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FORSCHUNG/181: Es ist höchste Zeit (research*eu)


research*eu Nr. 52 - Juni 2007
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Klima
Es ist höchste Zeit

Von Yves Sciama


Wer könnte noch an der Klimaerwärmung zweifeln? Die endgültige Beurteilung der Wissenschaftler des IPCC (1) hat im Februar 2007 den Ernst der Lage herausgestellt und zu schnellem Handeln aufgefordert.


"Die Klimaerwärmung ist eindeutig." Mit diesem kleinen, sachlichen Satz, ausgesprochen vor einem beeindruckenden Aufgebot von Reportern und Kameras aus aller Welt, hat Susan Solomon, Co-Präsidentin einer Arbeitsgruppe des IPCC und Forscherin am 'Earth System Research Laboratory' von Boulder (USA), den richtigen Tonfall für eine streng wissenschaftliche Botschaft getroffen. Es ist der 2. Februar 2007. Der IPCC veröffentlicht in Paris den vierten Bewertungsbericht. Dieser ist das Ergebnis sechsjähriger Arbeit der weltweiten Klimaforschungsgemeinschaft.

Wenn der Vortrag auch ziemlich sachlich ist, so ist die Botschaft jedoch von höchster Brisanz. "Wir sind der Meinung, dass die steigende, globale Erwärmung seit Mitte des 20. Jahrhunderts höchstwahrscheinlich auf die Zunahme von Treibhausgas-Emissionen durch menschliche Aktivitäten zurückzuführen ist", konstatiert die Wissenschaftlerin. "Das Wort 'höchstwahrscheinlich', das den Ausdruck 'wahrscheinlich' im vorherigen Bericht ersetzt, muss als gravierende Änderung gedeutet werden, wenn man bedenkt, dass er von einer Gruppe eher konservativer Forscher stammt", gibt David Wratt, Direktor des 'National Climate Centre' in Wellington (Neuseeland) zu bedenken.

Wratt weiß, wovon er spricht, denn er ist einer von ungefähr vierzig leitenden Autoren, die das Dokument ausgearbeitet haben. Er betont, dass dieses 'höchstwahrscheinlich' eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 90% zum Ausdruck bringt. Achim Steiner, Vorsitzender des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), vertritt die gleiche Meinung: "Dieser Tag wird vielleicht als der Tag in die Geschichte eingehen, an dem die Frage nach dem Einfluss des Menschen auf das Klima geklärt wurde."


Zuverlässige Modelle, alarmierende Szenarien

Hier handelt es sich nicht um revolutionäre Erkenntnisse, sondern um eine Bestätigung und Bekräftigung dessen, was der IPCC seit Jahren ankündigt. Unser Planet erwärmt sich, weil die Temperatur im Laufe des 20. Jahrhunderts um ca. 0,7 °C angestiegen ist. Noch gravierender ist die Tatsache, dass die Erderwärmung immer schneller voranschreitet. Aktuell erwärmt sich die Erde um jeweils 0,2 °C pro Jahrzehnt. Und wie sieht es morgen aus? "Die Antwort darauf geben uns globale Modelle, die immer zuverlässiger werden", erklärt Susan Solomon. Zuverlässiger deshalb, weil sie immer weiter verbessert werden und deshalb die Natur der Phänomene immer besser darstellen können. Außerdem steigert sich ihre Zuverlässigkeit durch ihre höhere Zahl (im Moment gibt es ungefähr 25 Modelle im Vergleich zu knapp zehn beim vorigen Bericht). Und schließlich, weil man mehrere zur gleichen Zeit anwenden kann: sieben oder acht Simulationen geben natürlich mehr Hinweise als nur eine.

Die wichtigsten Lektionen des Berichts sind eindeutig die alarmierenden Zukunftsaussichten: werden keine 'besonderen Maßnahmen gegen die Erderwärmung' ergriffen, liegt die wahrscheinliche globale Erwärmung im 21. Jahrhundert zwischen 1,8 und 4 °C. Dabei muss man bedenken, dass die Entwicklungsprognose für die menschliche Gesellschaft genauso schwierig ist wie die Klimaprognose. Spezialisten haben demzufolge für die verschiedenen Szenarien zusammenhängende Hypothesen über die Weltbevölkerung, die Wahl der Technologien (mehr Kohle oder mehr Nuklearenergien/erneuerbare Energien) und die Art des Wachstums (z. B. stärkere Orientierung in Richtung Dienstleistungen und Information oder in Richtung materiellen Konsums) aufgestellt. Die Klimaforscher stehen nun vor der Aufgabe, die Konsequenzen dieser verschiedenen Zukunftsmodelle auszuwerten. Bei Betrachtung der Zahlen bewegen wir uns auf einer Skala zwischen einem Anstieg um 1,8 °C im günstigsten (im weiteren B1) und 4,0 °C im schlechtesten Fall (im weiteren A1 FI, für fossilintensiv). Die Angaben umfassen auch eine mögliche Fehlerspanne. So könnte A1FI den Prognosen des IPCC zufolge einen Anstieg von +2,4 °C bis +6,4 °C verursachen. Warum gibt es diese Differenz? Ein Merkmal der Klimaerwärmung ist, dass sich ihre Auswirkungen um so stärker bemerkbar machen, je weiter man sich von der tropischen Zone entfernt und sich auf die Kontinente und hohen Breitengrade konzentriert. Man kann insgesamt davon ausgehen, dass man 50 % zur globalen Erwärmung dazurechnen muss, um die Erwärmung in Westeuropa zu erhalten und bis zu 300 %, um eine gültige Prognose für die Polarregionen und die nördlichsten Teile des Kontinents zu treffen. A1 FI beschreibt also eine schwere Klimakatastrophe.


