Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → KLIMA

FORSCHUNG/252: Klimamodelle - Wasser mit nebulöser Wirkung (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 1/2010

Wasser mit nebulöser Wirkung

Von Christian Meier


An einem kranken bislang alle Klimamodelle: Sie erfassen nur schlecht, wie sich die Erderwärmung auf die Wolken auswirkt und wie ein Mehr oder Weniger verschiedener Wolkentypen wiederum den Klimawandel beeinflusst. Bjorn Stevens, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie, klärt diese Zusammenhänge auf.


Für René Descartes bildeten sie den Thron Gottes: die Wolken. Der französische Philosoph sah in den fließenden und launenhaften Formen der wattigen Wetterphänomene darüber hinaus den Lackmustest für die menschliche Erkenntnisfähigkeit schlechthin. Wer die Wolken verstehe, schrieb der Begründer des rationalistischen Denkens im 17. Jahrhundert, der könne alles Wundervolle auf der Erde erklären.

Descartes hat die Komplexität der schwebenden Wasserreservoirs nicht überschätzt. Noch heute zerbrechen sich Wissenschaftler ihre Köpfe über eine Unzahl physikalischer Prozesse, die das Werden und Vergehen von Wolken sowie die Bildung von Regen, Schnee, Hagel oder Graupel in ihrem Inneren bestimmen - ihr Wissen darüber weist bislang noch sehr große Lücken auf.

Damit bleibt Descartes' Satz über die Bedeutung, die das Verständnis der Wolken hat, zumindest für die Klimaforschung aktuell. Für die Wissenschaft von der Erdatmosphäre gerät es tatsächlich zum Lackmustest. Die fliegenden Nebel spielen eine Doppelrolle für das Klima der Erde. Sie kühlen es, indem sie Sonnenlicht ins All reflektieren. Gleichzeitig erwärmen sie es, indem sie infrarote Wärmestrahlung daran hindern, von der Erdoberfläche in den Weltraum zu entweichen. Diese Janusköpfigkeit erschwert Vorhersagen, ob klimabedingte Änderungen der Wolkenbedeckung die Erderwärmung bremsen, beschleunigen oder keines von beiden. Klar ist bislang nur, dass schon eine kleine Änderung der Bewölkung die Prognosen der Klimamodelle zur Makulatur machen kann.

"Wenn sich die Wolkenbedeckung durch den Klimawandel nur um rund fünf Prozent verändern würde, könnte das den Effekt einer Verdopplung des Treibhausgases Kohlendioxid ausgleichen oder verdoppeln", sagt Bjorn Stevens, Direktor am Hamburger MaxPlanck-Institut für Meteorologie. Damit veranschaulicht er die Rolle, die Wolken im Klimageschehen spielen. Ein kaum merkliches Mehr oder Weniger an Wolken beeinflusst das Klima also möglicherweise mindestens ebenso stark wie eine nochmalige Verdopplung des Kohlendioxidgehalts in der Atmosphäre. Die Wolken stellen daher den größten Unsicherheitsfaktor in den Modellen der Klimaforscher dar.


Die Höhe der Wolken bestimmt ihren Klimaeffekt

Stevens will die Unsicherheiten beseitigen. Er gehört zu den Forschern, die Descartes' Traum, die Wolken zu verstehen, wahr werden lassen möchten. Doch wie wollen die Forscher etwas erfassen, was sich so vielgestaltig zeigt und sich scheinbar so regellos wandelt wie die Wolken? Dass die Wolken sich nicht so chaotisch und beliebig verhalten, wie es scheint, erkannte der britische Amateur-Meteorologe Luke Howard erstmals zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Er teilte die Vielfalt der Wolken in ein paar Kategorien ein, die heute noch gelten. Seine Wolkentypen nannte er Cirrus, Cumulus und Stratus.

Jede Wolke am Himmel lässt sich mit einem oder einer Kombination dieser Etiketten charakterisieren. Cumulus, zum Beispiel, bedeutet auf Lateinisch Anhäufung und bezeichnet kompakte Wolken, die sich über einer breiten flachen Basis auftürmen wie ein Geröllhaufen. Der Volksmund nennt sie daher Haufenwolken. Stratus heißt Schicht und weist auf einen bedeckten Himmel hin. Einen Wolkenteppich dicht gedrängter Cumuli nennen Meteorologen folglich Stratocumuli. Die Wolkenhöhe liefert ein weiteres Unterscheidungskriterium. Es gibt gewissermaßen drei Stockwerke: niedrige Wolken, im Fachjargon flache Wolken, tummeln sich in bis zu 2000 Metern über dem Meer, mittelhohe, mit der Vorsilbe Alto versehen, zwischen 2000 und 6000 Metern, und die hohen Cirruswolken schweben mehr als 6000 Meter über dem Meeresspiegel.

