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MELDUNG/007: Frackingschäden - eine Zwischenbilanz (SB)


Von der Realität längst überholt

Fracking 2005 bis 2012 - Zerstörungsgewalt in Zahlen und Fakten



In den letzten zehn Jahren hat die Öl- und Gasindustrie zwei Techniken - Hydraulische Fraktionierung und das sogenannte Horizontalspülbohrverfahren - zu einer extrem schadstoffaufwendigen, umweltschädigenden Extraktionstechnologie fusioniert [1], um Energieträger aus kleinsten Einschlüssen und Poren in teilweise 1000 bis 5000 Meter tiefen erdgas- oder erdölführenden Gesteinsschichten herauszulösen. Das neu konzipierte Verfahren ermöglicht den Förderern, erst vertikal und dann horizontal in vielen Strängen gleichzeitig und parallel zu bohren, und nach Einsatz einer Perforationskanone mit einer um ein Vielfaches höheren Menge an Wasser und Chemikalien und 100fach stärkerem Druck in großer Erdtiefe eine Kettenreaktion auszulösen, welche das Gestein aufbricht, so daß aus den erzeugten Rissen und Wegbarkeiten von bis zu hundert Metern Länge Gas oder Öl freigesetzt werden können. Entsprechend hoch müssen auch die Risiken und Gefährdungen eingeschätzt werden, die sich daraus für Umwelt und Wasser ergeben.

In den Vereinigten Staaten von Amerika, in denen diese Technologie von der Regierung als Zugewinn für die amerikanische Wirtschafts- und Energiesouveränität verstanden und daher unterstützt und gefördert wird, schießen Fracking-Eldorados wie Pilze aus dem Boden und verunstalten nicht nur mit bereits 82.000 Bohrlöchern in 17 Staaten die Landschaft und Natur Amerikas, sondern stellen in ungeahntem Ausmaß eine gesundheitliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Der "Schiefergasrausch" breitet sich unaufhaltsam über das Land aus - von New York nach Kalifornien bis hin nach Nord Carolina, das heißt in Gebiete, die derzeit Millionen von Menschen mit Trinkwasser versorgen.

Seit 2005 werden zunehmend Fälle von durch Fracking-Einflüsse kontaminiertem Trinkwasser dokumentiert und neuartige, unerklärliche Erkrankungen von Anwohnern in der Nähe von Bohrstellen registriert. Für die Bevölkerung ist das genaue Ausmaß der Bedrohung völlig unüberschaubar, das zudem durch die wirtschaftsgebundenen Interessen von den staatlichen Behörden, Förderfirmen und Betreibern schöngeredet oder, als Betriebsgeheimnis gerechtfertigt, auch auf Nachfragen hin verschwiegen wird.

Die sich selbst als umweltpolitischer Think-Tank bezeichnende Frontier Group hat im Auftrag des "Colorado Research & Policy Centers" vor wenigen Tagen eine neue, 46seitige Studie "Fracking the Numbers: Key Impacts of Dirty Drilling at the State and National Level" [Fracking in Zahlen: Die wesentlichsten Folgen des schmutzigen Bohrgeschäfts auf gesamtstaatlichem und bundesstaatlichem Niveau] über die Folgen des Frackings für Umwelt, Wasser und Luft herausgegeben, die mit dieser Diskrepanz nun aufräumen will [2]. Die darin veröffentlichten Fakten und Berechnungen zum Gesamtausmaß der Belastung seien inzwischen teilweise von der Realität schon überholt, schreiben die Autoren in ihrer Einleitung. Dennoch lassen die hier veröffentlichten Zahlen eine Dimension der Zerstörung erkennen, die bislang gehegte Befürchtungen bei weitem übertrifft.

Laut dieser Studie wurden von 2005 bis 2012 aus 82.000 Bohrstellen, in denen gefrackt wird, 280 Milliarden Gallonen (1059,92 Milliarden Liter) an giftigem, mit Frackflüssigkeit (oftmals krebserregende Substanzen) verunreinigtem Produktionswasser in die Umwelt entlassen. Das kontaminierte, unter Umständen sogar aus dem Gestein herausgespülte, radioaktive Partikel enthaltende Wasser wurde schon in Trinkwasserressourcen von Pennsylvania bis New Mexiko nachgewiesen. Allein in New Mexiko sei in mehr als 400 Fällen gutes Grundwasser mit diesem hochgiftigen Rückflußwasser "Flowback" in Berührung gekommen.

Darüber hinaus wendete man für die bisherigen Bohrungen bereits 250 Milliarden Gallonen (946,35 Milliarden Liter) sauberes Trinkwasser auf, die insgesamt mit 2 Milliarden Gallonen (7,57 Milliarden Liter) hochbrisanten Chemie-Cocktails unterschiedlichster Zusammensetzung (je nach den geologischen Gegebenheiten) versetzt wurden.