Das Katastrophenprogramm

Die angekündigten Temperaturanstiege stellen jedoch Mittelwerte für den Planeten dar und beschreiben keine einheitliche und kontinuierliche Erwärmung. Die mittlere Erderwärmung ist nur ein mathematisches Beispiel, das dazu dient, das Ausmaß der Zerstörung durch den Menschen aufzuzeigen. Eine Voraussage der exakten Ausmaße, die sie annehmen kann, ist weitaus schwieriger. Auf regionaler oder lokaler Ebene können kleinere oder mittlere Phänomene die großen Tendenzen verschärfen oder abschwächen. Mit den neuen Modellen ist es jedoch möglich, verschiedene Entwicklungen darzustellen.

Hitzewellen und sehr hohe Temperaturen werden häufiger auftreten, länger anhalten und intensiver sein. Das führt weltweit zum Abschmelzen der Schneedecken und zum Auftauen der Permafrostböden (2). In der Arktis und in der Antarktis wird sich die Meereisdecke stark zurückbilden und, einigen Simulationen zufolge, ab 2050 im Sommer ganz von der nördlichen Halbkugel verschwunden sein.

Ein sehr wichtiger Aspekt des Klimas für menschliche Aktivitäten ist die Niederschlagsmenge. Hier rechnet man mit einer Steigerung in den hohen Breitengraden und mit einer Abnahme von bis zu 20 % in den meisten subtropischen Gebieten. Im gesamten Mittelmeerbecken wird es spürbar weniger Niederschläge geben, was starke Auswirkungen auf alle südeuropäischen Länder nach sich ziehen wird. Alle Modelle zeigen eine Intensivierung von Orkanen und Taifunen in den Tropen, während die Stürme in den mittleren Breiten in Richtung der Pole abgeleitet werden. Schließlich scheint der Meeresspiegel im Laufe der letzten 20 Jahre um ungefähr 3,1 mm pro Jahr angestiegen zu sein. Diesen Ausführungen zufolge wird sich dieses Phänomen im 21. Jahrhundert fortsetzen.


Drei Rätsel

Trotz des Wissensfortschritts bleiben einige wichtige klimatologische Unsicherheitsfaktoren bestehen. Während die allgemeine Tendenz unumstritten ist, bemühen sich die Forscher darum, einige Phänomene zufriedenstellend im Modell darzustellen. Dabei stehen sie vor drei großen Rätseln. Als Erstes wären die 'positiven Rückführungen in den Kohlenstoffkreislauf' zu nennen. Hierbei stellt sich folgende Frage: in welchem Maße tragen die Folgen der Erwärmung auf die Pflanzenwelt zu einer Verschärfung der Erwärmung insgesamt bei? Zum Beispiel hat die Gluthitze 2005 in Europa schwerwiegende Schäden in der Vegetation verursacht. Die Pflanzen haben keinen atmosphärischen Kohlenstoff mehr absorbiert, sondern während ihres Absterbens sogar noch Kohlenstoff freigesetzt. Diese Art der Rückführung lässt sich allerdings sehr schwer im Modell nachbilden.

Eine weitere Frage betrifft 'das Verhalten der Aerosole in der Atmosphäre'. Die kleinen Partikel natürlichen (Feinstaub) oder menschlichen Ursprungs (insbesondere industrielle Sulfatabfälle) reflektieren oder absorbieren das Licht, je nach Größe und Farbe. Das hat verschiedene Folgen auf die Atmosphäre und die Wolkendecke. Aerosole sind nämlich an der Wolkenbildung beteiligt, die ihrerseits allerdings schwer vorherzusagende Auswirkungen auf die Strahlung hat. Je nach Wolkenbeschaffenheit, ob dick oder dünn, ob sie sich in großen oder weniger großen Höhen befinden, können diese zur Abkühlung oder Erwärmung der Atmosphäre beitragen.

Zuletzt stehen die Forscher der zukünftigen Entwicklung der antarktischen und grönländischen kontinentalen Eiskappen ratlos gegenüber. Möglicherweise entsteht durch den Erwärmungsprozess eine geschmolzene Schicht, die sich wie ein Schmiermittel an der Basis der gigantischen Eismassen bildet. Diese Schicht könnte ihre natürliche Bewegung zum Meer hin beschleunigen und sie auf lange Sicht schmelzen lassen. Die daraus resultierenden Konsequenzen für den Meeresspiegel wagt bis jetzt niemand vorauszusagen.


Anmerkungen:
(1) Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen
(2) Aus dem Englischen permafrost, bezeichnet permanent gefrorene Böden.


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

> Die Schmelze der polaren Eiskappen, Beleg für die Klimaerwärmung. Packeis in der Arktis und bei Grönland 1979 und 2005.
WWF/photos NASA

> Bei den möglichen Katastrophenszenarien würde das gesamte Mittelmeerbecken unter einer großen Dürre leiden. Auf dem Bild ist der Einfluss der menschlichen Eingriffe in die Feuchtzonen der Camargue zu sehen. Dieser wird vom Zentrum für funktionelle und evolutionäre Ökologie (CEFE) in Montpellier untersucht. Diese Arbeiten befassen sich mit den Mikroorganismen in den Sedimenten unter dem Aspekt der Treibhausgas-Emissionen.
CNRS/Gilles Pinay


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Quelle:
research*eu Nr. 52 - Juni 2007, Seite 8-9
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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auf Englisch, Französisch und Spanisch herausgegeben.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2007