Die Höhe der Wolken bestimmt ihren Einfluss aufs Klima: Hohe Wolken halten die Wärmestrahlung von der Erde zurück und heizen daher die Atmosphäre auf, während niedrige Wolken hauptsächlich Licht von der Sonne reflektieren und die Lufthülle kühlen. Verständlich wird das durch die Temperatur der Wolken: Aus dem All betrachtet, geben die kalten Hochwolken nur wenig Wärmestrahlung ab. Von der wärmeren Erdoberfläche, die unter den Hochwolken verborgen liegt, gelangt keine Wärmestrahlung in den Weltraum. Sie bleibt in der Atmosphäre, die sich dadurch erwärmt. Die Flachwolken hingegen senden fast genauso viel Wärmestrahlung ins All wie die darunter liegende, kaum wärmere Erdoberfläche. Sie schirmen die Wärmestrahlung also nicht ab. Dafür sind sie kompakter als die schleierhaften Cirruswolken in der Höhe und reflektieren mehr Sonnenlicht ins All. "Um berechnen zu können, welche Rolle die Wolken beim Klimawandel spielen, müssen wir wissen, wie sich die Häufigkeit der hohen und die der tiefen Wolkentypen verändert", sagt Stevens. Die Kernfrage laute: Wie reagieren die unterschiedlichen Wolkentypen auf veränderte Bedingungen in ihrer Umgebung, etwa veränderte Temperatur oder Feuchtigkeit? Vermehrten sich beispielsweise hohe und tiefe Wolken gleich stark, so würde die dichtere Wolkendecke die Atmosphäre weder erwärmen noch kühlen. Nähmen die hohen Wolken jedoch zu, flache Wolken aber ab, stiege die Temperatur der Erdatmosphäre stärker als durch den Kohlendioxid-Anstieg allein.

Stevens und seine Kollegen müssen das Werden und Vergehen der unterschiedlichen Wolkentypen nachvollziehen, um deren Reaktionen auf veränderte Bedingungen berechnen zu können. Diese Aufgabe dürfte kaum einfacher sein, als Geburt und Sterben eines Lebewesens zu erfassen. Denn die Zirkulation der Feuchtigkeit auf der Erde, deren sichtbarer Teil die Wolken sind, erweist sich als ähnlich komplex wie ein Organismus, dessen Funktionieren von der kleinsten Zelle ebenso abhängt wie von seinen Organen und schließlich seinem gesamten Körper.

Auch die Wolken bestehen aus Bausteinen unterschiedlicher Größe. Die kleinsten schwebenden Wolkentröpfchen erreichen gerade einmal einen Durchmesser von einem hundertstel Millimeter, ein fallender Regentropfen misst mehr als einen Millimeter, die Luftwirbel der Turbulenzen in Wolken weisen Durchmesser von einem Millimeter bis zu rund hundert Metern auf.

Eine ganze Wolke kann die Ausmaße von Kilometern annehmen, Wolkenfelder erstrecken sich gar über Hunderte von Kilometern. Die großräumigen Kreisläufe der Feuchtigkeit schließlich laufen auf Strecken von mehreren tausend Kilometern ab.

"Auf jeder dieser Größenskalen gibt es viele, zum Großteil noch unverstandene physikalische Prozesse", sagt Stevens. Die Krux dabei: Die Prozesse beeinflussen sich gegenseitig über die Größengrenzen hinweg. "Man kann nicht einfach einen Teil herausnehmen, erklären und wieder hineinschieben", erklärt Stevens die Schwierigkeit des Unterfangens. Die Kunst bestehe darin, Teil und Ganzes gemeinsam zu erforschen, indem man zwischen beiden hin- und herspringe.