Abgesehen davon, daß die Wissenschaftler einen klaren Zusammenhang zwischen den Injektionen des Flowbacks zur Einlagerung in den Untergrund und den dadurch erzeugten Erdbeben bzw. -stößen erkennen können, ist auch die weitere Umwelt- und Klimabilanz niederschmetternd: 360.000 Acre, das sind über 1457 Quadratkilometer (oder 145.686,831 Hektar) wurden allein durch den Ausbau der Bohrplätze und Anlagen an Landschaft zerstört. Die 82.000 Fracking-Stellen emittieren allein 450.000 Tonnen unterschiedlichster, flüchtiger Chemikalien im Jahr und haben durch den Ausstoß von Methan und anderen Gasen mit umgerechnet 100 Millionen Tonnen CO2-äquivalentem Treibhausgas zur globalen Erwärmung beigetragen. Dabei werden unter anderem Stoffe in die Atmosphäre ausgestoßen, die eine unmittelbar gesundheitsschädliche, das heißt übelkeitserregende bis herz-, kreislaufschädigende oder krebserregende Wirkung haben. Einige Chemikalien tragen auch zur Ozonbildung bei und sorgen indirekt für einen gesundheitsschädlichen Smog.

Mit der blauäugigen, aber dennoch gern verbreiteten Vorstellung, daß durch die beschriebene Methode, Gestein aufzubrechen und auszuquetschen wie in den USA, nichts passieren kann, wenn man es denn richtig macht, räumt diese Studie grundlegend auf. Sie zeigt aber auch ihre eigenen Grenzen bei der Ermittlung bzw. Auswertung offiziell zur Verfügung stehender Daten auf, wie denen der FracFocus Datenbank, die laut Autoren der Studie teilweise ungenau oder widersprüchlich sind. Darüber hinaus werden nur die Ausmaße der Umweltauswirkungen abgeschätzt, die bereits als Folgen des Fracking erkannt und bekannt sind. Untersuchungen über die verwendete Munition bei einem nicht in jedem Fall eingesetzten Arbeitsschritt, der sogenannten Perforationssprengung, die in besonders großer Tiefe und bei sehr festem Gestein die nötige Voraussetzung für die hydraulische Fraktionierung schafft, werden hier nicht behandelt.

Die Studie bekommt allerdings angesichts der gerade stattfindenden Verhandlungen der Europäischen Union sowohl mit Kanada als auch mit den USA über jeweils umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen auch für Europa eine morbide Relevanz. Anders als in den USA sind die Erkundungs- und Ausbeutungsvorhaben ausländischer Förderunternehmen hierzulande zumeist an den Umweltgesetzen der Landesregierungen und dem engagierten Widerstand der Bevölkerung gescheitert. Während die Frontier Studie jedoch erst politisch wahrgenommen werden muß, was in der Regel zwei bis zehn Jahre dauern kann, dürfte sowohl im CETA mit Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement), das noch in diesem Jahr unterschriftsreif vorliegen könnte, als auch in der angestrebten transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft mit den USA, der sogenannten TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership), eine rechtliche Handhabe der Förderunternehmen und Bergbaukonzerne gestärkt werden, unter Umständen die Staaten oder Landesregierungen zu verklagen, wenn sie ihnen bereits erteilte Explorationsgenehmigungen aufgrund von neuen politischen Veränderungen zum Beispiel durch Bürgerproteste entziehen wollen.

Anmerkungen:

[1] Eine Auswahl an jüngeren Berichten der Schattenblick-Redaktion zum Thema Fracking mit ausführlichen Erläuterungen des Verfahrens in seiner gesamten Problematik finden Sie hier:

UMWELT → MEINUNGEN:

LAIRE/226: Konzern klagt gegen Fracking-Verbot in Hessen (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/meinunge/umme-226.html

UMWELT → REDAKTION:

RESSOURCEN/141: Strahlengefahr durch Fracking? (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-141.html

RESSOURCEN/142: Folgen des Frackings unerforscht - Beispiel durchlässige Bohrwände (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-142.html

RESSOURCEN/143: Hoher Wasserverbrauch bei Förderung von Schiefergas (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-143.html

RESSOURCEN/145: USA - Neue Bestimmungen zum Fracking vorgeschlagen (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-145.html

RESSOURCEN/146: EU-Administration setzt umstrittenes Fracking auf ihre Agenda (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-146.html

RESSOURCEN/149: Fracking beschwört Strahlengefahr aus der Tiefe herauf (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-149.html

RESSOURCEN/150: Bürger von Balcombe wehren sich gegen das Fracking (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/redakt/umre-150.html

RESSOURCEN/151: Fracking unverzichtbar? Britischer Premierminister konstruiert Sachzwänge (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-151.html

POLITIK → MEINUNGEN:

LAIRE/1294: Konzernmacht - Werden Fracking-Gesetze in Deutschland gefrackt? (SB)
http://schattenblick.com/infopool/politik/meinung/pola1294.html

NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE

UMWELTLABOR/275: Unbarmherzig, unbedacht - Fragen an das Fracking (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula275.html

UMWELTLABOR/276: Unbarmherzig, unbedacht - Folgen unausbleiblich (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula276.html

UMWELTLABOR/277: Unbarmherzig, unbedacht - Werbe- und PR-Chemie (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula277.html

UMWELTLABOR/278: Unbarmherzig, unbedacht - Frack as frack can (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula278.html

[2] Fracking by the Numbers: Key Impacts of Dirty Drilling at the State and National Level"
http://www.environmentcoloradocenter.org/sites/environment/files/reports/CO_FrackingNumbers_print.pdf

8. Oktober 2013