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FORSCHUNG/185: Wenn Europa verstaubt ... (DFG)


forschung 2/2007 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Wenn Europa verstaubt ...

Von Prof. Dr. Jost Heintzenberg


Von Marokko nach Europa - Den Weg und die Wettereffekte einer fünf Kilometer hohen Wüstenstaubwolke studieren Wissenschaftler in einem Großexperiment.


Die Auswirkungen des Wüstenstaubs der Sahara auf Klima und Wetter reichen bis weit über die afrikanische Wüstenregion hinaus. Um die vielfachen Konsequenzen der Staubeinwirkung zu untersuchen, haben Wissenschaftler der Forschergruppe SAMUM (Saharan Mineral Dust Experiment) erstmals die Bewegung einer massiven, rund fünf Kilometer hohen Wüstenstaubwolke von Marokko nach Süd- und Zentraleuropa verfolgt.

Unterstützt wurden die Forscher dabei durch das European Aerosol Research Lidar Network (EARLINET), das aus mehr als 20 über ganz Europa verteilten Lidarstationen besteht. Lidar steht für "Light detection and ranging" und dient zur Entfernungs- und Geschwindigkeitsmessung atmosphärischer Eigenschaften mittels Laserstrahlen. Die erste EARLINET-Station meldete am 15. Mai 2006 über Barcelona Staub bis in vier Kilometern Höhe, der dann weiter nach Nordosten zog und am 16. Mai durch das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung in sechs bis sieben Kilometer Höhe über Leipzig vermessen wurde. Danach drehte die Staubwolke gegen Süden und Südosten ab und wurde am 18. Mai über Mittel- und Süditalien gesichtet. Am 20. Mai schließlich wurde der Saharastaub auch über Griechenland nachgewiesen.

Vor den Messungen in Europa hatten drei Lichtradare ihre Sondierungen am ersten SAMUM-Standort Ouarzazate in Südostmarokko am 12. Mai begonnen, mit dem weltweit einzigartigen Sechs-Wellenlängenlidar und zwei weiteren sogenannten Ramanlidargeräten. Gleichzeitig nahm eine zweite Bodenstation bei Zagora so nahe wie möglich am Staubquellgebiet ihre Arbeit auf. Vervollständigt wurden die Messungsarbeiten durch zwei Forschungsflugzeuge, "Falcon" und "Partenavia".

Warum nun dieser hohe Forschungsaufwand in einem klimatisch und logistisch schwierigen Gebiet Nordwestafrikas? Weltweit werden jährlich rund 3500 Millionen Tonnen an atmosphärischen Aerosolpartikeln emittiert. Die Hälfte dieser großen Menge von Schwebeteilchen entsteht durch den Wüstenmineralstaub. Mit 50 Prozent kommt die größte Staubemission einer Einzelwüste aus der Sahara, wobei zehn Prozent des Saharastaubes schließlich bis nach Europa gelangen.

Die Wirkungen der Wüstenstaubmengen auf Prozesse des Erdsystems reichen von der Wetter- und Klimabeeinflussung bis hin zur Düngung tropischer Regenwälder. SAMUM konzentriert sich auf die Themen Wetter und Klima, da hier wichtige Fragen zur Bedeutung der Staubeinwirkung ungeklärt sind. Darüber hinaus sind in Deutschland eine langjährige Forschungserfahrung und ein breites Spektrum einzigartiger Messverfahren vorhanden.

Der Einfluss des Mineralstaubes auf die einfallende Sonnenstrahlung und auf die thermische Ausstrahlung des Erdsystems hat Auswirkungen auf Wetter und Klima. Die Reflexion von Sonnenstrahlung durch den Staub bedeutet einen Energieverlust für das Erdsystem. Staub absorbiert aber auch Sonnenstrahlung, was zu einem Energiegewinn in der Staubschicht führt. Auch im thermischen Spektralbereich absorbiert Mineralstaub Strahlungsenergie. Am oberen Rand der Atmosphäre schwankt der Gesamtenergieeffekt des Staubes um Null, was aber nicht bedeutet, dass man ihn vernachlässigen kann, denn am Boden tritt ein starker Energieverlust ein, der für die Biosphäre wichtig ist.

