisher zur Abgrenzung der Arten Daphnia atkonsoni und Daphnia bolovari verwendete Dornenkrone in mehreren genetisch unterscheidbaren Linien vorkommt - aber keinen Hinweis auf die Verwandtschaft gibt.

"Das Merkmal war aber an das Vorkommen in bestimmten Habitaten geknüpft", so Laforsch. "Die Daphnien mit den ausgeprägten Dornenkronen koexistierten in ihrem Lebensraum mit dem räuberischen Urzeitkrebs Triops crancriformis. Diese Tiere gelten als lebende Fossilien mit einem seit 220 Millionen Jahren unveränderten Bauplan. Wenn die Daphnien chemische Stoffe des Räubers im Wasser erkennen, bilden sie die Dornen aus und sind dann als Beutetiere nicht mehr besonders begehrt. Triops verfügt nämlich im Mundbereich über Borsten mit Sinnenorganen, die sich bei Angriffen in den Dornen verhaken. Üblicherweise lässt der Räuber von Daphnien mit Dornenkrone wieder ab."

Insgesamt ist dies ein faszinierendes Beispiel für das Wirken der Evolution, in diesem Fall für die Anpassung eines Beutetieres an seinen Räuber. Die bisher unbekannte Art der Verteidigung ist wahrscheinlich weit verbreitet. Denn auch aus Grönland und Südafrika sind Daphnienarten mit Dornenkronen bekannt. Sie koexistieren in ihren Habitaten ebenfalls mit räuberischen Urzeitkrebsen. Die Untersuchung unterstreicht auch die Bedeutung der DNA barcodes und anderer molekularer Daten für die Klassifizierung von Arten sowie für die Entschlüsselung bislang unbekannter ökologischer Zusammenhänge und der Interaktionen von Arten.

Publikation:
"A 'crown of thorns', an exceptional inducible defense, protects Daphnia against an ancient predator",
Petrusek, A., Tollrian, R., Schwenk, K., Haas, A. Laforsch, C.,
PNAS early edition, 14. Januar 2009
http://dx.doi.org/10.1073/pnas.0808075106

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ludwig-Maximilians-Universität München, Luise Dirscherl, 15.01.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2009