Wolken verändern sich lokal und wirken global

Er illustriert die Kopplung von "ganz klein" und "ganz groß" mit Luftturbulenzen, die als entscheidend für die Lebensdauer von Wolken gelten. Fluggäste spüren sie oft im Rütteln des Flugzeuges. An den Rändern einer Wolke vermischen die Turbulenzen die trockene, klare Umgebungsluft mit der feuchten Wolkenluft. Diese Vermischung nennen Atmosphärenforscher Entrainment. Die in die Wolke gemischte Trockenluft wirkt sich auf die Wassertröpfchen in der Wolke aus. Sie kann die Verteilung ihrer Größe verändern, sodass mehr extrem kleine oder extrem große Tröpfchen entstehen, was wiederum die Regenneigung der Wolke beeinflusst. Die eingemischte Trockenluft kann die Wassertröpfchen aber auch zum Verdunsten bringen und somit die Wolke auflösen.

Das Entrainment spielt sich verglichen mit der Größe von Wolken in geradezu mikroskopischen Dimensionen ab: Die beteiligten Luftwirbel besitzen Durchmesser von Millimetern bis hin zu einigen Metern. Die Wirkung des Entrainment aber kann global sein: Wenn sich Wolken beispielsweise über dem häufig bedeckten Südostpazifik auflösen, erhöht sich die Sonneneinstrahlung auf dieses Meeresgebiet und es wird wärmer. Eine solche Entwicklung kann das Wetterphänomen El Niño auslösen. "Bevor wir Klimaphänomene wie El Niño sicher vorhersagen können, müssen wir viele Details der Wolkenphysik begreifen, unter anderem wie stark das Entrainment im Südostpazifik dazu beiträgt, Wolken aufzulösen", sagt Stevens.

Die Aufgabe der Wolkenforscher wird noch dadurch erschwert, dass Prozesse wie das Entrainment nicht für alle Wolkentypen gleich wichtig sind. Jede Wolkenart muss also für sich untersucht werden.


Cumuli bedecken weite Teile der Meere

Stevens konzentriert sich auf bestimmte flache Wolkentypen über den tropischen und subtropischen Ozeanen. Diese sind weit verbreitet und deshalb besonders wichtig für das Klima. Außerdem hält Stevens sie für relativ leicht verstehbar, da sie kein Eis enthalten. Denn Eis verkompliziert das Wolkenproblem ungemein: Eiskristalle nehmen, je nach Temperatur und Luftfeuchte, sehr unterschiedliche Strukturen an, die von Schneeflocken, Eisnadeln oder -plättchen bis zu Graupel und agelkörnern reichen. Verschiedene Formen wiederum beeinflussen die Niederschlagsbildung unterschiedlich.

Eine der flachen Wolkenarten studiert Stevens seit vielen Jahren: sogenannte marine Stratocumulus-Wolken. Sie bedecken mehr als ein Zehntel der Ozeanfläche, und sind deshalb relevant für das Klima. Die Wolkenart bildet sich über kalten Meeresgebieten der Subtropen, etwa vor der kalifornischen und der südamerikanischen Pazifik- oder der namibischen Atlantikküste. In diesen Arealen liegt eine kühle, rund 900 Meter dicke Schicht feuchter Luft unter trockener Warmluft. Direkt unterhalb der Grenze zwischen Kalt- und Warmluft bildet sich häufig eine geschlossene Decke dicht aneinandergedrängter Cumulus-Wolken - eben die Stratocumuli.

Das Entrainment dieser Wolken hat Stevens erforscht. Jahrzehntelang fragten sich Meteorologen, ob der Prozess die marinen Stratocumuli spontan auflösen kann. Sie nahmen an, dass sich das Entrainment unter bestimmten Umständen selbst verstärkt, wie eine chemische Reaktion, die ihren eigenen Katalysator produziert. Das würde bedeuten, dass die Trockenzone, angetrieben durch das Entrainment, vom Rand der Wolke relativ schnell in diese hineinwächst und sie dadurch auflöst.