Kompliziert wird die Gesamtstaubwirkung durch Rückkopplungen zwischen Energiebilanz, atmosphärischer Dynamik und Wolkenprozessen. Der Energiegewinn durch Strahlungsabsorption in der Atmosphäre beeinflusst die Stabilität der Atmosphäre und damit Windbewegungen in horizontaler und vertikaler Richtung. Der Wind am Boden ist der Antrieb für die Staubaufwirbelung, sodass über diese Rückkopplung die Staubquelle beeinflusst wird. Wolken- und Niederschlagsbildung hängen in komplizierter Weise von den Staubpartikeln ab, auf denen die Wolkentropfen gebildet werden.

Um den Einfluss von Mineralstaub auf die Energiebilanz der Erde zu ermitteln, muss eine lange Reihe von Staubeigenschaften bestimmt werden. Diese beginnt mit der Größenverteilung der Staubpartikel, die über mehr als drei Größenordnungen von etwa 50 Nanometer bis über 50 Mikrometer Partikeldurchmesser reicht. Dazu wurden verschiedene Mess- und Sammelverfahren an der Bodenstation Zagora und auf den Messflugzeugen genutzt. Nach dem Feldexperiment analysierten die Forscher die gesammelten Staubpartikel im Labor mit Spektrometern und im Elektronenmikroskop. Die optischen Materialeigenschaften der Partikel wurden ebenfalls bestimmt. Der optische Effekt der Staubpartikel hängt unter anderem davon ab, wie viel Wasser bei höheren Feuchten auf ihnen kondensiert und sie damit vergrößert.

Mit diesen Messungen und Analysen ist es aber nicht getan. Die gesamte Staubschicht, die vom Boden bis in etwa vier Kilometer Höhe reichen kann, wird charakterisiert. Lidar bildete das Rückrad dieser Profilmessungen. So wurde die spektrale Lichtreflexion an Staubpartikeln registriert, um daraus Höhenprofile von Partikelkonzentration und optischen Eigenschaften abzuleiten. Im Gegensatz zu Wolkentropfen und den meisten kleineren Aerosolpartikeln sind Staubpartikel nicht kugelförmig, sondern unregelmäßig kristallen geformt, was bei ihren Wirkungen berücksichtigt werden muss. Auch zur Partikelform lieferten die Lidare neue Informationen.

Lidar-Geräte können zwar vom Boden bis in große Höhen messen, jedoch nur an einem Ort. Daher mussten diese Messungen durch die der Flugzeuge ergänzt werden. Mit einem nach unten gerichteten Lidar auf der über der Staubwolke fliegenden "Falcon" konnten so Vertikalschnitte von Staubschichten längs des Flugpfades gemessen werden. Daneben bestimmte die "Falcon" Staubgrößenverteilungen und mittlere Strahlungseigenschaften der staubgefüllten Atmosphäre. Die wichtigsten Strahlungsmessungen wurden jedoch mit "Partenavia" gemacht, die aufgrund ihrer langsameren Fluggeschwindigkeit besser zur detaillierten Sondierung der unteren Atmosphäre geeignet ist. So nahm "Partenavia" die Spektren von einfallender und reflektierter Sonnenstrahlung bis in drei Kilometern Höhe auf. Die gemessenen Strahlungsprofile liefern wesentliche Eingangsdaten für Rechenmodelle, mit denen der Energietransport in einer Luftsäule über dem Messort oder in einer ganzen Region berechnet wird. Mit den Rechenmodellen wird zudem der direkte Strahlungseffekt des Mineralstaubes deutlich.

Um Aussagen über globale Klimaeffekte machen zu können, müssen die zeitlich und räumlich begrenzten Messdaten von SAMUM durch Satellitendaten erweitert werden. Allerdings ist der Informationsgehalt von Satellitenmessungen begrenzt. In wolkenfreier Luft sehen Satellitensensoren über Land hauptsächlich das am Boden reflektierte Sonnenlicht. Um in Satellitenmessungen den kleinen, zusätzlichen Anteil an Sonnenlicht, der an Luftmolekülen und Staubpartikeln reflektiert wird, von der Bodenreflexion genau unterscheiden zu können, muss letztere sehr genau bekannt sein. Durch Tiefflüge an Tagen mit geringer Staubbelastung gewann "Partenavia" gerade diese für die Satellitenmeteorologen von SAMUM essenzielle Information. An drei Messtagen gelang es, "Falcon" und "Partenavia" genau übereinander und zusätzlich unter einem Satelliten der NASA zu platzieren und dies über beiden Bodenmessstationen. Dabei kam es auf Minuten an. Der umlaufende Satellit überstrich das SAMUM-Experimentgebiet drei Mal. In nur zehn Minuten überflog er das SAMUM-Gebiet, die Koordinierung mit den Flugzeugen musste daher auf den Punkt genau stimmen. Während der drei Überflüge half das Glück den Tüchtigen: Es waren weit und breit keine Wolken in Sicht und so konnte der Satellit einzigartige Daten sammeln, die zur Überprüfung der Aussagekraft der Satellitenmessungen weltweit von großem Wert sein werden.

