Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → BIOLOGIE

ZOOLOGIE/928: Duftraub im Ameisenstaat - Parasitische Silberfische reiben Signalstoffe von Wirt ab (idw)


Ludwig-Maximilians-Universität München - 01.12.2011

Duftraub im Ameisenstaat - Parasitische Silberfische reiben Signalstoffe von Wirt ab


Ameisenkolonien sind für Parasiten und Räuber sehr verlockend, da sie dort einen reich gedeckten Tisch und einen geschützten Lebensraum vorfinden. Deshalb nutzen Ameisen Duftstoffe, um Freund und Feind zu unterscheiden. Parasitische Untermieter überlisten diesen Schutz allerdings häufig, indem sie die chemischen Signalstoffe imitieren - sie ziehen sich quasi eine chemische Tarnkappe über. "Auf welche Weise Parasiten die chemischen Substanzen erhalten, war bisher unklar", sagt Professor Volker Witte vom Department Biologie der LMU. Gemeinsam mit seinem Doktoranden Christoph von Beeren gelang ihm nun der Nachweis, dass parasitische Silberfische die Signalstoffe nicht etwa selbst produzieren, sondern den richtigen Duft von ihren Wirten - asiatischen Treiberameisen - stehlen: Durch intensives Reiben übernehmen die Silberfische die chemischen Signalstoffe auf der Körperoberfläche der Ameisen und erschleichen sich so die soziale Integration in die Kolonie. (BMC Ecology, 01. Dezember 2011)

Soziale Insekten wie Ameisen, Bienen oder Wespen müssen ihre Nestgenossen von Feinden und Parasiten unterscheiden können, um die Integrität ihrer Kolonie zu erhalten. Dies schaffen sie vor allem mithilfe chemischer Signalstoffe: Bei Ameisen etwa tragen alle Koloniemitglieder eine komplexe Mischung bestimmter Moleküle - vor allem Kohlenwasserstoffe - auf ihrem Körper, die sie als einheimisch identifizieren. Trotzdem verschaffen sich Parasiten häufig Eintritt in die Kolonie und nutzen deren Futtervorräte oder fressen sogar die Brut. Dazu nutzen sie unter anderem ein Phänomen, das als chemische Mimikry bezeichnet wird: Sie parfümieren sich mit dem Duft ihrer Wirte, indem sie deren chemische Oberflächenstoffe nachahmen. Wo Parasiten die entsprechenden Stoffe herbekommen, blieb bisher meist ungewiss. "Theoretisch können sie die mimetischen Substanzen entweder vom Wirt stehlen oder diese selbst herstellen", sagt von Beeren.

Um die Herkunft der Tarndüfte aufzuklären, kennzeichneten die Wissenschaftler Arbeiterinnen einer Treiberameisenkolonie mit sogenannten deuterium-markierten Molekülen: Deuterium ist ein schweres Wasserstoff-Isotop, das leicht detektiert werden kann. "Dieses Deuterium tauchte dann bei den Silberfischen wieder auf - da es nur von den Ameisen stammen konnte, müssen die Parasiten die Oberflächenstoffe ihrer Wirte gestohlen haben", erklärt von Beeren. Übertragen werden die Stoffe durch intensiven Körperkontakt: Die Silberfische reiben sich an ihren Wirten und parfümieren sich so mit dem richtigen Duft. Eigene Oberflächenstoffe scheinen sie nicht zu produzieren, denn die Konzentration aller Oberflächenstoffe nahm ab, wenn die Silberfische von den Ameisen isoliert wurden.

Weitgehend ungeklärt war bisher auch, ob die Akzeptanz des Parasiten im Nest vom Grad der chemischen Ähnlichkeit abhängt - das heißt, ob Individuen, die sich nicht ausreichend chemisch tarnen, häufiger attackiert werden als solche mit perfekter Maskierung. Dies konnten die Wissenschaftler nun bestätigen: "Zuvor isolierte Silberfische, bei denen die Konzentration der Oberflächenstoffe abnahm und somit auch die chemische Ähnlichkeit zu ihrem Wirt, wurden von den Treiberameisen attackiert und teilweise sogar erbeutet", berichtet von Beeren - ohne verführerischen Duft gibt es kein Asyl im Ameisenbau. (göd)

Publikation:
"Acquisition of chemical recognition cues facilitates integration into ant societies?;
C. von Beeren, S. Schulz, R. Hashim, V. Witte;
BMC Ecology, 01. Dezember 2011

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution114


*


Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ludwig-Maximilians-Universität München, Luise Dirscherl, 01.12.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2011