Vor Stevens' Forschungen hatten Berechnungen ein wenig eindeutiges Ergebnis geliefert: Demnach sollte sich eine Trockenfront mit Geschwindigkeiten zwischen 0,2 und zwei Zentimetern pro Sekunde in eine Wolke bewegen. Daher beschloss Stevens nachzumessen. Mit ehemaligen Militärtransportflugzeugen, die er mit Messgeräten ausgerüstet hatte, flog der Wissenschaftler vor acht Jahren, als er noch Professor an der University of California in Los Angeles war, in die Stratocumulus-Wolken vor der kalifornischen Küste hinein. Die Messdaten bildeten die Grundlage für ein Computermodell der Turbulenzen am Wolkenrand. Dieses Modell zeigte schließlich, dass die Mischung lediglich mit 0,3 Zentimetern pro Sekunde voranschreitet. "Das ist zu langsam, als dass das Entrainment die Stratocumuli spontan auflösen könnte", stellt Stevens fest.

Auch wenn das Entrainment die Stratocumuli nicht schlagartig vom Himmel fegt, zeigen Satellitenaufnahmen dennoch, dass die Wolken spontan verschwinden können. Das Phänomen ist erstaunlich: Die Wolken bilden von oben gesehen eine körnige Fläche, die an einen mehrzelligen Organismus erinnert. Die weißen Zellen - die Wolken, die in einer Richtung fünf bis 50 Kilometer messen können - werden von dunklen Rändern eingefasst, an denen der darunter liegende Ozean hindurchscheint. An einigen Stellen, mitten im Wolkenteppich, zeigt sich ein umgekehrtes Muster: Die Zellen erscheinen dunkel mit weißen Rändern. Dort haben sich die Wolken im Inneren der Zellen verflüchtigt, und stattdessen bildeten sich welche an den zuvor wolkenfreien Zellrändern - so als betrachte man das Negativ einer Fotografie des ursprünglichen Musters. Messungen von Stevens' Flugzeugmission zeigten, dass die sonst nicht zu starkem Regen neigenden Stratocumuli beim Übergang zu diesem Negativmuster geregnet haben.

Warum sie das tun, erklärt Stevens wie folgt: Die insgesamt relativ glatte Unterseite der Wolkenschicht weist einige Ausstülpungen auf. Das heißt, manche der Zellen reichen näher an die Ozeanoberfläche heran, Experten nennen sie daher tiefer als die Nachbarwolken. Tiefe Wolken regnen leichter. Das hängt mit dem Prozess zusammen, in dem Regen entsteht: Er beruht darauf, dass kleine Tropfen langsamer fallen als größere, weil sie bezogen auf ihre Masse mehr Luftreibung erfahren.


Regen kehrt Auf- und Abwärtsströmungen um

Wenn nun ein etwas größeres Tröpfchen durch die Wolke fällt, holt es kleinere Tröpfchen unter sich ein und stößt mit ihnen zusammen. Mit manchen dieser Tröpfchen verschmilzt es, wird größer und fällt noch schneller. Eine Art Lawineneffekt tritt ein, und das Tröpfchen wächst um das Millionenfache seiner Ursprungsgröße. Irgendwann schwillt es so stark an und fällt so schnell, dass es ohne wieder zu verdampfen als Regentropfen die Ozeanoberfläche erreicht. In tiefen Wolken geht das besonders leicht, weil sie den Tröpfchen eine relativ große Fallhöhe bieten und sich die Tröpfchen hier auf ihrem Weg abwärts mehr andere Tröpfchen einverleiben können.

Der Regen aus den tiefen Wolken bleibt nicht ohne Folgen: Computersimulationen, die Stevens mit seiner damaligen Doktorandin Verica Savic-Jovcic vorgenommen hat, zeigten, dass sich dort, wo es geregnet hat, auch die Zirkulation der feuchten Luft zwischen Ozean und Wolkenschicht radikal verändert: Vor dem Regen gab es eine starke Aufwärtsströmung in der Mitte der Zelle und schwache Abwärtsströme an ihren Rändern. Danach kehrte sich das um: eine starke Abwärtsströmung in der Mitte und schwache Aufwärtsströme an den Rändern. Diese Umkehrung der Strömungen bewirkt, dass sich das ursprüngliche Muster des Wolkenteppichs in sein Negativ verkehrt. Denn Wolken entstehen stets dort, wo warme feuchte Luft nach oben steigt. Der Prozess verdeutlicht, wie verschmelzende Wassertröpfchen, die das bloße Auge nicht erkennen kann, im Endeffekt kilometergroße Luftwalzen umkehren können.