Für das Staubexperiment SAMUM wurde ein Computermodell weiterentwickelt, das die zeitliche Entwicklung der regionalen Staubverteilung beschreibt. Dieses Staubsimulationsprogramm berechnet den "Lebenslauf" der Staubpartikel in der Atmosphäre, beginnend mit der Aufwirbelung des Mineralstaubs durch den Wind in den Quellgebieten über den atmosphärischen Transport durch vorherrschende Windsysteme bis hin zur Rückkehr der Partikel auf die Erdoberfläche durch Sedimentation oder Auswaschung durch Niederschlag. Das Modell erlaubt es, die Wirkung des Staubes auf den atmosphärischen Strahlungshaushalt und damit auf Temperatur und Niederschlag sowie Wechselwirkungen dieser Effekte mit den Staubentstehungsprozessen zu simulieren. Das Staubmodell wird mit meteorologischen Daten angetrieben, die vom Wettermodell des Deutschen Wetterdienstes stammen. Mithilfe der Modellrechnungen können die Wissenschaftler die Ergebnisse der lokalen Messungen auf das gesamte Gebiet der Nordsahara übertragen und die Auswirkungen der von SAMUM neu bestimmten Eigenschaften der Staubpartikel auf regionale Wettervorgänge berechnen.

Für 2008 plant die Forschergruppe ein weiteres Großexperiment auf den Kapverdischen Inseln, die in der Hauptzugrichtung der Sahara-Staubfahne vor der Küste Westafrikas liegen. Dort wollen die Forscher die Alterung und die Klimaeffekte im Ferntransport des Staubes untersuchen. Während der Trockenzeit im westafrikanischen Winter vermischen sich große Mengen von Ruß und anderem Aerosolmaterial mit dem Mineralstaub. Dadurch werden die optischen Eigenschaften der Staubfahne und damit ihr Klimaeffekt in bisher nicht geklärter Weise beeinflusst - diesem Phänomen will die Forschergruppe SAMUM nachspüren.

Prof. Dr. Jost Heintzenberg
Leibniz-Institut für Troposphärenforschung, Leipzig

Die Studien der Forschergruppe SAMUM werden von der DFG unterstützt.
www.tropos.de/samum/

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Drohender Staubsturm. Im Vordergrund ist eine Messstation der SAMUM-Forschergruppe in Marokko zu sehen.
Sandsturm bei Zagora. Darunter: Modellierte Staubverteilung für eine Wüstenstaubwolke bei ihrem Vorstoß von Nordafrika nach Mitteleuropa. Marokko selbst und die drei SAMUM-Messstationen sind in einer Satellitenaufnahme an einem wolkenfreien Tag zu sehen.
Blick aus dem Forschungsflugzeug "Falcon": Am Flügel sind zwei Instrumente zu erkennen, die das Messen von Staubpartikeln ermöglichen. Mithilfe moderner Messverfahren werden sowohl aus der Luft als auch vom Boden aus zahlreiche Daten über die sich fortbewegende Wüstenstaubwolke gesammelt.
Unter dem Mikroskop: Staubpartikel sind nicht kugelförmig, sondern unregelmäßig kristallen geformt. Mittels Laserstrahlen gewinnen sogenannte Lidare Informationen über die Entfernungen und Geschwindigkeiten von Staubpartikeln, aber auch über die verschiedenen Partikelformen. Darunter: Ein gut sichtbarer Lidarstrahl am nächtlichen Himmel.

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Quelle:
forschung 2/2007 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 8-11
mit freundlicher Genehmigung des Autors
Herausgeber: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
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"forschung" erscheint vierteljährlich.
Jahresbezugspreis 2007: 53,50 Euro (print),
59,50 Euro (online), 62,15 Euro für (print und online)
jeweils inklusive Versandkosten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2007