Nachdem Stevens und seine Kollegen die Stratocumuli besser verstanden haben, tun sie nun den nächsten Schritt. "Wir bauen die Ergebnisse derzeit in die weltumspannenden Klimamodelle ein", sagt Stevens. Solche Computermodelle zerteilen die Atmosphäre in ein Gitter aus Rechtecken, deren Länge und Breite mehrere hundert Kilometer beträgt und die rund einen Kilometer hoch reichen. Für jedes dieser Volumenraster berechnet der Computer Durchschnittswerte der Temperatur, der Feuchtigkeit und der anderen Eigenschaften der Lufthülle.

Weil Wolken durch dieses Raster fallen, versagen die Klimamodelle darin, sie zu simulieren. Kleinere Raster können die Forscher nicht verwenden, weil das die Rechenzeit ins Unermessliche steigern würde. Doch wenn Forscher die physikalischen Vorgänge in den einzelnen Wolkentypen verstanden haben, können sie sich behelfen. Zwar können sie auch dann nicht berechnen, an welchen Stellen genau in dem Raster sich die einzelnen Wolken bilden. "Aber auf Basis der Durchschnittswerte von Größen wie Temperatur und Luftfeuchte, die das Computermodell errechnet, lässt sich dann die Statistik der Wolkenverteilung berechnen", sagt Stevens. Dann lässt sich also sagen, wie viel Prozent des Rastervolumens von Wolken ausgefüllt wird und von welchen Wolkentypen. Dies wiederum macht es möglich, den Einfluss der Wolken auf die Wärme- und Sonnenstrahlung zu quantifizieren.


Turbulente Regenbildung

Inzwischen widmet sich Stevens einem zweiten Typ flacher Wolken über den tropischen Ozeanen, den sogenannten flachen Cumuli. Diese Schönwetterwolken sind über den warmen Meeren allgegenwärtig - sie bedecken rund 40 Prozent der Weltmeere - und haben daher, so glaubt Stevens, einen noch größeren Einfluss auf das Klima der Erde als die Stratocumuli.

Zusammen mit Axel Seifert vom Deutschen Wetterdienst und seiner Doktorandin Louise Nuijens hat er vor Kurzem untersucht, wie Regen in einer solchen Wolke entsteht. Dabei haben die Forscher nachgewiesen, dass Turbulenzen die Regenbildung in der Wolke entscheidend unterstützen können. Denn die Luftwirbel schubsen Wassertröpfchen, die so leicht sind, dass sie schweben, in der Wolke hin und her. So kollidieren die Tröpfchen häufiger mit anderen schwebenden Tröpfchen, als sie es in ruhiger Wolkenluft tun würden. Die Mini-Tropfen verschmelzen daher häufiger. Schließlich entstehen mehr Tröpfchen, die schwer genug sind, um zu fallen, dabei weitere kleine Tröpfchen einzusammeln und schließlich zum Regentropfen zu werden. Die Computersimulationen zeigten, dass Turbulenzen die Häufigkeit der Tröpfchenstöße mehr als vervierfachten. "Das bedeutet, dass die Cumuli deutlich leichter Regen bilden, als wir bislang dachten", sagt Stevens.

Auch die flachen Cumuli will Stevens nicht nur per Computer erforschen. In seinem Büro im Hamburger Max-Planck-Institut zeigt sich symbolisch, dass seine Forschung auf zwei Säulen ruht: Formeln und Skizzen übersäen eine Tafel an der Wand. Direkt daneben, auf dem Beistelltischchen einer Sitzgruppe, steht ein Modell des Forschungsflugzeuges HALO des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, das seine mit einer Turbulenzsonde versehene Nase in die Höhe reckt (siehe Kasten Seite 27). Stevens setzt auf die Kombination von Theorie und Feldforschung. Demnächst wird HALO in einer Mission, an der sich auch Stevens beteiligt, die Schönwetter-Cumuli vor der Karibikinsel Barbados durchfliegen und mit verschiedenen Instrumenten Tröpfchengrößen und Turbulenzen vermessen.


Eine universale Wolkenformel gibt es nicht

Auf der Insel selbst installieren MaxPlanck-Forscher gemeinsam mit Forschern des Caribbean Institute for Meteorology and Hydrology in Barbados und der Uni in Miami gerade Fernerkundungsinstrumente. Es handelt sich dabei um Radargeräte und um eine Art Lichtradar, der mit Laserstrahlen arbeitet. Sie sollen die vom offenen Ozean kommenden Wolken ins Visier nehmen. "Die Daten werden uns helfen, die Beziehungen zwischen der Wolkenbedeckung, dem Niederschlag, Aerosolen und den Eigenschaften der die Wolken umgebenden Luft zu erklären", sagt Stevens.

Der Wolkenforscher sieht nicht nur dieser Messkampagne sehr optimistisch entgegen, sondern der Zukunft der Wolkenforschung insgesamt. "Wir werden in den nächsten 25 Jahren ein Vielfaches dessen über Wolken lernen, was wir in den letzten 25 Jahren gelernt haben", sagt er sichtlich erfreut. Im letzten Vierteljahrhundert seien die Beobachtungstechniken entwickelt worden. "Jetzt benutzen wir sie." Satelliten seien inzwischen in der Lage, mithilfe von Radar und Laserstrahlen dreidimensionale Bilder von Wolken und ihrem Inneren anzufertigen. Außerdem erleichtere es die wachsende Rechenkraft von Computern immer weiter, physikalische Prozesse auf immer mehr Größenskalen gleichzeitig zu simulieren - freilich erst, nachdem man die entsprechenden Prozesse verstanden habe.

Stevens glaubt allerdings nicht an eine Art universaler Wolkenformel: "Was es meiner Ansicht nach nicht gibt, ist ein allgemeines Prinzip, das mit ein paar mathematischen Symbolen die gesamte Physik der Wolken erklärt", sagt Stevens. Er vergleicht die Wolkenforschung mit der Krebsforschung. "Früher dachten Mediziner, es gebe einen Entstehungsmechanismus für Krebs schlechthin. Heute weiß man, dass jede Krebsart für sich erforscht werden muss", sagt der Wissenschaftler. Bei den Wolken sei es ähnlich: Jeder Wolkentyp müsse für sich verstanden werden. Dass etwa das Entrainment bei den marinen Stratocumuli nicht effizient wirke, gelte nicht unbedingt für andere Wolkentypen. Die Wolkenforschung ähnelt demnach einem Puzzle: Das Gesamtbild lässt sich umso besser erkennen, je mehr Puzzlesteine hinzukommen.

In der Aussage, dass die Wolken den Schlüssel zum Verständnis der ganzen Welt liefern, stimmt Bjorn Stevens dem Philosophen Descartes aber nur bedingt zu. Die Vorgänge in der Erdatmosphäre könne tatsächlich nur verstehen, wer die Wolken durchdringe. Aber nicht viel mehr - und er fügt hinzu: "Sollte es mir jemals gelingen, die Wolken komplett zu verstehen, wird es mir vermutlich immer noch schwerfallen, so manche Politikerentscheidung zu verstehen."


Glossar

Flache Cumuli
Haufenwolken in Höhen bis zu 2000 Meter über dem Meeresspiegel. Diese Schönwetterwolken verschleiern bis zu 40 Prozent der Weltmeere.

Marine Stratocumuli
Eine geschlossene Decke von flachen Haufenwolken, die über kalten subtropischen Meeresgebieten auftreten und rund ein Zehntel der Ozeane bedecken.

Entrainment
Prozess, bei dem Turbulenzen am Wolkenrand feuchte Wolkenluft und trockene Luft aus der Umgebung vermischen. Der Vorgang spielt sich in Dimensionen von Millimetern bis zu einigen Metern ab.

El Niño
Beruht auf einer Umkehrung der normalen Meeresströmung zwischen Indonesien und Peru und tritt in unregelmäßigen Abständen etwa zur Weihnachtszeit (El Niño span. = Christkind) auf. So gelangt extrem warmes Wasser von Indonesien nach Peru, sodass dort Plankton abstirbt und die Nahrungskette zusammenbricht. Da das Klima an die Meeresströmungen gekoppelt ist, beeinflusst El Niño das Wetter in vielen Teilen der Welt.


*


Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 1/2010, Seite 16-23
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Redaktionsanschrift: Hofgartenstraße 8, 80539 München
Tel. 089/2108-1562, Fax 089/2108-1405
E-Mail: mpf@gv.mpg.de
Das Heft als PDF: www.magazin-dt.mpg.de

Das Heft erscheint in deutscher und englischer Sprache
(MaxPlanckResearch) jeweils mit vier Ausgaben pro Jahr.
Der Bezug des Wissenschaftsmagazins ist kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2010